Welfare praktisch – eine neue Tendenz

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Das war ja ein ganz großartiges Timing. Anfang letzter Woche veröffentlichte ich den Artikel über meinen Besuch bei Wiesenhof und der dortigen Vorstellung des Privathofgeflügels und am Mittwoch wurde dann die für Wiesenhof wenig schmeichelhafte Doku ausgestrahlt. Seitdem hat das Ganze die eine oder andere Welle geschlagen, einiges habe ich verfolgt, aber sicher auch einiges verpasst. Es juckte mich auch immer mal wieder in den Fingern, das Thema wieder aufzugreifen. Bisher war der Mitteilungsdrang dann doch nicht groß genug. Heute stieß ich dann über Twitter auf einen Artikel zum Thema Wiesenhof und allgemein zur Tierhaltung im FAZ-Blog Tierleben. Plötzlich wurde das Verlangen eines weiteren Blogartikels dazu nahezu übermächtig. Here we go.

Ich beobachte das Thema Animal Welfare ja nicht erst seit zwei Wochen. Ohne all meine Artikel jetzt durchzugehen, fällt mir spontan Adam Shriver ein – ein Philosoph, der die Idee ersponnen hatte, dass wir unsere Nutztiere doch genetisch so verändern sollten, dass sie keinen Schmerz mehr spüren könnten. Er hielt das wohl für eine ganz großartige Idee der Bioethik, wirklich untersucht wurde das aber nicht und aus Erfahrung heraus, bestand die Gefahr, dass die Tiere sich ohne Schmerzgefühl tatsächlich verletzen oder besonders unvorsichtig verhalten könnten. Eine um Längen realistischere und vor allem auch leicht umsetzbare Idee kam dann von Wissenschaftlern des Agricultural Research Service in West Lafayette. Sie fanden heraus, dass junge Schweine auf Konfliktsituationen in der Gruppe weitaus entspannter reagierten, wenn sie Futter mit einer mehrfach erhöhten Dosis Tryptophan erhielten. Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure, kann also nur über die Nahrung aufgenommen werden und wird dann im Körper zu Serotonin, was ja auch bei uns für ein gewisses zufriedenes Gefühl sorgt. Über Temple Grandin und ihre revolutionären Ideen bei der Rinderführung und -schlachtung habe ich berichtet und nicht zuletzt einen Milchvieh-Betrieb besucht und mich dort ganz real über die aktuellen Welfare-Maßnahmen für die moderne Milchkuh informiert. Recht aktuell ist Schweinespielzeug, über das ich aber noch nicht gebloggt habe. Und dann war da noch das Geflügel…Wenn ich das mal so rekapituliere, stelle ich recht erfreut fest, dass die tatsächlichen Welfare-Maßnahmen ziemlich praxis-bezogen sind und ohne große Eingriffe in die Tiere (GMO, Tryptophan) auskommen. Wenn es nach mir geht, kann die Tendenz so weitergehen.

