Milchvieh am Ende der Effizienz

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Mehr Lebensmittel mit weniger verfügbaren Resourcen zu produzieren ist die große Parole, wenn es um unsere Welternährung und eine Zielsetzung bis 2050 geht. Es geht also um eine Steigerung der Effizienz, was erstmal total super klingt, schließlich hat das die letzten Jahrzehnte auch schon sehr gut geklappt. Leider fliegt uns da gerade einiges um die Ohren. So kommen Tierärzte in der “Göttinger Erklärung” aus diesem Jahr zu dem Schluss, dass es beim Milchvieh so wie bisher nicht weitergehen könne.

Über die Entwicklung der Milchleistung und des Tierbestandes von früher bis heute bloggte ich schon für die DLG, weshalb ich mich zitiere:

Jude Capper, Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Animal Sciences, hat mit zwei Kollegen dazu mal einen aufschlussreichen Vergleich für den Milchvieh-Sektor der USA zusammengestellt. Dafür zogen sie Daten aus den Jahren 1944 und 2007 heran. Die Ergebnisse sind durchaus spannend. So zählte die US-amerikanische Milchvieh-Herde 1944 ingesamt 25,6 Millionen Tiere, während es 2007 nur noch 9,2 Millionen waren. Diese Verkleinerung der Herde war aber nicht in einer sinkenden Nachfrage begründet, denn während die 25,6 Mio. Kühe 1944 “nur” 53 Milliarden Liter Milch produzierten, brachten es die 9,2 Mio. Tiere 2007 auf ziemlich sagenhafte 84,2 Milliarden. Auch in Deutschland ist die Zahl der Milchkühe im Zeitraum 1950 bis 2011 von 5,7 Millionen auf 4,2 Millionen gesunken.

(…)

Die Gründe für die Steigerung der Milchleistung sind vielfältig. Klar, als erstes springt natürlich die Genetik ins Auge, schließlich sind Hochleistungskühe, die während der Zeit der Laktation bis zu 10.000 Liter Milch geben können, das Ergebnis emsiger Zuchtarbeit. 1944 lag die Milchleistung der Kühe über diesen Zeitraum in den USA bei ca. 2000 Litern, um nochmal Capper zu zitieren. Die Werte sind aber auch in Deutschland sehr ähnlich. Wie in folgender Grafik zu sehen ist, brachte eine Kuh um 1900 herum etwas über 2000 Liter Milch, einen deutlichen Anstieg gab es dann erst wieder 1990 mit 4700 Litern pro Laktation. Mittlerweile sind wir bei 7200 Litern angekommen. Gerne werden besonders hoch leistende Tiere mit bis zu 20.000 Litern Milch pro Laktation erwähnt, die sind aber weder der Normalfall noch – aus ernährungsphysiologischer Sicht – besonders erstrebenswert.

So weit, so gut – aber auch so problematisch. Den vollständigen Artikel mit erwähnten Grafiken verlinke ich am Ende.

Letztes Jahr erschien das Review “The Impacts of Climate Change Mitigation Strategies on Animal Welfare” der Humane Society International. Da der australische Tierwohl-Professor Clive Phillips als Editor angegeben ist, habe ich es mir mal gegönnt. Der Inhalt ist gar nicht mal so falsch. Tatsächlich zitieren die Autoren ebenso wie ich Jude Cappers Studien, um die gelungende Effizenz-Steigerung über die letzten Jahrzehnte zu illustrieren. Allerdings weisen sie im Folgenden darauf hin, dass eine zukünftige Steigerung fatale Folgen für das Wohl der Tiere haben kann. Zitat (Übersetzung folgt danach):

While selective breeding has been successful in producing cows that yield more milk with less feed, this change is not without costs. Detrimental, unintended side-effects on the health of dairy cows have accompanied the physiological demands of greater productivity [46]. Following the birth of her calf, a dairy cow enters a state of negative energy balance. Genetic selection for increased milk yield increases feed intake, but high yielding cows can experience greater negative energy balance [47] than cows producing less, so they are vulnerable to health problems. There is a strong correlation between maximum metabolic load and laminitis [48], lameness and ketosis [49,50]. Failure to meet the nutritional demands of highly productive dairy cows can also lead to an array of additional metabolic diseases including fatty liver disease, ketosis and periparturient hypocalcemic paresis (milk fever) [51].

