Rinder: Stress, Entstehung und Vermeidung

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Nachdem ich mich in meinem ersten Artikel zu Temple Grandin mehr mit ihrer Persönlichkeit beschäftigt habe, folgt jetzt der versprochene Artikel über ihre Beobachtungen und die von ihr angeregten Verbesserungen im Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren – sei es nun im landwirtschaftlichen Betrieb oder im Schlachthof. Schaut man sich die Vorträge Temple Gradins an und liest sich ein wenig auf ihrer Seite ein, stellt man fest, dass dort ein Faktor immer wieder auftaucht: Stress. Ihre Ideen und letztlich auch umgesetzten Ideen basieren im Grunde alle auf einer bestimmten Frage: wie ist es möglich, den Tieren möglichst viel Stress zu ersparen. Und natürlich auch, warum es überhaupt wichtig ist, diese Stressfaktoren minimal zu halten.

Im August besuchte ich einen Milchvieh-Betrieb und hatte hier auch über diese ganz praktische Umsetzung moderner Haltungstechnologien berichtet, allerdings die Rolle und Bedeutung des Stressfaktors ziemlich außen vorgelassen. Das möchte ich hier nachholen. Kühe müssen nicht morgens zur Arbeit fahren oder zur Uni bzw. Schule gehen. Auch Schwiegereltern, die eventuell das ohnehin strapazierte Nervenkostüm auf die Probe stellen, fallen aus. Warum sollten sie also Stress haben? Nun, Stress definiert sich nicht nur nach dem Terminkalender. Bekommt eine Kuh zum Beispiel nicht ausreichend Futter oder Wasser, bedeutet das Stress für den Körper. Andere stress-auslösende Faktoren sind Zugluft oder zu kalte bzw. zu warme Temperaturen. Während meines Stall-Besuchs waren alle Kühe im Stall, weil es draußen einfach zu warm war. Sie konnten diesem Stress-Faktor der Hitze also aus dem Weg gehen. Nicht zu unterschätzen ist auch der allgemeine Wohlfühl-Faktor. Ganz praktisch bedeutet das, dass die Tiere Liegeplätze mit Gummimatten haben oder auch Massagebürsten. Wie hieß das noch so schön? Ach ja, glückliche Kühe geben mehr Milch. Warum es so wichtig ist, diese Stress-Faktoren möglichst gering zu halten, erklärt Temple Grandin sehr schön in einem ihrer Vorträge:

 

Es ist eigentlich ganz simpel: unter Stress stehende Tiere, die sich nicht wohl fühlen, geben nicht die Milchmenge, zu der sie aufgrund ihrer genetischen Vorraussetzungen in der Lage wären, während Masttiere sich nicht so entwickeln, wie sie es eigentlich sollten bzw. könnten. Etwas abstrakt heißt das dann, dass Stress die Produktivität verschlechtert. Außerdem leidet auch das Immumsystem und dadurch begünstigte Krankheiten bedeuten ebenfalls einen nicht zu kleinen Stress-Faktor.

Kommen wir nun mal zu den kleinen Details, denen vor Temple Grandin niemand ernsthaft Beachtung geschenkt hat. Im oben eingebundenen Vortrag nennt sie als erstes starke Kontraste, die zum einen durch helle Markierungen auf dunklem Untergrund erzeugt werden können, aber auch durch Sonnenlicht, das vereinzelte Stellen deutlich heller beleuchtet als andere. Das, was dort oben auf den Bildern gezeigt wird, sind sogenannte "Chutes", also Bahnen, die es ermöglichen, Tiere geordnet zu führen. Aber mit eben jener einfachen Führung kann es schnell vorbei sein – gerade bei Rindern, die dann einfach stoppen und ein großes Chaos verursachen. Neben starken Kontrasten können auch simple Dinge wie ein Hut oder Ketten dafür sorgen, dass nichts mehr geht. Wichtig ist hier also, dass die Bahn dicht ist und kein Sonnenlicht durch Spalten fallen kann. Das Blickfeld der Tiere darf keine störenden Elemente enthalten. Sollten es die Tiere problemlos durch die Bahn geschafft haben, aber dann am Ende blocken – also einfach nicht mehr weitergehen – könnte das an einem zu dunklen Eingang liegen. Sehen die Tiere einfach schwarz, ist es vorbei. Nun ist es etwas schwierig, jedes Mal den guten Petrus zu bitten, er möge doch mal für einen wolken-verhangenen Himmel sorgen, damit die Tiere gleichmäßige Lichtverhältnisse vorfinden. Hier kann Milchglas Abhilfe schaffen und für eine konstante Helligkeit sorgen. Neben unsteten Lichtverhältnissen können auch Geräusche wie klappernde Ketten oder laufende Ventilatoren die Tiere irritieren. Das ist sehr interessant, denn auch Temple Grandin selbst kann diese Geräusche nicht ertragen. Ebenso sollten sich Personen nicht zu nah an die Bahnen stellen, auch das könnte eine Störung verursachen.

