Lila Tomaten
Nahrungsmittel kaufen zu gehen macht irgendwie keinen Spaß mehr. Fleischprodukte erzeugen Krebs, rotes Fleisch sowieso und ach der böse Zucker, der sogar in grünen Smoothies steckt. Was soll man denn da noch essen wenn man seinem Körper etwas Gutes tun will? Sekundäre Pflanzenstoffe sollen ja ganz gut sein. Gut gegen Stress und gut für das Herz. Nur ist davon nicht so wirklich viel in Pflanzen enthalten. Um sich die volle Dröhnung sekundärer Pflanzenstoffe zu geben, müsste man verdammt viel Salat essen. Immer. Und überall. Oder man züchtet sich halt eine Pflanze, die ganz viel von dem Zeug produziert. Das sowas nicht mit “traditioneller” Züchtung funktioniert, ist wohl klar. Es hilft doch enorm, wenn man vorher weiß, was man mit einer Genomveränderung eigentlich erreichen will, als einfach so Pflanzen mit Mutagenen zu behandeln um dann mal zu schauen ob dabei etwas Nützliches herausgekommen ist (ja, auch und vor allem das ist herkömmliche Züchtung).
Die andere Variante sieht so aus: aus Modellorganismen (in diesem Fall der Modellpflanze Arabidopsis thaliana) kennt man ein Gen, die eine spezifische Veränderung hervorruft, die als positiv bewertet wird und daher gerne in anderen verwandten Organismen genutzt werden möchte. In dem konkreten Beispiel aus dieser Veröffentlichung geht es um das Protein AtMYB12, ein Transkriptionsfaktor (also ein Protein, dass andere Gene aktiviert), das bekanntermaßen in Arabidopsis die Synthese verschiedener sekundärer Pflanzenstoffe durch die Aktivierung diverser Gene aktiviert. Eben dieses Gen wurde in Tomatenpflanzen eingebracht, vielleicht ja mit Hilfe des bereits erwähnten Agrobacterium tumefaciens. Das konnte ich nicht so richtig rauslesen. Um zu untersuchen, welche Gene in der Tomatenpflanze potentiell durch das eingebrachte Gen aktiviert werden, wurde ein ChIP-Assay durchgeführt. Transkriptionsfaktoren binden an bestimmten Motiven auf der DNA und aktivieren so die dazugehörigen Gene. Kennt man diese Motive ist das hilfreich. Kennt man nur den Bereich wo sie binden, kann man aber Rückschlüsse darauf schließen. Hierfür werden die DNA-Protein-Komplexe unter Verwendung geeigneter Chemikalien (z.B. Formaldehyd) fixiert. Anschließend werden die Zellen zerstört und die genomische DNA mit den daran haftenden Proteinen mittels Ultraschall in kleine Stücke gehackt. Spezifische Antikörper können dann an die komplexierten Proteine binden und die Komplexe so aufgereinigt werden. Entfernt man die Proteine wieder, erhält man die groben DNA-Bereiche der Bindungen des untersuchten Transkriptionsfaktors (meistens ist es mehr als nur eine Bindungsstelle). Diesen kann man dann wie in der Veröffentlichung z.B. sequenzieren oder andersweitig versuchen Informationen über die Position im Genom zu gewinnen. Durch Sequenzanalyse kann dann darauf geschlossen werden, welche Gene durch den Transkriptionsfaktor aktiviert werden. Das ist in etwa so aufwändig, wie es hier klingt. Am Ende wurden fünf bereits aus dem Modellsystem bekannte Gene des sekundären Pflanzenstoffwechsels identifiziert. So weit, so uninteressant. Außerdem wurden aber zwei weitere Gene aus dem Primärstoffwechsel der Pflanzen aktiviert, und zwar ENO und DAHPS. Zum besseren Verständnis dient die folgende Abbildung.
