MicroRNAs und ihre Rolle in der Krebsentstehung

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
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MicroRNAs (kurz: miRNAs) sind kleine regulatorische Moleküle in unserem Körper, die an der Abschaltung von Genen auf verschiedenen Ebenen beteiligt sind. Sie werden derzeit sehr intensiv erforscht, weswegen noch nicht allzuviel über ihre Entstehung und über ihren Wirkmechanismus bekannt ist. Hier möchte ich trotzdem ein paar Sachen, die man eben doch schon weiß, erläutern.

Die Gene, durch die diese miRNAs entstehen, findet man in fragilen chromosomalen Regionen. Dabei handelt es sich um Regionen im Erbgut, die einer erhöhten Anfälligkeit an DNA-Schäden unterliegen. Häufig handelt es sich beim Vorliegen solcher Schäden um Brüche oder Lücken in der DNA, weswegen die richtige Anordnung der Gene in dieser Region gestört ist. Wird ein Gen abgelesen, dass eine miRNA zur Folge hat, dann entsteht als allererstes ein Primärtranskript, das aus ca. 65-70 Bauteilen (den sogenannten Basen) besteht. Diese Bauteile können miteinander wechselwirken, wodurch eine charakteristische Haarnadelstruktur entsteht. Dieses Primärtranskript wird nun in unseren Zellen weiter verarbeitet, wobei das fertige Endprodukt ein miRNA-Doppelstrang mit ca. 21-23 Bauteilen Länge ist.

Abb.1

Abb.1: Die Struktur eines miRNA-Primärtranskripts des Gemüsekohls. Haarnadelstrukturen ähneln einem Lollipop, wie sie z.B. auf der linken Seite zu finden sind. (Quelle: Wikipedia).

 

MicroRNAs wurden bei Pflanzen und Tieren gefunden und erfüllen allgemein wichtige Funktionen in unserem Körper: Sie steuern die Differenzierung von Zellen, das Zellwachstum und sogar den Zelltod, falls Zellen nicht mehr benötigt und somit abgebaut werden. Als Tumor-Suppressoren können sie ein Ausarten von Zellen zu Krebszellen verhindern, können selber aber auch Krebs induzieren und weisen somit onkogenes Potential auf. Darunter versteht man, dass z.B. ein Gen unter "normalen" Umständen das Wachstum einer Zelle reguliert, unter "unnormalen" Umständen jedoch das Entarten der Zelle zur Krebszelle fördert, indem das Gen einer falschen Regulation unterliegt.

Die letzten weltweit erfassten Krebsmortalitätszahlen vom GLOBOCAN-Projekt aus dem Jahre 2008 machen es offensichtlich: 12,7 Millionen Menschen erkrankten 2008 weltweit an Krebs. 7,6 Millionen Menschen starben daran. In Deutschland ist Krebs die zweithäufigste Todesursache nach Herzkreislauf-Erkrankungen, wodurch der Krebs an sich und seine Entstehung als ein intensiv erforschtes Gebiet rechtfertigt. Um eine Rechtfertigung soll es hier allerdings nicht gehen, sondern um die Forschung an sich! Vor ein paar Jahren ist man dabei den miRNAs auf die Spur gekommen: Sie wurden erstmal 1993 identifiziert und man geht mittlerweile davon aus, dass diese kleinen Moleküle ca. 1/3 unseres ganzen Genoms regulieren, darunter Hunderte von Genen. Viele bösartigen Tumore wurden mittlerweile mit diesen miRNAs in Verbindung gebracht, wobei bei diesen Krankheiten eine veränderte Konzentration an miRNA-Molekülen in den entsprechenden Zellen vorliegt.

Lag eine Hochregulation der miRNA-Gene vor, so befanden sich in den Zellen zu viele miRNAs. Bei einer Unterregulation war das Gegenteil der Fall. Eine Deregulation (Unter- oder Oberregulation) dieser miRNAs wurde besonders in Krebsarten gefunden, die das Blut, das Knochenmark und die Lymphknoten betreffen. Dort konnten bisher drei Gruppen von miRNAs charakterisiert werden, die im direkten Zusammenhang mit der Entstehung des Krebses stehen: Ein miR-15a/16–1 Cluster, ein miR-17–92 Cluster und das miR-155.

 
  Tab.1 : Deregulierte miRNAs die im eindeutigen Zusammenhang mit Krebs stehen (Quelle: Deregulate microRNAs in cancer, Nana-Sinkam et al.).

 

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist die in der westlichen Welt bei Erwachsenen am häufigsten vorkommende Leukämie-Form und ist meisten durch eine Deletion eines bestimmten chromosomalen Abschnitts (13q14.3) charakterisiert, der die Krankheit auslöst. Die Deletion der Gene in diesem Bereich beeinflusst direkt die Expression des miR-15a/16–1 Clusters. Der miR17-92 Cluster befindet sich hingegen in einer Region im Genom, die häufig in Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen amplifiziert vorliegt. Dies bedeutet, dass die Gene aus dieser Region in sehr vielen Kopien vorliegen und somit häufiger exprimiert werden (viele viele miRNAs kommen dann in den Zellen vor). Eine Überregulation von miR-155 wurde in der CLL, im Burkitt-Lymphom und in anderen Krebsarten gefunden. In Bauchspeicheldrüsen- und Darmkrebs wurden ebenfalls viele miRNAs identifiziert, deren Unter- oder Überregulation den entsprechenden Krebs auslöste. Wie es aber genau zur Pathogenese des Krebses kommt, ist meistens noch unklar, da nicht immer geeignete Mausmodelle zur Erforschung zur Verfügung stehen.

