Landwirtschaft ganzheitlich betrachtet

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Rinder, mehr Rinder – mit dieser Forderung wird der Ökologe und Farmer Allan Savory aus dem früheren Rhodesien in Verbindung gebracht. Nicht ganz unschuldig daran ist sein TED-Talk aus dem Jahr 2013, in dem er die Weidehaltung von Wiederkäuern als Lösung gegen Wüstenbildung und Klimawandel propagierte – hinter dem von ihm entwickelten Holistic Management steckt aber noch mehr.

Gestattet mir bitte drei Sätze über Tierwohl, bevor es mit neuen Gedanken weitergeht: neben dem staatlichen Tierwohl-Label störte ich mich zuletzt auch massiv an der Idee, man könne durch Sensoren und Big Data mehr Tierwohl schaffen. Tatsächlich funktioniert das Konzept nur, wenn sich auch jemand die gesammelten Daten anschaut, auswertet und die Tiere bei Bedarf behandelt. Im Extremfall kann ein Landwirt völlig depressiv in der Ecke liegen, während die Technik seelenruhig ihrer Arbeit nachgeht und den Niedergang dokumentiert – ein erschreckend fragiles System.

Eng ist gut

Das wurde mir erneut bewusst, als ich meine Unterlagen zu Holistic Management erneut durchging. Dank Savorys populärem TED-Talk aus dem Jahre 2013 wird Holistic Management meist mit großen Rinderherden in kompakter Formation in Verbindung gebracht – also einem Ansatz, der konträr zu allem steht, was sonst auf dem Gebiet des Weidemanagements empfohlen wird. Dabei finden zwei wichtige Aspekte wenig Beachtung: Allan Savory hat sich bzgl. des Weidemanagements neben eigenen Beobachtungen auch von den Forschungen des französischen Biochemikers und Landwirts Andre Voisin und dessen Buch „Grass Productivity“ inspirieren lassen. Savory empfiehlt auf der Weide die Nachahmung natürlicher Vieh-Herden, deren Individuen mit Blick auf Gefahren durch Fressfeinde ständig dicht zusammen bleiben und nie lange an einer Stelle verweilen. Im Englischen ist dieses Konzept als Mob-Grazing bekannt. Es folgt ein deutlich überarbeitetes Zitat aus einem meiner letzten Artikel:

Das beginnt schon mit dem Weidemanagement. Statt die Tiere einfach im Frühjahr auf die Weide zu schicken und im Herbst wieder einzusammeln, wird jede einzelne Weide für sich in kleinere Parzellen unterteilt, die die Tiere nacheinander abgrasen. So erwischen sie auch wirklich jeden Grashalm statt übermäßig wählerisch zu sein. Das ist ein wichtiger Aspekt. Wird eine Pflanze zu oft „begrast“ ohne genügend Zeit zur Regeneration zu bekommen, stirbt sie. Wird eine Pflanze dagegen gemieden, weil es besser schmeckende Alternativen gibt, wird sie natürlich immer älter und damit holziger, weshalb sie zu einem späteren Zeitpunkt für die Tiere schlechter zu verdauen ist. Verantwortlich für die holzigen Anteile sind Lignine, die die Pflanze in ihren Zellwänden einlagert und dadurch einen harten Stängel bekommt.

Eine regelmäßige Rotation der Tiere kann beide Szenarien vermeiden, indem die Pflanzen Zeit zur Regeneration bekommen, während sich die Tiere immer wieder auf neues frisches Gras freuen können. Der entscheidende Faktor ist dabei das Timing. Wie schnell eine Pflanze regeneriert, steht nicht im Lehrbuch, sondern wird von den aktuellen klimatischen Bedingungen bestimmt. Aus diesem Grund sind auch fest eingezäunte Parzellen auf der Weide wenig sinnvoll. Können die Pflanzen bspw. aufgrund einer Trockenheit nur langsam regenerieren, wäre eine zu schnelle Rückkehr der Rinder auf eine Parzelle für die Pflanzen fatal. Wächst und regeneriert alles wie bescheuert, muss/kann wiederum schneller rotiert werden, Stichwort harter Stängel. Die Anzahl der Parzellen und die Häufigkeit der Rotation müssen sich also an Jahreszeit und Witterungsbedingungen orientieren.

