Wir brauchen einen gesellschaftlichen Dialog über die Kosten des Hochwasserschutzes und die Verteilung der Lasten

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12 Mrd. € Schäden hat die bisher teuerste Naturkatastrophe in Deutschland verursacht – das „Jahrhunderthochwasser 2002“. Auch wenn der Schaden des aktuellen „Jahrhunderthochwassers 2013“ nach ersten Schätzungen unter den Werten von 2002 liegen wird, gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Die Schäden aus Extremereignissen nehmen weltweit und auch in Deutschland im langfristigen Trend zu und werden durch den Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten angetrieben. Darin sind sich alle Experten einig. Angesichts der dramatischen Bilder aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern fragt man sich aber zu recht: Sind denn alle Bemühungen nach 2002 für einen besseren Hochwasserschutz sinnlos verpufft? Tatsächlich wurden gerade in den jetzt besonders betroffenen Gebieten gewaltige Anstrengungen unternommen, um eine erneute „Katastrophe“ zu verhindern. Allein in Sachsen wurden ca. 400 Millionen Euro in den Hochwasserschutz an Elbe, Mulde und an der Neiße investiert. Im europäischen Maßstab ist das vorbildlich. Aber geholfen hat es nicht überall. In Grimma war die geplante Schutzmauer noch in der Planung. Schuld waren aber nicht immer die Widerstände in der Bevölkerung, sondern auch ökonomische und politische Prioritäten in  den Hochwasserschutzprogrammen. Denn geschützt wird zuerst, wer am meisten politisches und ökonomisches Gewicht einbringen kann. Eine kleine ländliche Gemeinde wie Fischbeck in Sachsen-Anhalt hat da “weniger zu melden” als Großstädte wie München oder Dresden im Bundesmaßstab. So ist eine „Gerechtigkeitslücke“ im Hochwasserschutz entstanden – in ganz Deutschland.

Hochwasser 2013. Foto: Gunnar Dreßler
Hochwasser 2013. Foto: Gunnar Dreßler

Das ökonomische Prinzip scheint zwar richtig: Wer am meisten betroffen ist, soll auch am meisten und am schnellsten bekommen. Doch angesichts einer durch den Klimawandel beschleunigten, flächendeckenden Zunahme der Schäden, brauchen wir neue ökonomische und solidarische Ansätze im Hochwassermanagement. Dabei geht es nicht nur um einen flächendeckenden Schutz vor Hochwasser, sondern auch um eine gleichmäßige Verteilung der Lasten aus den Schäden. Ein 100%-iger Hochwasserschutz wird niemals möglich sein, weder durch immer höhere Deiche, noch durch immer mehr „Raum für Flüsse“. Die Alternative “Beton oder Natur” ist ohnehin ökonomisch zu einfach. Wir brauchen beides, wenn wir die Kosten für den Hochwasserschutz in vernünftigem Rahmen halten wollen. Und selbst durch eine Kombination von technischen und natürlichem Hochwasserschutz können wir die Kosten des Hochwasserschutzes in der Zukunft nicht in einem vernünftigem Rahmen halten – es muss ein “Restrisiko” verbleiben und ungeschützte Gebiete.

Gerade für diese Gebiete brauchen wir staatlich geförderte private Schutzmaßnahmen und eine Versicherungspflicht. Der unregulierte Markt stößt hier an seine Grenzen. Nach aktuellen Schätzungen der Gesamtverbands der deutschen Versicherer (GDV) enthalten etwa 30 Prozent der Wohngebäudeversicherungen eine sog. “Elementarschaden-Zusatzdeckung”, also eine Hochwasserversicherung. 70 Prozent der Wohngebäude sind dagegen nicht versichert. Davon sind nach Schätzungen des GDV 1-2 Prozent der Gebäude „unversicherbar“, weil sie im Durchschnitt 1 mal in 10 Jahren von Hochwasser betroffen sind. Über 1 Millionen Menschen in Deutschland können heute also keine Versicherung kaufen, selbst wenn sie das wollten. Für viele andere ist der Versicherungsschutz „prohibitiv“ teuer.  Und die Anzahl dieser “unversicherbaren” Haushalte wird in Zukunft wachsen. Eine sorgsame ausgestaltete Versicherungspflicht kann die Kosten für entstandene Schäden dagegen so umlegen, dass Elementarschäden flächendeckend versicherbar wären und zugleich ökonomische Anreize für die private Vorsorge gegen Hochwasser und Starkregen nicht verloren gehen, z.B durch Prämiennachlässe für private Bauvsorge. Im Verbund wären damit auch seltene lokale Extremereignisse wie Erdrutsche oder Erdbeben versicherbar. Wir brauchen angesichts des Klimawandels und zunehmender Wetterextreme mehr Solidarität. Wir brauchen systematische und planvolle Lösungen. Wir brauchen nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern einen offenen gesellschaftlichen Dialog über die Kosten der Hochwasserschutzes und die  Verteilung der Lasten.


