Schwein – noch ein Tierwohl-Siegel

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Anfang diesen Jahres wurde das Tierwohl-Siegel des Deutschen Tierschutzbundes offiziell gestartet. Produkte, welche dieses Siegel tragen, weisen auf eine besondere Berücksichtigung des Tierwohls während der Mast hin.* Die Tage wurde ich dann auf eine weitere Variante aufmerksam: Aktion Tierwohl von Westfleisch. Grund genug, mir die Sache mal per Fernanalyse anzuschauen.

(Diesen Abschnitt können sehr regelmäßige Leserinnen und Leser gern überspringen)

Welche Tierwohl-Aspekte das Siegel des Deutschen Tierschutzbundes beinhaltet, wisst Ihr – zumindest beim Geflügel. Eine geringere Besatzdichte von 15 Tieren pro qm (zum Vergleich: konventionell sind es 20-22 Tiere), eine langsamer wachsende Rasse und Spielzeug im Stall inklusive Außenbereich (im Sinne eines Wintergartens, die Tiere sind zwar draußen, aber dennoch vor der Außenwelt geschützt) sind da schon eine deutliche Verbesserung. Meine Besuche sind hierund hier nachzulesen. Die Schweine-Variante konnte ich bisher noch nicht derart nah unter die Lupe nehmen.

Verbesserungen beim Tierwohl-Siegel

Jetzt aber zum Westfleisch-Siegel: hier muss ich mich auf die Informationen der eigens dafür eingerichteten Seite verlassen. Dort sind die Vorteile dieser Haltungsform aufgelistet – angenehmerweise auch mit einem Vergleich, in welchen Punkten dieses Siegel die Vorgaben der Tierschutznutztierhaltungs-Verordnung übertrifft. Gehen wir das also mal der Reihe nach durch – nur eben ohne meine praktische Vor-Ort-Einschätzung**:

Stallfläche

In den Betrieben sei eine Mindestfläche von 2,25 qm pro Sau vorgeschrieben. Laut Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung würde jedoch bei mehr als 39 Sauen pro Stall nur eine Fläche von 2,05 qm verlangt. So steht es in der Broschüre. Schwierig zu sagen, wie groß da der Effekt ist. Generell ist mehr Platz natürlich nie falsch – Stichwort Stressvermeidung.

Rohfaseranteil des Futters

Ganz wichtiges Thema. Gerade bei Schweinen steht das recht unstrukturierte Futter verstärkt in der Kritik, welches zwar sehr gut verdaut wird und somit gute Zunahmen ermöglicht, aber leider auch nicht lange im Magen bleibt. Das führt zu Problemen an der Pars proventricularis, einem Bereich im Magen, der nicht von der schützenden Mukus-Schicht bedeckt wird. In diesem Falle wird es trächtigen Sauen gegeben (laut Seite 30% mehr als vorgeschrieben), um eine bessere Sättigung zu erreichen.

Zeitraum des Absetzens

Hier wird es jetzt komplizierter. Im Glossar zu den Vorzügen des Labels steht: 

In den AKTION TIERWOHL-Betrieben erfolgt das Absetzen der Ferkel erst nach 28 Tagen, damit die Ferkel besser immunisiert und gestärkt für die Mast sind. Gemäß der TierSchNutztV kann das Absetzen der Ferkel bereits nach 21 Tagen erfolgen.

Ein Artikel, den ich kürzlich zum Thema Absetzen las, ließ mich stutzen. Dort ist dazu zu lesen: 

In Europa ist der Trend zum Frühabsetzen ebenfalls zu verzeichnen. Das Mindestabsetzalter ist hier in der EURichtlinie 91/630 auf 21 Tage festgeschrieben. In Deutschland ist das Absetzten unter 28 Lebenstagen gesetzlich verboten. 

Huch! Was denn nu? Gewissermaßen sind beide Zitate korrekt. 28 Tage sind geboten, allerdings ist ein früheres Absetzen durchaus erlaubt. So heißt es in § 27 der TierSchNutzV weiter: Saugferkel dürfen erst im Alter von über vier Wochen abgesetzt werden. Abweichend von Satz 1 darf ein Saugferkel früher abgesetzt werden, wenn dies zum Schutz des Muttertieres oder des Saugferkels vor Schmerzen, Leiden oder Schäden erforderlich ist. Abweichend von Satz 1 darf ferner ein Saugferkel im Alter von über drei Wochen abgesetzt werden, wenn sichergestellt ist, dass es unverzüglich in gereinigte und desinfizierte Ställe oder vollständig abgetrennte Stallabteile verbracht wird, in denen keine Sauen gehalten werden.

