Der frühe Wurm fängt den Krebs

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Wissenschaft einfach erklärt
Von Menschen und Mäusen

Erinnert ihr euch noch an die Krebs-erschnüffelnden Hunde? Bereits vor einigen Jahren war das ein ziemlich großes Thema, Hundebilder werten natürlich jeden Artikel medienwirksam auf. Im Prinzip ging es darum, dass Krebszellen bestimmte Duftstoffe absondern, die von Hunden auch im System Mensch wahrgenommen werden konnten und das ziemlich gut, nachzulesen z.B. hier. Dass sich diese sehr Erkennungsmethode als leider nicht massentauglich erwiesen hat, liegt u.a. in der Natur des Hundes selbst. Sobald die Hunde ihre Konzentration nicht mehr aufrechterhalten konnten, sank die Genauigkeit der Erkennungsrate. Für groß angelegtes Screening sind die Vierbeiner daher bisher noch nicht zu gebrauchen.

Trotzdem bleibt der Ansatz vielversprechend und wurde daher auch von dieser japanischen Arbeitsgruppe aufgegriffen. Für ihre Versuche verwendeten sie allerdings Würmer, genau genommen Caenorhabditis elegans, kurz C.elegans, einen Fadenwurm. Dieser kleine Wurm ist in den Laboren der Welt sehr beliebt. Das liegt vor allem an seiner stets konstanten Anzahl von Zellen, jeder Hermaphrodit besitzt exakt 959 Zellen, und jedes Männchen genau 1031 Zellen. Darüber hinaus sind sie quasi durchsichtig. Dieser Umstand macht die Würmchen besonders beliebt in der Entwicklungsbiologie, aus dem simplen Grund, dass man gut sehen kann was vor sich geht. In dieser Veröffentlichung ging es aber um olfaktorische Krebserkennung. C.elegans wurde gewählt, da nach Analyse seines Genoms mindestens 1500 sogenannte G-protein-gekoppelte Rezeptoren erwartet wurden, und darunter einige, die für die olfaktorische Erkennung wichtig sein könnten.

Da nicht alles was einem so vorschwebt gleich am Menschen ausprobiert werden darf, ging es für die Würmer erst einmal in die Zellkultur. Hier dienten zunächst verschiedene Krebszelllinien als Testsystem im Vergleich mit Zelllinien von normalen humanen Geweben. Zellen werden in Kultur in Nährmedien gehalten und sekretieren allerlei Stoffe, darunter auch Duftstoffe. Auf der Oberfläche der Medien bildet sich dabei ein klarer Film, der normalerweise ignoriert wird. Hier wurde dieser Film allerdings gesammelt und auf eine Platte aufgetragen. Dann wurden 50-100 Würmer auf die Platte gelegt und beobachtet, ob sie sich von dem Duft angezogen oder abgestoßen fühlten, bzw. sich überhaupt bewegten. Das sieht dann so aus, wie auf dem Bild unten.

C elegans Chemotaxis assay_Seite_1
Credit: Plos One: 2015: Hirotsu et al. doi:10.1371/journal.pone.0118699 CC BY 4.0 Chemotaxis-Assay mit C.elegans.

Die Würmer wurden stets an der Stelle mit dem weißen Dreieck aufgetragen. Auf dem Bild oben wurden zunächst nur Duftstoffe von Krebszellen verwendet. In der Vergrößerung kann man gut erkennen, dass die Würmer sich davon angezogen fühlten, wohingegen auf dem mittleren Bild sich die Würmer von dem normalen Gewebe wegbewegt haben. Um Effekte des Mediums selbst auszuschließen, wurde dabei auf der Gegenüberliegenden Seite jeweils unbehandeltes Medium aufgetragen. Im direkten Vergleich der verschiedenen Zelltypen, dem dritten Bild, bevorzugen die Würmer das Krebsgewebe links, gegenüber dem normalen Gewebe auf der rechten Seit. Genannt wird diese Bewegung auf Grund von chemischen Reizen als Chemotaxis. Quantifiziert sieht man das Ganze dann ganz unten dargestellt. Ein positiver Chemotaxis-Index beschreibt dabei Anziehung und ein negativer Wert Abstoßung. Dabei wurden verschiedene Verdünnungen der aufgetragenen Duftstoffe eingesetzt. Bei höherer Konzentration zeigten die Würmer eine weniger starke Anziehung.