Kommen wir zu den Details, die die Schlachthöfe fast schon revolutionierten, weil "normalen" Menschen nie jene Details aufgefallen wären, über die sich Temple Grandin ernstafte Gedanken gemacht hat. Auch hier steht wieder der Stress im Vordergrund, der möglichst gering gehalten werden sollte. Hier kommt aber erstmal der Vortrag:

Ein großes Thema bei der Schlachtung ist das Betäuben der Tiere. Bei Tieren mit einer sehr kräftigen Schädeldecke wie Rindern wird dafür ein Bolzenschuss-Gerät verwendet, dessen Schuss das Gehirn zerstört. Damit dieser Vorgang ohne Probleme durchgeführt werden kann, sollte der Boden, auf dem Tiere stehen, rutschfest sein. Die Tiere dürfen zu keinem Zeitpunkt das Gefühl haben, dass sie vielleicht fallen könnten. Außerdem ist es sehr wichtig, dass die Tiere keinen großen Bewegungsspielraum haben. Möglichkeiten zu wenden führen nur zu noch mehr Stress und machen einen gezielten Schuss um einiges schwieriger. Was zum Punkt der Geschwindigkeit führt. Alles sollte sehr schnell gehen. Das Tier kommt, der Schuss wird gesetzt und fertig. Just do it. Da das Betäuben der Tiere eine Art "Massenabfertigung" ist, gibt es eine Sichtblende, sodass die hinteren Kühe nicht sehen können, was vor ihnen passiert. Außerdem ist ein sanfter Druck entscheidend für eine möglichst stress-freie Behandlung der Tiere. Niemals versuchen, ein Tier schnell und hektisch in eine bestimmte Richtung zu bugsieren. Das wird nicht funktionieren. Bei der Fixierung durch Druck wird hier zwischen einer Körperfixierung und einer Kopf-Fixierung unterschieden. Sollte die Anlage eine Kopf-Fixierung ermöglichen, sollten die Tiere einmal so fixiert direkt betäubt werden. Bei der Körperfixierung ist es wichtig, nur so viel Druck auszuüben, dass die Tiere sich sicher fühlen, keineswegs aber mehr Druck ausüben, wenn Tiere doch unruhig werden. Funktioniert alles nach Vorschrift, hört man praktisch keine Geräusche seitens der Rinder und es werden auch alle auf Anhieb betäubt.

Wer möchte, dass ich hier noch weitere Aspekte zum Thema vorstelle, darf das gerne in die Kommentare schreiben.


Mein Bericht des Stall-Besuches, die Homepage Temple Grandins und mein Beitrag über sie.

 

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

25 Kommentare

  1. wie ist es hier?

    Ich freue mich über die Beiträge um und über Temple Grandin. Wie es heißt werden in den USA bereits 2/3 der Schlachthöfe nach dem von ihr entworfenen System betrieben. Aber wie steht es in Deutschland um die Schlachthöfe? Wie werden die Tiere hier auf den Weg gebracht? Ich sehe die halbwilden Texas-Rinder und frage mich inwiefern sich Frau Grandins System auf unsere “zahmen” Kühe und Rinder übertragen lässt. Deutschland betreffend befürchte ich das der Transport das furchbarste Stück der Strecke ist – nicht das Bolzenschußgerät. Es ist schwierig vernünftige Informationen zu bekommen.