Zusammengefasst: Um die Zeit der Geburt herum und insbesondere kurz danach nimmt eine Kuh nicht genügend Nährstoffe auf, um ihren Energie-Bedarf zu decken und greift daher auf Körperreserven zurück. Das ist erstmal völlig normal und gar nicht schlimm. Problematisch wird es, wenn dieses Energie-Defizit durch eine später nach der Geburt wieder gesteigerte Nahrungsaufnahme nicht mehr aufgefangen werden kann oder länger dauert als es für die Kuh gut ist. Tritt dieser Fall einer negativen Energiebilanz ein, wird die Kuh schlicht krank – womit wir dann auch bei der “Göttinger Erklärung” der AVA (Agrar- und Veterinärakademie) wären.

Jetzt habe ich mich zu meinem eigenen Ärger an diesem Punkt zuletzt immer etwas verleiten lassen ohne tiefer gehend nachzusehen. Man habe das Problem erkannt, las ich oft. Auch jene Aussage, dass man in diesem Bereich seit den 80ern in der Zucht gegensteuere und mehr Wert auf Langlebigkeit etc. setze, begegnete mir öfter, weshalb ich die Tage dann doch etwas nach Luft schnappte. Auf der Seite “Wir sind Tierarzt” las ich Folgendes:

Die aktuell gültigen wirtschaftlichen Bewertungen in der deutschen Holstein Friesian (HF)-Zucht zeigen, dass die Milchleistung doppelt so hoch bewertet wird wie beispielsweise die Nutzungsdauer. In Deutschland wird mehr als in jedem anderen europäischen Land auf das Merkmal „Milchleistung“ selektiert, da sich die Besamungsstationen davon die besten Verkaufsmöglichkeiten für ihr Sperma versprechen.
Diese hohe Milchleistungen moderner Milchkühe kritisierten am ersten Tag der AVA-Haupttagung 2016 praktische alle Referenten der Rindersektion. Anlass ist der große Anteil von Zwangsabgängen (z.B. Fruchtbarkeitsstörungen) und die insgesamt unwirtschaftlich kurze Nutzungsdauer (ca. 2,4 Laktationen) bei milchbetonten Rinderrassen. Erkrankungsraten bei hochleistenden Kühen von rund 50 Prozent in der Frühlaktation seien inakzeptabel.

Das ist ja jetzt mal eine ganz flauschige Ansage!

Jetzt wird bzgl. der Landwirtschaft natürlich gerne unter dem Deckmantel der Kritik rumgekräht, es wird über Turbokühe diskutiert oder die Milch-Industrie inklusive der Landwirte angeprangert. Das geht nur leider alles am eigentlichen Punkt vorbei. Seitdem ich über Tierwohl blogge, stelle ich mir immer eine Frage: ist es möglich, Tiere in einem bestimmten Umfeld zu halten, dass es ihnen gut geht? Ist es also möglich eine Hochleistungskuh so zu versorgen und unterzubringen, dass sie auch über mehrere Jahre gut zurechtkommt? Ja.

Der niederländische Tierarzt und Milchvieh-Berater Joep Driessen hat schon vor einigen Jahren einen Vortrag zu der in der “Göttinger Erklärung” erläuterten Situation gehalten, gleichzeitig aber auch praktische Lösungen im Management aufgezeigt, um die Milchviehaltung effizienter und ökonomischer zu gestalten. Die Problematik: der globale Durchschnitt liegt bei 2,5 produktiven Jahren, denen zwei Jahre für das Großziehen der Kälber vorausgehen. 5 Laktationen wären Driessen zufolge möglich, die besten Milchviehhalter Hollands haben schon 6 Laktationen geschafft. Driessen gibt diese “Top-Landwirte” mit 1% an – und das ist jetzt ein kniffliger Punkt, weil das nicht bedeutet, dass 99% der Landwirte für die Ansprüche von Hochleistungskühen schlicht zu doof oder sie einfach zu gierig/profitgeil, you name it, sind.