Die Zusammenfassung seht ihr in der Abbildung unten. Die Medien wurden in jeweils zwei verschiedenen Verdünnungen aufgetragen, daher immer zwei Balken. Die ersten fünf Balken mit negativem Chemotaxis-Index bezeichnen entweder normale Zelllinien (z.B. KMST-6) oder frisches Medium (z.B. RPMI). Die restlichen Balken mit einem positiven Chemotaxis-Index beschreiben die verschiedenen Krebszelllinien. Es wurden u.a. Zelllinien von Brust- und Colonkrebs verwendet. Man kann sehen, dass sich die Würmer signifikant zu den Krebszelllinien hingezogen fühlten.

Chemotaxis Analyse von C.elegans mit Medienüberständen verschiedern Kontroll- und Krebszelllinien
Credit: Plos One: 2015: Hirotsu et al. doi:10.1371/journal.pone.0118699 CC BY 4.0 Chemotaxis Analyse von C.elegans mit Medienüberständen verschiedern Kontroll- und Krebszelllinien.

Als nächstes wurde dieses für die Zellkultur funktionierende System an Gewebeschnitten von Krebspatienten im Vergleich zu normalen Gewebe desselben Patienten getestet. Um es kurz zu machen: auch das hat gut funktioniert.

Der eigentliche Sinn hinter der Krebs-Geruchserkennung durch Hunde war aber, dass das System nicht-invasiv erfolgen konnte. Anstatt einen möglichen Patienten umständlich zu öffnen um möglichweise bösartiges Gewebe zur Untersuchung zu gewinnen, konnte man einfach einen Hund schnüffeln lassen. Um dies auf die Würmer anwenden zu können, wurden nun von verschiedenen Krebspatienten sowohl Urin- als auch Blutproben gewonnen. Dabei zeigte sich schnell, dass die Blutproben für einen Geruchstest nicht geeignet waren. Es gab keinen Unterschied zu den gesunden Kontrollproben. Die Autoren diskutieren, dass dies an der Anwesenheit anderer starker Duftstoffe bzw. Molekülen, welche die eigentlichen Krebsduftstoffe überdecken könnten, liegt. Bei den Urinproben zeigte sich allerdings, dass bei einer 10-fachen Verdünnung die Würmer sich zu den Patientenproben hingezogen fühlten, sich aber von den gesunden Kontrollen wegbewegten. Zu sehen ist das in der nächsten Abbildung. Es wurden zehn gesunden Kontrollen (c1-c10) gegen 20 verschiedene Krebspatienten getestet (p1-p20).

Chemotaxis-Assay von C.elegans mit Urinproben verschiedener gesunder und an Krebs erkrankter Teilnehmer
Credit: Plos One: 2015: Hirotsu et al. doi:10.1371/journal.pone.0118699 CC BY 4.0 Chemotaxis-Assay von C.elegans mit Urinproben verschiedener gesunder und an Krebs erkrankter Teilnehmer.

Um dieses viel versprechende System endlich einmal in realer Umgebung zu testen, wurden über 200 Urinproben gesammelt, davon rund 10 % von Krebspatienten und mit dem Nematoden-Geruchserkennungstest (NSDT) überprüft. Der positive Vorhersagewert lag dabei bei 67,6%, es gibt also eine gewisse Anzahl an falsch positiv erkannten Proben. Allerdings lag die Sensitivität bei 95,0%. Die Ergebnisse aus dem NSDT wurden dann mit herkömmlichen Tumormarkern verglichen, darunter CEA und p53. Die Spezifizität als auch Sensitivität des NSDT war dabei gegenüber der herkömmlichen Marker deutlich erhöht. Außerdem war der Test in der Lage mit großer Genauigkeit Tumoren in allen Stadien, insbesondere den frühen, zu erkennen.

Eine Zusammenfassung seht ihr unten. Dargestellt ist die Sensitivität der Erfassung durch verschiedene herkömmliche Tumormarker (CEA, Anti-p53, DiAcSpm), deren zusammengefasster Wert (some TMs) im Vergleich mit dem neuen NSDT. Die anderen Marker sind dabei nur in Stadium IV ähnlich sensitiv. Auch sonst schnitt der neue Test deutlich besser ab als die üblich verwendeten Marker.

Vergleich der Sensitivität verschiedener Tumormarker mit dem NSDT
Credit: Plos One: 2015: Hirotsu et al. doi:10.1371/journal.pone.0118699 CC BY 4.0 Vergleich der Sensitivität verschiedener Tumormarker mit dem NSDT.