    Und ja, ich würde gerne mehr darüber lesen 🙂

  2. Hiesige Schlachthöfe

    Hi Alex, Danke für Deinen Kommentar. So etwas motiviert immer sehr. Ehrlich gesagt bin ich gerade sehr überrascht, dass ich mir diese Frage noch nicht selbst gestellt habe.
    Ich werde aber auf jeden Fall mal nachschauen, was ich dazu finde. Vielleicht kann ja auch ein Leser helfen…Super Tipp!
    Was die Sache mit dem Bolzenschuss-Gerät angeht, würde ich das nicht so aufwiegen mit den Transporten. Natürlich sind diese schlimm, aber wenn der Fabik-Arbeiter das Gerät falsch ansetzt und nicht richtig trifft, erlebt das Tier alles, was danach kommt. Und das dürfte mindestens genauso übel sein.
    Deshalb sagt sie ja auch, dass die Tiere sicher stehen müssen und keinen Bewegungsspielraum habe dürfen. So ist das gezielte Ansetzen und letztlich ein ordentlicher Schuss nur möglich.

  3. Metzger

    Guten Tag Sören, gerne! Es ist ein schöner Blog und Temple Grandin interessiert mich, seit ich vor zig Jahren in einem Buch von Oliver Sacks, “Eine Anthropologin auf dem Mars” über sie sie gelesen habe. Ich habe immer gehofft das sich ihre Ansichten durchsetzen würden – und sie hat es geschafft!

    Ich habe versucht zu recherschieren. Es fällt mir nicht leicht solche Bilder anzusehen und gezeigt wird immer nur den Teil wo die Tiere sterben, nicht die Zeit davor. Aber ich habe in der Schlachtverordnung gelesen, http://bundesrecht.juris.de/tierschlv/index.html

    Scheint alles bestens geregelt zu sein…

    Die Realität ist sicher anders. Vielleicht könnten wir einen Metzger befragen? Einen Menschen mit Zugang zu Schlachthöfen, einen Tierarzt vielleicht?

    Den Bolzensschuß betreffend mache ich mir gerade so meine Gedanken. Ich liebe Tiere, ich will nicht das sie leiden oder in Angst sterben. Ich habe Verwandtschaft in der Rhön, ich weiß also wie schnell so ein Ding tötet. Wahrscheinlich bin ich deshalb naiv davon ausgegangen das der Schlacher im Interesse des Tieres und seiner eigenen Sicherheit(!) den Bolzen treffsicher setzen wird.

    Aber wahrscheinlich liegt genau hier das Problem, Menschen die Tiere lieben, werden keine Metzger oder konstruieren Schlachthöfe – mit Ausnahme von Temple Grandin, die den dafür nötigen Pragmatismus aufbringen kann. Es sind die Kleinigkeiten, die vielleicht nur sie bemerkt die entscheidend sein könnten.

  4. Realitätscheck

    Hi Alex,

    soso, mehrere Jahre kennst Du sie also schon…ich erst seit ein paar Wochen. Ach, und so ein Lob hört man doch immer wieder gerne – gerade von Lesern!
    Danke auch für den Link. Mal schauen, wie ich das mit dem Realitätscheck hinbekomme. Im Stall war ich ja schon.
    Ich glaube, dass so ein Arbeiter im Schlachthof tatsächlich so gut und genau arbeitet wie er kann. Dort kommt aber nicht mal ein Tier an, sondern immer ganz viele. Von daher dürfte eine Reduktion des Fleischkonsums durchaus dahingehend eine höhere Sicherheit bieten, dass die Tiere vorschriftsmäßig getroffen werden.
    Jetzt vor kurzem ist mir erst ein Buch über Massentierhaltung in die Hände gefallen, was ich mal genauer lesen werde.
    Bis dahin freue ich mich immer über Anregungen Gedanken!
    Viele Grüße

  5. Rinder und Stress

    Sehr geehrter Herr Sören,

    schauen Sie doch mal unter http://www.stockmanship.de nach. Sehr faszinierend, wie dort stressfrei mit Herdentieren gearbeitet wird und das noch gelehrt wird.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Antonia Gruhn

