Lebenskeime aus dem All und aus dem Labor

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Unser Wissen über den Ursprung des Lebens ist derzeit noch so unvollständig, dass neue Erkenntnisse aus der chemischen Grundlagenforschung zu den treibenden Kräften der Forschung in diesem Bereich gehören. Stand der Dinge ist immer das, was gerade als möglich gilt – bis Chemiker die nächste spannende Reaktion oder neue Analyseverfahren auf die Bedingungen der probiotischen Erde anwenden und zuvor ungeahnte Potentiale entdecken. Normalerweise findet man diese inkrementellen Fortschritte eher in kleineren Journals, deswegen ist es schon bemerkenswert, dass es gleich zwei solcher Publikationen in bekanntere Zeitschriften geschafft haben.

ResearchBlogging.orgDie Papers könnten kaum unterschiedlicher sein, aber sie zielen auf dieselbe entscheidende Frage: Welche Moleküle standen für die chemische Evolution zur Verfügung und warum? In den letzten Jahren haben Forscher eine große Bandbreite möglicher Reaktionen für die Bildung der aus heutiger Sicht essentiellen Lebensbausteine wie Aminosäuren und Nucleobasen entdeckt. Amerikanische Forscher erweitern diese Liste um eine plausible Synthese für biologisch relevante Zucker.

Allerdings weiß man inzwischen auch, dass keineswegs alle Ausgangsstoffe des Lebens auf der Erde neu synthetisiert werden mussten. Astronomische Messungen zeigen, dass das Weltall angefüllt ist mit einer quasi unüberschaubaren Vielfalt kohlenstoffhaltiger Verbindungen – und jetzt ist auch der Nachweis gelungen, dass dieser enorme chemische Reichtum auch auf die Erde gelangt ist.

Präbiotische Chemie im Weltall…
Das hat allerdings ein bisschen gedauert. Der Meteorit von Murchison, den die beteiligten Forscher für ihre Arbeit analysiert haben, wird seit vierzig Jahren auf Aminosäuren, Nucleobasen und andere bedeutende Molekülklassen der modernen irdischen Biologie hin untersucht. Erst jetzt hat sich ein Forscherteam an die interessanteste Frage gewagt: Was ist in dem Stein eigentlich alles drin, insgesamt?

Wie sich herausgestellt hat, ziemlich viel. Das Ergebnis haben die beteiligten Forscher jetzt in PNAS veröffentlicht: Statt gezielt nach irgendwelchen Stoffklassen zu suchen, jagten sie einfach verschiedene Extrakte des Meteoriten durch ein hochauflösendes Massenspektrometer. Auf diese Weise sieht man zwar keine genauen Strukturen, dafür erfährt man einiges über die Gesamtheit der enthaltenen Stoffe. Wie man in der Abbildung sieht, ist das Spektrum bis auf zehntausendstel Protonenmassen aufgelöst.

Quelle: Schmitt-Kopplin et al.High molecular diversity of extraterrestrial organic matter in Murchison meteorite revealed 40 years after its fall. PNAS 107(7), 2010, 2763-2768.

Die wesentliche Erkenntnis, die es auch in die Tagespresse geschafft hat, ist die bemerkenswerte Vielfalt der enthaltenen Verbindungen. Die Autoren schätzen, dass sie – abzüglich Isotopomere – etwa 50.000 verschiedene Summenformeln entdeckt haben, von denen jede nochmal einen Haufen Isomere repräsentiert, womit man auf ein paar Millionen unterschiedliche Isotope kommt. Ich persönlich bin hier ein bisschen misstrauisch – diese Kalkulation basiert zum größten Teil auf dem methanolischen Extrakt der Murchinson-Materie.

Methanol ist aber protisch und nucleophil und alles andere als ein reaktionsträges Lösungsmittel, während interstellare Kohlenwasserstoffe bekanntermaßen stark ungesättigt und energiereich sind. Ganz zufällig stellen die Forscher denn auch fest, dass die Verbindungen hier einen recht hohen Sauerstoffanteil und wesentlich mehr Wasserstoff im Verhältnis zum Kohlenstoff haben – Genau die Elemente, die beim Einbau von Methanol überproportional zugeführt werden.

