Die andere Sternentwicklung (Buchrezension)

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… aber nicht einfacher
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Urlaubszeit, Lesezeit – dieses Jahr dank der Inselbücherei in Wyk auf Föhr. Dieses Jahr habe ich die Gelegenheit genutzt und mir ein paar Bücher vorgenommen, die schon länger auf meiner Leseliste standen.

Das erste davon: Ernst Peter Fischers “Die andere Bildung”, seinerseits ja Reaktion auf ein anderes Buch: 1999 hatte der Anglistikprofessor Dietrich Schwanitz (leider inzwischen verstorben) in einem locker und witzig geschriebenen Buch mit dem Titel “Bildung” dem Untertitel nach “Alles, was man wissen muss” zusammengefasst – genauer alles, was man wissen muss, um in unserer Gesellschaft als gebildet zu gelten: die Geschichte Europas, seiner Kunst, Musik und Philosophie; die Grundlagen der Geschlechterdebatte, Grundwissen zum Umgang mit Sprache und mit Büchern, Länderkunde und die Eigenschaften des menschlichen Geistes.

Ich habe das Buch damals durchaus gerne gelesen, fand seine Vogelperspektive durchaus interessant, habe mich aber, wie wohl die meisten anderen Naturwissenschaftler unter den Lesern, darüber geärgert, dass unsere eigenen Wissensgebiete bei diesem Bildungsbegriff links liegen bleiben. “So bedauerlich es manchem erscheinen mag”, konstatiert Schwanitz dort nämlich, “Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.”

Wobei diese und weitere Aussagen ausgerechnet Teil des Kapitels “Was man nicht wissen sollte” sind, in dem es eigentlich um Wissen geht, durch das man sich als ungebildet erweist, beispielsweise Klatsch über europäische Fürstenhäuser, seichte Fernsehsendungen, Berichte aus der Regenbogenpresse oder Sport. Schwanitz ordnet naturwissenschaftliches Wissen ausdrücklich nicht diesem Bereich “verbotenes” (sprich: für gebildet scheinen wollende besser zu versteckendes) Wissen zu; dass die Frage nach naturwissenschaftlicher Bildung für ihn unwichtig genug ist, um nur als Nachgedanke zu Trivialliteratur & Co. aufzutauchen, spricht freilich für sich.

Der große Erfolg des Buches hatte damals, wenig überraschend, die Kritik nicht nur an Schwanitz angeheizt, der diese stiefmütterliche Behandlung ja nicht erfunden hat, sondern nur umsetzt, sondern allgemein an einem derart eingeengten Bildungsbegriff.

Eine der Reaktionen auf den Erfolg des Buches von Schwanitz war Ernst Peter Fischers erstmals 2001 im Ullstein-Verlag erschienenes Buch “Die andere Bildung”, mit dem konkreten Gegenentwurf im Untertitel: “Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte”. Fischer ist Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz und jemand, der oft und, so nehme ich zumindest an, gerne für ein allgemeines Publikum schreibt. Ein geeigneter Autor, sollte man denken, wenn es darum geht, die stiefmütterliche Behandlung der Naturwissenschaften zu beenden. Insofern hatte ich Fischers Buch, ohne es näher zu kennen, recht wohlwollend eingeschätzt; gut, hatte ich gedacht, dass da draußen in der Debatte auch ein Gegenentwurf zur eingeengt-klassischen Bildung einigen Verkaufserfolg für sich verbuchen kann.

Jetzt bin ich, wie gesagt, endlich zum Lesen gekommen. Und bin, was Fischers Buch angeht, gehörig ernüchtert. Ich bespreche im folgenden gar nicht den großen Entwurf, den Fischer zeichnet, und der insbesondere die Wechselbeziehung von Wissenschaft und Kunst betrifft (auch wenn dies aus Fischers Sicht der wichtigste Aspekt seines Buchs sein dürfte). Ich bin nämlich schon viel früher hängengeblieben, nämlich dabei, wie Fischer an bestimmten Stellen Inhalte der Physik beschreibt.