[1] Die Werte schwanken aber sehr stark zwischen 15% in Niedersachsen und 95% in Baden-Württemberg, wo bis Mitte der 1990er Jahre noch eine Pflichtversicherung bestand. http://www.gdv.de/wp-content/uploads/2013/06/GDV-Grafik-Elementarschutz-Deutschland-2013.png

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Reimund Schwarze ist Klimaexperte im Department Ökonomie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Als Professor für Volkswirtschaftslehre hält er Vorlesungen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Seine Forschungsschwerpunkte sind ökonomische und juristische Untersuchungen zur Klimapolitik. Er beobachtete in den letzten Jahren die Klimakonferenzen der UNO und berichtete davon im UFZ-Klimablog.

8 Kommentare

  1. Wohnen in Überflutungsgebieten

    In früheren Zeiten hat man aufgrund solcher Erlebnisse nicht direkt am Fluss gebaut, sondern auf der Hochterrasse, vor dem Hochwasser geschützt. Im 20. Jahrhundert waren wir der Meinung, alles sei machbar, und warum den schönen Baugrund am Fluss nicht nutzen?

    Fragen sollten wir uns zumindest schon, ob es sinnvoll ist, den Schutz von Objekten in Hochrisikogebieten durch die Allgemeinheit zu garantieren, oder ob es nicht auch eine Option wäre, die Überflutung zu akzeptieren. Das könnte bedeuten, Baugebiete aufzugeben oder so umzubauen, dass sie nach einer Überflutung ohne größere Schäden wieder genutzt werden können.

  2. Gerechtigkeit oder Ökonomie

    Das folgende “Das ökonomische Prinzip scheint zwar richtig: Wer am meisten betroffen ist, soll auch am meisten und am schnellsten bekommen.” scheint mir kein vernünftiges ökonomisches Prinzip wenn man eine langfristige Sicht einnimmt. Vielmehr müssten die am meisten bekommen, die in bisher nur als gering bis mittel bedrohten Hochwasser gefährdeten Zonen wohnen und doch betroffen sind. Diejenigen jedoch, die in stark gefährdeten Zonen wohnen sollten wenn immer sinnvoll hohe Einmalbeträge erhalten, die es ihnen ermöglichen wegzuzuiehen.

    Es mag zwar sein, dass durch die Bevorzugung von Grosstädten wie München über kleine ländlichen Gemeinden (Zitat)” eine „Gerechtigkeitslücke“ im Hochwasserschutz entstanden [ist] – in ganz Deutschland.”, doch heisst das nicht die Diskussion auf die falsche Schiene zu lenken und mit dem garantiert wirksamen Ansprechen des Gerechtigkeitsdenkens aller “guten” Deutschen unsinnig grosse Geldsummen in falsch Projekte zu lenken.

    Statt dessen müsste man ganz nüchtern das Geld dort einsetzen wo es am meisten bewirkt. Kann man durch einen Damm oder durch mehr Raum für einen Fluss die Wahrscheinlichkeit senken, dass eine Millionenstadt Miliardenschäden erleidet, so ist das weit sinnvoller eingesetztes Geld als wenn man Millionensummen an Schutzmassnahmen einsetzt um eine Kleinstadt zu schützen. Mag das nun ein gerechtes oder ein ungerechtes Vorgehen sein.

  3. Leben mit der Flut

    In den nötigen integrierten Konzepten der Hochwasservorsorge wird es Lagen geben, wo wir “mit der Flut leben” und wirtschaften müssen. Wir werden Dörfer und Städte haben, die wir mit einem Ringdeich umgeben, so dass wir deren Umland weiträumig als Retentionsfläche nutzen können. Wir werden in den Poldern wirtschaften müssen, auch intensiv, z.B. Raps anbauen, wohlwissend, dass der nach der Flut hin ist. Dafür brauchen wir Kompensationssysteme, weil Schäden “systematisch eingeplant” werden müssen. Andererseits werden wir nicht Städte wie das ostelbische Magdeburg oder 1/3 des Stadtgebiets von Leipzig aufgeben können. “Weichen” ist also auch nicht die einfache Antwort, wenn die Extreme zunehmen. Wir müssen die “Trade offs”, die umfassend definierten Kosten, aller Einzelmaßnahmen sehen, auch deren Verteilung auf unterschiedliche Betroffenengruppe analysieren, um auf dieser Grundlage zu einer transparenten, für alle Bürger nachvollziehbaren politischen Entscheidung zu kommen. Uns Feind ist das Ad-hoc!

  4. Leben am Fluss @Kai Hiltmann

    Die Leute in “früheren Zeiten” siedelten sich bevorzugt an Flüssen an, weil es ja kein Wasser in den Häusern gab. Es war praktisch das Vieh im Fluss zu tränken, dort zu schwimmen oder die Wäsche zu waschen. Kein Mensch hätte ohne Not Wasser auf eine Hochterrasse geschleppt.

