Prognosen – Zukunft ohne Dynamik

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Ich muss ja immer ein wenig schmunzeln, wenn ich lese, dass der Mensch das intelligenteste Lebewesen auf diesem Planeten sein soll. Wenn dem so ist, was sind das dann für Lebewesen, denen an der Kasse erst beim Bezahlen auffällt, dass sie kein Geld mehr haben? Handelt es sich um Aliens, die es nicht schaffen, auf eine Autobahn zu fahren ohne einen Stau zu fabrizieren? Wenn ich tatsächlich zu einer derart intelligenten Spezies gehören soll, wieso schaffe ich es dann immer, mich an die falsche Kasse zu stellen – also dort, wo die Menschen sind, die offenbar noch nie in ihrem Leben etwas gekauft haben? Genug der Häme. Zweifellos hat der Mensch  – oder besser: haben einige Menschen – unser Leben durch ihre Ideen und ihren Forschergeist revolutioniert und damit bedeutend geprägt.

Allerdings gibt es dann doch wieder etwas, was mich bezüglich der menschlichen Intelligenz zweifeln lässt: Prognosen, Blicke in die Zukunft – an sich erstmal nicht schlimm, hat man schließlich schon immer gemacht. Dabei ist es längst kein Wunsch verschrobener Menschen mehr, die sich in okkulten Zeremonien zusammensetzen, um den riskanten Blick zu wagen. Auch die verrückten Professoren, die irre kichernd um unheimlich verkabelte Stühle herumwuseln und den staunenden Menschen den Kabelsalat als Zeitmaschine verkaufen, sind eigentlich gar nichts so derartig besonderes mehr. Und warum nicht? Weil der Blick in die Zukunft längst in der etablierten „realen” Wissenschaft angekommen ist. Dort werden dann zwar keine Glaskugeln oder klappernde Maschinen verwendet, sondern große Rechner, sozusagen Glaskugeln 2.0. Es die Art der Prognosen und das mit ihnen kreierte Szenario, was mich die Stirn runzeln lässt. Das Problem von Prognosen für die Zukunft ist, dass sie lediglich mit Variablen ausgestattet werden können, die man schon kennt. Dabei geht ein wichtiger Faktor verloren: die Dynamik bzw. das Vertrauen, dass irgendwo auf der Welt ein Mensch eine Wahnsinnsidee hat, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Dafür gibt es ein wunderschönes Beispiel, das die Problematik gut illustriert.

Wenn man die wissenschaftlichen Debatten heute verfolgt, bekommt man unweigerlich den Eindruck, dass die Menschen vor 150 oder 120 Jahren unglaublich glücklich gewesen sein mussten. Erfindungen wie Atomkraftwerke, Genfood, Pestizide oder das Auto waren noch Zukunftsmusik. Es wandelte sich noch nicht mal das Klima. Paradisisch, oder? Naja, nicht ganz. Im New York der 1880er Jahre war die größte Sorge, dass man bald im Pferdemist ersticken würde, stiege das Warenaufkommen und damit die Zahl der benötigten Pferde weiterhin so stark an wie zu dieser Zeit. Das bedeutet in Zahlen: jährlich fielen zu der Zeit 136000 Tonnen Pferdemist an. Eine lineare Fortschreibung einer drei-prozentigen Wachstumsrate des Verkehrsaufkommens hätte früher wohl ergeben, dass New York spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts im Pferdemist erstickt wäre. Immerhin hätte sich der anfallende Mist innerhalb von 24 Jahren verdoppelt.

Ein Grund zur Panik? Eigentlich schon – wenn da nicht 1886 Karl Benz das Auto erfunden hätte…

Eine kleine Geschichte, an die man sich vielleicht hin und wieder erinnern sollte, wenn wir mal wieder auf irgendeine Katastrophe eingeschworen werden. Angeblich sollen wir bis 2030 auch alle aussehen wie die Michelin-Männchen – sagte ein Chirurg für Magenbänder bei stern TV…

 Quelle: Die Sackgassen-Gesellschaft

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Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

6 Kommentare

  1. Zukunft

    “Ist es nicht erstaunlich, wie gut wir schon heute ohne die Erfindungen des Jahres 2100 auskommen?”

    (von Tucholsky, glaub’ ich)

    Fehlende Dynamik? HA! Selbst wenn _uns_ die kreative Dynamik abhanden kommen sollte, dann wartet nur mal ab, was Mutter Natur noch so alles auf der Pfanne hat! Einen Virus oder zwei, das ein oder andere Meteoritchen, Weltuntergänge und Weltanfänge en gros und en detail. Das ist je gerade das Spanndende am deterministischen Chaos: es wird ganz bestimmt ‘was passieren. Man weiss nur nicht, was.

    Um einen bevorstehenden Mangel an Dynamik würd’ ich mir nun _wirklich_ keine Sorgen machen. Für uns alle ist der alte chinesische Fluch längst Wirklichkiet geworden:

    “Mögest Du in interessanten Zeiten leben!”

  2. @ Helmut

    Ich habe auch keine Angst vor verschwindener Dynamik. Was mich nur nervt, ist die Tatsache, dass wir Menschen immer wieder aufs Neue auf apokalyptische Szenarien hereinfallen, obwohl es sie auch schon immer in der Vergangenheit gab und auch nicht derart eingetreten sind.

    Ich jedenfalls bin schon ziemlich gespannt, was uns in Zukunft noch erwartet – auch, wenn ich mich teilweise eines entstehenden Pessimismusses erwehren muss. Aber ich bleib da hart, keine Sorge.

  3. Technik und Natur

    @ Lars:

    Danke, ich werds mir mal genauer anschauen, dann sollte das klappen^^

    @ Helmut:

    Was mir gerad noch aufgefallen ist: die gute Mutter Natur werde ich wohl nochmal aufgreifen, hat mir ja hervorragende Leserzahlen beschert^^

  4. Realität

    @ Karl

    Das ist natürlich noch ein ganz anderer Punkt. Generell sollte man meiner Meinung nac nicht all zu viel auf diese ganzen Experten geben, die alle meinen, sie wüssten es ganz genau.

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