Vielmehr heißt das, dass auf den “restlichen” 99% der Betriebe bestimmte Parameter nicht so 110% perfekt sind wie sie es für Hochleistungskühe sein müssten. Probleme können dabei in der täglichen Routine – dem Management – zu finden sein oder aber auch stallbaulich begründet sein. Driessen selbst nennt in dem Video, welches ich am Ende verlinken werde, Probleme, die sich recht leicht beheben lassen wie zB. nicht vollständg auf dem Futtertisch verteiltes Futter. Auch die Ausgestaltung der Liegeflächen ist ein großes Thema. Driessen empfiehlt Stroh, in den USA gilt Sand auf den Liegeflächen als “state of the art” der Top-Betriebe (siehe Google: Gordie Jones > dairy welfare)

Aber selbst wenn wir hiergehen und einen technisch top modernen Stall haben, müssen die Tiere sich noch lange nicht wohlfühlen. Auch der Umgang der Tierhalter ist wichtig: low stress stockmanship heißt das und behandelt die Art und Weise wie Kühe sehen, denken und fühlen. Mit den daraus resultierenden Vorteilen (bei gutem Handling) und Nachteilen (bei schlechtem H.) beschäftigen sich Hemsworth und Coleman et al. (Human-Animal Interactions) seit Jahrzehnten. In einem längeren Paper von J. L. Albright (Purdue University) finden sich auch Hinweise auf gesündere Kühe durch besseres Handling, wobei der Stall eigentlich nicht den Ansprüchen entspricht.

Was bleibt jetzt also übrig von der eingangs erwähnten Forderung nach mehr Effizienz? Nicht viel – zumindest auf den bisher beschrittenen Pfaden geht es nicht weiter. Eine aufgrund der geringen Nutzungsdauer unwirtschaftliche und zudem deutlich weniger effiziente Milchviehhaltung kann nicht die Lösung sein. Ebenfalls problematisch sind aber auch Pauschal-Kritiken an der Milch-Industrie und gierigen Landwirten. Und die wissenschaftliche Literatur bringt einen auch gerne mal zum Verzweifeln, wenn man am Ende einsehen muss, dass es weder die perfekte Kuh noch den perfekten Betrieb gibt. Da ist viel grau statt schwarz/weiß – am Ende entscheidet immer das Management des Tierhalters.

Letztlich geht es beim globalen Thema Welternährung auch noch um die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten. Im Review der Humane Society führen die Autoren bspw. den Import von Holsteinkühen in Süd-Indien an, schließlich sind sie weitaus leistungsfähiger und effizienter als die heimischen Vechur-Kühe. Das Problem: die Holsteinkühe kamen mit dem feucht warmen Klima und den lokalen Krankheiten absolut nicht klar und gaben weitaus weniger als Milch als grundsätzlich möglich. Über ganz ähnliche Szenarien berichtet auch John Moran, der als Milchvieh-Berater in den Südost-Asien arbeitet. Auch dort beging man den typischen Fehler und verstand nicht, dass eine hohe Milchleistung nicht grundsätzlich effizienter sein muss als lokale Rassen, die dafür an das Klima angepasst sind.

Halten wir fest: natürlich wird es auch in Zukunft um eine höhere Effizienz gehen – nur eben nicht so wie früher. Das müssen Jude Capper und Kollegen begreifen. Vor allem muss bei der Zucht jetzt mal wirklich umgedacht werden – und nicht nur so ein bisschen. Das Ziel muss eine grundsätzlich längere Lebensdauer sein, während wir global den Fokus auf lokale Besonderheiten – klimatisch wie auch beim Management/der Infrastruktur – richten müssen.

