Landwirt Daniel über industrialisierte Landwirtschaft

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Über die Frage, was denn industrielle Produktion in der Landwirtschaft sei, ließe sich zweifellos ein ganzes Buch schreiben. Im Juni letzten Jahres schrieb ich über einen konventionellen Schweine-Landwirt aus den USA, der seinen Betrieb nicht als industriell empfand, sondern vielmehr die Vorzüge dieser Stallhaltung gegenüber früherer Freilandhaltung zu schätzen wusste, als die Tiere noch den Unbilden des Wetters schutzlos ausgesetzt waren. Kommentator Daniel hatte schon 2011 hier im Blog seine Sicht bzgl. einer industriellen Produktion dargelegt.

In Bezug auf den Umgang mit Lebewesen von industrieller Produktion zu sprechen fällt mir sehr schwer. Dafür sind die Tiere zu unterschiedlich. Ein Mitarbeiter in einem Stall mit 400 Kühen (wie in dem Zeitungsartikel) (1) kennt JEDE Kuh mit ihren Eigenarten und Besonderheiten. Das ist auch nicht verwunderlich, da er den ganzen Tag nichts anderes macht, als sich mit den Kühen zu beschäftigen. Bei ihm ist der Umgang mit den Kühen der Hauptberuf.

So ist aber auch jegliche landwirtschaftliche Produktion heute standardisiert, da man die Qualitätskriterien der aufnehmenden Hand und zahlreiche gesetzliche Bestimmungen (z.B. Hygieneauflagen) beachten muss. Wenn man das nicht dem Zufall überlassen will, dann muss man seine Produktion standardisieren, egal ob sie in einem großen oder einem kleinen Betrieb stattfindet, egal ob weniger oder mehr Tiere gehalten werden.

Wenn industrielle Landwirtschaft ein Typ von Landwirtschaft mit der Verwendung industriespezifischer Produktionsweisen ist, dann betreibt jeder Milchproduzent industrielle Landwirtschaft.

Nach der Definition aus Wikipedia ist jeder Melkvorgang, sollte er nicht von Hand erfolgen, ein industrieller Prozeß, auch wenn nur 20 Kühe gemolken werden:

Kennzeichen agrarindustrieller Betriebe sind unter anderem:

  1. ein hoher Spezialisierungsgrad
    –> die Spezialisten sind die Milchkühe, sie werden zur Milchproduktion gehalten, Zwei- oder Mehrnutzungsrinder sind die absolute Ausnahme.

  2. die Verwendung technischer Verfahren (2)
    –> das ist in diesem Fall die Melkmaschine, mit Melkgeschirr, Meß- und Wiegeeinrichtungen, Vakuumpumpen und der Milchkühlung.

  3. ein hoher Kapitaleinsatz
    –> eine Melkmaschine ist nicht gerade billig, die Melktechnik erfordert einen hohen Kapitalbedarf, man könnte sich für das Geld auch ein Auto der gehobenen Klasse kaufen.

  4. und der Übergang zu standardisierter Massenproduktion.
    –> Der Melkvorgang ist bei jeder Kuh gleich, also standardisiert: Euter reinigen, anrüsten, vormelken, Melkgeschirr ansetzen, melken.


Anmerkungen (Sören Schewe)

  1. Den Artikel gibt es leider nicht mehr.
  2. Kleine Anekdote am Rande: im Buch “The Cow” von Jared van Wagenen aus dem Jahre 1922 beklagt der Autor die zunehmende Entfremdung von Mensch und Tier durch die Entwicklung erster Melkmaschinen.

Weitere Hinweise

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

11 Kommentare

    • Hallo Hubert,

      ja nu, was soll ich dazu sagen. Ist halt immer das gleiche Timing. Wenn die Grüne Woche ansteht, buddelt irgendwer einen Skandal aus.