  6. Chapeau!

    Hallo Soeren,
    Top Artikel über die Arbeit von Temple Grandin. Was mir an ihrer Arbeit so gut gefällt, ist, dass sie nicht versucht die Menschen zu ändern. Vielmehr versucht sie Methoden zu entwickeln um die Haltungs- bzw. Schlacht-Systeme möglichst “Tierfreundlich” unter den derzeitigen Rahmenbedingungen zu gestalten. Denn, als kleine Anmerkung zu Deinem kürzlich durchgeführten Blog-Karenval- bedrohte Haustierrassen, sofern man diese Erhalten will, klappt dies am besten durch Verzehr dieser Tiere. Denn wenn man diese gut Vermarkten kann, dann sind auch viele Landwirte bereit diese wieder zu halten.
    Kleine Ergänzung zu Alex
    Nach meinem Wissen werden die Tiere in den USA min. genauso weit transportiert wie in Deutschland. Zudem sollte man wissen, dass für die Transporte auch die Politik bzw. der Verbraucher schuld ist. Denn durch die immer strengeren Hygiene-Vorschriften lohnen sich häufig Schlachthöfe erst ab einer bestimmten Größe. Zudem bekomme ich immer etwas Bauchschmerzen wenn man schreibt wer Tiere liebt kann sie nicht töten. Ganz egal ob man Tiere liebt oder nicht. Es geht hier nur um den Respekt vor Tieren und dem Tod. Dazu muss man diese nicht lieben. Außerdem kann man zu einem 1000 kg schweren Bullen nicht so schnell ein “Liebesverhältnis” aufbauen, wenn man ihn nur im Schlachthof gesehen hat. Und ich weis von was ich rede. Denn ich stamme aus der Landw. und habe früher in einem Schlachthof und in einem Tierversuchslabor gejobbt um mein Studium zu finanzieren. Und in der Regel behandeln die Mehrheit der Menschen die dort arbeiten die Tiere (in der Arbeit und ihre eigenen) respektvoller als so manche Mops-Besitzer. (Dumme „Tierquäler“ gibt es dort auch, doch Idioten gibt es leider immer, doch durch strenge Regeln kann dies minimiert werden)
    Auch sollte man vielleicht erwähnen, das auch in der Landw. Vor allem in größeren Betrieben die Tiere besser gehalten werden als in den “romatischen” kleinen Familienbetrieben mit z.B. 20 Kühen. Wäre vielleicht für Dich Sören auch ein interessantes Thema wie die Tierhaltung sich in den Letzen 100 Jahren geändert hatte. Wenn ich nur bei mir zuhause die Stallungen vor 25 Jahren und heute anschaue, dann ist das ein Unterschied für die Tiere wie ein Umzug von einer stickigen engen Kellerwohnung in ein luftiges, wohltemperiertes Loft mit Wellness-Angebot.

  7. Ökonomie vor Ethik

    Lieber Maulwurf,
    vielen Dank für Dein Lob. Freut mich, dass der Artikel gut ankommt.
    Eigentlich ist Dein kompletter Kommentar eine prima Ergänzung zu meinem Artikel.

    Zu dieser Fleisch-Problematik hatte ich schon mal eine sehr spannende und bereichernde Diskussion mit Edgar Dahl unter meinem Klonfleisch-Artikel geführt (ist der zweite der meistgelesenen Artikel in meinem Blog^^). Letztlich kamen wir zu dem Ergebnis, dass es immer Menschen geben wird, die Fleisch essen wollen und auch solche, die es erst jetzt oder in naher Zukunft durch wachsenden Wohlstand können. Und genau dafür brauch es die Ideen Grandins, damit bestimmte Fehler nicht wiederholt werden.
    Wichtig wäre vielleicht noch bei den Großbetrieben zu erwähnen, dass eine gute Haltung eben auch einen ökonomischen Faktor hat, den man am Milchtank oder auf der Waage messen kann.
    Und das Thema Landwirtschaft in der Geschichte schreib ich mir mal auf…

  8. die Fragen an den Praktiker 😉

    Hallo Herr Maulwurf 😉

    meine weitgehende Zustimmung zu Ihrem Kommentar, ich hoffe das Sie mich nicht Mißverstanden haben, es lag nicht in meiner Absicht den Berufsstand der Landwirte, Metzger und Schlachter zu verteufeln. So, und nun hätte ich viele Fragen :o)

    Sie haben im Schlachthof gearbeitet und Respekt vor den Tieren und dem Tod. Sie kennen die Verhältnisse also. Sind sie zufrieden mit den Verhältnissen dort? Gäbe es Punkte die Sie gerne verbessern würden wenn sie könnten? Wie verbringen die Tiere ihre, ich weiß nicht… letzten Stunden, Minuten, haben sie Angst oder sind sie ruhig und ahnungslos? Und könnten sie sich vorstellen das Temple Grandin, mit ihren Ideen und Vorschlägen die letzten Minuten auch für die Tiere in Deutschland leichter machen könnte, oder sehen sie keinen Handlungsbedarf?