Disclaimer
Am Ende möchte ich noch betonen, dass das hier Geschriebene in keinerlei Widerspruch zu dem steht, was ich hier sonst so schreibe oder anderswo kommentiere. Das Management des Tierhalters spielt nun mal eine immens große Rolle. Und wenn ich mit Kamera einen Betrieb besuche und mich die Kühe dort freudig begrüßen und unbedingt mal über die Linse lecken wollen, gibt das zwar keine Fotos fürs Album, ich gehe aber mit dem Gefühl nach Hause, dass hier alles nach Plan läuft.


Quellen

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

12 Kommentare

  1. Zitat: “Das Ziel muss eine grundsätzlich längere Lebensdauer sein” Warum? Sind das allein tierethische Überlegungen. Etwa mit der Begründung: Ein längeres Tierleben ist ein glücklicheres Tierleben. Oder gibt es auch andere Gründe dafür, ein längeres Tierleben anzustreben?

    • Hallo Herr Holzherr,

      sehr gute Frage, das habe ich tatsächlich vergessen zu erwähnen – wollte ich aber. Natürlich kann man die Ethik immer irgendwie anführen, das eigentliche Argument besteht aber in der steigenden Milchleistung über die Laktationen hinweg. Die Kuh gibt also nicht die meiste Milch zu Beginn, sondern eben bei der 6. Laktation mehr als zuvor.

    • Die Kühe leben so “kurz”, weil sie erkranken, dadurch weniger leisten und dann “ausgetauscht” werden (Remontierung). Erkrankungsraten von 50% sind aus tierärztlicher Sicht inakzeptabel.
      Man kann Hochleistungskühe managen (wie im Artikel auch beschrieben), aber der Alltag lehrt, dass eben nicht jeder einen “Ferrari” fahren und warten kann.
      Robustere Milchrassen sind letztlich für “normale “Bauern” auch wirtschaftlicher (Lebensleistung; Futterkosten, Tierarztkosten, etc.)
      http://www.wir-sind-tierarzt.de/2016/03/milchleistung-bei-hf-kuehen/

  2. Mich würde interessieren, wie sich die ernährungsphysiologie der Milch ändert, wenn die Kühe viel Milch geben. (Oben steht, dass hochleistungskühe ernährungsphysiologisch nicht besonders erstrebenswert sind) Danke.

    Viele Grüße

    • Kühe die viel Milch geben müssen entsprechend gefüttert werden, das bekommt man mit reiner Heufütterung natürlich nicht hin. In Österreich wird daher silofreie Heumilch angeboten. Studien zufolge haben Heumilchprodukte einen höheren Wert an Omega 3 Fettsäuren und konjugierten Linolsäuren (CLA) als herkömmliche Milchprodukte. Außerdem findet man in Heumilch weniger Clostridiensporen, sie kann daher ohne zusätzliche Behandlung zu Emmentaler oder Bergkäse verarbeitet werden.

      • @Jade

        Heumilch ist nicht viel anderes als ein Marketinggag mit dem findige Verbände versuchen wie die Biobranche auf Kosten der anderen Marktteilnehmer – nämlich indem indirekt die übliche Herstellqualität schlecht gemacht wird – Reibach zu machen. So funktioniert Marketing. Es ist Augenwischerei. Man greift hier teilweise Konsumentenvorstellungen (oder das was man diesen Einredet, man fördert die Angst vor normalen Produkten) und den Konsumentenwunsch nach Bilderbuchlandwirtschaft auf, wie auch die Bioverbände das machen und konstruiert mit verbalen Kunstgriffen ein Markenimage mit dem das folgende Produkt teurer verkauft werden kann als es sonst auf dem Markt an Preis erzielen kann.