Ein Beispiel gefällig? Da wäre zum Beispiel der Kasten “Sternentwicklung und Schwarze Löcher”, in meiner Ausgabe (5. Auflage Januar 2002) auf S. 120:

Das statisch wirkende Bild am Himmel verschleiert die ungeheuren Vorgänge, die dort mit unvorstellbarer Energie ablaufen. Um sich die mögliche Entwicklung eines Schwarzen Loches vorstellen zu können, setzen wir riesige Mengen an interstellarer Materie voraus, die in einer Explosion (Supernova) entstanden sind. Durch Einwirkung der Schwerkraft verdichtet sich diese Materie zu Sternen, deren weiteres Schicksal von der dabei versammelten Masse abhängt.

Sternentstehung beginnt in der Tat mit interstellaren Materiewolken. Aber die in früheren Sterngenerationen entstandenen schwereren chemischen Elemente, die per Supernovaexplosion ins All hinausgepustet wurden, machen nur einen winzigen Anteil an den riesigen Wasserstoffwolken aus, aus denen neue Sterne entstehen. Soweit, so irreführend. Aber weiter im Text:

Sterne werden als leicht bezeichnet, wenn sie nicht viel mehr als die Sonne wiegen. Sterne werden als schwer bezeichnet, wenn sie rund doppelt so massig wie die Sonne sind, und Sterne werden als extrem schwer bezeichnet, wenn sie über 2,5 Sonnenmassen in sich vereinigen.

Fragt sich unwillkürlich, wie man dann Sterne wie Eta Carinae nennen soll, mit einer Masse von 100 Sonnenmassen. Extrem extrem extrem verdammt schwer? Kürzer wird es kaum gehen, wenn man sein Adjektiv-Pulver schon bei so geringen Massenwerten verschossen hat. Richtig ist, dass Sterne sich je nach Anfangsmasse unterschiedlich entwickeln, aber die Massenwerte sind deutlich andere als in Fischers Schilderung. Selbst mit rund der doppelten Sonnenmasse haben wir es noch mit leichten Sternen zu tun, die am Ende ihres Lebens das gleiche Schicksal erleiden wie unsere Sonne. Richtig massereich wird ein Stern erst ab mindestens 7 Sonnenmassen; von 7 bis 25 Sonnenmassen haben wir es mit den massereichen Sternen zu tun, die am Ende ihres Lebens als Supernova explodieren. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, dass es eine physikalisch begründete Obergrenze für die Sternmasse von rund 150 Sonnenmassen gibt. Massereiche Sterne sind im Vergleich zu ihren leichteren Verwandten vergleichsweise selten; wenn es um die Entstehung Schwarzer Löcher geht, sind das aber natürlich genau die Sterne, die man betrachten muss.

Ausführlich und gut dargestellt findet sich die ganze Geschichte in Hans-Thomas Jankas Buch “Supernovae und kosmische Gammablitze”, dass ich hier vor ziemlich genau einem Jahr besprochen hatte.

Wie Fischer auf seine sonderbare kleinen Massenwerte kommt? Darüber kann man nur spekulieren. Eine Möglichkeit ist eine Verwechslung der (Geburts-)Massen von Sternen mit den Massen von Sternüberresten – also den Massen von dem, was am Ende übrigbleibt wenn ein Stern als Roter Riese Materie ins All gepustet hat und je nach Masse vielleicht sogar als Supernova explodiert ist. Das würde mit den Zahlenwerten einigermaßen hinkommen: bis rund 1,4 Sonnenmassen haben wir die leichten Sternüberreste (Weiße Zwerge), bis rund 3 Sonnenmassen die mittleren (Neutronensterne) und über rund 3 Sonnenmassen die massereichen (Schwarze Löcher). Es passt nur natürlich gar nicht dazu, dass Fischer an dieser Stelle eigentlich bei der Sternentstehung, sprich: dem Kollaps von interstellarer Materie zu einem Stern redet.

