Spielzeug für die Rüsselscheibe – Tierwohl beim Schwein

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mich mit einem ersten Artikel dem Schweinespielzeug genähert und dabei natürlich auch nicht vergessen zu erwähnen, dass da noch was käme – was nicht der Fall war. Als vor kurzem die Messe Eurotier stattfand, tauchte das Stichwort dann wieder vermehrt auf – Zeit, den versprochenen Artikel jetzt zu schreiben.

In meinem ersten Artikel schrieb ich, dass mich Spielzeug eher an das im Zoo etablierte „behavioral enrichment“ erinnere und weniger an Animal Welfare. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass auch bei Tieren nicht nur dann Stress entsteht, wenn die Wasser- und Futterversorgung nicht optimal ist oder die Stalltechnik streikt – auch Tiere können unter emotionalem Stress leiden. Gerade bei Schweinen wird immer wieder die weitgehend reizlose Umgebung während der Mast kritisiert, die zu Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen oder Aufspringen führen kann, wenn den Tieren keine adäquate Beschäftigung geboten wird.

Ideen zur Beschäftigung der verspielten Tiere, die zudem gerne wühlen, gab es immer wieder. Stroh oder Torf zum Beispiel waren im Gespräch. Allerdings ist Stroh – wir hatten das erst kürzlich bei den Magengeschwüren – nie ganz unproblematisch. Mykotoxine will man nicht im Schwein haben. Auch Kanister kommen oder kamen als Beschäftigungsmaterial zum Einsatz. Das Problem des Ganzen besteht allerdings in einer ökonomischen und hygienischen Umsetzung. Die Tierschutznutztierhaltungsverordnung weist zwar auf die Notwendigkeit von Beschäftigungsmöglichkeiten, klare Vorgaben gibt es aber nicht. Die Forschungen an speziell für Schweine entwickelten Spielzeugen laufen dabei schon seit einigen Jahren.

So liegt mir eine Studie aus dem Jahre 2008 der Uni Gießen vor. Dort wurden 144 Mastschweine über 4 Mastdurchgänge in 4 Buchten verteilt (von denen 2 eingestreut waren und 2 nicht) und beobachtet, wie sich die gemischten Gruppen verhielten. Ihnen zur Verfügung gestellt wurden ein Hebebalken, ein Kettenkreuz und ein Pendelbalken. All diese Geräte hingen in den Ställen, das hatte hygienische Gründe. Ergebnis der Untersuchung war, dass das Kettenkreuz am besten bei den Tieren ankam. Vermutlich – so die Wissenschaftler – liege das einerseits an den Geräuschen der Kette, die die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich zöge, aber auch das Konzept dieses Gerätes. Dieses ermöglicht es mehreren Tieren gleichzeitig zu spielen.

Derweil waren Dr. Uwe Richter und Nicola Jathe an der Universität Kassel auch nicht untätig und haben die letzten beiden Jahre mit der Entwicklung eines Wühlkegels verbracht, der dann an Wände oder auch auf dem Boden angebracht werden kann (inwieweit der Boden dafür eine gute Idee ist, kann ich gerade nicht sagen, ein paar Zweifel melden sich aber schon, siehe Hygiene). An den Kegeln befinden sich Federn, die den Kegeln eine gewisse Unberechenbarkeit in ihrer Bewegung verleihen und so die Schweine beschäftigt halten. 

Die Studien zum Wühlkegel sollen 2013 angeschlossen sein, während dieses Spielzeug schon erhältlich ist. Das freut mich sehr, denn tiergerecht kann eine Haltung nur dann sein, wenn sie auch ein Stück weit das Verhalten der Tiere mit einbezieht – der feine Unterschied zwischen Tierschutz und Tierwohl. In der grundlegenden Studie zu Beschäftigungsmaßnahmen für Schweine wurde auch die Fütterung erwähnt – Automaten mit Brei. Ähem. Die Lösung dieses Problems sollte dann die nächste Herausforderung sein. Ich bin gespannt.


Hier geht es zum Artikel mit weiteren Links zum Thema bei Agrarheite: Schweinespielzeug kreativer einsetzen

 

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

8 Kommentare

  1. @Dyrnberg und WB

    Ja, die Holländer sind durchaus erfinderisch. Gibt da so einiges im Bereich der Tierhaltung, was ich mir gerne auch mal real anschauen würde…Das Projekt ist wirklich geil. Könnte man fast Vegetarier werden 😉

    Das Problem der Breiautomaten sind die daraus resultierenden Magenschwüre – hat mit Tierwohl nix zu tun…

  2. Lustzentrum

    Rein theoretisch, also ganz ohne aufwändige Umwege, wären Reizelektroden im Lustzentrum der Schweine am nützlichsten.

    Irgendwann kommen dort ohnehin alle äusseren positiven Reize an.

  3. @Karl Bednarik: Theorie und Praxis

    Nun, das ist dann aber schon sehr theoretisch, ich erinnere mich da noch an Adam Shriver, der die Tiere gentechnisch unempfindlich gegen Schmerz machen wollte.

    Mich würde mal interessieren, wie das mit den Elektroden praktisch aussähe 😉

  4. @Karl Bednarik

    Das ist sicherlich schon ziemlich beeindruckend, allerdings stelle ich mir eine solche Umsetzung in der Tierhaltung doch etwas schwierig vor. Die Materialkosten, das “Einbauen” usw. – dann dürfte Fleisch wirklich kaum noch zu finanzieren sein, von den möglicherweise auftretenden Management-Problemen fange ich mal nicht an. Da ziehe ich doch lieber den Wühlkegel vor oder auch die Spiele-Variante aus den Niederlanden.

    Spannend ist das aber allemal 😉

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