Lungenkrebs steht in Deutschland ganz oben auf der Mortalitätsrate der Krebserkrankungen der Männer, in den USA sieht dies nicht anders aus. Hier kamen bereits einige Studien zu dem Ergebnis, dass hauptsächlich eine Unterregulation von bestimmten miRNAs stattfindet. Das Widersprüchliche an dieser Sache ist, dass eine gezielte Unterregulation von bestimmten miRNAs zu einem Überleben des Lungenkrebses führte. Eine miRNA namens Let-7, die überreguliert wurde, inhibierte nachgewiesenermaßen ein Tumorwachstum bei Lungenkrebs.

Ein Beispiel, bei dem eine miRNA keinen Krebs auslöst, sondern einen anderen Effekt hat, betrifft die miRNA mit dem Namen miR-96. Eine Mutation in dem Gen, was für die miR-96 kodiert führt zu einem progressiven Verlust des Hörvermögens, ausgelöst durch eine Degeneration der Haarzellen im Innenohr.

Somit wird klar: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob bestimmte miRNAs über- oder unterreguliert werden, sondern wie die Gesamtbilanz dieser Regulation ausschaut! Dies soll verdeutlichen, dass miRNAs als Biomarker und als therapeutische Mittel bei Krebs aufgeführt werden müssen, da sie sowohl an der Entstehung von Krebs beteiligt sind (für ihn also charakteristisch sind), ihn aber auch auf positive Art und Weise beeinflußen können, was eine Anwendung als Medikament möglich macht. Mittlerweile wurden bis zu 1000 verschiedene miRNA-Moleküle identifiziert. Jedes einzelne ensteht auf eine andere Weise und interagiert unterschiedlich mit anderen Genen, Molekülen und Stoffwechselwegen. Ein komplexes Netzwerk, das man erst einmal verstehen muss!


Quellen: 

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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

3 Kommentare

  1. MicroRNAs

    Der Artikel ist für mich hochinteressant ud informativ. Allerdings erscheint er mir für einen Nichtmedizinischer oder Naturwissenschaftler nicht so leicht verständlich. Trotzdem….weiter so.

  2. Hi Sebastian!
    Schöner Artikel, leider kann ich über meinen VPN-Zugang nicht auf Deine angegebene Quelle zugreifen. Ich wüsste nämlich gern mehr über die nicht zufällige Verteilung der miR-Gene im Genom. Dass ein größerer Anteil dieser Gene in den von Dir erwähnten fragilen Chromosomenregionen liegt, konnte ich aber auch anderweitig nachlesen (Calin et al., 2003, PNAS).
    Leider geben die Autoren keine Erklärung, WARUM die miR-Gene dort liegen. Vermutlich weiß man das ja gar nicht, aber ne Spekulation wäre nett gewesen. Steht in dem von Dir benutzten paper was dazu!?

    Gruß Stefan

    PS. Zu Deiner Bildunterschrift: ich dachte eigentlich, dass es in pri-miRNAs nur eine Haarnadelstruktur gibt, und zwar dort wo die RNA sich um 180° dreht und auf sich selbst zurückfaltet. Die Blasen, die Du erwähnst, sind doch eigentlich nur Abschnitte mit nicht komplementären Basen, oder?

  3. @Markus: Für Fragen stehe ich jederzeit zur Verfügung! Ich achte in nächster Zeit dann aber auch vermehrt darauf, dass ich meine Texte verständlicher verfasse!

    @Stefan: Danke! Warum die Gene dort liegen, steht auch nicht in dem hier besprochenen Paper. In anderen neuen miRNA-Papern steht ebenfalls nichts. Ich habe jedoch eine Vermutung: Und zwar werden miRNA-Gene ja nicht nur in diesen fragilen Regionen gefunden, sondern auch noch in Introns verschiedener Gene und in einigen Alu-Elementen. Alu-Elemente gehören ja zu den LINEs, die zu den Retrotransposons gezählt werden und sich somit über das ganze Genom ausbreiten und ansammeln können. In einem Paper aus 2003 (Fragile site orthologs FHIT/FRA3B and Fhit/Fra14A2: Evolutionarily conserved but highly recombinogenic; A. Matsuyama et al.) wurde die chromsomale fragile Region namens FRA3B untersucht. Sie zählt zu den beim Menschen am häufigsten exprimierte chromosomale fragile Region. Man hat gefunden, dass sich in ihr in einer erhöhten Rate (19%) LINEs ansammeln. Da ja LINEs Träger von miRNA-Genen sind, könnte man sich so die Lage in den fragilen chromosomal sites erklären!
    Bei der Sache mit der Haarnadelstruktur hast du natürlich Recht! Das werde ich sofort korrigieren. Danke!

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