Für diese Verwechslung spricht auch, wie es bei Fischer weitergeht:

In diesem Fall [Sternmasse über 2,5 Sonnenmassen] kann die Schwerkraft so stark werden, dass nicht nur die äußere Materie zusammengezogen wird, sondern dass auch die innere Welt kollabiert. Anders ausgedrückt – bei extrem schweren Gebilden drückt die Gravitation so stark, dass die Elektronen in den Atomkern gezwungen werden und sich dort mit den Protonen zu Neutronen vereinigen. Dabei entstehen die berühmten Neutronensterne […]”

Moooment – gerade noch hat sich die interstellare Materie zu einem Stern verdichtet, und schon wird die Schwerkraft so stark, dass ein Neutronenstern entsteht? Da fehlt doch etwas – nämlich das, was einen Stern eigentlich ausmacht: Das Gleichgewicht aus thermischem Druck, angefeuert durch die bei der stetigen Kernfusion freigesetzte Energie einerseits und dem auf Zusammenziehen bedachten Schwerkrafteinfluss. Erst, wenn der Kernbrennstoff verbraucht ist, muss man sich darüber Gedanken machen, welchen Endzustand die Schwerkraft herbeiführt. Keine ganz unwichtige Information. Leser, die sich mit Sternentwicklung nicht auskennen, könnten bei Fischers Schilderung glatt denken, alles ginge in einem Rutsch – Kollaps der Materie zu einem Stern und, schwupps, gleich weiter zum Neutronenstern.

Dass hinreichend massereiche Sterne in der Tat Neutronensterne werden, ist wieder eine richtige Aussage – im Anschluss an eine spektakuläre Supernovaexplosion, bei der sie ihre Hüllen ins All schleudern. Eben jener Supernova, die uns ganz am Anfang bereits begegnet ist – dort, wie gesagt, etwas unmotiviert; hier, wo sie eigentlich wichtig wäre, fehlt sie.

Bei dieser Supernova entstehen aus den Kernregionen des Sterns dann wie gesagt… aber lassen wir Fischer weiter zu Wort kommen:

Dabei entstehen die berühmten Neutronensterne, die aber nicht stabil, sondern dem gleichen Schicksal ausgeliefert sind. Die Schwerkraft quetscht die Neutronen selbst zusammen, und bei diesem Kollaps entsteht die Form der Materie, die so dicht ist, dass sie selbst das Licht an sich reißt und festhält.

Genau, bei der Supernova entstehen aus den Kernregionen des Sterns die berühmten Neutronensterne. Was dann kommt, stimmt aber schon wieder nicht, denn Neutronensterne sind nicht zwangsläufig instabil. Da dürfte schon wieder etwas durcheinandergegangen sein: Neutronensterne entstehen bereits bei Sternenüberrestmassen von mehr als 1,4 Sonnenmassen. Und sie sind für sich genommen durchaus langfristig stabil, danke der Nachfrage. Für mittelgroße Sterne, die bereits massereich genug sind, um ihr Leben mit einer Supernovaexplosion auszuhauchen, sind sie der natürliche Endzustand. Als Pulsare – eine Art kosmischer Radioleuchttürme – lassen sie sich zu hunderten nachweisen.

Erst ab einer bestimmten Grenzmasse, die bei etwa 3 Sonnenmassen liegen dürfte, reichen die Quanteneffekte (salopp: “es können nicht zwei gleichartige Teilchen, hier: Neutronen am gleichen Ort sein” – Pauliprinzip) nicht mehr aus, um den Sternenrest so zu stabilisieren, dass ein stabiler Neutronenstern entstehen kann. Dann erst ist der Kollaps nicht mehr aufzuhalten und setzt sich fort bis zum Schwarzen Loch. Ob man den kurzlebigen Durchgangszustand in diesem Falle überhaupt als Neutronenstern bezeichnen mag, ist eine andere Frage. Weiter im Text:

Die hier skizzierte Vorstellung vom Schicksal einer gravitationsbedingt instabilen stellaren Materie gibt es schon länger als den bildhaften Ausdruck ‘Schwarzes Loch’, der eine Karriere weit über den wissenschaftlichen Rahmen hinaus in der Alltagssprache gemacht hat. Ohne dieses Wort hielte sich das Interesse für die Sternentwicklung in Grenzen. Erst nach dieser Begriffsprägung fanden sowohl Experten als auch Laien Gefallen an diesem Thema.

Bei den Laien weiß ich es nicht so genau; meine persönliche Erfahrung ist, dass Sternentwicklung, die Zukunft unserer Sonne und die Neutronensterne mit ihrer extremen Materie auf durchaus allgemeines Interesse stößt. Sei’s drum. Aber bei den Experten ist Fischers Schilderung nachgerade absurd.

