Die liebe Klospülung

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Forschung lecker zubereitet
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Kaum eine Erfindung hat die Welt so radikal verändert wie die Klospülung. Ab dem späten 19. Jahrhundert wurden Fäkalien und damit potentiell gefährliche Keime per Wasserladung die Ferne gewaschen. Die gefürchtete Cholera verschwand dank WC und Trinkwasseraufbereitung.

Lange vor der Klospülung: Jauchegrube. Zutaten: Fäkalien (schon ausgelaufen bzw. weggetrocknet), menschliche Knochen (von gefolterten und verstorbenen Gefangenen) und Müll (Quelle: Wikimedia Commons, Emilie)

Die Spültoilette hat uns über 100 Jahre hervorragende Dienste geleistet. Warum also ein bewährtes Konzept anzweifeln, verbessern oder gar abschaffen wollen?

Europa hat sich seit dem 19. Jahrhundert verändert. Die industrielle Revolution sorgte für rasches Bevölkerungswachstum, höheren pro-Kopf Wasserverbrauch, intensiver bewirtschaftete landwirtschaftliche Flächen und (logisch) mehr Industrie. Eine der vielen Folgen ist die Verschmutzung des Grundwassers.

Ein komplexes Thema. Schauen wir erstmal nur in die WC Schüssel. Was geschieht dort? Trinkwasser (Lebensmittel) wird zum Wegspülen von Urin (Dünger) und Fäzes (Dünger) benutzt. Das Gemisch dieser Drei produziert Abwasser, welches teuer aufbereitet werden muss.

Unmoderner Wasserverschwender. (Quelle: Wikimedia Commons, Gregorydavid)

Abgesehen  von den Kosten, hat unsere Toilettenroutine auch Einfluss auf die Qualität unseres Grundwassers – unsere wichtigste Trinkwasserquelle. Bei trockenem Wetter sickern etwa  5-20% unseres Abwassers aus defekten Leitungen in den Boden. Bei Regen oder Sturm sind es deutlich mehr.

Nach einer Studie von Von Keitz (2002) lecken im ehemaligen Westdeutschland etwa 31 bis 445 Millionen Kubikmetern Abwasser ins Grundwasser. Jährlich. Diese Abschätzung bezieht sich lediglich auf öffentliche Abwasserkanäle. Da private Gruben nicht untersucht wurden, erwarten die Autoren eine deutliche Unterschätztung der Leckagen.

In einer 2005 publizierten Studie wurden in Rastatt (Stadt mit 50.000 Einwohnern, Nähe Karlsruhe) auf 208 km Abwasserleitungen ganze 31.006 defekte Stellen gefunden. Man muss beachten, dass Rastatt ein gut gepflegtes Abwassersystem betreibt.

Lecks in Abwassersystemen verursachen nicht nur Belastungen mit Stickstoff, Phosphor und pathogenen Bakterien, sondern auch Kontaminationen mit Medikamenten und anderen Stoffen, die Mensch entweder ausscheidet oder illegal ins Klo wirft. Diese Stoffe werden gern von Hydrogeologen als Anzeiger für Abwasser in Grundwasserleitern genutzt. Zum Beispiel: Bisphenol A, Carbamazepin, Diazepam und Ibuprofen. In Deutschland landen jährlich etwa 100 Tonnen Medikamente in der Toilette.

Doch es geht nicht nur um die Sauberkeit unseres Trinkwassers. Ökosysteme wie Seen, Flüsse und Auen sind praktisch immer an das Grundwasser angebunden. Was an Nährstoffen und Medikamenten im Grundwasserleiter landet, wird weiter transportiert.

Dezentralisierte Lösungen für Fäkalien- und Abwasserbehandlung sind nicht nur aktuell in Regionen mit Wassermangel, sondern auch in solchen, wo sauberes Grundwasser immer mehr zur bedrohten Ressource wird (Ja. Genau. Hier.)

 

Quellen und was man sonst noch lesen kann:

Towards a better understanding of sewer exfiltration

Current research in urban hydrogeology

Assessing sewer-groundwater interaction at the city scale on individual sewer defects and marker species distribution

Handbuch der EU-Wasserrahmenrichtline

Medikamentencocktail im Trinkwasser

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Annelie Wendeberg ist eigentlich Umweltmikrobiologin. Doch eines schönen Wintermorgens klappte sie die Augen auf und dachte sich "ich schreib mal was". Seither versucht sie ihre Leidenschaft Forschung leicht verständlich und spannend in kurzen Blogartikeln zu vermitteln. Meistens schreibt sie über alles Mögliche was irgendwie mit Forschern, Biologie, Umwelt, Ökologie und vor allem Mikrobiologie zu tun hat. Des Nachts bringt Annelie Wendeberg Leute um. Auf dem Papier. Für den KiWi Verlag.

