Quellenarme Blogs und ein Beispiel
BLOG: Vom Hai gebissen

“You have to dig deep to find the relevant stuff.” Diese Worte Grandins in einem Interview auf YouTube ließen mich aufhorchen. Ich erinnerte mich an meine Recherche als ich herausfinden wollte, ob – so wie von ihr in ihrem Buch postuliert – das Animal Handling vor 100 Jahren und früher wirklich besser war. Ich googelte Wortfetzen, fand mich in der Geschichte der Cattle Drives wieder, entdeckte kitschige Cowboy-Liebes-Romane oder klickte mich durch Seiten, die irgendwann mal begonnen und dann vergessen wurden.
Doch die mühselige Suche auf dem Weg zum entscheidenden Hinweis hat sich gelohnt. Andy Adams, ehemals selbst Cattle Drover gewesen, hat darüber auch ein Buch geschrieben. Gut, es ist ein Roman, aber noch näher dran kam ich nicht für eine Quelle. Und genau da wollte ich ja hin – zu einer Primärquelle, was nicht immer eine Studie sein muss.
Genau vorgestern musste ich wieder daran denken, als ein Streitgespräch auf Spiegel Online die Runde machte. Mein geschätzter Blog-Nachbar Markus Pössel leitet seinen Artikel dazu so ein:
Nach den vielfältigen Diskussionen über Wissenschaft und Journalismus in Zeiten von Online-Angeboten, Blogs und Co. im letzten Jahr ist es deprimierend zu sehen, dass das, was da erarbeitet und zumindest unter den Wissenschaftskommunikatoren wohl auch recht erfolgreich verbreitet wurde, an einer Reihe von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten, schlicht vorbeigelaufen zu sein scheint. Vorhang auf für das SPIEGEL-Streitgespräch über Wissenschaft in den Medien von heute (15.2.2015) nachmittag. Die Teilnehmer: Wissenschaftsautor und -historiker Ernst Peter Fischer (Uni Konstanz), Wissenschaftsjournalist und Wissenschaftsjournalismusprofessor Holger Wormer (TU Dortmund) und Kommunikationswissenschaftlerin Corinna Lüthje (TU Dresden).
Weiterlesen natürlich empfohlen. Ich stieß mich dabei explizit an einer Aussage Wormers:
Blogs sind meinungsstärker und quellenärmer als Massenmedien.
Über die Ansicht, dass Blogs meinungsstärker seien, können wir gerne diskutieren, wobei Journalisten in Kolumnen und Kommentaren auch nicht unbedingt hinterm Berg halten.
Das genannte Charakteristikum der Quellenarmut kann ich dagegen nicht wirklich nachvollziehen. Zeit für eine Liste über Referenzen, die für mich ständige Begleiter bei der Recherche für meine Artikel zum Thema Animal Welfare/Handling sind.
Temple Grandin
Gut, das ist jetzt ähnlich überraschend wie ein Pinguin am Südpol. Aber sie hat mich nun mal erst zu diesem Thema gebracht und ist damit ein wichiger Dreh- und Angelpunkt für mich. Weiter geht es mit:
- Bud Williams
- Curt Pate
- Ron Gill
- Steve Cote
Während das jetzt eher Angehörige der Cowboy-Fraktion sind, die mit ihrem Pferd draußen auf der Ranch ihre Rinder suchen, gibt es da auch einige Spezialisten für Milchvieh. Zum Beispiel:
- Rick Grant
- J. L. Albright
- Paul Rapnicki
- Gordie Jones
- Joep Driessen
Diese Namen zu wissen hilft dann schon mal ordentlich weiter. Noch besser wird das Such-Erlebnis mit den richtigen Schlüsselbegriffen:
- Stockmanship (gerne auch mit “low stress” davor)
- Animal Welfare (der gängigste Ausdruck für Tierwohl)
- Animal Handling (über den Umgang mit Tieren, bezieht auch den Menschen mit ein)
- Animal Husbandry(eher allgemeiner Ausdruck für Tierhaltung)
Jetzt habe ich natürlich schon einen gewissen Bestand an Referenzen/Literatur. Sollte ich aber mal etwas Wichtiges vermissen, kann ich so relativ schnell prüfen, ob es da Reviews, Paper etc. gibt, die ich nicht habe. So geschehen beim zu Beginn erwähnten Beispiel. Fehlt mir eine Referenz zu einer These, suche ich sie so selbst. Kommen wir damit zur Rubrik der alten Literatur, um etwas über die Kenntnisse und das Verständnis der Nutztierhaltung im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu lernen.