  1. Schon eigenartig, dass solch an sich ja sehr rationalen Begriffe immer wieder für eine emotionalisierte Diskussion genutzt werden und zu einer moralischen Abwertung führen – statt dass ganz sachlich Vor- und Nachteile für Tierwohl, Verbraucher und auch Landwirt abgewägt werden. (s. auch @ Hubert)
    Das passiert ha heutzutage in vielen Zusammenhängen. Hinbtergrund scheint das Bedürfnis zu sein ein heile Welt zu haben mit diesen bauernhöfen, die man (auch heuite noch) in Kinderbüchern vorfindet – bzw. als Verbraucher ein reines Gewissen haben und trotzdem Fleisch essen zu wollen. Dieses Dilemma sollen dann die Erzeuger lösen, in dem sie günstig und edel produzieren. Ob sich das dann rechnet, mhm….
    deshalb findet ich es auch gut, wenn in diesem blog immer wieder sachlich informiert wird, wie das so alles eine Rolle spielt in der Landwirtschaft, damit ich als ausgemachte Städterin ohne Tuten und Blasen sich informieren kann, wenn einem dieses ideologisierte Phänomen des alles muss Bio sein und politisch überkorrekt und wen kann man noch zum Feindbild küren usw. auf die Nerven geht.

    • Hallo Kathrin,

      ich weiß immer nicht so genau, ob das Bedürfnis/die Sehnsucht nach der guten alten Zeit wirklich ein aktuelles Phänomen ist. Das oben von mir noch zusätzlich erwähnte Buch “The Cow” ist da recht aufschlussreich, denn selbst 1922 wurde sich schon über die gute alte Zeit beklagt, argumentativ teils sehr deckungsgleich mit der heutigen Zeit. Natürlich wird mit dem Wort Industrie und seinen Adjektiven viel PR betrieben, indem etwas Kaltes, Unmenschliches suggeriert wird, da hast Du völlig recht.

      Es freut mich, dass Dir meine sachlichen Artikel gefallen. Bald kommt auch wieder was Längeres von mir 😉

  2. Landwirtschaft, die nicht allein der Subsitstenz dient und die Regeln unterworfen ist, wird heute industriell im Sinne der Wikipedia-Definition sein, wenn sie konkurrenzfähig bleiben will – gerade auch, wenn ihre Produkte eines der begehrten (Bio-) Labels tragen wollen.

    Eine nicht-industrielle, nicht im hohen Ausmass automatisierte Landwirtschaft könnte es nur dann geben, wenn ein (neu zu schaffendes) Label nicht allein die Produkte und das Tierwohl im Sinne hätte sondern auch die Art wie die Tiere behandelt werden. Man könnte sich ein Label vorstellen, welches verlangt, dass die Milchkuh von Hand gemolken wird. Das würde die Milch verteuern, würde aber sich einen Kundenstamm finden – wenn auch einen kleinen.

    • Wenn ich vor meinem geistigen Auge mal die Investionen von Zeit und Geld in Marketing, Anpassung der Betriebe und Probeläufe in der Praxis überschlage und mir dann die Größe der Nische überlege, sollten wir die potentiellen Mittel doch besser in eine vernünftige Kommunikation der aktuellen bzw. sich entwickelnden Landwirtschaft investieren. Nischen etablieren, die dann wieder anderen Nischen-Produkten Konkurrenz machen, nur um ein Gefühl zu bedienen, das sollte keine Option sein.

      • Ja. Effizienz bleibt wichtig in einer Welt in der fast jeder mehr Wohlstand anstrebt. In solch einer Welt, in der man in einem Zeitraum von beispielsweise 10 Jahren, wachsen will und effizienter werden will, muss man mit gleich viel Arbeit wie vor 10 Jahren mehr produzieren als vor 10 Jahren. Dieser schon viele Jahrzehnte alte Megatrend – mehr mit weniger erreichen – wird wohl erst gebrochen werden, wenn sich die Lebensumstände grundsätzlich ändern (wohl zum Schlechten ändern).

        • Ich las kürzlich einen Report über Milchvieh in Kleinstbetrieben einiger Entwicklungsländer. Dort gibt es noch viel Potential für Wachstum ohne die landwirtschaftlichen Strukturen massiv zu verändern, einfach durch simple Optimierungen der Haltungsbedingungen, bessere Ausbildung der Tierhalter etc.

          Natürlich wäre auch jenes Szenario denkbar, dass durch bessere Bedingungen ein größerer Wohlstand erwirtschaftet und ein höherer Gesundheitsstatus erreicht wird. Gerade dort, wo Landwirtschaft eher der eigenen Versorgung dient, könnten Kinder Schulabschlüsse erreichen und somit auch andere berufliche Wege einschlagen. Ich glaube, dass wir da bald Situationen/Entwicklungen beobachten können, die und wohlbekannt vorkommen werden.