    Danke im Voraus
    Alex

    @Sören, ist es okay das ich einfach so quer dazwischen frage?

  9. “Alex an Maulwurf – bitte kommen”

    Hi Alex,

    natürlich darfst Du das. Dafür ist die Möglichkeit zu kommentieren schließlich da^^
    Hoffentlich schaut er auch nochmal vorbei…

  10. Entschuldigung, wurde etwas länger

    Hallo Alex, Sören
    schwierige Frage was ich verbessern würde. Zuerst muss man sich vielleicht klar machen, dass der Schlachthof mehrere Abteilungen hat und man muss auch unterscheiden zw. Geflügelschlachthof und Großviehschlachthof (idR Schaf, Schwein, Rind). Ich zum Bsp. habe Nächteweise Därme aus dem Schlachtkörper entfernt, was eine harte körperliche Arbeit war. Zu beachten ist zudem, dass man pro Tier bezahlt wird, also einen Akkordlohn bekommt, weshalb dort auch ein sehr rauer Umgangston herrscht. Denn wenn ein “Depp” in einer Kette zu langsam ist, bekommen alle anderen weniger Lohn. Hier muss man auch, um nicht verrückt zu werden, die Tierkörper als “Werkstück” ansehen. Wichtig ist vielleicht hier anzumerken, dass die eindeutige Mehrheit trotz des notwendigen Automatismus, Tiere in der nicht Arbeitszeit mit Respekt behandelt, trotz teilweise derber Sprüche (doch diese sind mit lieber als eine Tussi mit einem Diamanten besetzen Hündchen).
    Der kritische Bereich auf einem Schlachthof, und hier hat Temple Grandin m.E. exzellente Arbeit geleistet ist der Tötungsvorgang und der Weg dorthin. Wie Sören schrieb, ist es absolut wichtig das Tiere ordentlich betäubt werden. Bei Rinder noch “klassisch” mit einem Bolzenschussgerät und Schweine werden heute in der Regel mittels Strom betäubt. Ab diesem Zeitpunkt ist es dann wichtig, dass die Tiere schnell durch ausbluten sterben dürfen. Diese zwei Bereiche sind in der Regel schon optimiert. (kleiner Einschub, interessanterweise können viele Metzger nicht ihr eigenes Blut sehen, da nach jahrelanger Arbeit die Konditionierung Blut = ausbluten = Tod erfolgte) Klar hört es sich grausam an, wenn man auf gewiesen Videos von speziellen Tierrechtsorganisationen sieht/hört das in einer Nacht 5 Schweine ohne wirkende Betäubung die Hauptschlagader durchgetrennt wurde. Diese Zahl muss gegen Null tendieren, doch selbst auf dem kleineren Schlachthof in dem ich arbeitete wurden 1000 Schweine pro Nacht geschlachtet. An dieser Stelle kann man m.E. nicht mehr viel optimieren. Die 100%ige sichere Betäubung ist zwar wünschenswert, doch idR nicht durchführbar. Aber an einer Annäherung an diese Marke wird mW immer noch gearbeitet.
    Was ich verbessern würde (und sich auch in den letzten 20 Jahren massiv verbesserte, sofern ich es überblicke) ist der Weg zur Tötung und der Wartebereich vorher (auch hier hat Temple Grandin, wie Sören schon schrieb, m.E. hervorragende Arbeit durch z.B. optimierte Treibgänge geleistet.)
    Doch hier steckt man jedoch in einem Dilemma. Nach meinem dafürhalten wäre es am besten, falls es einen reinen Rinder oder Schweine etc. Schlachthof geben würde. Dadruch könnte man diesen auf die einzelne Tierarten optimal abstimmen und dadurch würde eine weitere Optimierung möglich sein. Dies ist auch im Sinne der Metzger, denn dadurch erhält man eine bessere Fleischqualität. Damit sich diese Verbesserungen nach heutigem Stand der Technik/Wissenschaft jedoch wirtschaftlich lohnen, muss eine hohe Stückzahl an Tieren geschlachtet werden. Dadurch sind dann entweder hohe Tierzahlen in einer Region (also nichts mit “romatischem” Zoobauernhof*) erforderlich oder längere Tiertransporte.
