Wenn der Mann mit der Maus

Wir haben einen neuen Mitbewohner. Wir nennen ihn Paddy Fitzgerald. Wir finden das lustig, weil er rote Haare hat – äh Fell. Er ist nämlich ein Kater. Paddy ist der Ersatz für Lilly, die gestern ausgezogen ist. Katze Lilly ist in einem Labor zur Welt gekommen, dort aufgewachsen und durfte dann schließlich zu uns ziehen. Ich glaube sie fand es bei uns eher mittel, aber dann wiederum denke ich, dass sie alles eher so mittel fand. Berufsbedingt bin ich kein Gegner von Tierversuchen. Mir sind die Notwendigkeiten durchaus bewusst, auch wenn ich selbst nie einem Tier Leid zufügen könnte (ob alle Labortiere leiden, sei mal dahin gestellt). Jedenfalls überlasse ich das den Leuten, die damit anscheinend kein Problem haben, oder das irgendwie verdrängen können. Die letzten sechs Monate, die wir mit Lilly verbracht haben, lässt mich daran allerdings erheblich zweifeln. Dass sie nicht unbedingt artgerecht gehalten wurde, war für zumindest uns ziemlich offensichtlich. Jedenfalls frage ich mich mittlerweile, wie es den Labormäusen und -ratten geht, die hier gehalten werden und ob sie im Vergleich zu ihren freien Artgenossen vergleichbare Verhaltensauffälligkeiten zeigen würden, wie Lilly.

Alle die etwas anfällig sind für das Thema Tierversuche, würde ich nahelegen, vielleicht nicht unbedingt weiterzulesen. Nur so als Vorsichtsmaßnahme.

Ein Paper aus dem letzten Jahr legt nahe, dass für die Planung von Tierexperimenten noch viel mehr Faktoren berücksichtigt werden müssen, als ohnehin schon. Und zwar, wer der Experimentator sein soll. Tatsächlich scheint es so zu sein, dass die Frage ob eine Frau oder ein Mann die Experimente durchführt, die Ergebnisse erheblich beeinflussen kann. In dem untersuchenden Labor wurde anekdotisch davon berichtet, dass die Tiere ein vermindertes Schmerzverhalten zeigten, wenn die Experimentatoren im Raum blieben (statt ihn sofort wieder zu verlassen). “Gemessen” wird das übrigens mit der mouse grimace scale – also der Maus-Grimassen-Skala – die übrigens 2010 unter Beteiligung des gleichen Labors eingeführt wurde. So wie wir Menschen auch, verziehen Mäuse bei Schmerz ihr Gesicht. Die Bewertung scheint also auch eher subjektiv zu erfolgen. Um die Beobachtungen näher zu untersuchen, wurde Mäusen Zymosan gespritzt. Das ist ein Bestandteil der Zellwand von Hefen, der Entzündungen hervorruft. Dabei wurde sehr robust beobachtet, dass die Mäuse weniger Schmerzempfinden zeigten, wenn männliche Experimentatoren nachher ruhig sitzend mit etwa einem halben Meter Abstand im Raum verblieben. Waren Frauen im Raum, wurde dieser Effekt nicht beobachtet. Jetzt würde man vielleicht als erstes denken “Toll, die Männer sorgen dafür, dass die Mäuse weniger schmerzen haben”. Der Teufel liegt bei der Lösung allerdings im Detail.