Auf der linken Seite: grau hinterlegt ist der Primärstoffwechsel der Pflanzen dargestellt, der generell für das Überleben verantwortlich ist. Das sind vor allem Glykolyse und Pentosephosphatweg und der nicht gezeigte TCA Zyklus. Die beiden wichtigen Enzyme ENO und DAHPS, die durch AtMYB12 aktiviert werden, sind mit roter Farbe kenntlich gemacht. Als Vorstufe entsteht dann Phenylalanin, welches u.a. für die Herstellung sekundärer Pflanzenstoffe (gelb hinterlegt) benötigt wird. Auf der rechten Seite: nicht mehr ganz so gut zu erkennen, aber prinzipiell die gleiche Abbildung. Das Produkt des Enzyms ENO (Phosphoenolpyruvat) wird eigentlich für den Energiestoffwechsel der Pflanze verwendet (links, TCA cycle). Durch die Aktivierung von DAHPS wird es allerdings für den Sekundärstoffwechsel abgezweigt. Und genau das wurde in einer Reihe von Experimenten bestätigt. Durch Gabe von radioaktiv markierter Glukose kann die Stoffwechselrate untersucht werden. Dabei werden an mehreren Zeitpunkten nach Gabe der markierten Glukose Proben genommen und die vorhandenen Substrate aufgetrennt. Das kann man auf viele verschiedene Wege tun. Ganz allgemein gesprochen, werden die Gemische über z.B. ionische Wechselwirkungen an Materialen gebunden, die verschieden starke Bindungseigenschaften zeigen. Durch Veränderung der Bedingungn (z.B. pH) werden dann nach und nach die einzelnen Substrate freigegeben, so dass die Fraktionen einzeln untersucht werden können. Und zwar meist im Massenspektrometer. Aber wie das funktioniert, hebe ich mir für einen anderen Tag auf. Wichtig soll hier erstmal nur das Ergebnis sein. Die AtMYB12 Tomaten wurden stets mit Wild-Typ (WT) Tomaten verglichen. Dabei unterschieden sich vor allem der Gehalt an Grund-Zuckern wie Glucose und Fructose und der Gehalt von aromatischen Aminosäuren, wie Succinic acid und Tyrosine (Kohlenstoffringe mit Doppelbindungen).
Die WT Tomate ist in rot, die veränderte Tomate in gelb dargestellt. Anhand der Daten kann darauf geschlossen werden, dass der Stoffwechsel der veränderten Tomaten weg vom Primärstoffwechsel auf die Produktion von aromatischen Aminosäuren umprogrammiert wurde. Das ist ja schonmal nicht schlecht. Jetzt haben wir also eine Tomate die vermehrt die Synthese von aromatischen Aminosäuren des Sekundärstoffwechsels betreibt.
Aber wieso aufhören, wo es doch gerade erst spannend wird! Es gibt nämlich noch eine weitere Tomatenpflanze mit interessanten Eigenschaften. In der Del/Ros1 Tomatenlinie sind die beiden Proteine Delila und Rosea1 aktiv, die für eine hohe Anreicherung an Anthocyanen, also blauer Farbstoffe, sorgen. Die Tomaten sind dann sehr dunkel gefärbt. Diese beiden Pflanzen wurden miteinander gekreuzt und das Resultat seht ihr in der nächsten Abbildung.
Das Resultat dieser Kreuzung ist satt lila-farben und wurde von den Wissenschaftlern Indigo getauft. Im mittleren Teil wurden die unterschiedlich abgelesenen Gene der verschiedenen Pfalnzen miteinander verglichen. Diese Art der Darstellung nennt man eine Heatmap. Ohne näher auf die einzelnen Gene einzugehen, konnte so gezeigt werden dass Del/Ros1 keine Beeinflussung des Primärstoffwechsels zeigte. In der Kreuzung Indigo allerdings waren viel mehr Gene aktiv, bis zur Flavonol-Synthese. In der Konsequenz enthielten die neuen Tomaten sowohl mehr Anthocyane (lila) als die Elternpflanzen sondern auch viel mehr Flavonole (gelb) und CGA (blau). AtMYB12 ist in Kombination mit Del/Ros1 also in der Lage viele verschiedene sekundäre Pflanzenstoffe zu bilden, vermutlich durch das erhöhte Angebot an aromatischen Aminosäuren verursacht durch AtMYB12.
