Holland legt vor – neuer Geflügelstandard

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Es geht los. In Holland hat man offensichtlich keine große Lust mehr auf die bisherige konventionelle Form der Geflügelhaltung und stellt deshalb um – auf eine in meinen Augen deutlich tierwohl-orientiertere Variante. Das steht zwar so nicht explizit in den kursierenden Meldungen, aber ich erkläre Euch das gleich. Die Umstellung haben laut Agrarheute der niederländische Lebensmittel-Einzelhandel und der dortige Geflügelsektor beschlossen.

Die Änderungen wirken dabei auf mich sehr vertraut. Eine langsam wachsende Rasse solle bei geringerer Besatzdichte zum Einsatz kommen und bei der Einstreu möchte man unter anderem auch auf Stroh setzen. All das passiert natürlich nicht von heute auf morgen. Dieses Jahr wird die Umstellung eingeleitet und dann nach und nach umgesetzt. Ab 2015 ist geplant, die Besatzdichte um 10% zu verringern. 2020 soll der Wandel dann voraussichtlich vollzogen sein.

Mehr Tierwohl durch langsameres Wachstum

In der Meldung dazu wird der Einsatz der Rassen mit einer größeren Robustheit gegenüber Krankheiten – und somit einer potentiellen Antibiotika-Reduktion – begründet. Sicher nicht falsch, wobei der Einsatz bzw. die Notwendigkeit dessen auch sehr vom Management* abhängt. Weit wichtiger erscheint mir etwas anderes: das große Problem moderner Leistungs-Rassen beim Geflügel – gleichzeitig aber auch erklärtes Ziel – ist die schnelle Zunahme und das letztlich erreichte hohe Gewicht. Skelett und Muskeln können da kaum noch mithalten. Als Resultat hat man dann in Kombination mit einer hohen Besatzdichte ziemlich volle Ställe mit nicht sonderlich aktiven Tieren. Die mangelnde Aktivität wiederum führt zu Brustblasen und teils auch Läsionen an den Gelenken – ein Umstand, der sich mit einer langsam wachsenden Rasse und mehr Platz bestenfalls vermeiden, mindestens aber stark reduzieren ließe.

Potential in Deutschland

Die Tage – ich postete gerade über Twitter einen Link aus dem Wiesenhof-Newsroom, aus dem heraus wiederum auf meinen Konsumenten-Artikel verlinkt wurde – regte sich etwas über Twitter. Nein, Kritik war das nicht direkt, eher ein intensiveres Nachfragen. Kommentator Erbloggtes störte sich ein wenig an dem Link. Irgendwie sei das ja ein bisschen Werbung für Wiesenhof, wenn ich hier deren Privathof-Geflügel erwähnte. Da hat er völlig recht. Allerdings sehe ich – was einen Standard angeht, der Tierwohl und Ansprüche an ein Lebensmittel bzw. die Umwelt vereinbaren muss – in dieser Haltungsform durchaus Potential.

Die Holländer offensichtlich auch. Ganz wichtig bei einem solchen Riesenprojekt ist natürlich auch der Preis, der bei einem Standard keinesfalls durch die Decke schießen darf. Dazu vielleicht noch interessant: zuletzt schlug eine kleine Meldung weltweit (bis in US-Agrarblogs) hohe Wellen: Verbraucher seien praktisch nicht bereit, mehr Geld für Tierwohl auszugeben. Festgestellt wurde das ausgerechnet in Holland, wo es das Beter-Leven-Label gibt. Zitat:

Zwar habe eine im Auftrag des Unternehmens durchgeführte GfK-Umfrage ergeben, dass 46 % der niederländischen Verbraucher für dieses Fleisch mehr bezahlen würden, betont der RLV; allerdings zeige der Vergleich mit einem Umfrageergebnis des TV-Senders EenVandaag aus dem Jahr 2009, dass die Zahlungsbereitschaft unter dem Strich eher abgenommen haben dürfte: Damals hätten 57 % der Befragten angegeben, einen Aufpreis von bis zu 25 % zahlen zu wollen. 