        Heumilch ist Marketing der Oberklasse, gelungenes Konzept aber eben Kundenverarsche, die die Kunden in die “Konsuminfantilität” treibt, weil Sehnsüchte nach heiler Welt bedient werden und so auch das surreale Unsinnsbild am Leben erhalten. Das Netz ist auch schon voll von Huldigungen und Anpreisungen der “Heumilch”, die Marketingprofis bekommen da ne Menge Geld und eine Internetseite vollschreiben / hosten ist nicht teuer aus Reklamegesichtspunkten.

        Qualität und Verträglichkeit oder Inhaltsstoffe spielen keine Rolle und Clostridiengefahr ist nicht der Grund für irgendwelche Käserein klassisch in der Nähe der Milchviehwirtschaft zu liegen bzw. zu produzieren. Das war eine Notwendigkeit wegen der Nähe und notwendigen Frische zum Lieferanten der Milch – früher gabs halt keine Kühllastwagen.
        Die häufig genannten angeblichen Vorteile der Gehalte an Nährwerten ist unerheblich. In Europa gibt es keine Mangelernährung – auch nicht von Omega3 Fettsäuren. Das sind Taschenspielertricks um positive Merkmale mit dem Produkt in Verbindung zu bringen. Ernährungsphysiologisch hat das keinen Effekt.

        https://de.wikipedia.org/wiki/Heumilch

        Milch ist Milch
        Bei Hochleistungsrindern die viel Milch geben bedeutet das keinen Qualitätsverlust der Milch. Das ist die entscheidende Arbeit der Futtermittelzubereitung und ausreichender Versorgung mit allem notwendigen für die entsprechende Milchleistung. Sinkt die Futtermenge, kann auch schnell nicht genug Milch produziert werden.

        Sie können ja auch nur arbeiten, wenn Sie satt sind. Alles andere geht auf die Substanz und nach kürzester Zeit fällt man um :>

        MFG

        • @Küstennebel:

          Sie schreiben: “Heumilch ist nicht viel anderes als ein Marketinggag mit dem findige Verbände versuchen wie die Biobranche auf Kosten der anderen Marktteilnehmer – nämlich indem indirekt die übliche Herstellqualität schlecht gemacht wird – Reibach zu machen.”

          Auch wenn ich Ihren Ärger teilweise nachvollziehen kann, sehe ich manches doch anders. So habe ich nicht den Eindruck, dass andere Marktteilnehmer wegen der Vermarktung von Bioprodukten schlechtgemacht würden. Es ist doch in unserer Marktwirtschaft ganz normal Werbung zu machen und unterschiedliche Preise zu verlangen. Testergebnissen zufolge ist die in Deutschland verkaufte Milch (auch die vom Discounter) in jeder Hinsicht als völlig unproblematisch einzustufen. Außerdem müssen konventionelle Milchbauern die Bio-Konkurrenz nicht fürchten, dafür sorgt schon der höhere Preis für diese Produkte. Der Milchindustrieverband schreibt dazu:”„Bio“ besetzt eine kleine Nische in Deutschland. Nur gut 2 Prozent der deutschen Milch sind bio, viele Bioerzeugnisse werden importiert. Der Milcherzeuger erhält einen Aufschlag von bis zu 15 Cent/l, hat aber auch enorme Kosten und Leistungsverluste. Auch die Verarbeitungskosten sind höher bei kleinen Chargen und getrennter Verarbeitung.”

          http://www.milchindustrie.de/marktdaten/faq-zum-milchmarkt/

          “Qualität und Verträglichkeit oder Inhaltsstoffe spielen keine Rolle und Clostridiengefahr ist nicht der Grund für irgendwelche Käserein klassisch in der Nähe der Milchviehwirtschaft zu liegen bzw. zu produzieren. Das war eine Notwendigkeit wegen der Nähe und notwendigen Frische zum Lieferanten der Milch – früher gabs halt keine Kühllastwagen.”

          Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen sieht das etwas anders: “Clostridien in der Milch können die Käseherstellung erheblich beeinträchtigen. Die maximal tolerierbare Belastung unterscheidet sich je nach Verfügbarkeit von Baktofugen.”

          http://www.oekolandbau.nrw.de/fachinfo/tierhaltung/milchkuehe/milchguete/clostridien_checklisten.php

          “Die häufig genannten angeblichen Vorteile der Gehalte an Nährwerten ist unerheblich. In Europa gibt es keine Mangelernährung – auch nicht von Omega3 Fettsäuren.”

          Das kann man so pauschal nicht sagen! Omega3 Fettsäuren sind für die Gehirn- und Augenentwicklung von Kindern wichtig. Es gibt Untersuchungen wonach Kinder aus ärmeren Familien aufgrund der allgemein schlechteren Ernährung kleiner sind und in ihrer kognitiven und geistigen Entwicklung jenen aus besser gestellten Familien hinterherhinken.

          “Bei Hochleistungsrindern die viel Milch geben bedeutet das keinen Qualitätsverlust der Milch. Das ist die entscheidende Arbeit der Futtermittelzubereitung und ausreichender Versorgung mit allem notwendigen für die entsprechende Milchleistung. Sinkt die Futtermenge, kann auch schnell nicht genug Milch produziert werden. Sie können ja auch nur arbeiten, wenn Sie satt sind. Alles andere geht auf die Substanz und nach kürzester Zeit fällt man um :> ”

          Das ist im Prinzip richtig, wobei der letzte Satz auf die im Artikel angesprochene Problematik abzielt. Einigen Quellen zufolge müssen Hochleistungskühe eine Lebensleistung von 30.000 kg Milch in 3,5 Laktationen erbringen, damit sie rentabel sind. Solche Tiere sind daher nach durchschnittlich fünf Jahren am Ende. (Früher wurde eine Kuh oft zwanzig oder dreißig Jahre alt.) Häufig gibt es auch schon Abgänge von Jungkühen zu Beginn zu Laktation. Als Gründe gelten eine nicht optimale Vorbereitung auf die Kalbung sowie eine unzureichende Nährstoffaufnahme und Eutererkrankungen zu Laktationsbeginn. In die Färse wurde also Geld investiert, das sich nun nicht mehr auszahlt. Aus diesem Grund sollen die Tiere wieder älter werden und schneller zuchtreif sein. Um mehr Laktationen zu erzielen muss die Kuh nach jedem Kalb schnell wieder tragend werden, damit sich die unproduktiven Phasen verringern. Das Ganze hat natürlich weiniger mit Tierwohl als mit wirtschaftlichen Erwägungen zu tun. Sören Schewe schreibt dazu: ” Vor allem muss bei der Zucht jetzt mal wirklich umgedacht werden – und nicht nur so ein bisschen. Das Ziel muss eine grundsätzlich längere Lebensdauer sein, während wir global den Fokus auf lokale Besonderheiten – klimatisch wie auch beim Management/der Infrastruktur – richten müssen.”

          • Eine nette umfassende Antwort. Danke Mona.

            Im Grunde reflektierst du noch mal die ursprüngliche Idee von irgendeiner Milchproduktion, die ineffiziente Methoden für verkaufsfördernde Argumente in den Mittelpunkt stellt.

            Das bleibt ja auch jedem überlassen was er wichtig findet.

            Mir ist erstmal wichtig das alle Menschen zu essen haben und das geht nur über effiziente und massenhafte Produktion. Bald werden 10-12 Milliarden Menschen leben und noch immer hungern gut 1 Milliarde Menschen jeden Tag. Es muss also eine steigende Bevölkerung und dazu noch der Hunger bekämpft werden.
            Bilderbuchbauernwelten gab es nie. Die frühere Mangelwirtschaft war trotz geringerer Bevölkerungszahlen selten in der Lage den Bedarf für die Ernährung sicherzustellen. Es gab alltäglich Mangel und Hungersnöte, wie auch heute noch überall dort, wo Landwirtschaft nach Ökovorbild mit alten Methoden durchgeführt werden. Es ist Heuchelei und geht nur ums Geld scheffeln und das das funktioniert hat viel mit dem fördern eines Markenbewußtseins zu tun und das appelliert immer an den Narzissmus des Konsumenten, der sich dann besser fühlen oder als etwas besseres fühlen kann wenn er diese Marke konsumiert.
            Wer meint das das kein Schlechtreden ist, nicht auf Kosten der allgemein guten Leistungen der Landwirtschaft geht, der hat keine Ahnung.

