Eine haarige Angelegenheit

BLOG: Von Menschen und Mäusen

Wissenschaft einfach erklärt
Von Menschen und Mäusen

Jetzt möchte ich endlich einmal darauf zu sprechen kommen, was ich so mache. Also eigentlich nur so halb. Ich habe nämlich eine schöne Veröffentlichung gefunden, anhand derer sich gut erklären lässt was ich tue, ohne groß Krankheitsbilder erklären zu müssen. Das Problem mit dem sich diese Kooperation aus den USA und Russland auseinandersetzt ist Haarverlust. Das kennen die meisten, das muss man nicht groß erklären. Haare fallen aus diversen Gründen aus, wenn man Pech hat irgendwann für immer. Aber da die wissenschaftliche Zunft solche naturgegeben Dinge ungerne einfach mit einem Schulterzucken abtut, geht es in dieser Veröffentlichung darum wie man aus embryonalen Stammzellen Haarfollikel-Zellen herstellen kann, die tatsächlich das tun was sie sollen – Haare machen.

Embryonale Stammzellen sind noch extrem unreif, aus ihnen kann bei geeigneter Sozialisierung quasi alles werden. Diesen Prozess nennt man differenzieren. Diese Zellen können also in Herzzellen, Nervenzellen oder eben Haarfollikelzellen differenzieren. Das tun sie allerdings nicht mit einem Fingerschnippen, sondern es sind immer verschiedene Zwischenschritte auf dem Weg dorthin nötig. Unsere Haarzellen gehen einen unerwarteten Weg. Ganz früh in der Embryonalentwicklung wird das Neuralrohr gebildet aus dem später das Nervensystem gebildet wird. Aus diesem Neuralrohr spalten sich die Neuralleisten (NC) ab, die das periphere Nervensystem bilden werden (also grob gesagt alles was nicht Rückenmark oder Gehirn wird). Aus den NC-Zellen bilden sich allerdings auch Melanozyten, da ist die Verwandtschaft zu den Haarzellen schon deutlicher. Solche schon differenzierten Stammzellen, die verschiedene Zelltypen – aber eben nicht mehr alle – bilden können, heißen multipotent.

Diese NC-Zellen bilden dann irgendwann eine sogenannte Nische. Diesen Begriff kann man wörtlich nehmen, denn um diese Zellen herum tragen die sie umgeben Zellen in einem üblicherweise klar definierten kleinen Bereich dazu bei, die Nische aufrecht zu erhalten. Die Zellen in der Nische werden als dermale Papillen (DP) bezeichnet und sind in der Lage Haarfollikel-Bildung zu induzieren. Der grobe Ablauf dieses Differenzierungsprozess‘ habe ich unten dargestellt.

Woher weiß man aber an welchem Punkt während dieses Prozess‘ man sich befindet? Spezifische Zelltypen erlangen ihre Identität dadurch, dass sie ganz bestimmte Proteine und andere Faktoren bilden, die für diesen Zelltyp mehr oder weniger spezifisch sind. Dabei gibt es Gene die in allen Zellen auf dem Level abgelesen werden, diese werdenhousekeeping genes genannt. Und dann gibt es eben Gene die nur in ganz bestimmten Geweben oder sogar nur in einigen wenigen Zellen innerhalb dieses Gewebes benötigt und daher abgelesen werden. Spontan fällt mir dazu das Oberflächenmolekül CD8 ein, das ausschließlich auf einer bestimmten Immunzellart gebildet wird, um genau zu sein auf cytotoxischen T-Zellen.

Welche Gene das im Einzelfall sind, ist noch längst nicht für alle Zellen bekannt und leitet sich meist aus Tiermodellen ab, die so nicht immer eindeutig auf die humane Situation übertragen werden kann. Bekannt ist allerdings, dass NC-Zellen u.a. Nestin und DP-Zellen u.a. Versican bilden, beide bilden p-75. Was diese Protein tun, ist für die weiteren Erläuterungen nicht bedeutend, wichtig ist nur ob sie da sind oder eben nicht. Um Klarheit über die An- oder Abwesenheit zu gewinnen, kann man sie entweder anfärben, indem man Antikörper verwendet die spezifisch an besagte Proteine binden und daraufhin ein Fluoreszenzsignal abgeben oder indem man misst wie oft das entsprechende Gen abgelesen wird. Im besten Fall macht man immer beides. Und genau das wurde hier auch gemacht. Ich konzentriere mich auf die zuerst genannte Immunfluoreszenz. Das sieht einfach schöner aus.

Zunächst wurden embryonale Stammzellen in NC-Zellen differenziert. Dieser Prozess läuft in der Zellkultur aber nicht vollständig ab, daher muss man die gebildeten NC-Zellen zunächst vom Rest der Kultur abtrennen, da man für die weiteren Schritte mit einer möglichst reinen NC-Population weiter arbeiten möchte. Das funktioniert hier vergleichsweise einfach – die NC-Zellen heften sich an Plastik an, die restlichen Zellen nicht. So kann man diese Zellen leicht aufreinigen. In der Gesamtpopulation befanden sich dann nach fünf Tagen durchschnittlich 20 % NC-Zellen.

Diese Zellen wurden dann weitere 14 Tage differenziert zu DP-ähnlichen Zellen (DP-ähnlich weil man in der Zellkultur die natürliche Entwicklung eben doch nicht zu 100 % nachkochen kann). Und um zu bestätigen, dass die Differenzierungen erfolgreich waren, wurden oben erwähnte Proteine angefärbt.

