Chiralität im Alltag: Bild und Spiegelbild

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Der BASF-Forschungsblog
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Orangen- und Zitronenduft, Kümmel und Minze, Links- und Rechtshänder – gleich und doch verschieden. Produkte der Natur kommen oft in zwei Varianten vor, die sich zueinander wie Bild und Spiegelbild verhalten. Auch in der Welt der Moleküle treten Bild und Spiegelbild auf. Chemiker der BASF begegnen deshalb bei ihrer Arbeit häufig dieser so genannten Chiralität. Anlässlich des Internationalen Jahrs der Chemie berichtet Professor Dr. Stefan Bräse vom Institut für Organische Chemie am KIT (Karlsruher Institut für Technologie) am 24. Mai in der BASF in der Vortragsreihe „Science live“ über „Chiralität im Alltag“.

Herr Professor Bräse, welches Beispiel fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an Chiralität denken?

Das menschliche Geruchsorgan. Die Nase enthält chirale Rezeptoren für verschiedene Geruchsstoffe, die ebenfalls chiral sind. Die unterschiedlichen Gerüche entstehen, weil sich Rezeptoren und Duftmoleküle nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip miteinander verbinden. Der Naturstoff Limonen etwa kommt in der rechtshändigen Form in Orangen vor und riecht auch nach Orange. Die linkshändige Variante von Limonen ist in Nadelbäumen enthalten und hat einen Terpentingeruch. Ein Molekül, zwei Gerüche.

Was hat es mit der Chiralität in der Chemie auf sich?

Chirale Moleküle haben die gleiche Summenformel, und ihre Atome sind auch in der gleichen Reihenfolge angeordnet. Sie unterscheiden sich jedoch in der räumlichen Anordnung eines einzelnen Atoms, in der Regel handelt es sich um ein so genanntes asymmetrisches Kohlenstoffatom. Dadurch lässt sich das Molekül in ein rechts- und ein linkshändiges, so genanntes Enantiomer, spiegeln.

Wodurch unterscheidensich Bild und Spiegelbild?

Beide Enantiomere haben teilweise gleiche chemische und physikalische Eigenschaften in nicht-chiraler Umgebung, aber unterschiedliche Eigenschaften in einer chiralen Umgebung. Wenn wir zum Beispiel polarisiertes,und damit chirales Licht durch eine Probe schicken, die entweder Bild oder Spiegelbild enthält, wird der Lichtstrahl spezifisch nach rechts oder links abgelenkt: Die Moleküle sind optisch aktiv. Bei einer Synthese im Laborhingegen entstehen häufig rechts- und linksdrehende Form im Verhältnis 1:1. In diesem so genannten racemischen Gemisch wird der Lichtstrahl nicht abgelenkt.

Wie erreichen Sie,dass bei einer Synthese gezielt nur ein Enantiomer gebildet wird?

Wir setzen dazu chirale Katalysatoren ein. Im Jahr 2001 erhielten William S. Knowles, Ryoji Noyori und K. Barry Sharpless den Chemie-Nobelpreis für die „Molekulare spiegelsymmetrische Katalyse“. Dadurch hat die asymmetrische Synthese in der Chemie weiter Auftrieb erfahren. Ich schätze, dass heute für jeden dritten Chemiker bei seinen Synthesen Chiralität eine entscheidende Bedeutung hat.

Welche Bedeutung hat die Chiralität für die Industrie?

In der pharmazeutischen Industrie werden heute fast nur noch chirale Medikamente hergestellt. Dadurch möchte man unerwünschte Nebenwirkungen ausschließen. Die linksdrehende Form der Aminosäure Thyroxin wird zum Beispiel als Schilddrüsenhormon verschrieben. Die rechtsdrehende Form hat dagegen eine cholesterinsenkende Wirkung.

Ein weiteres Beispiel sind die Flüssigkristalle vonLCD-Displays. Beim Bildaufbau macht man sich zunutze, dass chirale Moleküle optisch aktiv sind. Das bedeutet, dass sie polarisiertes Licht entweder nach links oder nach rechts drehen. Durch eine von außen angelegte Spannung kann man das Verhalten der Kristalle beeinflussen, sie lassen dann Licht durch oder auch nicht. So lässt sich der Bildaufbau steuern.