Der ganzheitliche Betrieb – ohne Quatsch

Jetzt wäre es falsch, reduzierten wir Holistic Management lediglich auf das Weidemanagememt. Vielmehr geht es dabei um die Betrachtung ganzer Systeme und einen Rahmen zur Entscheidungsfindung – den Holistic Management Framework. Savory hat daher mit Fokus auf die Natur zwei Grundprinzipien formuliert: zwischen den einzelnen Elementen in einem System herrschen komplexe Interaktionen. Verändere ich ein Element, beeinflusse ich damit auch alle anderen. Das zweite Prinzip ist eher eine Aufforderung zur genauen Beobachtung des eigenen Betriebes. Wie gesagt, gute Kenntnisse über die klimatischen Bedingungen und Witterungsverhältnisse bestimmen maßgeblich über die Anzahl der Parzellen. Neben den Grundprinzipien geht es aber auch um die Formulierung einer Vision zur Entwicklung des Betriebes. Klar, wirtschaftlich muss das Ganze sein. Wenn Ihr allerdings nur arbeitet, damit der Betrieb läuft, macht Ihr das weder gut noch lange. Menschen und ihr Wohlergehen spielen beim HMF eine ganz wichtige Rolle – damit sind gleichermaßen Familien wie auch Angestellte gemeint, die gemeinsam ein Ziel verfolgen. Und Würmer.

Der Regenwurm – Fressen und gefressen werden

Würmer sind Teil des „Soil Food Web“ – also jenes komplexen unterirdischen Netzwerkes aus Lebewesen und Pilzen, das überhaupt erst die Basis schafft für ein Leben oberhalb der Erdoberfläche. Aus diesem Grund finden sich innerhalb der Bewegung der regenerativen Landwirtschaft Menschen, die sich als „Mikroben-Halter“ bezeichnen. Sie haben sich also die Verbesserung des Bodens zum Ziel gesetzt. Natürlich haben auch jene Kleinstlebewesen Hunger – und beeinflussen damit das Weidemanagement, wenn die Rinder schon zur nächsten Parzelle geschickt werden, obwohl eigentlich noch genug Futter vorhanden wäre – ist auch, aber für die kleinen Kumpel unterhalb der Grasnarbe. Zudem ist eine konsequente Bodenbedeckung natürlich immer hilfreich gegen Erosion durch Wind oder Regen.

Jetzt haben Regenwürmer nicht nur einen wichtigen Anteil am Betriebserfolg, sondern dienen auch als Futter für Vögel – Zeit für einen Blick „über Tage“. Hier lauert eine ganz neue Herausforderung: Kuhfladen – 1000 Fliegen und 1 Landwirt gefällt das. Fliegen an sich sind allerdings eher unerwünscht. Jemand muss sich daher um die Maden kümmern. Wildvögel könnten das übernehmen. Wenn Ihr dank Monitoring jetzt aber feststellt, dass da nur so drei verstrahlte Spatzen über Eure Weide eumeln, braucht Ihr einen Plan B. Das könnten bspw. Legehühner sein. Dafür braucht Ihr neben den Tieren auch Mobilställe, ergänzendes Futter und letztlich natürlich auch Abnehmer für die Eier. Gleichzeitig wollt Ihr dem Öko-System, das Ihr nutzt, unter die Arme greifen – also zB. Insekten anlocken. Dafür braucht Ihr einen Plan, um nicht plötzlich den Überblick zu verlieren, mit dessen Hilfe Ihr regelmäßig kontrollieren könnt, ob Ihr noch auf Kurs seit. Für diesen Fall enthält der Holistic Management Framework neben den genannten Prinzipien noch sechs Übungen. Wenn Ihr diese Übungen ehrlich bearbeitet, habt Ihr am Ende ein Ziel definiert und wisst grob, was auf dem Weg dahin zu tun ist.

Gesundes Land, gesunde Tiere, gesunde Menschen

Stellt sich jetzt noch die Frage ob der Tierwohl-Einleitung. Nun, um den Holistic Management Framework zu nutzen, braucht es weder Weide noch Würmer. Es geht dabei um eine ehrliche Bestandsaufnahme des eigenen Betriebes, aber auch um die Fähigkeit die eigene Situation zu reflektieren und einschätzen zu können, weshalb Familie sowie Angestellte eine wichtige Rolle im Entscheidungsprozess spielen.

Wenn Du aufgrund einer 7 Tage-Arbeitswoche am Stock gehst und Dir lange Arbeitstage jeglichen Nerv rauben, wird die Investition in ein paar Sensoren daran auch nichts ändern, schließlich musst immer noch Du raus, wenn einer der Sensoren schreit. Holistisch betrachtet sollte das Ziel daher erstmal das eigene Wohlbefinden sein, gefolgt von einer Aufstellung, was sich auf dem Weg dahin alles ändern muss und zu verbessern wäre.

