Landwirtschaft studieren im Internet

Über das Lernen auf Distanz

Aus einem ganz bestimmten Grund, den ich hier nicht weiter ausführen muss, tauchen gerade überall Angebote zur Lehre aus der Ferne auf. Jetzt habe ich schon vor einiger Zeit ein Fernstudium begonnen und möchte jetzt mal die Gelegenheit nutzen, um meine Motivation, meine Gründe und meine Erfahrungen aufzuschreiben.

Fangen wir vorne an: ich studiere Landwirtschaft bei ACS Distance Education. Das Fach mag jetzt einige überraschen, da ich ja schon seit einigen Jahren darüber schreibe. Tatsächlich war genau das ausschlaggebend. Ich habe mit der Zeit ein immer größeres Interesse für das Management von Systemen entwickelt. „Ältere“ Leserinnen und Leser werden sich noch an meine Artikel über US-Ranches und deren Weidemanagement erinnern, das in dieser Form nicht nur wirtschaftlich effizient war, sondern gleichzeitig Lebensräume für Wildtiere erschuf. Angesichts hiesiger Debatten über Blühstreifen als ausgelagerter Dienst an der Natur, erschien mir der Ranching-Ansatz um Welten spannender. Die Idee Tiere so in einem System zu halten, dass am Ende nicht nur Lebensmittel herauskommen, sondern auch Lebensräume für Wildtiere und Pflanzen, deren Grundlage schon im Boden geschaffen wird, hat mich seitdem nicht mehr losgelassen.

Allerdings konnten weder Interesse noch Recherche darüber hinwegtäuschen, dass ich landwirtschaftlich betrachtet ziemliche Wissenslücken hatte. Klar, so ein Tiermedizin-Studium ist jetzt nicht völlig falsch, aber mit Blick auf jene mich interessierenden Bereiche stand ich irgendwann ziemlich planlos da. Holistic Management, Permakultur, Keyline Design, Weidemanagement oder integrierte Systeme mit Ackerbau und Tieren (zB. Biolandwirtschaft) und dann ist da auch noch das Betriebsmanagement inklusive Business Plänen, wovon ich wirklich gar keinen Schimmer hatte. Daran musste ich was ändern.

Aber wie sollte ich das angehen? Vom Thema Tierwohl, welches ich mir weitgehend selbst beigebracht habe, weiß ich um die Fallstricke des auto-didaktischen Lernens. Ich habe zu Beginn einige Schleifen gedreht, die aus heutiger Sicht nicht hätten sein müssen. Gleichzeitig hatte ich natürlich auch den Anspruch hier bei den Scilogs keinen Unsinn zu schreiben. Irgendwie bin ich diesem Anspruch wohl auch gerecht geworden. Beim Thema Landwirtschaft wollte ich aber definitiv einen effizienteren Weg gehen. Außerdem war ich ja nicht ganz unbeleckt.
Eine Rückkehr an die Universität erschien mir daher als etwas sperrig, schließlich arbeite ich ja auch. So kam ich auf das Konzept des Fernstudiums – keine Präsenz-Pflicht und auch keine festen Termine für Prüfungen. Dafür gibt es strukturierte Materialien und das beruhigende Gefühl, dass ich auch mal hemmungslos Unsinn schreiben kann, weil mich meine Tutorinnen und Tutoren schon darauf hinweisen werden. Disclaimer: ist bisher nur einmal passiert, weil ich eine Frage falsch verstanden habe. Da bekam ich das Assignment mit der Bitte zurück, mir die Frage doch nochmal in Ruhe anzusehen, erneut zu antworten und es wieder zurückzuschicken.

Ich bin in einer komfortablen Situation. Homeoffice ist für mich normal und ACS war immer schon eine Fernschule. Ich kann also weiterhin ohne Einschränkungen arbeiten und studieren. Es herrscht Routine auf allen Ebenen. Trotzdem kommen wir hier jetzt an einen kniffligen Punkt: dass ich beim Bearbeiten der Aufgaben aktuell praktisch nicht ausgebremst werde (1), liegt daran, dass ich die benötigte praktische Erfahrung schon gesammelt habe…äh, und einigen Landwirten via Twitter auf die Nerven gehe. Andernfalls wären Aufgaben wie die Planung eines Betriebes nicht machbar. Aktuell macht verständlicherweise kein Landwirt Luftsprünge, wenn ich nach einem Besuch frage. Das bringt mich wieder zum Beginn dieses Artikels. Es ist ja irgendwie naheliegend, dass in diesen Zeiten verschiedene Varianten der Online- oder generell Fernlehre angeboten und ausprobiert werden. Ebenso verständlich finde ich Diskussionen, welche Teile auch nach der Pandemie zum Alltag der Lehre gehören könnten. Man muss nicht für jede Stunde Vorlesung an die Uni oder sonstwo hin dackeln.

Ein Fernstudium zu absolvieren bedeutet aber auch nicht, dass man sich fernab der Welt am PC einen Abschluss zusammenklöppeln kann. Die Praxis kann man nicht umgehen. Wer das allerdings auf dem Schirm hat und mit der Kombination aus Eigeninitiative und Selbst-Disziplin zurechtkommt, wird viel Freude mit der einhergehenden Freiheit haben. Das dahinter stehende Lehrkonzept erinnert mich dabei an eine Idee, die ich schon vor Jahren hatte, als ich Listen mit Fachbegriffen und Namen von Menschen aus der Fachwelt erstellt habe, um auch „normalen“ Menschen eine effektive Recherche zu ermöglichen – Beispiel: „Hemsworth human-animal interactions“ oder „Grandin animal handling“. So funktioniert auch das Lehrmaterial bei ACS. Es ist nicht besonders viel, aber ausreichend, um sich gezielt mit der Thematik zu beschäftigen und die Aufgaben zu bearbeiten, die man dann wieder zurückschickt, alles online natürlich. Ich gebe zu, dass ich mich manchmal habe täuschen lassen und glaubte, dass ein Assignment mit acht Seiten Material und vier Aufgaben schnell erledigt sei, um dann Fachbücher zu wälzen und mehrere Seiten zu schreiben – die Irrungen und Wirrungen eines Fernstudenten.