Besonders zu bemerken ist, dass der neue Test fünf Teilnehmer zum Zeitpunkt der Messung fälschlicherweise als Krebs-positiv identifizierte, diese aber innerhalb von zwei Jahren tatsächlich Krebs entwickelten. Das System wurde in dieser Studie erfolgreich bei Krebs in Geweben von Brust, Rectum, Colon, Pankreas, Prostata und der Speiseröhre angewandt.

Ihr solltet euch also nicht wundern, wenn euer Arzt beim nächsten Termin zur Krebsvorsorge ein paar Würmer aus dem Glas holt.

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Claudia Davenport hat in Potsdam und Hannover Biochemie studiert und promoviert mittlerweile über Insulin-produziernende Surrogatzellen aus embryonalen Stammzellen zur Behandlung des Diabetes Typ 1. Wenn sie gerade mal nicht im Labor am Durchbruch arbeitet, der die Welt verändern wird, ist sie gerne im Grünen, radelt durch die Gegend oder geht Kaffee trinken.

13 Kommentare

  1. Das ist ja genial. Womöglich kann man durch Züchtung der Würmer noch bessere Resultate erzielen. Und falls das funktioniert könnte man ja damit das Wissen über die Codierung der Rezeptoren im Genom verbessern usw.
    Praktisch wären dann noch irgendwelche Viecher die sich ausschließlich von den Krebszellen ernähren. Könnte man dann ja vielleicht auch herstellen 🙂

    • Hallo Ralph,

      ich würde es noch spannender finden zu erfahren, was die Duftstoffe eigentlich sind auf die die Hunde bzw. Würmer reagieren. Dann könnte man sowas vielleicht komplett ohne biologisches System nachweisen können. So wie man z.B. Schadstoffe in der Luft über Massenspektrometrie nachweisen kann.

      • “zu erfahren, was die Duftstoffe eigentlich sind auf die die Hunde bzw. Würmer reagieren.”
        Ahnungslos wie ich bin, dachte ich, durch Züchtung von Würmern die auf die Stoffe besonders ansprechen, also mit einer höheren Rate als den 67,6 % könnte man über die Differenz des sich ändernden Gen-Codes der Rezeptoren diese Duftstoffe sozusagen einkreisen.
        Man nehme jeweils die Exemplare welche sich auf die “richtige” Seite begeben und mache mit deren Nachkommen weiter. Falls die Erkennungsrate dann besser wird, wäre eine systematische Fehlinterpretationen ja auch unwahrscheinlicher.

  2. dr warburg endeckte die ursache von krebs in 1923 und erhielf dafuer 1931 den nobelpreis in medizin. dr warburg war auch der direktor des max planck institute.

  3. Kürzlich wurde eine Arbeit veröffentlicht, die zeigte, dass für das Verhalten von Fadenwürmern (roundworm) nicht der wahrgenommne Geruch verantwortlich ist, sondern nur der Zustand bestimmter Neuronen – zu dem Zeitpunkt, wo dieser Geruch wahrgenommen wird:
    http://www.sciencedaily.com/releases/2015/03/150313110402.htm (´Free will? Analysis of worm neurons suggest how a single stimulus can trigger different responses´)
    DOI: 10.1016/j.cell.2015.02.018 ´Feedback from network states generates variability in a probabilistic olfactory circuit´)

    Anders ausgedrückt: der positive Vorhersagewert von 67,6 % entspricht etwa einem Zufallsniveau, dass man auch durch Würfeln erhalten kann. Leider!
    Björn Brembs hat vor Jahren Versuche mit Fruchfliegen gemacht: Setzt man 100 vor eine Lampe, so krabbeln 70 weg und 30 auf die Lampe zu. Nimmt man die ´Wegläufer´ und wiederholt den Test, dann ist wieder eine 70/30 Verhältnis erkennbar – D.h. ein derartiger Fruchtfliegentest könnte den Krebs mit der gleichen Wahrscheinlichkeit ´vorhersagen´!
    DOI: 10.1016/j.beproc.2011.02.005 ´Spontaneous decisions and operant conditioning in fruit flies´ bzw. per Google ´Sogar Fruchtfliegen haben einen freien Willen´ bzw. ´Die Freiheit der Fruchtfliege´.