- Jared van Wagenen – The cow (1922)
- Andy Adams – Log of a Cowboy
- weitere Literatur im Visier, aber noch nicht gelesen
Beide Bücher gibt es frei auf verschiedenen Plattformen.
Das funktioniert natürlich alles ebenso auf YouTube, wenn Ihr Euch ansehen wollt, wie das mit dem Stockmanship funktioniert. Wenn Ihr bspw. Ron Gill oder Bud Williams und Stockmanship eingebt, empfiehlt Euch YouTube nach dem zuerst von Euch ausgewählten Video zuverlässig weitere, die sich in ganz ähnlicher Weise um dieses Thema drehen.
Nochmal: das hier ist nur das Material zu Tierwohl – und ja – auch etwas rinder-fixiert, welches ich zur Einordnung verwende. Quellen wie aktuelle Studien und weitere Reviews + grundlegende Fachliteratur kommen da noch hinzu.
Kurz-Fazit
Ich kann natürlich nicht für alle Blogs sprechen, das ist unmöglich. Schließlich sind Blogs unendlich vielfältig. Vor allem sind sie aber “nur” ein Werkzeug – wie ein Hammer, mit dem man auch allerhand anstellen kann. Ob die Bewegegründe und letztlich das Ergebnis gut oder schlecht sind, hängt allerdings von den Protagonisten ab, die einen Hammer oder eben eine Blogsoftware verwenden. Natürlich können Blogs daher auch quellenam sein.
Eine Grundsätzlichkeit würde ich daraus aber nicht ableiten.
Anmerkung:
Ich hatte diese Liste schon eine Weile vorbereitet und hätte sie ohnehin veröffentlicht, um Euch ein wenig zu helfen. Jetzt ließ sich das natürlich gut verbinden. Denn sind wir mal ehrlich: Suchmaschinen sind toll, helfen aber kaum weiter, wenn die richtigen Begriffe nicht bekannt sind. Oder anders: Google ist total hilfreich, wenn man vorher schon weiß, was man nachher gefunden haben will.
Verweise
mit “Blogs sind meinungsstärker und quellenärmer als Massenmedien” meint Wormers wohl einfach die simple Tatsache, dass Blogbeiträge dem Leser kaum je ein abgerundetes Bild eines Themas vermitteln wollen wobei dann alle relevanten Quellen gesichtet und die wichtigsten Ergebnisse daraus aufbereitet werden. Ein Blog kommt meinungsstärker daher, weil der Autor als Resultat seiner beruflichen Beschätfigung und nach Studium vieler Quellen sich eben eine Meinung gebildet hat.
Gerade dieser Blogbeitrag demonstriert das exemplarisch. Erst jetzt, nach dutzenden von Blogbeiträgen erhalten wir eine Liste von Autoren, von Personen, die den Blogautor beeinflusst und sein Bild geprägt haben. Aber im Hintergrund war diese Material, waren diese Prägungen immer oder schon lange vorhanden.
Im Grunde kritisieren die Diskutanten im von Markus Pössel referenzierten Spiegelgespräch an Blogs eben gerade, dass Blogbeiträge keine Zeitungsartikel sind.