Proteine, die spezifisch für die differenzierten Zellen sind, wurden mit Fluoreszenzfarbstoffen angefärbt. Der Zellkern ist jeweils in blau dargestellt. Die rote und grüne Färbung ist spezifisch für die jeweiligen Proteine. Das Ergebnis ist dann schön bunt. Quelle: DOI: 10.1371/journal.pone.0116892
Credit: Plos ONE: 2015 Gnedeva et al. DOI: 10.1371/journal.pone.0116892 CC BY 4.0 Proteine, die spezifisch für die differenzierten Zellen sind, wurden mit Fluoreszenzfarbstoffen angefärbt. Der Zellkern ist jeweils in blau dargestellt. Die rote und grüne Färbung ist spezifisch für die jeweiligen Proteine. Das Ergebnis ist dann schön bunt.

In dem Bild oben kann man folgendes sehen. Zu nächst erhielten wir NC-Zellen (im Bild als hESC-NC bezeichnet). Daraus wurden anschließend DP-Zellen (hier hESC-DP). Diese final gewonnen Zellen wurden verglichen mit fertig ausgebildeten DP-Zellen von menschlichen Kopfhautzellen, die bei einem schönheitschirurgischen Eingriff gewonnen wurden, bezeichnet als hDP. Die Zellkerne sind jeweils blau angefärbt um zu zeigen, dass man tatsächlich lebendige Zellen angefärbt hat und nicht nur irgendeinen unspezifischen Müll der sonst noch so herum geschwommen ist. p-75 und Nestin werden in beiden Zelltypen gebildet und konnten auch in allen Fällen mit einem roten Farbstoff angefärbt werden. Versican allerdings, konnte nur in DP-Zellen gefunden werden. Daraus lassen sich zwei Dinge ableiten: 1. die NC-Zellen haben sich weiterentwickelt und bilden ein neues Protein und 2. die in der Zellkultur differenzierten Zellen ähneln der tatsächlichen humanen Situation.

Man kann also in der Zellkultur erfolgreich DP-Zellen herstellen aus denen dann später Haarfollikel gebildet werden können. Aber können die das denn überhaupt? Um das herauszufinden ist der nächste Schritt üblicherweise der Weg ins Tiermodell. Dazu werden z.B. Labormäusen die gebildeten Zellen transplantiert um zu überprüfen ob die in einem lebendigen Organismus, der sehr viel weniger kontrolliert ist als eine Zellkultur auch das tun, was von ihnen erwartet wird. Und das ist dabei heraus gekommen:

Nach der Transplantation der differenzierten Zellen, bildeten sich an dieser Stelle Haarfollikel aus. Quelle: DOI: 10.1371/journal.pone.0116892
Credit: Plos ONE: 2015 Gnedeva et al. DOI: 10.1371/journal.pone.0116892 CC BY 4.0 Nach der Transplantation der differenzierten Zellen, bildeten sich an dieser Stelle Haarfollikel aus.

Siehe da, es werden tatsächlich schwarze Haare auf der ansonsten haarlosen Maus gebildet. Wenn man nur NC-Zellen oder unvollständig differenzierte DP-Zellen transplantierte, wurden keine Haare gebildet. Die Haarbildung scheint also durch die DP-Zellen verursacht zu werden.

Nun stellt sich allerdings die Frage, ob es die DP-Zellen selbst sind, die das Haarwachstum erzeugen oder ob sie die eigenen Zellen der Maus dazu anregen Haare zu bilden. Um das zu untersuchen, wurden die gebildeten DP-Zellen genetisch so verändert, dass sie ohne weiteres zu tun anfangen grün zu fluoreszieren wenn sie fertig entwickelt sind. Werden die Haare aus den transplantierten Zellen gebildet, würden diese also grün leuchten, wohingegen Zellen aus der Maus dies nicht tun würden. Und da jede Geschichte ein Happy End verdient, war genau das selbstverständlich auch der Fall. Seht ihr die schönen grünen Haarfollikel.

Um erkennbar zu machen, woher die gebildeten Haarfollikel stammen, wurden die transplantierten Zellen so verändert, dass sie grün fluoreszieren würden. Quelle: DOI: 10.1371/journal.pone.0116892
Credit: Plos ONE: 2015 Gnedeva et al. DOI: 10.1371/journal.pone.0116892 CC BY 4.0 Um erkennbar zu machen, woher die gebildeten Haarfollikel stammen, wurden die transplantierten Zellen so verändert, dass sie grün fluoreszieren würden.

Tja, und eines wunderschönen Tages werden Männer nicht mehr dazu gezwungen sein sich Haare vom Schienbein auf den Kopf zu verpflanzen sondern können sich diese vielleicht einfach im Labor züchten lassen. Fassen wir also zusammen: Man nehme ein Gewebe seiner Wahl und finde so viel wie möglich über seine natürlichen Entwicklungsvorgänge heraus. Anschließend finde man eine Möglichkeit diese Vorgänge in der Petrischale nachzukochen und teste ob das was man da gebildet sich auch wie gewünscht verhält. Bei uns an der Hochschule wird das u.a. versucht für Herzmuskelzellen, Lungenepithelzellen und bei uns im Labor für pankreatische Betazellen. Da habt ihr es, jetzt wisst ihr was ich mache. Wir nennen das übrigens tissue engineering.

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Claudia Davenport hat in Potsdam und Hannover Biochemie studiert und promoviert mittlerweile über Insulin-produziernende Surrogatzellen aus embryonalen Stammzellen zur Behandlung des Diabetes Typ 1. Wenn sie gerade mal nicht im Labor am Durchbruch arbeitet, der die Welt verändern wird, ist sie gerne im Grünen, radelt durch die Gegend oder geht Kaffee trinken.

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