Herausforderungen der Zukunft

Landwirtschaft ist komplex – und da ich nicht glaube, dass sich daran absehbar etwas ändern wird, brauchen wir Modelle, um mit der Komplexität umzugehen. Die Fachwelt ist sich recht einig, dass eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft in Zukunft nötig sein wird. Da wird auch gerne von einem Miteinander verschiedener Elemente konventioneller und ökologischer Landwirtschaft gesprochen. Der Holistic Management Framework bietet eine hervorragende Basis, um dieser neuen Situation zu begegnen.

Resourcen und eine Anmerkung

Wer jetzt mehr wissen möchte, hat da mehrere Anlaufstellen:

  • Allan Savorys TED-Talk
  • Mein Artikel, in dem ich den Beitrag von Weide-Systemen zur Biodiversität beschrieb.
  • https://holisticmanagement.org <- dort habe ich damsls meine kostenlosen Materialien angefragt, die für erste Einblicke schon recht gut sind. Über diese Seite könnt Ihr Euch auch zum Holistic Management Educator ausbilden lassen
  • https://www.savory.global <- auf dieser Seite geht es deutlich mehr um Vernetzung, weitere Resourcen etc.
  • Ich habe übrigens auch das Buch „Holistic Management 3rd Edition“, das ich ganz entspannt über den Buchhandel bezogen habe.

Ich weiß natürlich um die kuriose Situation des Holistic Management in der Wissenschaft. Ich beobachte hier allerdings ein Umdenken in verschiedenen Bereichen, dem ich einen eigenen Artikel widmen möchte.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

35 Kommentare

  1. Ganzheitlich, ökonomisch und ökologisch, wird die Landwirtschaft sein, wenn diese Mensch und Boden vergiftenden Resourcenabgreifer enteignet und im Gemeinschaftseigentum entsprechend gerecht und wirklich-wahrhaftig freiheitlich in einem menschenwürdigen System ihren Beitrag leisten können, für Zusammenleben OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik.

    • Wettbewerb ist gar nicht so schlimm. Die Ausrichtung auf den Weltmarkt ist da viel problematischer. Ansonsten gilt wie gehabt: niemand hat ein Interesse an sinnlosem Verbrauch wichtiger Resourcen. Geld kostet es allemal, das im Betrieb viel besser aufgehoben ist.

  2. Leben verzehrt Leben.

    In Ihren Gedanken, Herr Schewe, die Dr. Webbaer mag, er meint u.a. Klugheit, Sozialität und philosophisches und womöglich allgemein unausgereiztes Talent festgestellt zu haben…

    Wobei Dr. W doch eigentlich nur, moralisch unaufgeladen an einem Stück Huhn oder an einem Stück Schwein oder Rind oder oder nagen möchte, am besten : gebraten.

    … fehlt die Definition, also die genaue Bestimmung, wobei dem Ökologismus, vs. der vielen sinnhaft erscheinenden Bemühung um die Umwelt gemeint ist, die ökologische, strenger und dediziert-dezidiert abgeraten werden könnte, an öffentlicher Stelle.

    Also, next time, gerne definitorisch werden.

    MFG – WB (der sich gerne erinnert sich hier mit Ludwig Trepl, rest in peace, ein wenig gestritten zu haben, der mochte die Definition)

    • Eine Definition bzgl. Ökologie oder Ökologismus ist hier gar nicht notwendig. Was andernorts vielleicht nach Bemühungen um die Natur aussehen mag, ist in einem System wie dem hier genannten system-immanent. Eine Definition findet lediglich auf Management-Ebene während der Planung satt. Und ja, auch wer etwas für Insekten und andere Tiere tun möchte, muss das System dahin gehend managen.

  3. “Gesundes Land…gesunde Menschen.”
    Ich mache täglich ausgedehnte Wanderungen durch die weite Feldflur meiner Heimat . Ich kann mich hier noch an Zeiten erinnern, wo ich jede Menge Kleintiere (Mäuse, Hamster, Hasen etc.) gesehen habe, wo Vögel gesungen haben…Heute gehe ich quasi durch eine “tote” Landschaft, wo nur noch Monokulturen von Rüben, Weizen angebaut werden und Chemie alles “störende” beseitigt hat. Diese Landschaft ist “tot” und zur totalen Ausbeutung freigegeben. Im Zuge der Nahrungskette wird der Mensch wohl das nächste Opfer sein. Schön, dass er diesen Selbstmord auf Raten nicht merkt

    • Doch, doch…der wird bemerkt. Deshalb wird auch auf vielen Feldern ausprobiert, welche Mittel sich durch Fruchtfolgen, Bodenbearbeitung oder Tier-Integration einsparen lassen. Kein Landwirt verbraucht Resourcen – wozu auch Spritzmittel gehören – aus Spaß an der Freude.