Eigentlich wollte ich erst gegen Ende dieses Fernstudiums darüber schreiben oder frühestens, wenn ich meinen Abschluss fertig „entwickelt“ habe. Ja, auch das ist ein Ding, große Freiheiten führen auch dazu, dass man viel überlegen und reflektieren muss, was man sich auf Basis des schon Gelernten auch selbst erarbeiten kann oder an welchem Punkt man vielleicht doch noch ein Modul dazu nimmt. Nur der Vollständigkeit halber: man kann bei ACS einzelne Module buchen oder ganze Abschlüsse. Ich habe mich für einen eigenen Abschluss entschieden, stelle die Module also selbst zusammen. Aber damit bin ich noch nicht fertig.

Anmerkungen

  1. Stimmt nicht ganz. Jedes Modul endet mit einem „final exam“, das tatsächlich auf Papier unter Aufsicht stattfinden muss. Das geht aktuell natürlich nicht.
  2. ACS Distance Education sitzt in Australien. Für Abschlüsse, die über Certficates hinausgehen, gibt es aber noch eine „Zweigstelle“ in UK.
  3. Bild: Unsplash, Raphael Rychetsky

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

6 Kommentare

  1. Mit dem „Lernen auf Distanz“ kenne ich mich auch aus. Allerdings fand ich es neben meiner Berufstätigkeit recht stressig noch zu lernen, weil mir für andere Dinge überhaupt keine Zeit mehr blieb.
    Deine Posts lese ich seit Du bei den SciLogs angefangen hast. Bei den „US-Ranches und deren Weidemanagement“ etc. fragte ich mich zuletzt, wie man das auf die deutsche Landwirtschaft übertragen könnte. Vielleicht ist es nicht schlecht, wenn sich mal jemand gründlicher mit der Sache befasst, dann wird man weitersehen. Die Landwirtschaft muss sich auf jeden Fall weiterentwickeln und mehr auf nachhaltige Produktionsweisen setzen. In diesem Sinne wünsche ich Dir viel Erfolg und hoffe, dass Du die neuen Erkenntnisse gelegentlich zur Diskussion stellst. ☯

    • Grüß Dich Mona! Das ist ein guter Einwand, darauf hätte ich noch im Artikel eingehen sollen. Oder andersrum: ein komplett neues Studium hätte ich auch nicht begonnen, das wäre mir neben der Arbeit zu hart geworden. Aber so wie es ist, kann ich schon vorhandenes Wissen mit neuen Infos verknüpfen, das ist eigentlich recht angenehm.

      Zum Weidemanagement: es ist tatsächlich so, dass die Praxis des Holistic Management auch hier in Deutschland angekommen ist und von neugierigen Landwirten ausprobiert wird. Im Januar war ich in Sachsen, um einen Vortrag dazu zu halten und wollte eigentlich auch schon praktizierende Landwirte besuchen. Was aus diesem Plan geworden ist, kannst Du Dir denken. Aber grundsätzlich ist das Hexenwerk und kann überall auf der Welt umgesetzt werden. Hinderlich können da nur Gesetze oder wirtschaftliche Aspekte sein. Aber dazu folgt noch ein Artikel.

  2. Sören Schewe schrieb (30. Apr 2020):
    > […] eine Idee, die ich schon vor Jahren hatte, als ich Listen mit Fachbegriffen und Namen von Menschen aus der Fachwelt erstellt habe, um auch „normalen“ Menschen eine effektive Recherche zu ermöglichen – Beispiel: „Hemsworth human-animal interactions“ oder „Grandin animal handling“.

    Tolle Idee! …
    (Erinnert mich an eine Idee, die schon mindestens 20 Jahre in der Luft liegt …) — Etwa so:

    [[Animal science:Human_Livestock_Interactions#Author|Paul_Hemsworth (Uni Melbourne)]]

    bzw.

    [[Animal science:Handling_livestock#Author|Temple_Grandin (Colorado SU)]]

    Und womöglich nicht mal ausschließlich nur für „normale“ Menschen
    Auch denjenigen (Menschen, u.a.), die sich dem (meines Erachtens durchaus normalen) Anspruch nicht verpflichten, in SciLogs-Blogartikeln keinen Unsinn zu schreiben, ließe sich dadurch wohl Hilfestellung bei der Recherche geben, ob und inwiefern eine [[Physikalische Größe]], die i.A. einen [[Physikalische Größe#Wertebereich]] hat, der zahlreiche ungleiche [[Wert#Größenwert]]e umfasst, von einem einzelnen [[Physikalische Größe#Größenwert]] (im Wertebereich der betreffenden Größe; z.B. hinsichtlich eines bestimmten gültigen Mess-[[Versuch]]es) zu unterscheiden ist.

    • Hallo Herr Wappler, inwieweit andere Blogger auf dieser Plattform diesem Anspruch nachkommen oder eben nicht, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich bin mir aber sicher, dass Menschen „vom Fach“ immer einen leichteren Zugang haben – nicht nur durch die Kenntnisse üblicher Begriffe, auch das Wissen ermöglicht eine Einordnung und Bewertung des recherchierten Materials. Gut, es sind vielleicht nicht alle gleich kompetent, aber so viel Wissen kann niemand schwänzen…

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