Ferkel unter 4 Wochen abzusetzen ist also unter bestimmten Bedingungen (zB. große Würfe) völlig legitim, drei Wochen sind aber das absolute Minimum, wenn man gesunde Ferkel haben möchte. Danke an Leser Lederstrumpf und BauerHolti, die mich aus meiner Verwirrung erlöst haben.

Beschäftigung

Ganz wichtiges Thema, um Verhaltensstörungen wie Schwanzbeißen zu vermeiden. Tatsächlich ist in der Verordnung zwar Spielmaterial gefordert, es wird aber nicht weiter ausgeführt, wie das dann auszusehen habe. Letztes Jahr berichtete ich hier über findige Wissenschaftler der Uni Kassel, die einen Wühlkegel entworfen haben. Beim hier behandelten Label kommen verschiedene Varianten zum Einsatz, um möglichst viele Anreize zu bieten.

Neue Betäubung

Hier geht es noch nicht um die Kastration, sondern um die Schlachtung. Um zu vermeiden, dass Tiere vor dem Brühen nicht richtig tot sind, kommt hier ein computer-überwachtes System zum Einsatz. Sollten Fehler registriert werden, kommt es zu einem Stillstand der Abläufe.

Verzicht auf Kastration

Bei dem Thema bin ich noch etwas gespalten, hatte da zuletzt auch einige weniger rühmliche Meldungen zu gelesen (zum Beispiel zur Ebermast). Auf den ersten Blick natürlich ein Plus an Tierwohl, wenn die Eber nicht mehr kastriert werden. Aber wenn der Druck im Kessel steigt und Tiere sich an ihresgleichen abreagieren, hat das mit Tierwohl nichts mehr zu tun. Da hilft dann auch das Selektieren einiger Quälgeister nix mehr.

Fazit

Insgesamt wirken diese Änderungen für mehr Tierwohl auf mich durchaus positiv – zumindest die Richtung stimmt. Bezüglich der Kastration bin ich aus genannten Gründen skeptisch. MIT Kastration durch Betäubung oder Impfung hätte ich spontan besser gefunden. Vielleicht verirrt sich ja jemand hier her, der dazu ein paar Erfahrungen aus der Praxis beisteuern kann. Wirklich interessant finde ich die Anlage zur Betäubung und Schlachtung. Hier können Fehler gar nicht genug minimiert werden. All die Bemühungen um Tierwohl sind für die Katz, wenn es in dieser letzten Instanz Probleme gibt. Bei der Absetz-Problematik würde mich wirklich mal die praktische Umsetzung interessieren, in wieweit sich das auch so umsetzen lässt. Im Glossar liest sich das ja recht nett.

Jetzt wäre in einem weiteren Schritt natürlich noch interessant zu überlegen, welche hier genannten Tierwohl-Aspekte sich für einen Standard eigneten, denn darum kann es letztlich nur gehen, wenn das hier kein Marketing-Gag werden soll.

*Wem da jetzt ein wenig schmeichelhafter ARD-Beitrag einfällt, der sollte bedenken, dass natürlich nicht nur die Voraussetzungen stimmen müssen, sondern auch die Betreuung im Alltag, gemeinhin als Management bezeichnet.

**Ich kommentiere jetzt nicht alles, sondern nur das, was mir positiv oder auch negativ ausfällt. 


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Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

9 Kommentare

  1. Etwas im Zweifel

    Ich misstraue selbst verliehenen Siegeln in der Regel etwas. Freilich, die Massentierhaltung mag der Verbraucher nicht mehr, aber Bio ist zu teuer. Ich habe mir mal die Eigenwerbung von Westfleisch angesehen, da heißt es in den “Informationen für Landwirte”: “Westfleisch hat als Erster praktikable und messbare Vorgaben für einen höheren Tierwohl-Standard entwickelt und umgesetzt. Westfleisch hat als Erster die Nische zwischen „konventionell“ und „bio“ mit einem eigenen Label und einem Sortiment von 16 Artikeln Wurst und Fleisch im Handel etabliert. Unterdessen gibt es mehr als 1.500 Filialen in 12 Vertriebsschienen, die die Produkte führen. Westfleisch hat durch die Initiative eine Menge Erfahrung sammeln können (Visuelle Fleischunter-suchung, Animal Welfare usw.), von der unsere „Aktion Tierwohl“-Erzeugerpartner profitieren.”