  4. Maßnahmen sind an Maßgaben festzumachen, Herr Schewe.
    Hier – ‘Eine Definition bzgl. Ökologie oder Ökologismus ist hier gar nicht notwendig. […] Und ja, auch wer etwas für Insekten und andere Tiere tun möchte, muss das System dahin gehend managen.’ – guckt Ihr Langzeit-Kommentatorenfreund ein wenig blass.

    Die Ökologie ist die Wissenschaft, die sich sinnhaft um die Umgebung des hier gemeinten Primaten bemüht, und der Ökologismus kann so festgemacht werden : ‘Wenn der Natur ein intrinsischer Wert zugesprochen wird’, beste Beispiele sind Aussagen der Art “Ohne uns (Menschen) wäre die Erde besser dran!” (nicht selten aus protestantischem Milieu zu hören) oder wenn dem Planeten Erde die “Krankheit Homo Sapiens” zugesprochen wird, unser Reinhold Leinfelder wagte hier zuzustimmen, hat sich dann aber dankenswerterweise zurückgezogen, revidiert.

    “Gefühlig” ist im Umgang mit dem guten Tier nicht viel zu machen, Anstand ginge, also wer will schon ein Nutztier quälen?

    Dr. Webbaer rät an Definitionen zu suchen, die die Landschaftspflege, die Ökologie meinen, bspw. sollte Tierquälerei verboten werden, bspw. könnte versucht werden als Maßstab die Natur heranzuziehen, um sicherzustellen, dass das gute (Nutz-)Tier nicht schlechter gestellt ist, als dort – hüstel, von gelegentlicher Schlachtung vielleicht einmal abgesehen.

    Also auch die Tötung von Tier wäre dementsprechend zu theoretisieren, in seiner Möglichkeit und Definitionen bereit stellend.

    Dr. Webbaer schreibt Ihnen dies, Herr Schewe, weil er davon ausgeht, dass Sie dazu in der Lage sind.
    Dr. W kennt Sie ja schon ein wenig länger und sieht hier besonderes Potential.

    Mit freundlichen Grüßen und ein schönes Wochenende
    Dr. Webbaer

    • Danke für die Erläuterungen zu Ökologie und Ihrem geliebten Ökologismus. Ich fürchte nur, dass das hier etwas ins Leere läuft. Wenn ich schreibe, dass etwas für die Natur getan werden soll/getan wird, klingt das natürlich super, ist aber selbstverständlich Teil des Management-Plans bzgl. mehr Effizienz. Je besser das Ökosystem Boden funktioniert, desto effizienter wachsen Pflanzen. Und wenn ich Wildvögel unterstütze, ist das nicht nur gut für die Biodiversität, schließlich halten die Tiere auch Fliegen unter Kontrolle, was wiederum gut für die Gesundheit und das Wohl jener Tiere ist, die ich aus wirtschaftlichen Gründen halte. Die von Ihnen gewünschten Definitionen liefert der Holistic Management Framework doch.

      Ein Satz zu Tierwohl: Sie fragen, wer denn Tiere quälen wolle. Das ist aber der falsche Ansatz. Niemand will das, trotzdem passiert es, weil Menschen aus der Bahn geworfen werden können. Wer dann 7 Tage die Woche arbeiten muss, geht kaputt – und damit auch die Tiere. Da müssen wir ansetzen. Politisch wurde der Zug beim Tierwohl schon verpasst, hoffentlich geht hier noch was.

      • Ja, gut, der Schreiber dieser Zeilen wird sich mit dem “Holistic Management Framework” beschäftigen,
        MFG – WB (der jetzt nur geantwortet hat, um die Schaltfläche mit der Beschriftung ‘Antworten’ zu testen, die ist neu, gell?)

  5. @Schewe

    Das Hauptproblem wettbewerbsbedingter Symptomatik, ist die Resource Geld – für den Gewinn um diese Resource, ist nicht nur “investigativer” Lobbyismus bis zur EU wichtig, auch der möglichst gesetzlich-abgesicherte Einsatz von gewinnmaximierenden Mitteln zur Beseitigung von “Schädlingen”.

    Der Wettbewerb im Rahmen der Globalisierung ist im Grunde nur für die armen Länder ein Problem – das teils bedrohliche Gejammer der europäischen Landwirte, ist dagegen mehr als nur zweifelhafte Opferrolle, denn die können ja schließlich auch so flexibel sein wie jeder andere Europäer, dessen Arbeitsplatz/Lebensgrundlage so einfach wegrationalisiert wird!?