Ist jetzt noch kein Weltuntergang, aber auch kein Grund zu jubeln. Trotzdem stellt man um. Das verspricht also interessant zu werden. Zur Preisentwicklung habe ich bisher noch keine Informationen bekommen. Allerdings glaube ich, dass das ungefähr vergleichbar sein wird, also ein 20-30% höherer Preis bei ganzen Hähnchen. 

Fazit

Diese Umstellung auf einen neuen Standard ist ein großer Schritt – in die richtige Richtung. Die geplanten Änderungen beinhalten jetzt noch nicht das volle Tierwohl-Programm, aber so ein paar Annehmlichkeiten kosten jetzt auch nicht die Welt. Vielleicht lässt sich ja bis 2020 noch die eine oder andere Sitzstange oder auch hier und da ein Pickstein installieren. Klappt das nicht, werde ich mich da mal persõnlich drum kümmern 😉

*Darunter fällt zum Beispiel das Hygiene-Management. Dazu gehört zum Beispiel eine Schleuse/ein Bereich zum Umziehen (Schutzanzug) und Desinfizieren (Hände wie Schuhe). Dass die Tiere an sich natürlich auch korrekt gehalten werden müssen, sollte erstmal klar sein.


Hier geht es zur Meldung bei Agrarheute und dann gibts noch den Link zur Verbaucher-Untersuchung auf AHO.

 

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

5 Kommentare

  1. Kritiker

    Danke schön!

    Meine Konfrontation mit Detailfragen und einer anderen Perspektive darf durchaus als Kritik bezeichnet werden. Nur eben nicht als Schimpfkritik, sondern als Bitte zur Klärung der Voraussetzungen.

    Was mich in diesem Beitrag überrascht, ist die Mitteilung, dass “Lebensmittel-Einzelhandel und der dortige Geflügelsektor”, also Verbände von Privatunternehmen, eine Marktregulierung beschlossen haben. In meinem Weltbild treffen solche Organisationen vielleicht Preisabsprachen oder teilen den Markt unter sich auf. Aber dass sie etwas tun, was kurzfristig Gewinne riskiert, um langfristig im Geschäft bleiben zu können, ist überraschend.
    Daher die Fragen: Ist das tatsächlich so? Und welche Rolle spielt der Staat dabei, der ja eigentlich gesetzliche Mindeststandards selbst festlegen sollte?

    Dass die Mehrzahlungsbereitschaft für seriöses Fleisch abgenommen hat, würde ich einfach mal der Wirtschaftskrise sowie allgemeiner der auseinanderdriftenden Schere zwischen Arm und Reich zuschreiben. Denn wenn Fleischkonsum ein Statussymbol ist und man sich wirklich arm fühlen muss, sobald man sich das nicht leisten kann, dann ist es ja plausibel, nicht bereit zu sein, 30% mehr zu zahlen, wenn man ohnehin kein Geld übrig und zudem Zukunftsangst hat.

  2. @Erbloggtes: Einzelhandel

    Hallo Erbloggtes,

    das stimmt so, ich hatte nachher auch die Presse-Mitteilung gefunden, die sich nur bedingt vom Artikel auf Agrarheute unterschied. Welche Rolle der holländische Staat dabei spielt kann ich Dir nicht sagen, mir reichen eigentlich schon die deutschen Auflagen in all ihren Auswüchsen 😉

    Dass der Einzelhandel da mitzieht, hat mich auch überrascht. Gerade der war in der Vergangenheit ja eher als massiver Preisdrücker bekannt und hat schon Produkte sterben lassen, bevor wir als Konsumenten wirklich darüber entscheiden konnten.