Für meine Zwecke ist es allerdings ziemlich egal, ob ein Teil der Vielfalt erst durch Sekundärreaktionen entsteht – Wasser reagiert ziemlich ähnlich, und so ist das, was die Forscher da gemessen haben, ein ganz guter Anhaltspunkt für die Fracht, die Meteoriten auf der frühen Erde abgeladen haben. Verglichen mit der organischen Chemie, die man so auf der Erde findet, enthält das extraterrestrische Material ungleich mehr verschiedene Strukturen.

Verwunderlich ist das keineswegs, denn hier auf der Erde gibt es Wasser und freien Sauerstoff, deren Gegenwart nur ein geringer Bruchteil aller theoretisch möglichen chemischen Strukturen überlebt[1]. Im interstellaren Raum dagegen funktioniert die Chemie völlig anders, dort werden energiereiche Zwischenstufen nicht sofort abgefangen und in eine stabile Substanzklasse umgelagert. Kleine anorganische Moleküle, die in protoplanetaren Scheiben nachgewiesen wurden, sammeln sich im ultrakalten Weltall zu großen Clustern mit vielfältigen Strukturen.

Insofern ist der interplanetare Raum wahrscheinlich eine wesentlich bessere Quelle für präbiotische organische Moleküle als die junge Erde selbst. Doch nicht alle Ur-Bausteine des Lebens wurden über Jahrmillionen in chemischen Reaktionen in Asteroiden und Staubwolken erbrütet, bevor sie auf die Erde gelangten. Zu den grundlegenden Bausteinen des Lebens, die ziemlich sicher auf unserem Planeten aus einfachen Molekülen entstanden, gehören die Zucker.

…und auf der Erde
Die neueste Veröffentlichung beschreibt eine mögliche präbiotische Synthese kleiner Zuckermoleküle unter Mithilfe von Silizium. Grundlage ist die Formose-Reaktion von einfachen Aldehyden zu diversen Zuckern, die nach allgemeinem Konsens die Basis der präbiotischen Zuckerchemie darstellt. Das an sich ist keineswegs neu, allerdings hat dieser Reaktionsweg das Problem, dass dabei alle möglichen instabilen Zucker entstehen und wieder vergehen. Speziell die Ribose (bekannt aus RNA und anderen bedeutenden Nucleinsäurederivaten) ist unter den meisten Bedingungen so instabil, dass man ihr die zentrale Rolle gar nicht zutrauen würde, die sie in der Chemie des Lebens spielt.

Sie muss, kurz gesagt, Hilfe gehabt haben. Irgendein Stoff, der sie direkt nach der Entstehung stabilisiert. Kandidaten sind zum Beispiel Borate oder Cyanamide, die die entstandenen Zucker abfangen und verhindern, dass sie unter Formose-Bedingungen wieder zersetzt werden. Lambert et al weisen in ihrer Science-Publikation nach, dass ganz normales Natriumsilikat diese Funktion ebenfalls erfüllen kann. Und das ist wesentlich häufiger als die Alternativen: Die Erde besteht quasi daraus.

Zucker mit fünf oder sechs Kohlenstoffatomen dagegen bilden sofort Komplexe mit dem Silikat und sind dann gegen Zersetzung und weitere Kondensationsreaktionen ziemlich stabil. Zucker mit vier Kohlenstoffatomen bilden ebenfalls Silikate, sind aber auch dann unter Formose-Bedingungen noch reaktionsfähig, so dass größere Zucker entstehen. Die Bildung von Zuckersilikaten ist also eine Art chemische Falle, die dafür sorgt, dass sich die fünf- und sechsgliedrigen Zucker anreichern, die auch heute noch für alle Lebewesen unerlässlich sind.

Wir sind noch längst nicht so weit, aus den einzelnen Entdeckungen der chemische Forschung bereitstellt, ein vollständiges Bild von der Entstehung des Lebens auf der Erde zusammenzusetzen. Zu groß ist die Bandbreite der präbiotischen Chemie an Hydrothermalquellen, unter UV-Licht oder in all den anderen Systemen, die auf der frühen Erde eine Rolle gespielt haben könnten.