10 Kommentare

  1. Surfen auf dem Zeitgeist

    Ja ja, das Thema Kacken ist besonders immer wieder ein beliebtes um mit kurzweiligen Kommentaren der systemrational-konfusen Überproduktion von Kommunikationsmüll dienlich zu sein 🙂

    “Das Gemisch dieser Drei produziert Abwasser, welches teuer aufbereitet werden muss.”

    – und wenn Wasser erst einmal privatisiert im “freiheitlichen” Wettbewerb teuer dem Wachstum des Profit- und Konsumautismus dient, dann wird es sich wohl auch lohnen Meerwasser-Entsalzungsanlagen bei uns zu betreiben!?

  2. 20+%Kosten => Mikroverunreinigungen weg

    Mikroverunreinigungen
    im Klärwasser umd 50% bis 80% zu reduzieren macht Kläranlagen etwa 10% teurer. Es ist Ansichtssache ob es das wert ist.
    Im verlinkten Spiegelbericht über Medikamtente im Klärabwasser liest man am Ende des Artikels:

    “Stand der Dinge ist nun mal, dass es eine “rein umwelthygienische Maßnahme” ist, wie Heberer meint. Neue Klärtechniken seien schlicht zu teuer: “Technisch ist viel machbar, nicht aber wirtschaftlich.”

    Deutschland würde es schätzungsweise 10 Milliarden Euro kosten alle Kläranlagen aufzurüsten und anschliessend wären Mehrkosten von 1 Milliarde pro Jahr für die Abwasserreinigung zu erwarten. Pro Einwohner Deutschlands also Mehrkosten von etwa 15 Euro pro Jahr um die Mikroverunreinigungen mindestens zu halbieren.

    In der Schweiz ist diese Aufrüstung bereits geplant allerdings nur für die grössten Kläranlagen, so dass dann das Abwasser der Hälfte der Einwohner viel stärker geklärt ist als bis anhin.

    Leckagen
    im Abwassersystem lassen sich mit heutiger Technik durchaus ausfindig machen. Nur darum konnte überhaupt (Zitat) “in Rastatt (Stadt mit 50.000 Einwohnern, Nähe Karlsruhe) auf 208 km Abwasserleitungen ganze 31.006 defekte Stellen” gefunden werden.
    Bestehende Infrastruktur zu verlottern lassen ist generell falsch – und ist ein aktuelles Problem Deutschlands.

  3. provokant gefragt:

    Wenn die Trinkwasserqualität in D dennoch extrem hoch ist, so heißt das im Umkehrschluss, dass durch Leckagen versickerndes Abwasser durch das Erdreich ausreichend gut verdünnt bzw gefiltert werden?

  4. Wasserwirtschaftlicher Anachronismus

    Wenn ich in Nord-Deutschland vor der Wahl stünde, Wasser aus einem Vorfluter vor oder hinter dem Einlauf einer Kläranlage zu trinken, würde ich die zweite Variante bevorzugen. Denn die Vorfluter werden durch die massiven Gülle-Einträge aus der Landwirtschaft so verseucht, dass die Wasserqualität durch die gereinigten Einträge aus einer Kläreinlage in der Regel verbessert wird.

    Der alltägliche wasserwirtschaftliche Wahnsinn in Deutschland besteht ja darin, dass ich für ein Wochenendhäuschen im Außenbereich eine Dreikammergrube zur Reinigung der Abwässer anlegen muss, während der Landwirt nebenan die Gülle im Dezimeterhöhe auf dem Acker entsorgt

  5. Die Cloaca Maxima

    sei an dieser Stelle kurz gerühmt, in der Antike war man sich des Nutzens der Entsorgung humaner Abfälle bewusst.

    Den Nutzen von Abwasserleitungen wie von Äquadukten ist jedem Civilization-Spieler wohlbekannt.

    MFG
    Dr. W

  6. Seltsame Ausgangsfrage

    “Warum also ein gutes Konzept (…) verbessern (…) wollen?” – seltsame Frage, zumal für eine Wissenschaftlerin.

    Ich nehme mal an, das ist einfach nur verunfallt formuliert…

  7. Die Bildunterschrift zum ersten Bild irritiert doch ein wenig. Wir hatten früher auch eine Jauchegrube unter der Scheune, aber als wir die später einmal leerten, fanden wir keinerlei Knochen von gefolterten Gefangenen. Ob meine Vorfahren die anders entsorgt haben?

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