Die Astronomen haben sich mit der Sternentwicklung und mit der Frage nach möglichen Endzuständen beschäftigt, seit man Aufbau und Physik der Sterne systematisch erforscht. Diese Forschungen sind ein Krimi für sich: von Farben-Helligkeitsdiagrammen zur Rekonstruktion typischer Stern-Biografien, Chandrasekhars Berechnung der Grenzmasse Weißer Zwerge im Jahr 1930 als geniale astrophysikalische Anwendung der noch recht jungen Quantentheorie (dafür gab’s 1983 dann den Nobelpreis), die Stabilitätsberechnungen von Oppenheimer und Volkov im Kielwasser der Kernphysik kurz vor dem zweiten Weltkrieg – sobald den Physiker geeignete neue Werkzeuge, neue Erkenntnisse aus der Astrophysik oder anderen Zweigen der Physik zugänglich wurden, haben sie sie angewandt, um bei der Beantwortung der zentralen Frage nach Entstehung, Lebensweg und Schicksal der Sterne weiterzukommen.

Das war nicht nur weitgehend unabhängig von der Prägung des Begriffs “Schwarzes Loch”. Auch nachdem die Kollegen Theoretiker im Rahmen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie Ende der 1960er Jahre überhaupt erst einmal verstanden hatten, was ein Schwarzes Loch ist und was es mit diesem Phänomen auf sich hat, waren die Astrophysiker recht zögerlich, diese exotischen Ergebnisse für ihre eigene Arbeit zu nutzen. Erst als klar wurde, dass die auf ein solches Schwarzes Loch fallende Materie, die sich dabei extrem aufheizt und daher stark leuchtet, eine Erklärung für die sogenannten Aktiven Galaxienkerne liefern könnte, hielten Schwarze Löcher wirklich Einzug in die Astrophysik – und die kleineren Geschwister der Massemonster, die im Inneren Aktiver Galaxienkerne sitzen, fanden dann auch in der Sternentwicklung ihren Platz. Dieser Teil der Astronomiegeschichte wird übrigens in Kip Thornes Buch “Black Holes and Time Warps” (1994,deutsch “Gekrümmter Raum und verbogene Zeit”,  Droemer Knaur 1994) sehr schön nacherzählt.

Aber weiter mit dem Kasten:

Sterne von der Größe der Sonne enden nicht als Schwarze Löcher, sondern als Rote Riesen (Abb. 5-3). So bezeichnet man die Gebilde, zu denen sich Sterne aufblähen können, wenn ihr Zentrum zwar ausgebrannt ist, dafür aber in einer Region um die Mitte so viel und so rasch Wasserstoff in Helium verwandelt wird, dass die entstehende Energie nach außen drückt und den Stern anschwellen lässt. Dabei leuchtet der Stern rot auf.”

Das das Ende des Kastens. Rote Riesen als Endzustand? Ein rotes Riesenstadium durchlaufen mit Ausnahme der ganz leichten Sterne (weniger als etwa eine halbe Sonnenmasse) und der sehr massereichen (ab etwa 10 Sonnenmassen) alle Sterne, aber die Betonung liegt auf “Durchlaufen”: es handelt sich um einen Zwischenzustand, in dem der Stern keine Ruhe findet, sondern sich aufbläht, dann wieder in sich zusammenfällt, bei Sternen wie unserer Sonne noch einen weiteren Zyklus durchläuft und dann schließlich wieder zusammenfällt und zum Weißen Zwerg wird. Wer das im Zusammenhang sehen will, findet (allerdings nur auf Englisch) beim Star in a Box des Las Cumbres Observatory eine schöne Veranschaulichung, wie die Entwicklung z.B. der Größe eines Sterns für unterschiedliche Ausgangsmassen verläuft.

Zumindest der Text zur nebenstehenden Abbildung 5-3 in Fischers Buch rückt die Merkwürdigkeit wieder etwas gerader, denn dort steht, dass Rote Riesen ihre äußeren Gase verlieren und winzige Kerne zurückbleiben: Weiße Zwerge. Warum der Kasten nicht gleich sagt, dass Sterne von Größe der Sonne als Weiße Zwerge enden (wie man in so ziemlich jedem einführenden Astronomielehrbuch nachlesen kann) bleibt ein Rätsel.