    Deshalb finde ich es schwer diese Frage zu beantworten. Doch und das sollte mal festgehalten werden. „Früher“ vor 30-40 Jahren waren die Bedingungen (weis ich allerdings nur aus Erzählungen) um ein vielfaches schlimmer. Man muss immer versuchen etwas zu verbessern, doch ab und zu wäre es auch angebracht die hohen Standards der Tierhaltung und er Schlachtung zu erwähnen. Noch viel früher so vor ca. 100 Jahren war es noch viel schlimmer (aus alten Berichten). Übrigens die Öko-Mär von Sonntagsbraten ist eine nette Geschichte die recherchefaule Journalisten immer wieder schreiben (kürzlich wieder bei der Themenwoche Essen, welches ein erneuter Tiefpunkt des deutschen öffentlich rechtlichen Fernsehen darstellte) Denn die deutschen Essen heute so viel Fleisch wie zu allen Zeiten (ausser zu Kriegszeiten, doch da wurde ja auch mehr gestorben). Auch werden heute viel weniger Tiere gehalten (somit viel weniger Schadstoffemission durch z.B. Rinder) als zum Beispielt 1913. In diesem Jahr wurden 67 Mio. Einwohner, 4.6 Mio. Pferde, 21 Mio. Rinder, 25.7 Mio. Schweine, 5.5 Mio. Schafe, 3.5 Mio. Ziegen gezählt. Im Jahre 2007 wurden in Deutschland ca. 81 Mio. Einwohner, 0.5 Mio. Pferde, 12.7 Mio. Rinder, 27.1 Mio. Schweine, 2.5 Mio. 5 Schafe, wenig Ziegen und 128 Mio. Stück landwirtschaftliches Federvieh gezählt. Das Federvieh, oder wie damals bezeichnet „Kleinvieh“ wurde 1913 vernachlässigt, weil es so viele (auch in Berlin im Hinterhof) hatten. Trotzdem musste das „Reich“ in diesem Jahr noch Fleisch importieren und heute exportiert Deutschland Fleisch. Die Pferdchen wurden auch nicht zum Freizeitvergnügen gehalten sondern es waren damals die Traktoren, Autos etc. Deshalb wurden damals auch schon mind. 15-20 Mio. ha Land nicht für die Nahrungsmittelproduktion sondern nur für die Energiegewinnung verwendet (Heute reicht auch 1ha pro Pferd aus, doch erstens mussten die Pferdchen damals arbeiten, also brauchten Kraftfutter und keinen Therapeuten und zweitens waren die Erträge damals um ein vielfaches geringer) Auch sollte man als Tierliebhaber immer sich vor Augen halten das von den tatsächlich 60 kg konsumiertem Fleisch (83 kg stimmt nicht, denn das ist das Tierchen am Hacken – also mit Knochen) einige Kilos (bin mir jetzt nicht mehr sicher, aber es sind zw. 5-10kg) an die Fifis und Mitzen verfüttert werden. (Bayer schätzt übrigens das der Ertrag von min 5% der weltweiten Flächen durch die Mägen von westlichen (Europa und USA) Haustieren gehen 2030 werden 10-15% erwartet, dann aber alle Haustierchen – Nutztiere sind aber nicht gemeint). Ich merke gerade das ich vom Thema abgekommen ich will ja auch keinen Aufsatz schreiben. Ich hoffe ich konnte Dir/Euch die Frage beantworten.
    (*Zoobauerhof ist für mich ein Hof auf dem allen Tierchen, also Hühner, Schweine, Rinder etc. gehalten werden. Doch diese Öko-Träume sind etwas absurd. Denn wenn man hier eine optimale Versorgung / Betreuung der Tiere gewährleisten will, dann muss man auch fordern das z.B. Jogi Löw nicht nur das Fußball Nat.-Team trainiert, sondern auch bekocht, das Essen auch einkauft, den Fußballrasen pflegt und noch die Kunstturner und Springreiter Nat.-Teams trainiert, bekocht usw.)