Und dann war da noch der Artikel zu Wiesenhof und all dem Drumherum der letzten Tage von FAZ-Bloggerin Christina Hucklenbroich, der praktisch bis kurz vor Ende bei mir nur Fragezeichen hinterlassen hat. Ist es tatsächlich wichtig, einen Abschnitt lang über die Bedeutung des Wortes "Privathof" zu lamentieren? Die Änderungen gegenüber der konventionellen Mast sind klar. Und mal ganz ehrlich: wer Bilder von idyllisch gehaltenen Tieren auf Wurst- und Käsepackungen ernstnimmt, den kann ich nur schwer ernstnehmen. Ich stimme ihr voll und ganz zu, wenn sie die Einführung ominöser Siegel nicht gerade für die perfekte Lösung hält. Dann aber im Gegenzug nach der Politik zu rufen, um grundlegende Probleme in der Tierhaltung zu beheben, das ist schon nahezu lustig. Jener chronisch überforderte Haufen soll also darüber entscheiden, was ein Nutztier so braucht? Argh. Da wird doch jegliche Konstruktivität zwischen Fantasien und Lobbyisten zerrieben. Und noch etwas: der Verbraucher hat durchaus Einfluss auf das, was angeboten wird (Stichwort Weidehähnchen). Allerdings dauert die Empörung nach solchen Reportagen nie so ganz lange an. Das stürmt ein paar Tage und dann steht man sich an der Fleischtheke im Supermarkt wieder die Beine in den Bauch. Ich persönlich würde mir durchaus wünschen, dass das aktuelle Privathof-Projekt funktioniert. Nicht für das Unternehmen Wiesenhof, das ist erstmal nicht so wichtig, sondern schlicht, weil dadurch schon mal Fakten geschaffen würden, dass Animal Welfare nicht nur in Umfragen wichtig ist, sondern auch ganz real und sich auch im Spagat zwischen Tierwohl, Wirtschaftlichkeit, Verbrauchern und Lebensmittelrecht behaupten kann. Auf dieser Entwicklung ließe sich dann aufbauen. Ins Blaue gedacht: vielleicht ließe sich Animal Welfare sogar komplett umsetzen, wie es konsequent überlegt ja auch eigentlich sein sollte. Das wäre wirklich mal spannend. Dann wäre das Fleisch aber auch komplett teurer…Beim Thema Tierwohl oder auch Animal Welfare ist abseits von der Vorreiterin Temple Grandin gerade in der letzten Zeit einiges passiert und – da bin ich mir sicher – es wird auch noch einiges passieren, worüber ich dann selbstverständlich berichten werde.

Bis dahin schaue ich mal, was ich an wissenschaftlichen Belegen fürs Schweinespielzeug auftreiben kann. Das kann dann möglichweise noch ein bisschen dauern. Und die Nashörner brauchen auch mal wieder Beachtung^^


Hier geht es zum Artikel im Blog Tierleben. Wer den einen oder anderen oben erwähnten Artikel lesen möchte, kann gerne fragen oder mal rechts in der Seitenleiste beim Best-of schauen.   

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Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

14 Kommentare

  1. FAZ-Artikel

    Hallo Sören,
    habe mir den FAZ-Artikel von Christina Hucklenbroich durchgelesen. Sie behauptet das “…konventionelle Mast Qual für die Tiere…” bedeutet und führt eine Untersuchung aus dem letzten Jahr an. Habe die Untersuchung überflogen und mir erschließen sich daraus keine Qualen bei der Mast. Woher und von wann die Hämatome und Kratzer stammen ist lt. Untersuchung nicht ganz klar. Das alle Besatzdichten Vor- u. Nachteile haben ist auch klar. Im übrigen wird in D. nur die Handelsklasse A verkauft, das heißt an Brust u. Schenkeln sind Verletzungen nicht zulässig.

  2. Spiel?

    Check nach was das Spielzeug ist. Eine Zeit lang hielt man lose Kettenenden für Spielzeug, die sich die Schweine ‘lustvoll’ durchs Maul zogen. Irgenwann kam jemand dahinter, dass der dadurch ausgelöste Schmerz zur Auschüttung von Opioiden führt, die den Stress der engen Haltung etwas mildern. Spiel ist irgendwie doch was anderes.

  3. Retortenfleisch

    Im aktuellen FOCUS S. 78 ist ein kurzer Artikel über die Bemühungen, Retortenfleisch herzustellen.
    Wenn es klappt, wäre es eine Alternative zu einem Teil der Massentierhaltung

  4. Hallo Pingel,

    es gibt dazu schon einige Meldungen, ich versuche das aber auf ein möglichst wissenschaftliches Fundament zu stellen, wenn ich darüber schreibe. Ketten sind das aber nicht.

  5. Hallo KRichard,

    habe mich schon länger nicht mehr über Retortenfleisch informiert. Besteht dort immer noch das nicht ganz unwesentliche Problem der fehlenden Impulse zum Muskelwachstum?