Ja nu, wenn er Blogbeiträge gemeint hätte, wäre das für mich in Ordnung gegangen. Hat er aber nicht gesagt. Niemand käme auf die Idee eine Seite eines Buches zu kritisieren, weil diese dem Titel bzw. potentiellen Inhalt nicht gerecht würde.
Ich würde sogar das Gegenteil behaupten. Je mehr ich lese, je mehr Paper ich sichte, desto größer wird der Zweifel. Oder anders gesagt: je tiefer man in ein Thema eindringt, desto mehr hat man das Gefühl nichts zu wissen. Natürlich sage ich hier auch durchaus deutlich meine Meinung, stelle diese aber immer auch zur Diskussion – automatisch, die Kommentare sind hier ja offen.
Dass ich erst jetzt mit jenen Menschen rausrücke, die die Artikel hier geprägt haben und es weiter tun, ist – mit Verlaub – eine glatte Lüge. Temple Grandin habe ich mehr als genug erwähnt, ihr Buch habe ich erwähnt, auch Steve Cote fand hier schon seinen Platz. Der Webbaer wird das bestätigen können, bekommt er doch gerade bei Grandin immer leichten Schluckauf. Zudem habe ich immer versucht nachvollziehbar weitere Verweise zu verlinken und es spricht natürlich nichts dagegen nachzufragen, wenn Ihnen diese Verweise zu dünn erscheinen.
Das hier ist also lediglich eine etwas übersichtlicher gestaltete Liste, aber keineswegs ein gelüftetes Geheimnis.
Auch der Aspekt, dass Blogbeiträge keine Zeitungsartikel seien, ist überhaupt kein Problem. Aber quellenärmer?
Nö.
Folgenden Kommentar fand ich neulich in meinem fb-Briefkasten
Quellenangaben zum Thema Migräneforschung im Internet? Wenig.
Hallo Markus,
das ist doch eine tolle Sache – und ein weiterer Beleg dafür, dass die These quellenarmer Blogs Unsinn ist. Kann sein, aber ein Grunsatz lässt sich daraus nicht ableiten.
Sören Schewe schrieb (17. Februar 2015):
> mal ehrlich: Suchmaschinen sind toll, helfen aber kaum weiter, wenn die richtigen Begriffe
nicht bekannt sind. Oder anders: Google ist total hilfreich, wenn man vorher schon weiß, was man
nachher gefunden haben will.
Mal ehrlich: Quellenverweise sind toll, ersetzen aber kaum das Durchdenken von Argumenten und
Beweisen. Oder anders: wippycadia ist total hilfreich, wenn man schon vorher für hinnehmbar hielt, worüber man nachher Begriffshoheit erlangen will.
Das Durchdenken ist im Falle des Stockmanship auch kaum nötig. Die grundlegende Praxis hat sich seit über 100 Jahren bewährt. Wer sich jetzt also dafür interessiert und diese Liste zur Hilfe nimmt, kommt ziemlich schnell an das Ziel in Form sachlicher Informationen. Zu nicht mehr, aber auch nicht weniger soll diese Liste gut sein.
Allerdings findet man darüber auch Literatur und Studien, die immer wieder diskutiert und debattiert werden. Manchmal hilft da auch nur ein “Hängt vom Betrieb ab” als Antwort.
Sören Schewe schrieb (18. Februar 2015 15:05):
> Das Durchdenken ist im Falle des Stockmanship auch kaum nötig. […]
Hmm … Eine vorläufige, aber durchdachte Suche legt nahe, dass “Stockmanship” an sich und überhaupt kaum nötig, und außerhalb der Anglophonie sowieso gar nicht vorhanden zu sein scheint.
(Wieso darf denn dieses Wortgeschöpf überhaupt in Artikeln verwendet werden?!? Ach so.)
Das mag Sie jetzt überraschen, aber es gibt auch noch eine Welt außerhalb der Wikipedia. Ich empfehle da “steve cote stockmanship” bei Google.
Wenn Sie eine deutsche Seite vorziehen, bitteschön:
http://www.stockmanship.de/de