Keine Privatsphäre im Kuhstall der Zukunft

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

GPS-Technik ist in der Landwirtschaft nichts dramatisch neues mehr. Mit Hilfe dieser Technik werden im Pflanzenbau schon länger Felder bestellt. Der Vorteil unübertroffener Präzision bei der Bestellung (heißt deshalb auch Precision Farming) liegt auf der Hand. Diese Vereinfachung soll jetzt auch in der Tierhaltung etabliert werden. Passend dazu erfuhr ich vor kurzem, dass auch in der Landwirtschaft schon mal zum Tablet gegriffen wird, um sich die Arbeit zu erleichtern. Zwei Anwendungen möchte ich in diesem Zusammenhang vorstellen, vielleicht wird das sogar eine Serie. (1)

Vor ein paar Tagen tauschte ich mich mit einem Landwirt aus, es ging um Milchvieh-Haltung und seine Erfahrungen. Es sei schwierig, so schrieb er zum Beispiel, immer den richtigen Besamungszeitpunkt zu erwischen, die Brunst sei bei den Tieren nicht sehr ausgeprägt. Um die Problematik genauer untersuchen, brauche es unter anderem auch Daten, schreibt er weiter. Nicht falsch verstehen: Landwirte leben nicht in der Steinzeit, aber manchmal sind es die Details, die eine grundlegende Analyse erst ermöglichen.

Cowview heißt das Programm, welches das Problem mangelnder Analyse-Daten beheben soll, indem es sie einfach sammelt. Transponder für jede einzelne Kuh sind kein Hexenwerk, gibt es jetzt schon für den Kraftfutterautomaten und die Melkanlage. Mit einem Programm wie Cowview lässt sich zusätzlich noch ein individuelles Bewegungsmuster jeder Kuh erstellen, auf sehr großen Betrieben sind einzelne Tiere zudem schnell auffindbar.

Ein ähnliches Programm – Smart Cows genannt – wird auch in Australien von der Firma Taggle entwickelt, angestoßen von David Lamb, Wissenschaftler an der Universität von New England. Über GPS wird die Position jeder einzelnen Kuh ermittelt und an einen stationären Rechner auf dem Bauernhof weitergeleitet. Von da aus sind diese dann auch über ein Tablet mobil abruf- und nutzbar.

Das Potential dieser Technik halte ich für groß. Das Brunst-Beispiel hatten wir schon. Eine erhöhte Bewegungsaktivität bzw. Unruhe ließe sich so schneller erkennen. Ein anderer Punkt ist das Erkennen von Krankheiten, weil sich ein sonst aktives Tier deutlich weniger bewegt. Auch trächtige Tiere lassen sich so deutlich effektiver überwachen, gerade dann, wenn sie draußen sind. Stallkontrollen und der direkte Kontakt zu den Tieren ist natürlich wichtig, allerdings neigen Tiere gerne dazu, ihre Probleme in Anwesenheit von Menschen zu verstecken – als Selbstschutz – oder weil sie schlicht keinen Bock auf den Tierarzt haben.

Wirklich lohnenswert dürfte eine derartige Überwachung in sehr großen Betrieben mit vierstelligen Tierzahlen sein, so wie wir sie jetzt schon im Osten Deutschlands finden. Die Tendenz geht allerdings überall in diese Richtung. Letztes Jahr schrieb ich in einem Artikel zur ‘Massentierhaltung’, dass uns bei einem sich weiter wie bisher entwickelnden Strukturwandel eher mehr große als kleine Betriebe blühten.

Vielleicht bin ich gerade noch etwas zu begeistert, aber mir schwebt spontan ein voll automatischer Milchvieh-Stall vor Augen, der sich komplett über Laptop und Tablet/Smartphone kontrollieren und steuern lässt. (2) Daten-Monitoring und die Überwachung aller Vorgänge – ohne direktes Eingreifen. So könnte man einfach das jeweilige Gerät an das Bordnetz eines PKWs/Traktors anschließen und hätte so direkten Zugriff auf jegliche Abläufe von Unterwegs. Solche Schnittstellen gibt es ja schon, um zum Beispiel Musik auf dem Smartphone abspielen zu können. Gehen wir also einen Schritt weiter. Mercedes, BMW,VW, Audi – wie schaut es aus?

Hier gibt es noch zwei kleine Videos, welche das System Cowview gut erklären (Smart Cow funktioniert ja ähnlich).

  • Einmal vom Unternehmen selbst:

  • Und einmal von Wired:


Anmerkungen

  1. Ich habe mich da mal ein bisschen umgehört und erwarte jetzt gespannt Antworten 😉

  2. Wenn man mal einen Blick auf den YouTube-Channel jener Firma wirft, die für Cowview verantwortlich zeichnet, könnte man glatt den Eindruck bekommen, dass so ein Szenario gar nicht so weit weg ist.