  11. Danke Maulwurf!

    Also wenn die Kommentare länger werden als der eigentliche Artikel, finde ich das immer ein wenig faszinierend^^
    Auf jeden Fall hier mal ein ganz großes DANKESCHÖN an Dich Maulwurf!
    Ich werde mir den Artikel in einer ruhigen Minute mal gamz genau anschauen, habe zu dem Landverbrauch auch noch eine Publikation auf der Festplatte. Und über Deine so geannten “Zoo-Bauernhöfe” wollte ich eigentlich auch mal was schreiben. Die gibt es tatsächlich, dort werden alte Haustierrassen gezüchtet, um diese für die Zukunft zu erhalten bzw. deren Genom…

  12. und er kam und er beantwortete alles…

    Hallo Maulwurf,

    Wahnsinn! Eine so toll ausführliche Antwort + Einblick in die Abläufe hatte ich mir gewünscht, aber nicht erwartet. Ich habe viel gelernt und neue Ansichten gewonnen und darüber freue ich mich. Also auch von mir ein dickes Danke!

    @ Sören, hat mir großen Spaß gemacht, danke das Du die Möglichkeit geboten hast!

  13. Leser helfen Lesern

    N´Abend Alex,

    war auch mir eine große Freude diese Diskussion. Ich werde auf jeden Fall am Thema dranbleiben. Ich hoffe, dass Du auch weiter hier vorbeischaust. Du siehst ja, wenn ich nicht mehr direkt helfen kann, dann können es meine Leser^^

    Viele Grüße!

  14. kleiner Nachtrag

    Hallo Alex und Sören,
    vielen Dank erstmal für euer Lob. Wenn man auf seine Freundin warten muss, dann kann schon mal ein längerer Text dabei rauskommen 😉
    Einen kleinen Nachtrag habe ich noch, da ich bzgl. der Betäubung von Schweinen nicht mehr sicher war. (Rinder, müssen per Bolzenschuss in die Stirnplatte betäubt werden) Schweine werden in Deutschland entweder in der CO2-Grube/Gondel oder elektrisch betäubt. Beide Systeme haben ihre Vor und Nachteile. Die elektrische Betäubung ist zuverlässiger aber hiezu müssen Schweine einzeln einen Tunnel entlanglaufen (was sie nicht wirklich gerne machen). Bei der CO2-Betäubung können die Tiere stressfreier in Gruppen laufen, doch hier ist die Betäubung nicht immer so zuverlässig. Zusätzlich muss nach meinem Wissen jeder Schlachthof einen Tierschutzbeauftragten nachweisen können. Auch der Amtstierarzt überwacht die Betäubung und Tötung. Somit wird versucht einen relativ hohen Standard zu bekommen und wie schon geschrieben, dank Menschen wie Temple Grandin wird auch in Zukunft noch einiges verbessert werden. Bevor ich wieder abschweife und ein längerer Kommentare als der eigentliche Artikel entsteht höre ich jetzt lieber auf 😉
    mfg

  15. Stimmt soweit!

    Guckguck Maulwurf,

    soweit ich die anderen Teile auf der Homepage Grandins überflogen habe, hast Du mit Deiner Vermutung bzgl. der Vorbereitungen vor der Schlachtung recht. Da dürften also – Achtung Alex^^ – tatsächlich die von Grandin vorgeschlagenen Methoden greifen.

    Aber das würd ich gerne noch mal genauer recherchieren, bevor das hier ein großes Rätselraten wird.

    Ich hoffe, dass auch Du, Maulwurf, hier weiterhin liest. Und gegen ausufernde Kommentare hab ich nichts, finde ich aber als jemand, der immer recht kurz und knapp schreibt, ziemlich spannend^^

    Viele Grüße!

  16. heute ist nicht alle Tage – ich komm’ wieder keine Frage 😉

    Es ist spannend hier und ich könnte grad noch weitere 20 Fragen anschließen, aber die verkneife ich mir einstweilen. Will heißen ich bin nach wie vor interessiert am Thema und würde mich über weitere Infos freuen.