Insgesamt ist der Kasten ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Die verschiedenen Verwirrungen und Verwechslungen darin (Sternmasse vs. Sternrestmasse), die Auslassungen von für das Verständnis wichtigen Zwischenschritten (die eigentliche Sternphase zwischen ursprünglichem Entstehungs-Kollaps und Endkollaps) und die Fehler (Supernovae als alleinige Materielieferanten für neue Sterne; allgemeine Instabilität von Neutronensternen; Massenwerte; Rote Riesen als Endzustand) erschweren das Verständnis für den Leser, für den die Sternentwicklung etwas Neues ist – und diejenigen Leser, die einigermaßen nachvollziehen, was Fischer da schreibt, haben nachher eine völlig falsche Vorstellung von dem, was da passiert.

Fischers Buch liefert leider noch mehr ähnlich gelagerte Beispiele. Nein, um den Raum zu krümmen braucht man in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie keine “Einbettungsdimension” wie für eine gekrümmte zweidimensionale Kugelfläche im dreidimensionalen Raum. Und schon gar nicht ist diese zusätzliche Einbettungsdimension die Zeit! Und nein, die Beschleunigung des Universums wurde nicht bei der Untersuchung von “explosiven Sterngeburten” gefunden (S. 153); Supernovae stehen am Ende des Lebens massereicher Sterne. Dirac fand die Antiteilchen nicht, als er feststellte, dass “die Schrödinger-Gleichung […] bei hohen Energien zwei Lösungen hat” (S. 198); die Existenz der Antiteilchen ist im Gegenteil der augenfälligste Unterschied zwischen Schrödingergleichung und Dirac-Gleichung. Und die Aussage, die Trägerteilchen der starken Wechselwirkung, des Elektromagnetismus und der schwachen Wechselwirkung seien, respektive, “Gluon”, “Photon” und “Boson” (S. 203) ist auch nur zu etwas mehr als 2/3 richtig – Bosonen sind sie alle, ob nun Gluonen, Photonen oder W-/Z-Bosonen (letztere übrigens die Trägerteilchen der schwachen Wechselwirkung). Joachim Schulz hat auf seinen Quantenwelt-Seiten ein paar nette Artikel zu diesem Themenkreis.

Solche Schnitzer in einem Buch, das präsentieren möchte, “Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte” – das ist natürlich peinlich. Ich hatte schon erwähnt, dass eine der zentralen Botschaften Fischers die Rolle der Kunst beim Vermitteln von Wissenschaft betrifft. Beide, Kunst und Wissenschaft, haben nun aber gemein, dass die kühnsten Visionen, die kreativsten Impulse ins Leere laufen, wenn die solide handwerkliche Grundlage fehlt. Das ist bei den hier monierten Stellen leider ganz klar der Fall.

Zumindest für die Wissenschaftsvermittlung ist eine wichtige Grundlage erfahrungsgemäß: man sollte über Themen, die man populärwissenschaftlich beschreibt, rund 10 Mal mehr wissen, als man letztlich zu Papier bringt. Die anderen 90% Wissen im Hintergrund sind wichtig für die Auswahl dessen, was man schreibt und dessen, was man weglässt; um die richtige Struktur zu finden und Formulierungen, die einfach, aber trotzdem richtig sind; um naheliegende Missverständnisse und Fallstricke zu vermeiden. Dem, der sich nicht an diese Regel hält, drohen drastische Strafen. Seine Neutronensterne werden instabil, und seine Sonnen enden als Rote Riesen.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

5 Kommentare

  1. Schausteller

    Bildung ist auch eine Form der Zurschaustellung des eigenen Wohlstands. So wie ein teurer Sportwagen oder ein großes Grundstück den eigenen Besitz demonstriert, zeigt die Schwanitz’sche Bildung an, dass man eben nicht vom 16. Lebensjahr an arbeiten musste. Manche Sportarten erfüllen denselben Zweck. Naturwissenschaften werden im Gegensatz dazu als Brotkünste gesehen. Nicht schändlich, aber auch nicht der Rede wert.