  3. Beim australischen Projekt lassen sich die Kühe sogar online beobachten (Quelle: Heise)

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

11 Kommentare

  1. Das Auge des Herrn…

    wird aber immer noch oberste Priorität haben. Klar kann ich Kühe vorsortieren lassen, die aufgrund eines Alarms näher angeschaut werden müssen. Man darf trotz aller Technik nie darauf verzicht, täglich in einer ruhigen Phase selbst durch die Gruppen zu gehen – die Kühe sagen einem aufmerksamen Beobachter schnell, ob ein Problem vorliegt oder nicht.

  2. Hallo Andrea!

    Selbstverständlich ist ein naher Kontakt zu den Tieren weiterhin notwendig, den kein technisches System ersetzen kann. Aber manche Tiere sind auch schon mal launisch und tricksen, indem sie Krankheiten zu verschleiern versuchen. Da kann so ein System vielleicht helfen. Und eine generelle Tierbeobachtung ließe sich so sinnvoll ergänzen. Inwieweit das zutrifft, wird die Zeit zeigen.

  3. Zukunftstraum

    Die totale Vernetzung und Steuerung ist theoretisch heute schon möglich, aber noch zu kompliziert. Ohne IPV6 und einheitlichen Standards wird es an den Eigeninteressen der Hersteller scheitern. Die wollen nämlich gar nicht mit der Konkurrenz kompatibel sein.

    Genau wie im PKW und Landtechnikbereich wollen die Hersteller die Kunden an ihre hauseigenen Systeme binden. Im Sinne der Landwirte sind die Verbände und staatlichen Stellen gefordert einheitliche Schnittstellen und Standards zwingend festzulegen.

    Dann fehlt uns auch noch die Einfachheit. So lange ich eine Software oder Hardware nicht intuitiv ohne Schulung und Handbuch bedienen kann, macht das dem Endanwender keinen Spass.

    Die Technik ist aber fast schon so weit. Spracheingaben via Siri oder Google Android sind heute erstaunlich genau. Dazu noch eine Augmented Reality Brille die bei der Bedienung Tipps und zusätzliche Informationen in die Wirklichkeit einblendet und schon haben wir eine anwenderfreundliche Lösung.

  4. PKW-Steuerung

    Hallo Hannes,

    vielen Dank für Deinen Kommentar, ich merke schon, dass ich da wohl noch mehr in die Materie eintauchen muss. Auf die Idee der Steuerung per PKW kam ich durch diesen Artikel:

    http://stadt-bremerhaven.de/…nnected-drive-2013/

    Da lauert Potential. Aber Du hast auch recht, wenn Du schreibst, dass das momentan alles noch recht nerdig ist.

    Warten wir mal ab.

  5. Ruft die Bullen

    Die Zeit hat vor einigen Wochen einen Artikel zum Thema veröffentlicht. Die Lektüre ist in jedem Fall höchst amüsant (z.B. “Die Deutsche Telekom entdeckt ein neues Geschäftsfeld: die Besamung von Milchkühen.”) http://www.zeit.de/…gitalisierung-landwirtschaft

  6. Pinke Kühe

    Hallo Sven,

    wenn man den Artikel in der ZEIT liest, wird man durchaus auch ein bisschen nachdenklich. Andererseits freut es mich, dass ich mit meinen Einschätzungen gar nicht so falsch lag.

    Vielleicht lassen sich so auch Informationen sammeln, um die Zucht wieder in eine andere Richtung zu leiten, hat beim Schwein ja auch geklappt.

    Vielen Dank für den Link!

  7. Wie alles begann

    Jürgen Schönstein von den Scienceblogs (ich schätze die Schreibweise Juergen Schoenstein ist mangels Umlauten entstanden) hatte auf FB gerade einen Artikel aus 2006 ausgegraben, in dem er die Anfänge der Technisierung beschreibt:

    http://www.focus.de/…laegt-lasso_aid_218492.html

    Fazit: es geht immer weiter…

  8. Meine Großeltern…

    Hallo,

    vielen Dank für diesen informativen Artikel. Ich habe beim lesen oft an meine Großeltern denken müssen… und an die vielen tollen Geschichten die sie aus ihrer aktiven Hofzeit gerettet haben.
    Sie würden die ganze Entwicklung nicht verstehen… wobei die Ablösung des Pferdes ja auch spektakulär war. Ich bin total gespannt was ich in meinem Leben noch an technischer Entwicklung erleben darf.

  9. Pingback:[BLOCKED BY STBV] Erstellen Synthetic Leben | INFOWEBLOG.NET

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