  6. Ackerland ist längst zum Spekulationsobjekt der Finanzbranche bzw. von Investoren geworden. So hat sich der Preis für ein Hektar Ackerland in den letzten 10 Jahren bei uns mehr als verdoppelt. Acker /Land ist eine in den Zeiten von Niedrigzinsen und steigender Bevölkerung eine sichere Kapitalanlage, Da spielt der Biotop- also die Natur- eine untergeordnete Rolle, denn Kapital verlangt Gewinne ,egal ob Natur und Menschen darunter leiden. Chemie auf den Äckern, Massentierhaltung mit einer Überproduktion an Fäkalien, vergiften das ökologische Gleichgewicht und fördern das Aussterben von Arten. Gut, dass sich kaum jemand dafür interessiert…

    • Da sind Sie aber schwer auf dem Holzweg. Holistic Management ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen, allgemein wächst die Bewegung jener Landwirte, die Dinge anders machen möchten. Dazu kommen noch viele Projekte zwischen Naturschutz-Verbänden und Landwirtschaft. Für eine erfolgreiche Umsetzung braucht es aber gleichermaßen Freiräume wie auch Klarheit bzgl. anstehender Auflagen.

    • All die Technologie sollte dem Mensch das Leben leichter machen, doch nur wenn Mensch erkennt das Mensch ALLE und ohne Wettbewerb bedeutet, kann die im “gesunden” Konkurrenzdenken vergeudete Zeit vielleicht doch noch zu einer konstruktiven Wende für Mensch und Natur werden!?

  7. Auch das Bio in dieser alles vernichtenden Welt- und “Werteordnung” eine heuchlerisch-verlogene Illusion ist, das wird inzwischen wohl jeder Ökofreak erkannt haben – Plastik, Gift und Nanotechnologie (Bio-Nanotechnologie) kommen NACHHALTIG überall hin!?

  8. Lieber Jürgen,

    ich kann die Bewegung der Landwirte, die Dinge anders machen möchten, noch nicht wahrnehmen (ökologisch orientierte Landwirtschaft einmal ausgenommen).
    Was ich im Moment sehe sind grüne Kreuze und Schuldzuweisungen.
    Dass auch Landwirte unter Druck stehen, und sehen müssen wie sie klar kommen, steht außer Zweifel. Die bis jetzt angerichteten Schäden sind allerdings so erheblich, dass es nicht reicht, darauf aufmerksam zu machen, dass die Landwirte diese prekäre Situation nicht aus Spaß an der Freude verursacht haben.
    Ansonsten finde ich den Post sehr gut und spannend, aber bei der nachhaltigen Intensivierung gehe ich nicht mit. Ein noch so ausgeklügeltes Holistic Management ist nicht viel wert, wenn wir nicht ein paar Gänge zurückschalten. Golzowers Bemerkungen möchte ich ebenfalls unterstreichen.
    Es ist ein wenig wie beim Klimawandel: ein intelligenter technischer und ökologisch sinnvoller Lösungsansatz reicht nicht aus. Die Schäden sind angerichtet und werden noch weitaus schlimmer, wenn wir die Bremse jetzt nicht finden. Ein “weiter so” wird es nicht geben dürfen. Auch im Interesse der Landwirte.
    Nahrungsmittelsicherheit hin oder her: Ressourcen auf lange Sicht überzustrapazieren führt zum Kollaps. Wir müssen umsteuern. Nur über das wie sollte man faktenbasiert diskutieren. Dass es höchste Zeit ist, das System komplett in Frage zu stellen scheint mir sicher zu sein.

    • Grüß Dich Alisier,
      mit den grünen Kreuzen gebe ich Dir Recht. Man will zwar Dialog, hat das Konzept aber noch nicht ganz durchschaut.

      Ansonsten kann ich Dich aber beruhigen. Es gibt durchaus Landwirte mit neuen Ideen. Das Problem ist leider, dass sie damit unter dem Radar fliegen, wir hatten das ja schon in meinem letzten Artikel.

      Nehmen wir mal die pfluglose bzw. gar keine Bodenbearbeitung – das gibt es. Ist super für die Bodenstruktur und das dortige Leben, das ungestört bleibt. Jetzt gibt es aber unerwünschte Pflanzen auf dem Acker, die man sonst untergepflügt hat. Ohne Pflug bleibt nur Glyphosat. Das ist völlig ok, allerdings werden Landwirte nicht gerade zum Wandel hin zu einem pfluglosen System ermutigt, wenn sie ständig ein Glyphosat-Verbot fürchten müssen. Erschwerend hinzu kommt, dass derlei Bemühungen um Bodenaufbau und -gesundheit nicht wirklich offiziell anerkannt werden, man ist halt weiter ein konventioneller Betrieb.