Die Wissenschaftler hatten dann den richtigen Riecher, indem sie olfaktorische Gründe für den beobachteten analgetischen Effekt verantwortlich machten. Wurde der Raum nach der Zymozingabe sofort verlassen, aber ein getragenes T-Shirt im Raum gelassen, zeigten sich die gleichen Effekte. Wobei die Wirkung bei einem “männlichen” T-Shirt am höchsten war, der Effekt durch die Anwesenheit eines “weiblichen” T-Shirts allerdings aufgehoben wurde. Um auszuschließen, dass das verwendete Zymozin die Beobachtungen verursachte, wurde anschließend noch ein Formalin-Test durchgeführt. Dabei wurde den Mäusen wiederum verdünntes Formalin gespritzt, was bei den Mäusen dann dazu führte, dass sie die Injektionsstelle bissen oder leckten. Die Anwesenheit der T-Shirts verursachten wieder den gleichen Effekt, auch wenn dieser nach etwa zehn Minuten nachließ. Die Anwesenheit eines Mannes, wiederum verlängerte den Effekt. Um die auslösende Substanz weiter einzugrenzen wurden Geruchskomponenten, die in männlichen Schweiß eher vorkommen als bei Frauen, getestet. Die Mäuse reagierten dabei konzentrationsabhängig auf drei Substanzen mit den klingenden Namen 3M2H, Androstenon (was übrigens bei der Trüffelsuche eine Rolle spielt) und Androstadienon. Andere Pheromone zeigten hingegen keine Wirkung, auch nicht bei sehr hohen Konzentrationen.

Da die sekretierten Substanzen bei Mammaliern strukturell identisch sind (steht in dem Paper, wusste ich auch nicht), wurde untersucht ob der Effekt auch durch den Geruch anderer Spezies hervorgerufen werden konnte. Dazu wurde z.B. das Streu von Meerschweinchen verwendet. Der analgetische Effekt konnte auch hier beobachtet werden, allerdings nicht wenn das Streu von männlichen kastrierten Tieren stammte. Eine mögliche Erklärung für diese Beobachtungen ist die sogenannte stressinduzierte Schmerzunempfindlichkeit (SIA). Dabei handelt es sich um einen angeborenen Prozess, bei dem die Schmerzweiterleitung im Rückenmark durch modulatorische Stoffwechselwege verhindert wird. Messen kann man das z.B. durch einen Anstieg der Corticosteronkonzentration im Blut, vermehrtes Kotabsetzen und eine erhöhte Temperatur. Alle Symptome konnten in Anwesenheit der “männlichen” T-Shirts nach Zymozingabe beobachtet werden. Der gemessene Stresslevel entsprach dabei dem Level, welches man messen würde, wenn die Tiere für 15 Minuten eingesperrt würden oder gezwungen wären für drei Minuten zu schwimmen. Wenn es sich um eine echte SIA handeln würde, schläge sich das auch auf dem genetischen Level nieder. So müssten die Gene, die früh in schmerzverarbeitenden Neuronen angeschaltet werden, anders exprimiert sein (sogenannte immediate-early Gene). Tatsächlich war nach einer halben Stunde die Expression des beteiligten Fos-Gens um die Hälfte reduziert, was wirklich enorm ist. Es ist also nicht so, dass Männer die Tiere beruhigen und sie dadurch weniger Schmerz empfinden, sondern dass die Tiere durch die Anwesenheit eines Mannes schlichtweg so gestresst sind, dass ihr Schmerzempfinden vermindert ist.

Ob diese Maus gestresst ist, hängt vom Experimentator ab.

Credit: Laboratory mouse by Rama (Own work) via Wikimedia Commons CC BY-SA 2.0 FR