  6. Retortenfleisch

    Es scheint noch extrem viele ungelöste Fragen zu geben. Deshalb hat man sich zu einem Workshop in Göteborg getroffen um Aktivitäten zu koordinieren und Geldgeber finden zu können.
    Unter aktuellen Bedingungen würde ein Pfund Fleisch bis zu 35000 Euro kosten – aber man macht Fortschritte.
    Hauptproblem ist, dass sich die Stammzellen zu früh neben Muskel- auch in unerwünschte Haut- und Fettzellen umwandeln.

    Mark Post (Uni Eindhoven) will es schaffen bis in einem Jahr genug ´Muskel´-Fleisch für einen Burger herzustellen (ausgehend von 10000 Stammzellen vom Rind).

    Langfristiger Anreiz ist, dass immer mehr Menschen versorgt werden müssen und die geschätzte Umweltbelastung deutlich geringer ist; normales Rindfleisch = 100%, Kunstfleisch: Energieverbrauch ca. 55%, Treibhaus-Emissionen ca. 5-6%, Flächenbedarf ca. 1%, Wasserverbrauch ca. 5 % (diese Zahlenwerte wurden aus einer Graphik in FOCUS 36/2011 entnommen)
    Ich will diese Zahlenwerte nicht diskutieren, da deren Herkunft nicht nachvollziehbar ist. Aber sie sind so attraktiv, dass sich das Nachdenken über Kunstfleisch lohnt.

    Dem Biologen Robert Zweigerdt ist es gelungen größere Mengen von menschlichen Stammzellen zu züchten (Artikel dazu in der Aprilausgabe von ´Nature´); diese Methode sollte sich auch auf die Herstellung von Muskelstammzellen für Fleisch anwenden lassen – steht im FOCUS

  7. Danke KRichard für die kleine Zusammenfassung des Artikels. Ich finde das aus einem ganz anderen Grund spannend: vielleicht ließen sich so durch den möglicherweise geringeren Bedarf an Nutztieren Welfare-Konzepte tatsächlich konsequenter umsetzen als nur für mehr zahlende Kunden. Man wird sehen.

  8. Peta

    Auch die Tierrechtsorganisation PETA findet die Idee spannend, sie hat eine Million Dollar für dasjenige Forscherteam ausgelobt, welches bis 2012 künstliches Hühnerfleisch zur Marktreife entwickelt – steht im FOCUS-Artikel.
    Auch wenn dieses Zeitziel nie erreicht werden kann, so lenkt diese Organisation zumindest die Aufmerksamkait der Öffentlichkeit auf dieses Thema.

  9. Hallo KRichard,

    nun, das mit der Aufmerksamkeit und der Öffentlichkeit ist immer so eine Sache. Letzte Woche lief die Wiesenhof-Reportage und ich glaube nicht, dass diese Woche noch allzu viele darüber nachdenken. Trotz dieser Widrigkeiten sehe ich im Kunstfleisch eine große Chance für eine große Welfare-Offensive.

  10. Mich interessiert schon stark wie sich die Reportage auf den Absatz bei Wiesenhof auswirkt. Spannend finde ich auch welche Autorität das Fernsehen besitzt, konnte man gut in diversen Tageszeitungs-Foren die über die Reportage berichteten oder dem youtube-channel von Wiesenhof lesen. Da halte ich es lieber mit Peter Lustig: “Abschalten!”.

  11. Gerade die Öffentlich-Rechtlichen besitzen da wohl immer noch eine recht hohe Autorität. Allerdings denke ich auch, dass das nur eine kurzzeitige Empörung war. Würden sich tatsächlich so viele Menschen für “Welfare-Fleisch” interessieren, sähe der Markt wohl anders aus. Wir werden es in ein paar Monaten sehen. Entweder hat das Privathof-Geflügel dann seine Abnehmer gefunden oder eben nicht.

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