      Bzgl, angerichteter Schäden und Probleme stimme ich Euch ja durchaus zu, es ist aber keineswegs so, dass das innerhalb der Landwirtschaft auf weiter Flur niemand erkannt hätte. Deshalb brauchen wir neue Systeme abseits von bio/konventionell, um a) die Probleme zu adressieren und b) diese Systeme auch zu würdigen.

      • Ich möchte beim Thema Glyphosat darauf aufmerksam machen, dass die Auswirkung auf Bodenbakterien und Bodenpilze (bis hin zu Mykorrhizapilzen in Wäldern und außerhalb) so erheblich ist, dass davon ausgegangen werden muss, dass wir die Folgen des Setzens auf Glyphosat auch noch werden ausbaden müssen.
        Das Mikrobiom ist nicht vernachlässigenswert, wie wir zu lange dachten, weil wir uns der herausragenden Bedeutung nicht bewusst waren.
        Die Studien dazu werden gerade angefertigt: es gibt aber auch schon einige aussagekräftige.

        • Du hast Recht, dass das Mikrobiom vernachlässigt wurde. Aber was schlägst Du Landwirten vor, die das erkannt haben, ihre Böden reparieren und währenddessen eben Glyphosat einsetzen? Ich bin mir sicher, dass sie sich über Alternativen freuen werden.

          Übrigens muss das gar nicht heißen, dass Glyphosat bis in alle Ewigkeit gebraucht wird, sondern lediglich Teil der Entwicklungsphase ist. Es gibt dazu eine Menge Diskussionen. Um eine Floskel zu bedienen: viele Wege führen nach Rom.

          Es muss sich was ändern. Aber das Ziel sollte dabei nicht sein, alles zu verbieten, was nicht bei 3 auf dem Baum ist, weil in der Vergangenheit was schief gelaufen ist.

          Ich empfehle Dir mal dieses Video: https://youtu.be/tlefBDSVizo

  9. Moin Sören,

    vielen Dank für das Video! Und ich würde mich mit diesem Bauern auch sehr gerne über seine Erfahrungen unterhalten, weil ich ihm als Praktiker und Rebell, der dennnoch in den klassischen industriellen Landbau eingebunden ist, einiges zutraue, besonders auch an weiter gehenden Überlegungen.
    Allerdings ist “meiner Meinung nach” kein Beleg für die Unbedenklichkeit von Glyphosat wenn es um Lumbricus und andere Gattungen geht.
    Und ich finde es toll wenn jemand die Vorteile von Direktsaat so anschaulich darstellt. Von einem Verbot von Glyphosat und Ähnlichem habe ich übrigens nicht gesprochen, aber zu großer Vorsicht würde ich mahnen wollen.
    Als jemand, der den Niedergang der Insektenpopulationen seit über 30 Jahren verfolgt und mit dokumentiert denke ich, dass es höchste Zeit wird, den Ursachencocktail genauestens unter die Lupe zu nehmen, und gleichzeitig Menschen wie diesen Bauern zu motivieren und zu unterstützen.
    Es darf eben nicht darum gehen Schuldige auszumachen und vorzuführen, sondern eine breite und vernünftige Diskussion zu ermöglichen, und da darf Gyphosat natürlich ebenfalls kein Tabu sein.
    Wir brauchen die beste Lösung, und die ist durch Schnellschüsse (wozu auch Verbote gehören) eben nicht zu haben.
    Weswegen ich mich über Diskussionen, an denen Lösungsorientierte aller Fraktionen beteiligt sind immer besonders freue.

    • Grüß Dich Alisier,
      freut mich, dass Dir das Video gefallen hat. Das Glyphosst-Verbot wollte ich übrigens keinesfalls Dir anhängen, aber es wird nun mal generell von verschiedenen Seiten gefordert.
      Noch ein paar Worte zur besten Lösung: die eine Lösung wird es nicht geben. Was funktioniert und was nicht, hängt natürlich immer von den Betrieben und deren Struktur ab. In diesem Falle ist eben Glyphosat die beste Lösung auf dem Weg zu einem neuen System. An anderer Stelle habe ich schon von Schweinen oder Hühnern gelesen, deren Buddel-Aktivitäten gegen Unkraut eingesetzt werden. Da braucht es viel Experimentier-Freude, um eine ordentliche Lösung zu finden. Ich werde Dich hier auf dem Laufenden halten.