Die Wissenschaftler geben dann auch gleich ein Beispiel, wann diese Beobachtungen relevant sein können. In präklinischen Studien für Schmerzmittel ist ständig ein Experimentator anwesend um entsprechende Reize bei den Tieren auszulösen. Handelt es sich dabei um einen Mann, müsste der beobachtetet Basiswert der Sensitivität niedriger liegen, als bei einem weiblichen Experimentator. Die erhobenen Ergebnisse werden dadurch also verfälscht. Da das untersuchende Labor anscheinend auf einen breiten Datensatz derartiger Experimente zurück greifen kann, analysierten sie die Daten erneut, in Abhängigkeit des Geschlechts des Experimentators und die erwartete Basiswerternniedrigung der Sensitivität ließ sich bestätigen. Das Ganze wurde dann noch in einem weiteren Verhaltensexperiment getestet, in dem wieder die SIA den Ausgang des Experiments beeinflusste. Was kann man daraus nun mitnehmen? Wenn man Tierexperimente plant, sollte z.B. nicht das Geschlecht des Experimentators gewechselt werden. Um das herauszufinden wurden Mäusen also u.a. zwei verschiedene schmerzerzeugende Substanzen verabreicht, sie wurden eingesperrt, gezwungen für längere Zeit zu schwimmen und rektale Temperaturmessungen druchgeführt und sonstwie gepikst um Proben zu nehmen. Wie immer bleibt das im Ermessen des Einzelnen, das jetzt gut, schlecht oder sonstwie zu finden. Ich kann nur hoffen, dass die gewonnenen Erkenntnisse auch Einzug in die best-practice Anweisungen der Tierlabore dieser Welt gehalten haben.

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Claudia Davenport hat in Potsdam und Hannover Biochemie studiert und promoviert mittlerweile über Insulin-produziernende Surrogatzellen aus embryonalen Stammzellen zur Behandlung des Diabetes Typ 1. Wenn sie gerade mal nicht im Labor am Durchbruch arbeitet, der die Welt verändern wird, ist sie gerne im Grünen, radelt durch die Gegend oder geht Kaffee trinken.

15 Kommentare

  1. Dass der Erlebniszustand des Gehirns (Priming) – bevor ein neuer Reiz wahrgenommen wird – die darauf folgende Reaktion auf diesen Reiz entscheidend beeinflusst – ist von der Verhaltensforschung her bereits oft dokumentiert worden. Z.B. urteilen Versuchspersonen die ein warmens Getränk halten durften oder auf einem weichen Stuhl sitzen – deutlich milder, positiver über andere Menschen – als Versuchspersonen, denen man einen Becher mit kaltem Getränk zu halten gab oder die dabei auf einem harten Stuhl saßen.
    Die Abläufe auf neuronaler Ebene, welche die Grundlage für diese Verhaltungsweise bilden, wurden mittlerweile bei Nematoden/Fadenwürmern erforscht:
    http://www.sciencedaily.com/releases/2015/03/150313110402.htm ´Free will? Analysis of worm neurons suggest how a single stimulus can trigger different responses´
    DOI: 10.1016/j.cell.2015.02.018
    Diese Arbeit zeigt sehr schön, dass der gleiche Reiz zu unterschiedlichen Reaktionen führen kann – je nachdem, in welchem Zustand sich das Gehirn vorher befand.

    Eine Arbeit der MPG zeigte, wie wichtig dieser Erlebniszustand(Erwartung) für die darauf folgende Reizverarbeitung ist: Die Reaktion war 1/3 schneller (200 Millisekunden, statt 300 ms).
    http://www.mpg.de/1060839/Erwartung-Wahrnehmung ´Erwartung beschleunigt bewusste Wahrnehmung´. DOI: 10.1523/jneurosci.4570 -10.2011

    • Interessant! Nur würde ich einem Wurm eher kein Gehirn bescheinigen wollen 😉

      Da zeigt sich mal wieder, dass bei allem was mit subjektiven Erleben und Gehirnprozesse zu tun hat, ganz besondere Sorgfalt in der Versuchsplanung walten muss. Meines Erachtens sind Zweifel bei diesen Studien ein ganz guter Begleiter. Ich würde die Ergebnisse gerne mal auf den Menschen übertragen sehen. Aber wer will schon freiwillig Versuchstier spielen?

  2. Vielleicht sollten Versuchstiere derart isoliert werden, dass das Geschlecht der Versuchenden keine Rolle spielen kann?!

    Bei derartiger Einschätzung werden übrigens nicht alle in der hier vorkommenden Leserschaft glücklich, A:

    Es ist also nicht so, dass Männer die Tiere beruhigen und sie dadurch weniger Schmerz empfinden, sondern dass die Tiere durch die Anwesenheit eines Mannes schlichtweg so gestresst sind, dass ihr Schmerzempfinden vermindert ist.