Warum ist die Chiralität in der Natur so weit verbreitet, wo doch normalerweise Bild und Spiegelbild im Verhältnis 1:1 entstehen?

Die Natur bevorzugt immer eine Form, weil die Rezeptoren Chiralität nutzen, so wie ich es am Beispiel der Nase erklärt habe. Durch das Schlüssel-Schloss-Prinzip lassen sich biochemische und physiologische Prozessesehr fein steuern. Wir gehen davon aus, dass es bereits zu Beginn der Evolution einen leichten Überschuss eines Enantiomers gab, der sich dann im Laufe der Evolution wie eine Welle ausgebreitet und erhöht hat.

Was halten Sie von der Theorie, dass die Chiralität aus dem Universum importiert wurde?

Im 4,5 Milliarden Jahre alten „Murchison-Meteoriten“ hat Professor Uwe Meierhenrich entdeckt, dass ein Enantiomer leicht häufiger vorkommt als das andere. Eine Kollegin von ihm hat sogar entdeckt, dass zwei Drittel der enthaltenen Aminosäuren linksdrehend – wie bei uns auf der Erde –sind. Das ist eine extrem spannende Forschung.

Die Fragen stellte der Wissenschaftsjournalist Dr. Michael Lang

Professor Bräse hält seinen Vortrag „Chiralität im Alltag“ anlässlich des Internationalen Jahrs der Chemie am 24. Mai 2011 in Ludwigshafen.

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AutorInnen in diesem Gruppenblog: +++ Dr. Peter Erk +++ Peter Erk studierte Chemie an der Universität Würzburg und promovierte zu metallisch leitfähigen organischen Radikalanionensalzen. Nach einem Forschungsjahr an der Stanford University bei Prof. James P. Collman arbeitete er mehrere Jahre im Bereich Pigmentforschung der BASF mit dem Schwerpunkt auf Polymorphie und Grenzflächeneigenschaften von Lackpigmenten. Seit 2001 gestaltet er die Projekte der BASF zu OLEDs und zu Organischen Solarzellen mit und leitet zurzeit die Gruppe Bauteil-Entwicklung für beide Technologien im Joint Innovation Lab Organic Electronics der BASF. Als technischer Projektleiter und Research Director ist er global für die Forschung an organischen Solarzellen zuständig. +++ Anja Feldmann +++ Anja Feldmann studierte Journalistik in Dortmund und Slawistik an der Ruhr-Universität Bochum. Nach längeren Auslandsaufenthalten in Russland und Japan arbeitete sie zunächst als Wirtschaftsredakteurin bei dpa und Reuters. 2002 wechselte sie nach China und war für den DAAD in einer Hochschulkooperation mit der Tongji Universität in Shanghai tätig. Nach ihrer Rückkehr schloss sie sich 2008 der neu gegründeten Forschungskommunikation der BASF SE an und beschäftigt sich unter anderem mit dem Einsatz von Social Media in Wissenschaft und Forschung. +++ Dr. Judith Schrauf-Papadopoulos +++ Judith Schrauf-Papadopoulos studierte Germanistik und Computerlinguistik in Heidelberg. Nach einer Tätigkeit in der internen Kommunikation bei DHL bekam sie ein DFG Stipendium im Graduiertenkolleg "NeuroAct" und promovierte zur kognitiven Sprachverarbeitung. 2010 fing sie bei BASF Crop Protection in der globalen Kommunikation an. Anschließend wechselte sie in den spannenden Bereich der Forschungskommunikation, wo sie sich unter anderem darum kümmert, die vielseitigen Forschungsfelder der BASF im Web zu präsentieren.

3 Kommentare

  1. fehlende Leerzeichen

    Ab dem Absatz “Wodurch unterscheidensich Bild und Spiegelbild?” fehlen viele trennende Leerzeichen. Das ist teilweise schlecht lesbar.

    Das mit den chiralen Katalysatoren war mir neu. Danke.

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