  3. Wie schön, wenn man einen fast 4 Jahre alten Kommentar als Aufmacher in einem Artikel von Sören wieder zu lesen bekommt. Und wie schön, wenn man noch heute jedes Wort des damals geschriebenen wieder unterschreiben kann.

    Auf der anderen Seite muss man aber auch feststellen und das ist weniger schön, dass wir uns in der Diskussion nicht weit von der damaligen Ausgangssituation, was die öffentliche Meinung / Diskussion angeht, entfernt haben. “Industrielle Landwirtschaft” wird weiter als Kampfbegriff benutzt um vermeindliche schlechte Formen der modernen Landwirtschaft zu diffamieren. Dabei führen die immer höheren Anforderungen und Dokumentaionspflichen der letzten Jahre an die landwirtschaftliche Produktion zwangsläufig dazu, dass sich die Landwirte weiter spezialisiern müssen, um alle Auflagen einhalten zu können. Ich bin froh, dass unser Schäfer sich um Weidetagebücher, Tierkennzeichnung, Medikamentendokumentation, … kümmert. Er ist froh, dass er nichts mit Schlagkartei, Düngbilanzen, immer neuen Auflagen bei Pflanzenschutzmitteln, … zu tun hat. Er ist der Schäfer, ich bin der Ackerbauer. Respekt vor dem Einzelkämpfer, der das alles unter einen Hut bekommt. Was aber an dieser Spezialisierung (“Industriealisierung”) schlecht für meine Pflanzen und seine Schafe sein soll, konnte mir bis heute keiner erklären.

    Wenn aber z.B. der Fleischatlas von BUND und der grünen Böll – Stiftung in der Öffentlichkeit quasi als Statisitsches Jahrbuch über die Tierhaltung und den Verzehr von Fleisch und Milchprodukten gesehen wird, ohne kritisch zu hinterfragen, wer die Autoren sind und welche Politik sie mit diesem Atlasbetreiben wollen, dann braucht man sich über nichts zu wundern.
    Gut, dass immer wieder Leute dagegenhalten. Deswegen kann ich an dieser Stelle den Anti – Fleischatlas von Georg Keckl
    (http://www.keckl.de/texte/Anti%20Fleischatlas%20Georg%20Keckl.pdf)
    empfehlen.

    Herzlichen Dank, aber auch Dir Sören, für Deine Mühen mit Deinen Artikeln im Blog!

    • Wie schön Dich mal wieder hier zu lesen Daniel!

      Natürlich wird die industrielle Landwirtschaft weiterhin als diffamierender Begriff für eine moderne und effektive Landwirtschaft verwendet. Was über Jahre pr-technisch aufgebaut wurde, lässt man nicht mal eben fallen.

      Letzten Sommer war ich öfter bei einem Milchbauern zu Besuch, der auch direkt im Betrieb eine kleine Lokalität betreibt. Dort schauten auch viele Menschen nach den Tieren und waren sehr zugänglich, wenn ich ihnen etwas dazu erklärte. Natürlich ist das ärgerlich, wenn zur grünen Woche einige die Aufmerksamkeit nutzen, um auf den Putz zu hauen. Dass sie damit einen allzu Nerv treffen, glaube ich noch nicht. Sie sieht aber natürlich pr-technisch sehr weit vorne, das muss man ihnen lassen 😉

      Keckl ist immer so eine Sache. Sehr engagiert, recherchiert immer alles sehr akribisch, leider verspielt er aber auch viel mit seiner Art. Sprich: seine Artikel kann ich nie ganz bedenkenlos empfehlen. Gerade Ihr als meine Leserinnen und Leser seid schließlich sachliche Beiträge gewohnt.

      • Es stimmt. Herr Keckl kann ich eine gewisse Polemik manchmal nicht verkneifen, aber da kann ich drüberhinweglesen. Seine akribische Rechersche ist vorbildlich und bei den Dingen die er da auseinandernimmt, kann einem schon mal das Messer in der Tasche aufgehen, so kann ich seine emotionalen Atacken gut verstehen. Er schreibt schließlich kein Gutachten 😉
        Sein “Anti – Bodenatlas” ist aber auch lesenswert, es ist schon hanebüchen, wie BUND und Böllstiftung mit Ihren Zahlen umgehen und wie das kritiklos in der Öffentlichkeit aufgegriffen wird.

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