    …und B:

    Handelt es sich dabei um einen Mann, müsste der beobachtetet Basiswert der Sensitivität niedriger liegen, als bei einem weiblichen Experimentator. Die erhobenen Ergebnisse werden dadurch also verfälscht.

    Auch bei der Schmerz-Zuweisung, das Mäuse-Gesicht meinend, die von außen erfolgt, von Versuchenden: blöd bleibt halt, das Schmerz relativ ist, Schmerzpatienten wissen dies.

    Also, was wie genau ‘verfälscht’ wird, der Schreiber dieser Zeilen ist ja nicht vom Fach, horcht nur gelegentlich ein wenig auf, wenn wissenschaftsnah berichtet wird; die gemeine Vernunft besagt ansonsten, dass Schmerz genau dann ignoriert wird (Schmerz findet dann sozusagen nicht statt, auch womöglich in der Maus nicht), ganz ruhig geworden wird, wenn es wirklich ernst wird, das Sterbealter betreffend.
    Insofern, Mäuse sind ja nicht dumm, fassen auch Vertrauen und so, anscheinend: geschlechtsspezifisch, die im ersten Absatz dieser Nachricht angefragte Idee betreffend umzusetzen, wäre zu teuer, woll?

    MFG
    Dr. W

    • Ich wüsste nicht so recht, wie das umzusetzen sein sollte. Man muss ja zwecks Injektion oder was auch immer trotzdem an das Tier ran. Als mögliche Anternative kommt mir da allenfalls Robotik in den Sinn. Ob so ein Roboterarm so schnell ist, eine Maus einzufangen, weiß ich nicht. Und ob das weniger beängstigend ist, müsste man dann auch mal sehen. Der große Vorteil einer menschfreien Mausumwelt wäre allerdings die Stabilität der Untersuchungen, auf Grund weniger Variablen in Form von Tierpflegern.

      • Man könnte eine Glovebox mit gefilterter Luft und teilverspiegelten Sichtscheiben verwenden.
        Wenn die Beleuchtung innen wesentlich heller als außen ist, dann können die Tiere nicht hinaus sehen.

    • Das kann man wohl so als Schlussfolgerung des Papers mitnehmen. Diese subjektive Schmerzbewertung fand ich auch ganz besonders merkwürdig. Auch dass sie erst 2010 eingeführt wurde. Ich frage mich, ob es vorher eine andere Skala gab oder nur ein Binärsystem zur Bewertung. Da klingt die verlinkte Methode schon wesentlich besser.

  3. Ich bin Tierärztin, hab in dem besagten Labor gearbeitet, die Katzen wurden artgerecht gehalten! Lilly hat an garkeinem Versuch teilgenommen…Habe einfach das Bedürfnis das hier richtigzustellen. Mit meinen eigenen adoptierten Laborkatzen gabs übrigens nie Probleme, im Gegenteil.

    • Ich habe den Artikel etwas angepasst um auf deine persönlichen Gefühle Rücksicht zu nehmen. Ich denke trotzdem nicht, dass gekachelte Räume einer artgerechten Haltung gerecht werden … das wollte ich gerne richtig stellen. Mich hat dieses Erlebnis dazu veranlasst mir nähere Gedanken zum Thema Tierversuche zu machen.

  4. Äh, zum Kater vielleicht noch, also zum aktuellen Haustier, Katzen und Kater wollen schon mal raus, aus Gründen, die hier nie genau verstanden worden sind, zumindest, wenn sie alleinstehend sind, auch damit sie nicht ‘alles eher so mittel’ finden.
    MFG
    Dr. W (vermutlich Der Katzenhalter ist hier bei den scilogs.de, Etagenwohnungen im Erdgeschoss bieten sich vielleicht an oder Häuser mit nur einer Wohnpartei)

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