  10. Hallo Sören Schewe,
    dass durch pfluglose Bodenbearbeitung der “Unkrautdruck” steigt, ist ein Problem. Dass “Glyphosat die beste Lösung” ist, möchte ich anzweifeln. Immerhin ist es ein Totalherbizid, das so ziemlich alle Pflanzen abtötet und damit auch alle Insekten, Bodenlebewesen u.a. betrifft, die auf und von diesen Pflanzen leben (von den umstrittenen Wirkungen auf Menschen ganz abgesehen). Ich befürchte, dass der Schaden durch Glyphosat größer ist als der Nutzen der pfluglosen Bodenbearbeitung. Soweit ich weiß, gibt es auch Bio-Landwirte, die pfluglos arbeiten und die “Unkräuter” mit anderen Verfahren in Schranken halten. Was spricht dagegen, deren bewährte Verfahren auszuprobieren?
    Mit freundlichen Grüßen, Ulrich Häpke

    • Hallo Herr Häpke,

      ich halte Glyphosat auch nicht für die beste Lösung, gegenwärtig spielt es aber eine sehr wichtige Rolle für jene Landwirte, die auf regenerative, also aufbauende, Systeme setzen. Natürlich ist Glyphosat auch nicht ungefährlich, aber ich habe mich schon öfter mit Landwirten ausgetauscht, deren Bodenleben sich ohne Pflug, aber mit Glyphosat deutlich verbessert hat.

      In der Unterhaltung mit Alisier hier in den Kommentaren habe ich ihr ein Video empfohlen, das ich auch Ihnen empfehle – ein deutscher Landwirt teilt hier seine Erfahrungen ohne jegliche Bodenbearbeitung und buddelt reichlich Regenwürmer aus.

      Der selbe Landwirt hat heute ein Video veröffentlicht, in dem er genau auf Ihren Kommentar eingeht. Daher würde ich Ihnen dieses Video auch noch gerne ans Herz legen: https://youtu.be/EsTirZ3jZ6k

      • Hallo Herr Schewe, vielen Dank. Sehr interessant, die Videos. Erstaunlich finde ich, dass Landwirte beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sich selbst immer wieder gesundheitlichen Gefahren aussetzen. Immerhin ist Glyphosat/Roundup von der “Internationalen Agentur für Krebsforschung”, einer Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation, als “wahrscheinlich krebserzeugend für Menschen” (so genannte “Kategorie 2A”) eingestuft worden, gestützt auf mehrere Untersuchungen. Mehrere Gerichte in den USA sehen es schon genauso. Freiwillig würde ich mit einem solchen Stoff nicht arbeiten. Mit freundlichen Grüßen, Ulrich Häpke

          • Moin, Herr Schewe,
            danke für die Blumen. Allerdings haben Sie etwas missverstanden: Es geht nicht einfach um Tee, sondern um sehr heißen Tee (“Very hot beverages at above 65 °C”) – Risikofaktor für Speiseröhrenkrebs.
            Ansonsten gehört Glyphosat zur selben Kategorie wie Acrylamid, Bleiverbindungen, DDT, Malaria u.a. Solche Risikofaktoren versucht mensch doch zu vermeiden. Was ist wichtiger: die eigene Gesundheit oder der Verzicht auf jede Bodenbearbeitung? Mit freundlichen Grüßen, Ulrich Häpke

            Quelle: https://monographs.iarc.fr/agents-classified-by-the-iarc/

          • Richtig, da war doch was, heißer Tee…danke für die Ergänzung. Ansonsten fürchte ich, lässt sich ihre Frage nicht so leicht beantworten.

            Wichtig ist ein funktionierendes Soil Food Web. Die Regenwürmer sind natürlich ein Teil dessen und ihre zahlreiche Existenz ein guter Hinweis, dass die regenerativen Maßnahmen funktionieren und es auch den Bakterien und Pilzen super geht. Die Regenwürmer dienen wiederum als Futter für Vögel, die im gleichen Zug auch das eine oder andere Insekt schnabulieren. Sie verstehen, worauf ich hinaus will?

            Wenn in einem solchen System zwar Glyphosat zum Einsatz kommt, dafür aber auf anderes verzichtet werden kann, weil sich bspw. um Fraßschädlinge gekümmert wird, ist das für mich ein akzeptabler „trade off“.

  11. @ Ulrich Häpke

    “Soweit ich weiß, gibt es auch Bio-Landwirte, die pfluglos arbeiten und die “Unkräuter” mit anderen Verfahren in Schranken halten. Was spricht dagegen, deren bewährte Verfahren auszuprobieren?”