            Es gibt im übrigen in der konventionellen Landwirtschaft ganz bestimmt die beste Keimfreieheit der Milch. Diese Leistungen erzielt man nicht in der Biolandwirtschaft.

            Dem Verbraucher aber ein Revival einer veralteten Produktionstechnik vorzugaukeln die ach so besser sei wie heutige Methoden halte ich für fragwürdig.

            Ich wette wir wissen beide nicht genau warum heute Milchvieh mit ~5 Jahren zum Abdecker soll und ich behaupte das das eher das untere Minimum darstellt. Warscheinlich gehts auch darum, das die Tiere nicht zu alt sein sollen, weil das Fleisch sonst nicht mehr heutigen Qualitätsstandarts entspricht? Weiß ich jetzt nicht, kanns mir aber vorstellen.

            Beispielsweise bei Hunden gibt es massige meist große Rassen, die haben eine Lebenserwartung von kaum 6-8 Jahren, andere kleinere Rassen haben Lebenserwartung von bis zu 14-20 Jahren. Ähnlich dürfte es auch Unterschiede bei Rinderrassen geben, die verschiedenste Lebensräume besiedeln und unterschiedliche spezialisierte Leistungen bringen unterschiedlich groß sind und ganz anderen Bedarf an Nährstoffen und Umgebungsbedingungen haben.
            Die heutigen modernen Milchviecher hierzulande schaffen eben viel in kurzer Zeit und das halte ich nicht für einen Rückschritt sondern einfach einen Normalzustand einer neuen für bestimmte Bedingungen optimierten Zuchtrasse. Das kann man bei Bedarf halt ändern wenn es denn nützlich ist. Wenn das verbessert werden kann und eine Effizienzsteigerung bewirkt für die landwirtschaftlichen Unternehmer, dann bitte nur zu. Es kann nur nicht sein das für moralinsaures Gedankengut Ineffizienz in den Markt gezwungen werden sollte.

            Ich bin mir auch ziemlich sicher das das nicht passieren wird. Die Produktion Deutschlands ist warscheinlich auf lange Sicht nicht so wichtig, denn da stehen noch China und Indien in den Startlöchern, von dem derzeitigen Spitzenreiter USA mal abgesehen.

            Den Tieren ist es völlig egal ob sie älter oder jünger sterben. Die haben davon keine Vorstellung, die leben nur einfach im Jetzt. Ob das Tier dann etwas mehr Zukunft hat oder weniger spielt keine Rolle ausser in den Köpfen irgendwelcher übertriebener Tierschutzideale, die wenig mit wirklichem Tierwohl zu tun haben aber viel mit übertriebenem Moralisieren.
            Wichtig ist das die Tiere gut gehalten werden. Das ist der Mensch sich selbst und dem Tier schuldig. Tierwohl wird schon aus Nutzenerwägungen so gut hergestellt wie es möglich ist. Ein totes oder leidendes Tier bringt keine oder keine optimale Leistung, kann es dann halt gar nicht.

            Insofern ist blindes Revival alter Sorten, Rassen, Herstellmethoden und Co erstmal Verschwendung von Ressourcen, Land und Potentialen. Eigentlich müsste das verboten werden, denn das führt zum Hunger unter Menschen.