Die Tomaten sind wirklich sehr schön geworden und die Möglichkeiten sind recht interessant, aber am besten wäre es natürlich auch einen möglichen therapeutischen Nutzen erzielen zu können. Und genau das wurde in zwei weiteren Kreuzungen anvisiert. Ich mache es kurz. Durch Kreuzung mit verschiedenen anderen Tomatenpflanzen konnten Abkömmlinge identifiziert werden, die große Mengen an Resveratrol bzw. Genistein enthielten. Resveratrol wird hauptsächlich in Weintrauben und Beeren gefunden und soll in verschiedenen Modellorganismen zu einer Verlängerung der Lebensspanne beitragen. In den gekreuzten Tomaten fand sich 100-mal mehr von dem Zeug als in blauen Weintrauben. Unter anderem Resveratrol ist es zuzuschreiben, dass das tägliche Glas Rotwein gerne als lebensverlängernd betrachtet wird, selbstverständlich gerne von Leuten, die Rotwein mögen. Genistein wiederum wird in Sojabohnen gefunden und ist ein Phytohormon mit ähnlichen Eigenschaften wie Östrogen. Genistein wird als ursächlich für die geringeren Brustkrebsraten im asiatischen Raum betrachtet. In den Tomaten fand sich wiederum 100-mal mehr Genistein als in Sojapflanzen.
AtMYB12 ist durch seine Umstrukturierung des Carbonflusses also ein sehr nützliches Tool, dass aber wohl auch wieder in den molekularbiologischen Schubladen der Welt verschwinden wird. Hauptsache, es finden sich am Ende noch irgendwo ein paar Samen, damit wir sie wieder ausgraben können, falls sich die öffentliche Meinung doch irgendwann mal ändern sollte.
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Einfach toll! Da können selbst die Hexen in Macbeth nicht mithalten. Indigo-Tomaten, wohl inspiriert von Indigo-Kindern. Ehrlich gesagt würde ich keine der oben erwähnten Tomaten essen. Ebensowenig wie ich Medikamente oder Zusatzstoffe einnehme, nur weil jemand gesundheitsfördernde Wirkungen verspricht.
Wirklich überzeugen könnten mich solche Designer-Tomaten nur, wenn Doppelblindstudien deutlich positive Wirkungen zeigen.
Diese Vorbehalte bedeuten aber nicht, dass ich genmodifizierte Nahrung ablehne. Ich will nur nicht das Versuchskaninchen sein. Wenn die positive Wirkung erwiesen ist, greife ich gern zu.
Ich glaube nicht, dass diese Tomaten besonders gut schmecken. Der Zucker fehlr ja. Aber sie sehen schon echt toll aus. Die Autoren argumentieren eher in die Richtung, dass die Tomaten sehr kostengünstig und mit wenig Energie hergestellt werden können,im Vergleich zur chemischen Synthese. Gerade in Amerika sind solche Nahrungsergänzungsmittel sehr beliebt, den tatsächlichen Nutzen mal außen vor gelassen, versteht sich.
Gesund zu leben ist echt anstrengend! Um eine gesundheitlich wirksame Dosis an Resveratrol aufzunehmen, müsste man 40 Liter Rotwein pro Tag trinken. Gesund zu leben.- das schaffe ich NIE
Wieviele Kilo der neuen Tomaten muss man essen, bis eine Wirkung eintreten kann?
Ein direkter Vergleich gestaltet sich leider schwierig. Laut Paper beträgt die Menge an Resveratrol in den Tomaten 5-6 mg/g in der Trockenmasse, das ist etwa das 100-fache von dem, was man in blauen Weintrauben findet. Aber wie viel Kilo “nassen” Tomaten das entspricht, kann ich leider nicht sagen. Im Vergleich dazu findet man je nach Wein 2-12 mg/L Resveratrol. Also deutlich weniger, wenn man von 1 g ~ 1 mL ausgeht. Würde man Tomatenwein herstellen, bräuchte man davon viel weniger zu trinken, möchte man dann aber vielleicht auch.
Tomaten enthalten rund 95 Prozent Wasser.
1 kg Tomaten enthält rund 50 g Trockenmasse.
50 g Trockenmasse enthalten rund 250 mg Resveratrol.
Zitat Wikipedia: In frischem weißen Traubensaft hat man bis zu 200 µg/l, in frischem roten bis zu 1100 µg/l Resveratrol nachweisen können. In Rotwein ist die Konzentration wesentlich höher und liegt bei etwa 2 bis 12 mg/l. Weißwein und Rosé enthalten niedrigere Konzentrationen an Resveratrol.
250 mg Reveratrol ist dagegen geradezu eine Bombe an Resveratrol.