    Im Ökolandbau sind Glyphosat und andere Herbizide nicht erlaubt, von daher ist eine reduzierte Bodenbearbeitung (ohne Pflug) meist eine besondere Herausforderung. Hauptgründe sind der hohe Unkrautdruck und die verzögerte Mineralisierung. Letztere wird durch die langsamere Erwärmung und Abtrocknung des Bodens verursacht und darf, im Gegensatz zum im konventionellen Ackerbau, nicht durch schnelllösliche Stickstoffdünger ausgeglichen werden. Und wie der Bauer im zweiten Video bereits erklärte, ist eine mechanische Unkrautentfernung, wegen des dichten Pflanzenwuchses nur eingeschränkt möglich. In der Schweiz läuft deshalb ein fünfjähriges Projekt mit ausgewählten Ökobetrieben, das zeigen soll, unter welchen Voraussetzungen eine reduzierte Bodenbearbeitung auch hier möglich wäre. Neben Flachrubbern (die den Boden nicht wenden) setzt man hier flachschälende Pflüge ein, diese wenden den Boden lediglich bis auf zehn Zentimeter Tiefe und arbeiten so bei weitem „seichter“ als herkömmliche Pflüge. Desweiteren muss natürlich viel Wert auf eine passende Fruchtfolge gelegt werden, wie sie im Ökolandbau ja bereits üblich ist.

    • Grüß Dich Mons und danke für den Kommentar. Ich möchte nur kurz ergänzen, dass Hartwig Callsen, dessen Videos ich hier verlinkt habe, seine Böden GAR NICHT bearbeitet, auch kein bisschen.

  12. @Sören Schewe

    „Ich möchte nur kurz ergänzen, dass Hartwig Callsen, dessen Videos ich hier verlinkt habe, seine Böden GAR NICHT bearbeitet, auch kein bisschen.“

    Ja, allerdings schafft er das nur durch den Einsatz von Glyphosat und das ist im Ökolandbau ja nicht erlaubt. Die Bundesregierung wird das umstrittene Totalherbizid ab Ende 2023 verbieten, um das Insektensterben der vergangenen Jahre zu bremsen. Allerdings ist zu befürchten, dass dann schon neue Mittel bereitstehen, die ebenfalls Probleme machen.
    https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2019-09/tierwohl-label-nutztiere-insekten-glyphosat-julia-kloeckner

    • Von mir aus kann Glyphosat gerne verboten werden, wenn es denn praktikable Alternativen gibt – solange die fehlen, sollten wir Landwirten wie Callsen nicht die Werkzeuge wegnehmen, die notwendig sind, um Böden zu reparieren und tatsächlich die Biodiversität im Boden zu fördern.

  13. Alleine mit Glyphosat wird man die weithin überdüngten Landschaften und die teilweise extrem verdichteten Böden aber nicht reparieren können, Sören.
    Was mir beim Ansehen der verlinkten Filme auch noch aufgefallen ist, waren gut sichtbare Gehölzformationen wenn Callsen die Kamera kurz nach oben bewegte.
    Das sah gut aus, und es ist eher die Ausnahme, dass Gehölze in der Nähe von Feldern überhaupt noch toleriert werden, trotz aller Lippenbekenntnisse.
    Aus meiner Sicht ist das System, mit Glyphosat oder ohne, so nicht im geringsten sinnvoll und haltbar.
    Callsens Ansatz ist interessant und nachahmenswert, dürfte aber, wenn ich das richtig einschätze, eine absolute Ausnahme sein und bleiben, weil es ein System ist, das auch geringe Abweichungen nicht belohnt, sondern bestraft.
    Der Ausdruck “industrielle Landwirtschaft” ist schon treffend, und an dem bestehenden System zu drehen scheint fast unmöglich zu sein.
    Auf der anderen Seite sind wir mit Problemen und Schäden konfrontiert, die so erheblich sind, dass Tropfen aus den heißen Stein zu wenig sein dürften.
    Die Bauern sind komplett abhängig vom System, und das ist der Grund weswegen die Veränderungen von der Politik kommen müssen, also von ganz oben.
    Und dann müssten eben Praktiker und helle Köpfe wie Callsen in die Entscheidungen mit eingebunden werden, damit keine unsinnigen Regelungen entstehen (Siehe z.B. Streuobstwiesen in Baden-Württemberg)-

    • Ich habe Glyphosat nie als alleinige Lösung für etwas propagiert, sondern lediglich auf seine wichtige Rolle im Zusammenhang mit regenerativen Systemen betont. Solange es da keine Alternative gibt, sollte ein Verbot allerdings kein Thema sein.

      Ansonsten sprichst Du damit einen wichtigen Punkt an – gerade jene Lösungen, die betriebsindividuell passieren, werden nicht gewürdigt. Das hatte ich ja schon beim Tierwohl erklärt. Da muss noch einiges passieren.

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