            MFG

  3. Guten Tag,
    ich finde es sehr gut, wenn Sie Inhalte der Göttinger Erklärung 2016 diskutieren. Lob dafür.
    Wir, die AVA, haben viel Schelte erhalten, eben ganz besonders aus der Tierzucht. Und die “Elite”- Fachzeitung schreibt, dass wir ohne “Beweise” schreiben würden. Leider hat Elite nicht die Hausaufgaben gemacht. Es gibt ganz viel zum Thema. Natürlich haben wir mehr Lob erhalten, das Thema anzupacken…
    Und weil alle diese und jene Meinung haben, gibt es eine Tagung zur Göttinger Erklärung. Aus allen “Richtungen” kommen die Fachreferenten und wir wollen das Thema intensiv diskutieren.Termin ist der 13. und 14. Oktober 2016 bei Göttingen. Helfen Sie alle mit, diesen Termin zu verbreiten. Nähere Infos auf http://www.ava1.de

    Danke und Grüße vom AVA-Chef EG Hellwig

    • Hallo Herr Hellwig,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Habe mir den Termin mal notiert. Das dürfte ja dann eine ziemlich hitzige Diskussion werden…

  4. Guter Beitrag, sehr lesenswert!
    Ich frage mich allerdings auch Folgendes:

    Mal angenommen, wir kämen in die Situation, dass jeder Milchviehhalter das Management der Tiere perfekt beherrschte und auch die anderen Bedingungen wie Stallbau etc. perfekt wären und in der Folge die Herden tatsächlich 6, 7, oder 8 Laktationen im Schnitt machen würden: Was machen wir mit den ganzen Kälbern?
    Aus marktwirtschaftlicher Sicht passiert dann doch Folgendes: die Färsen für die Remontierung fallen im Preis. Evtl. sogar soweit, dass es wirtschaftlich vertretbar ist, Kühe recht jung zu schlachten, bevor sie Probleme mit Fruchtbarkeit, Fundament, Euter usw. bekommen. Denn trotz steigender Leistung werden Kühe ab der 4., 5. oder gar 6. Laktation nicht unbedingt einfacher im Handling.

    Aktuell passiert nämlich genau das: Aufgrund der miserablen Milchpreissituation kommt es zum Preisverfall bei Zuchtfärsen (Bestände werden nicht mehr aufgestockt, teilweise über ausgelassene Remontierung abgestockt).

    Da wir auf unserem Betrieb wesentlich mehr Tiere aufziehen als wir zur Remontierung benötigen, verkaufen wir für gewöhnlich überzählige Färsen. Aufgrund nahezu halbierten Erlöse tun wir uns aber schwer, Färsen zu verramschen und reduzieren lieber den Bestand von den älteren Tieren her. So haben wir bei anziehenden Preisen genügend junge Tiere im Stall, um recht viele Färsen zu verkaufen, da wir in einer jungen Herde weniger remontieren müssen.
    Tiere, die in “guten Zeiten” gut und gerne noch mehrere Laktationen im Stall geblieben wären, gehen ab. Teils mit Kleinigkeiten, die aber eben zur Selektion geführt haben: 2. Besamung, Kuh bullt um – weg. Mittelmäßge Leistung – weg. Züchterisch uninteressant und vielleicht noch Klauenprobleme – weg. Das klingt sehr kalt und wir tun uns auch sehr schwer damit. Aber aktuell halten wir das für die betriebsindividuell beste Lösung.

    Der beschriebene Effekt, dass alte Tiere die wirtschaftlicheren Tiere sind, steht und fällt auch mit dem Milch- und dem Färsenpreis.

    Ich bitte darum, mich nicht falsch zu verstehen: Ich habe selbst die größte Freude an Tieren, die bei uns im Stall die 10. Laktation haben und viele Kälber bekommen (und das kommt gar nicht so selten bei uns vor). Es geht mir nur um den Gedankengang.

    Deswegen die Frage: Was machen wir mit den ganzen Kälbern, wenn die Kühe so alt werden, wie sie bei besten Bedingungen werden könnten?

    Mast?

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