    Bis bald dann…

  17. hab noch was

    In der Regel heist es ja, dass für ein Kilo Rindfleisch etwa zehn Kilo Getreide ans Rind verfüttert werden. Diese Moralkeule wird gerne zitiert wenn mal wieder über den angeblich zu hohen Fleischkonsum in Deutschland fantasiert. Es darf in der Regel auch nicht der Zusatz fehlen, falls dieses Getreide direkt gegessen (als Brot, Maisbrei) würde, könnten davon dutzende Menschen in armen Ländern satt werden (ganz abgesehen davon das wir ja dann wieder mehr Kunstdünger brächten da ja der Dung entfällt). Doch wieviel Getreide, sprich die Körner, fressen jetzt die Kühe/Rinder. Denn ein Vorteil dieser Tierchen ist ja, das sie Wiederkäuer sind und somit Gras als ganzes fressen und verdauen können, wir Menschen nicht. Ein Rind kann daher den Ertrag einer schönen Wiese nutzen und wird zur Mast zusätzlich mit Getreide gefüttert, damit es schneller wächst. Ein Fleischrind wird ca. 550kg schwer, nimmt bei Weidemast ca. 1 kg am Tag zu (im Stall schafft es sogar mehr) und braucht fürs erreichen dieses Gewicht ca. 500 Tage (Ein Kalb wiegt ja auch schon ein paar Kilo). In der Regel werden pro Tag ca. 2 kg Getreide zugefüttert. Da aber Lebendgewicht nicht gleich Schlachtgweicht ist, fallen nochmals 44% weg und damit hat man dann ca. 300kg Fleisch. Das bedeutet das pro kg Fleisch nur ca. 3.3 kg Getreide verfüttert wurden und keine 10kg.

  18. Wachstum

    Hallo Maulwurf,

    mit diesem Kommentar habe ich zum ersten Mal ein kleines Problem. Wie Du schon richtig schreibst, ist nicht alles an einem Tier verwertbar, aber es lässt sich nun mal nicht vermeiden, dass auch Knochen mitwachsen und schwerer werden.
    Zudem ist es wichtig zu wissen, dass zum Beispiel Kühe mit den heutigen Leistungsvorgaben eben nicht nur von Gras leben können, sondern mit Kraftfutter unterstützt werden müssen. Masttiere damit sie schneller zunehmen und Milchkühe, da eine jährliche Schwangerschaft plus Laktation sonst körperlich kaum zu schaffen wäre. Natürlich muss die Menge des Kraftfutters penibelst abgemessen werden, sonst droht eine Magenübersäuerung, aber ohne geht es eben nicht.

  19. Temple Grandin

    Hallo Sören,

    der gute Mann, von dem Du schreibst ist in diesem Falle Philipp Wenz, der als einziger hier in Deutschland (und angrenzenden Ländern) die stockmanship Methode lehrt. Und der natürlich bei Bud Williams das direkt gelernt hat. Und dann bin ich noch mit dem guten Mann verheiratet…
    Herzliche Grüße aus dem kalten Norden von Antonia

  20. Toll!

    Liebe Antonia,

    das ist ja toll! Wirklich! Schließlich bin ich immer auf der Suche nach interessanten Geschichten und eben solchen Menschen! Habe das Thema auch keineswegs aus dem Auge verloren, nur die Zeit ist gerade etwas knapp…

    Viele Grüße
    Sören

  21. Nachtrag

    Hallo Soeren,
    habe gerade erst Deine Antwort gelesen.
    Klar stimme ich Dir zu das Tiere ordentlich gefüttert werden müssen. Alles andere wäre verantwortungslos.
    Dies Beispiel sollte auch nur zeigen dass die Aussagen bzgl. Getreideverbrauchs so nicht stimmen.
    Klar wäre ist es falsch Hochleistungskühe nicht ordentlich zu füttern. Interessant ist zudem, dass sehr viel Kraftfutter für die Milchproduktion verwendet wird und nicht für die Rindermast.
    Generell wird nicht einfach so darauf losgefüttert, sondern die Tiere bekommen richtig auf die Nährstoffzusammensetzung untersuchte Futtermittel. Gute Betriebe lassen jedes Futter auf die Nährstoffzusammensetzung und den Mineralstoffanteil untersuchen und geben sich nicht so wie die Ernährungsberater bei Menschen mit irgendwelchen obskuren Kalorien-Tabellen zufrieden. Doch dies ist wieder ein anderes Thema.

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