    Den Schritt an sich finde ich allerdings nicht ganz so irritierend. Auch wenn es um das Erwirtschaften von Geld geht, müssen die Menschen, die das tun ja keine Unmenschen sein, die über Hühnerleichen gehen.

    Holland wird jetzt ganz genau beobachtet. Wenn die Sache aufgeht, prognostiziere ich Dir, dass es hier in ein bis zwei Jahren auch losgeht. Know-how und Lust zur Änderung sind vorhanden 😉

    Dass niedrige Preise für einen Standard wichtig sind, schrieb ich ja – aus den von Dir genannten Gründen.

  3. Qualität vs. Quantität

    Auch hier haben wir doch letztlich eine Spielart der alten Debatte von Qualität vs. Quantität.

    @Erbloggtes: Fleisch als Zeichen von Wohlstand? Leben wir in den 50ern?

    Völlig losgelöst von allen sonstigen Punkten, wie hoher Wasser- und Energieverbrauch der Fleischproduktion, Abwasserproblematik von Schlachthöfen, Ethik usw. abgesehen ist Fleisch ernährungsphysiologisch in keiner Form notwendig.
    Ergo bleibt das Argument des Genussmittels. Das kann ja durchaus valide sein. Also sind wir in der gleichen Kategorie wie Schokolade, Kaffee, Tee, alkoholische Getränke usw..
    Wenn ich also geniessen will, sind mir dann 100g Edelschokolade nicht lieber, als 500g Billigschokolade (die maximal zu 30% schlechten Kakao enthält)? Mich wundert einfach, dass die Leute zu den 500g greifen. Am Genuss kann es nicht liegen.

  4. @Boris Blix: 50er

    Tatsächlich sind die 50er Jahre keineswegs vorbei, sondern noch sehr aktuell. In unserem Umfeld mag Fleisch längst zum Alltag gehören, wenn wir aber mal unsere Filterbubble verlassen, sehen wir, dass sogenannte Schwellenländer zunehmend aufholen. Der Wohlstand steigt und die Menschen kommen zunehmend in jene Situation, die wir früher schon hatten. Oftmals wird global noch die Kreislaufwirtschaft praktiziert, für die Tiere unabdingbar sind. Zum einen, weil sie Dünger liefern, zum anderen sind bspw. Rinder in der Lage, auf Böden mit schlechter Qualität schlichtes Gras zu fressen und dabei Fleisch/Milch zu produzieren.
    Was da gerade in Holland passiert ist ein wichtiger Schritt – passend zu dem Wohlstand, den WIR HIER haben.

  5. Sören, du vergleichst Äpfel mit Birnen. In Deutschland sind wir kein Schwellenland und bei uns geht es auch nicht darum, dass wir Dünger haben, damit unsere Böden überhaupt etwas abwerfen.
    In den Niederlanden sind in mehreren Bereichen die Auflagen verschärft worden (siehe Schweinehaltungsplätze). Deshalb expandieren große niederländische Unternehmen nach Deutschland. Beispiel Straathof. Das wichtige wäre also, in Deutschland ebensolche Auflagen einzuführen. Das in Geflügelbetrieben Auflagen hinsichtlich der Hygiene gemacht werden, was du dort zitierst sollte auch in Deutschland der Fall sein. Leider sind nur die Veterinärämter überfordert und schaffen es nicht, dies entsprechend durchzusetzen. In der größten Putenbrüterei Deutschlands darfst du drei Tage vorher kein Kontakt mit anderem Geflügel gehabt haben, duscht du rein, erhältst Kleidung von dort, inklusive Socken, und duscht auch wieder raus. Dazu entsprechende Hygieneschleusen mit Hand und Stiefeldesinfektion. Auch in jeden Betrieb sollte normalerweise eine Schleuse sein, wo die Kleidung gewechselt wird, die Hände und die Schuhe desinfiziert werden bzw. die Schuhe gewechselt werden oder Überzieher angezogen werden.
    Das ist für Deutschland also nichts neues.

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