    Quelle: http://www.westfleisch.de/…/aktion-tierwohl.html

    Also will man genau in die Lücke zwischen „konventionell“ und „bio“ vorstoßen, da es dem Verbraucher langsam vor den armen Schweinen graust, die in viel zu kleinen Ställen in ihrem eigenen Dreck dahinvegetieren. Ich finde es auch sonderbar, dass der Tierschutzbund ein eigenes Tierwohl-Siegel gestartet hat (wie Du schreibst), dass anscheinend strengere Richtlinien vorsieht:

    http://www.topagrar.com/…wohl-Siegel-975870.html

    Als Verbraucher fragt man sich da schon, ob das Westfleisch-Siegel nicht nur der Werbung dient. Denn seit 1. Januar 2013 muss eine EU-Richtlinie über Mindestanforderungen für die Haltung von Schweinen eingehalten werden, die beispielsweise Gruppenhaltung von tragenden Sauen für alle Zuchtbetriebe vorschreibt. Deutschland hat sich da bisher nicht mit Ruhm bekleckert:

    http://www.tierschutz-bayern.de/…k&Itemid=57

  2. Eigene Siegel

    Hallo Mona,
    Deine Zweifel teile ich ja auch – unter anderem auch, weil ich nicht da war. Die Absetz-Zeit hat mich echt eine Weile gekostet. Da ist eigentlich – zumindest gesetzlich – kein Unterschied. Ich hoffe, das kommt im Artikel auch so rüber Sicherlich muss man auch die Informationen auf der Seite bei Westfleisch mit einem gewissen Abstand betrachten. Dass der Tierschutzbund auch so ein Kabel gegründet hast, finde ich jetzt gar nicht so abwegig, ist ja nicht der Vegetarier Bund 😀
    Ich hoffe, dass das Modell noch weiter verbessert wird und dann auch das eine oder andere als Standard unternommen wird. Sonst – so schrieb ich ja auch – bleibt es bei einem eigenen Marketing-Gag…

  3. Ebermast

    Deine Bedenken zur Ebermast teile ich absolut. Haben es gerade versuchsweise auch getestet (ca. 1000 Tieren).. Bin nun ganz klar der Meinung das dies mit Tierwohl nichts zu tun hat. Wenn man sich das ganze mal objektiv anschaut ist doch die Kastration mit einer Betäubung oder Schmerzmittel gabe wesentlich schonender fürs Tier. Auch die von Westfleisch geforderten Planbefästigten Flächen in der Mast sind mit den nun vorgeschriebene 17mm Spalten nicht Praktikabel ( wobei dies neue Spaltenmaß willkürlich gewählt wurde, für die Tiere bring es kein zusätzliches Tierwohl das Gegenteil ist der Fall)
    Denke es ist ein guter Anfang hoffe aber es wird noch weiterentwickelt. Auch die Festlegung auf 28 Säugetage ist bei großen Würfen nicht gut für die Sau

  4. @BauerHolti

    Grüß Dich in meinem Blog! Freut mich immer sehr, wenn sich hier auch Praktiker zu Wort melden. Auf Animal Health Online verfolge ich das aufmerksam. Dort wird über die Probleme der Mast unkastrierter Eber recht regelmäßig berichtet. Zu den Spaltmaßen: warum ist sind die eher nachteilig

  5. Spalten

    So hier nun meine Erfahrungen mit dem seit 1.1.2013 geltenden Spaltenmaßvon 18 mm. Wir haben diese Spalten nun schon seit über einen Jahr in unseren Mastställen. Vorher war alles gut, wir hatten keine klauenprobleme und auch keine verdreckten Buchten. Auch nicht wenn nur noch ein Paar Tiere in der Bucht waren. Mit dem tauschen der Spalten ging es aber los. Spätestens wenn weniger Tiere in r Bucht sind tritt sich der Kot nicht mehr durch. Die Bucht und auch die Tiere verschmutzen. Der Boden wird rutschig was Beinschäden zu folge hat. Es ist ganz klar zu sehen das diese Verordnung dem Tierwohl nicht dient sonder nur dem Bauchgefühl einiger Politiker. Es ist sogar ganz das Gegenteil der Fall. Da hat man eine ganze Masse Geld für vermeintlichen Tirschutz/wohl ausgegeben und muss nun feststellen das es nichts bring sonder nur mit zusätzlicher Arbeit der Komfort von den 20mm Spalten zu halten ist.
    Also nicht immer bringen vermeintliche Tirschutzverortnungen auch wirklich was fürs Tier.

  6. @BauerHolti: Spalten

    Danke Dir für den kleinen Einblick. Dachte auch zuerst, das sei besser. Manchmal hilft dann nur die praktische Überprüfung.

  7. Hallo Klaus,

    vielen Dank für Deine beiden Kommentare. Insbesondere die Jungeber-Mast werde ich mir mal genauer anschauen…

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