    Ich lebe an der Donau und viele Städte gehen hier auf Siedlungen der Kelten zurück. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert bauten dann die Römer ihre Heerlager an der Donau, wie Ratisbona (Regensburg) oder Batavis (Passau). Die Donau diente als Grenzfluss (sie war Teil der Limesbefestigung) und fungierte als wichtige Handelsroute. Später wurden einige Städte als Bischofssitz genutzt. Während der industriellen Revolution nutzte man das Wasser des Flusses um Kraftwerke und Maschinen anzutreiben oder als Abwasserkanal. Nach dem zweiten Weltkrieg, als es den Leuten wieder besser ging, wurden die feuchten Wohnungen am Flussufer bevorzugt an Arme vermietet, was uns über viele Jahre einen Spitzenplatz bei Erkrankungen wie Lungentuberkulose oder Pseudokrupp bescherte. Vor etlichen Jahren und viele Hochwässer später wurde dann verfügt, dass die Wohnungen im Erdgeschoss nicht mehr als Wohnraum vermietet werden dürfen. Seither dienen sie als Läden oder Kneipen. Leider reichte diese Maßnahme nicht aus, denn beim aktuellen Hochwasser wurden auch die oberen Stockwerke der Häuser überflutet. Nun ist guter Rat teuer!

    Über Lösungen wird ja momentan viel geredet, leider versteigen sich da manche Leute in völlig unrealistische Sandkastenspielereien. Und so renovieren die Bürger ihre Stadt und ihre Häuser nach jedem Hochwasser wieder aufs Neue, so wie Sisyphos, den die Götter dazu verdammt hatten auf ewig einen Stein den Berg hinaufzuwälzen, doch oben angekommen rollte der Stein jedes Mal wieder hinunter. Manche mögen diese unnütze Arbeit als fürchterliche Strafe ansehen. Aber wie sagte doch Albert Camus: “Jede Generation sieht zweifellos ihre Aufgabe darin, die Welt neu zu erbauen. Meine Generation jedoch weiß, dass sie sie nicht neu erbauen wird. Aber vielleicht fällt ihr eine noch größere Aufgabe zu. Sie besteht darin, den Zerfall der Welt zu verhindern.”

  5. versicherung elementarschaeden

    Sehr geehrter Herr schwarze,
    Für mich sind sie in erster Linie ein lobbyist der versicherungsindustrie. Pflichtversicherung , und dies als solidarbeitrag zu verkaufen ist schlichtweg eine Frechheit. Keine Versicherung schließt Verträge ab bei denen das rechnerische Risiko höher ist wie der Gewinn. Also bitte, die Betroffenen sollten selber entscheiden. Und wenn ein haus nicht versicherbar ist, dann ist das Leben für die Betroffenen mit hohem Risiko aber auch mit logischerweise sehr billigen grundstückskosten verbunden.
    Mfg. S. Bürger

  6. Elementarversicherung@Stefan Bürger

    Das ist das Dilemma der Soforthilfen, Herr Bürger: Sie machen das Bauen in Überschwemmungsgebieten billiger, private Bauvorsorge nicht lohnend, und nehmen den Wählerdruck für sinnvolle öffentliche Vorsorgemaßnahmen. Wer wie ich in dieser Lagr eine präventionsorientierte Versicherungspflicht fordert, macht sich keine Freunde. Auch nicht in der Versicherungswirtschaft. Denn die wettert vehement gegen eine Pflichtlösung, weil sie eben genau das verunmöglichen würde, was Sie beklagen: Nur die “guten Risiken” mit hohen Gewinnen zu versichern und die “schlechten Risiken” auszusortieren und der Hilfe durch die Gemeinschaft anheim fallen zu lassen. Das kennen wir leidvoll aus der Pflege- und Krankenversicherung und haben deshalb ein Pflichtsystem mit Kontrahierungszwang für die Versicherer eingeführt. Freiheit hat Ihre Grenzen, wenn man die Folgen vermiedener Vorsorge auf die Gemeinschaft abwälzt.

  7. Hat man nicht schon 2002 versprochen, alles nur Menschenmögliche zu unternehmen damit es nicht nochmal zu so einer Katastrophe kommt? Naja, ist ja immerhin gut 10 Jahre nichts passiert, wow.

  8. Natürlich gibt es Bereiche in Deutschland, in denen es nicht möglich ist eine Elementarschadenversicherung abzuschließen. Dort ist sicherlich die staatliche Unterstützung eine Option. In Bereichen, in denen man sein Wohngebäude aber mit einer Naturgefahren Versicherung hätte schützen können, fällt es mir schwer, Verständnis dafür aufzubringen, wenn der Staat / Steuerzahler für die Schäden aufkommt.

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