    • Die vorgestellte Arbeit hat sicherlich einige Schwächen, wie sowieso jede wissenschaftliche Veröffentlichung – behaupte ich einfach mal.
      Zu dem positive predicte value von 67% verweise ich auf die entsprechenden Werte der im Vergleich gemessenen Tumormarkern (letzte Abbildung, sind unten aufgeführt). Diese Marker werden in der klinischen Diagnostik tatsächlich regelmäßig angewandt und schneiden in der Veröffentlichung deutlich schlechter ab.

      Was ich in meinem Beitrag nicht erwähnt habe, weil das nach meinem Empfinden den Rahmen gesprengt hätte ist, dass außerdem ko-Mutanten für die Neurone AWC udn AWA (sensing of attractive odorants) bzw. ASH und AWB (sensing of repellents) verwendet wurden. Es wurde dann gezeigt, dass ASH/AWB-Mutanten den Kontroll-Urin nicht mehr entsprechend vermieden, bzw. AWC/AWA-Mutanten eine geringere Anziehung zeigten. Ganz zufällig ist der Effekt ja vielleicht doch nicht. Im übrigen geht es hier ja auch um Duftstoffe und nicht um Licht. Vielleicht liegen die Autoren ja doch nicht völlig daneben. Interessanter als ein schnödes PCR-Assay ist es doch auf jeden Fall.

      Bei weiterem Interesse ist die Originalpublikation oben im Artikel verlinkt. Da es sich um einen PlosONE Artikel handelt, ist die Veröffentlichung frei zugänglich.

  4. Nachtrag:
    1) Falls ein Wissenschaftler meinen vorstehenden Beitrag gelesen hat, wäre es nett, die jap. Arbeitsgruppe auf diese beiden Arbeiten aufmerksam zu machen.
    2) Gunter Dueck hat im Nachbarblog ´Wild Dueck Blog´ gerade den Beitrag ´Das Gesetz der kleinen Zahl … ´ veröffentlicht. Wenn in einer Arbeit Ergebnis-Werte um 70 % (67,6%) genannt werden – dann sollten diese Wissenschaftler diesen Beitrag zur Strafe auswendig lernen müssen.
    3) Parfümhersteller haben Methoden entwickelt, um sogar kleinste Duftspuren zu sammeln und auszuwerten. Eventuell könnte man eine derartige Methode auch mal bei Krebskranken versuchen.

  5. Für mich zeigen Dinge wie “Krebs-Riechen” durch Hunde und Würmer nicht das Potenzial von solchen Tiermodellen, sondern sie zeigen mir, dass die Krebsdiagnostik noch stark verbesserbar ist. Die Frühdiagnose von Krebs ist ja ein wichtiges präventivmedizinisches Ziel, weil bei einer Therapie im Frühstadium die Heilungsaussichten viel besser sind und zudem im Frühstadium noch keine grossen (möglicherweise verstümmelnden) chirurgischen Eingriffe nötig sind.
    Besonders beeindruckt bin ich von der “Diagnose” von Krebs durch die Würmer zu einem Zeitpunkt wo alle andern Untersuchungsmethoden noch keinen Krebs zu diagnostizieren vermochten.
    Man sollte diese Ergebnisse zum Anlass nehmen, die Stoffe (Biomarker) zu identifizieren und zu charakterisieren, welche in einem solch frühen Krebsstadien bereits im Urin (oder Blut) nachzuweisen sind und zudem nach weiteren Begleigstoffen suchen. Heute macht die Blut- und Urin-Diagnostik ja grosse Fortschritte, sowohl von den Stoffklassen und Stoffindividuen, die sich nachweisen lassen auch von der methodischen Seite, wo zunehmend Lab-on-a-chip-Lösungen heranwachsen.

    • Hallo Martin,
      den gleichen Vorschlag habe ich in einem Kommentar weiter oben auch schon gemacht.
      Diese frühe Diagnose ha mich auch recht verwundert. Zumal ja in den anderen Fällen anscheinend trotzdem kein Krebs aufgetreten ist.
      Dass vor allem Hunde aber ein wesentlich besser ausgeprägtes Riechorgan haben als wir, ist ja nun einmal Fakt. Mittlerweile werden Hunde sogar als Begleiter von Kindern mit Typ I Diabetes verwendet. Diese Hunde zeigen zuverlässig Hypo- als auch Hyperglykämie an. Mehr Informationen dazu z.B. hier: http://www.assistenzhunde-zentrum.de/index.php/assistenzhunde/diabetikerwarnhund
      Ich würde die Möglichkeit der Krebsdiagnostik daher nicht einfach so als Unsinn abtun wollen. Vielleicht hört man aber auch nie wieder davon.

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