  2. @HF

    Natürlich hat diese Art von Bildung auch eine repräsentative Komponente. Aber das steht bei Schwanitz nicht im Vordergrund; dessen Grundbotschaft ist stattdessen durchaus vernünftig: Um mich als Mensch verorten und aktiv und verantwortlich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, brauche ich das Wissen um die Zusammenhänge (Grundwissen Politik und Geschichte); dabei, mich selbst zu verstehen, hilft Philosophie, aber z.B. eben auch Literatur, die einen “Grundkanon” an Szenarien aufarbeitet und damit auch eine Art “Wortschatz auf höherer Ebene” dafür bereitstellt, der dabei hilft, über bestimmte Situationen überhaupt erst reden zu können.

    Soweit ist daran aus meiner Sicht auch nichts auszusetzen, aber wenn man allein diesem Anspruch nach auswählt, dann ist es absurd, die Naturwissenschaften außen vor zu lassen.

    Ob diese Art von Bildung eine Wohlstands-Zurschaustellung ist, bezweifle ich. Sicher mag sie in einigen Kreisen Klassenzugehörigkeit signalisieren. Aber es dürfte genügend Menschen geben, die sich diese Art von Bildung hart erarbeitet haben; auch z.B. aus den Geisteswissenschaften kenne ich fast nur Menschen, die ihr Thema aus Interesse verfolgen und dafür eher noch auf Wohlstand verzichten.

  3. hmmmm

    ich kann mich täuschen, aber die Textauszügen klingen teilweise so, als seien sie aus dem Englischen ins Deutsche – schlecht übersetzt.

  4. Verwunderung

    Wenn ich mir die zitierte Astronomie Passagen anschaue habe ich das Gefühl es handelt sich bei dem Autor um einen absoluten Laien, der mit dem Fach nur durch die Publikumspresse Berührung hatte. Wir hatten im Promotionsstudium Astronomie im offenen Kolloquium häufig Amateur Astronomen zu Gast, die weit bessere Erklärungen hätten abgeben können. Allerdings ist der Autor Physiker Mathematiker und Biologe. Vielleicht ist das aber auch nur ein wohl gemeinter aber gescheiterter Versuch, sich völligen Wissenschaftsmuffeln didaktisch zu nähern? Ich habe etwas Ähnliches jüngst bei “Powering the Future” von Robert Laughlin erlebt. Der Gute konnte sich über das Ganze Buch hinweg nicht entscheiden, an welches Publikum er sich richtet. Mal scheint er mit Highschool Schülern zu reden, mal mit Physik- oder Technik Studenten, mal mit gebildeten Nichtwissenschaftlern – und alles durcheinander. Nicht jeder wird als Carl Sagan geboren :-).

  5. Zum hinter die Ohren schreiben!

    @Markus Poessel schrieb:

    “Zumindest für die Wissenschaftsvermittlung ist eine wichtige Grundlage erfahrungsgemäß: man sollte über Themen, die man populärwissenschaftlich beschreibt, rund 10 Mal mehr wissen, als man letztlich zu Papier bringt. Die anderen 90% Wissen im “Hintergrund sind wichtig für die Auswahl dessen, was man schreibt und dessen, was man weglässt; um die richtige Struktur zu finden und Formulierungen, die einfach, aber trotzdem richtig sind; um naheliegende Missverständnisse und Fallstricke zu vermeiden. Dem, der sich nicht an diese Regel hält, drohen drastische Strafen. Seine Neutronensterne werden instabil, und seine Sonnen enden als Rote Riesen.”

    Ein bemerkens- und bedenkenswertes Resümee der Rezension von Ernst Peter Fischers – offenbar etwas zu schnell auf den Markt geworfenen – Bestseller “Die andere Bildung”!

    Ein Resümee, das sich auch so mancher Wissenschaftsblogger (hier und anderswo) hinter die Ohren schreiben sollte, damit er diesen Namen verdient.

    Von den Turbobloggern, die hier die Kommentar- und Blogspalten dominieren und die immer wieder auf alltagwissenschaftlichem Niveau weltanschauliche Diskussionen von Zaum brechen, gar nicht zu reden.

    Bei denen scheint mir jeder Appell an Zurückhaltung, Innehalten und Reflexion sinnlos; denn diese Blogger neigen dazu, alles (aber auch wirklich alles!) zu publizieren, was ihnen auf die Schnelle in die Hände fällt und vermarktbar erscheint.

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