Zu viel ist noch unerforscht. Wir wissen inzwischen, dass Meteoriten eine bedeutende Quelle für organische Materie waren, was aber dann mit all den Stoffen auf der Erde passiert ist, liegt noch völlig im Dunkeln. Es ist noch nicht lange her, da war auch die Herkunft der Zucker noch sehr rätselhaft, und bis heute weiß niemand, wieso ausgerechnet Phosphat eine so immens wichtige Rolle für das Leben spielt. Das ist die eigentliche Bedeutung von Forschungsergebnissen wie diesen hier: Ein plausibles Gesamtszenario für die Entstehung des Lebens ist erst dann in Reichweite, wenn  die gesamte Bandbreite der chemischen Ausgangsbedingungen bekannt ist. Bis wir einen Blick auf das Schauspiel werfen können, muss erst das Bühnenbild freigelegt werden. Stück für Stück.

(Dank an Jörg Rings für den Hinweis)
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[1} Das ist auch der Grund, warum Chemiker oft mit sorgfältig getrockneten Lösungsmitteln und unter Schutzgas arbeiten

Schmitt-Kopplin, P., Gabelica, Z., Gougeon, R., Fekete, A., Kanawati, B., Harir, M., Gebefuegi, I., Eckel, G., & Hertkorn, N. (2010). High molecular diversity of extraterrestrial organic matter in Murchison meteorite revealed 40 years after its fall Proceedings of the National Academy of Sciences, 107 (7), 2763-2768 DOI: 10.1073/pnas.0912157107

Lambert, J., Gurusamy-Thangavelu, S., & Ma, K. (2010). The Silicate-Mediated Formose Reaction: Bottom-Up Synthesis of Sugar Silicates Science, 327 (5968), 984-986 DOI: 10.1126/science.1182669

Update: Weil Luchs in den Kommentaren danach gefragt hatte, hier nochmal Ausschnitte der Massenspektren verschiedener Extrakte. Man sieht deutlich, dass in den apolar-protischen Lösungsmittel wesentlich mehr Peaks auftauchen als bei den anderen, obwohl die keineswegs schlechte Lösungsmittel sind.

6 Kommentare

  1. Wenn diese unüberschaubare Vielfalt kohlenstoffhaltiger Verbindungen aus dem Weltall auf die Erde gelangt ist, dann wären die Aliens ja gar keine Aliens sondern quasi Kollegen. Sehr interessant…

  2. Du hast das Problem schon angesprochen. Interessant wäre der Vergleich des methanolischen Extrakts mit einem NH3-Extrakt und einem DMSO-Extrakt. Wir warten also auf das nächste Paper.

  3. @Luchs

    Es gibt einen DMSO-Extrakt. Ich hab das hier nicht weiter vertieft, weil das Thema ein anderes ist, aber der Vergleich der unterschiedlichen Extrakte spricht Bände, was die Frage nach Aufarbeitungs-Artefakten angeht…

  4. Danke, interessant. Du schreibst: “Man sieht deutlich, dass in den apolar-protischen Lösungsmittel …” Ich vermute, Du wolltest schreiben “… polar-aprotischen Lösungsmitteln”.

    Was mich jetzt noch interessiert: Wie sieht die Situation in perdeuterierten Lösungsmitteln aus, welche deuterierten Gruppen tauchen auf? Ich schätze mal, das wäre der letzte Beweis, dass in dem Brocken doch nicht so viele organsiche Verbindungen stecken, wie zunächst vermutet.

  5. Bedingungen der organischen Chemie

    Sehr geehrter Herr Fischer, als Laie bin ich sofort voll Begeisterung für Ihre Darstellung, die Einblick in die Spezifik der Lösungsmittel und Umweltbedingungen für die organische Chemie gibt. Sehr überraschend für mich ist, daß das Wasser, Brutraum organischen Lebens, zunächst einmal das große Löschblatt organischer Diversität ist.

  6. Oh, Sorry

    @Luchs:
    Jetzt hatte ich die Frage verpennt. Deuterierte Lömis wären natürlich extrem aufschlussreich gewesen in diesem Kontext. Ich gehe davon aus, dass irgendwer sowas schon noch machen wird. Dann wissen wir genaueres.

    @Erdmann:
    Beide Umstände haben den gleichen Hintergrund. Wasser ermöglicht und beschleunigt Stoffumsätze. Schlecht für die allermeisten Strukturen, gut für die die übrig bleiben.

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