Ferndiagnosen

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Vor einem halben Jahr kreuzte hier immer mal wieder ein Kater auf. Er war schmächtig und sein schwarzes Fell war an Bauch und Beinen übersät mit hellen Stellen. Vielleicht Parasiten. Oder Stress. Oder vertrug er ein Futter nicht? (1) Als ich ein paar Wochen später erneut hier aufschlug, gehörte der Sommer-Streuner schon zur Familie und ließ sich auch von mir ordentlich streicheln.

Den Tierarzt-Check hatte er schon hinter sich, ebenso eine Wurmkur. Die hellen Stellen aber blieben. Tatsächlich war das, was ich auf Entfernung für eine Haut-Unregelmäßigkeit hielt, eine im Auto-Jargon als Flip-Flop-Lackierung bezeichnete Fellfärbung, welche oben schwarz und unten grau war. Strich der Kater durch die Wiese, kämmte sich das dunkle Fell zur Seite und brachte das graue Fell zum Vorschein.

Der Flop, seltener Flip-Flop bezeichnet die Änderung der koloristischen Eigenschaften eines Materials unter verschiedenen Betrachtungswinkeln.

[Quelle]

Mit dieser kleinen Geschichte möchte ich meine Bauchschmerzen illustrieren, die ich auf Twitter bei “nur ganz kleinen Fragen an vielleicht mitlesende Tierärzte” bekomme. (2)Entfernungen sind der größte Feind von Diagnosen – nicht nur als Sichtkontakt wie hier, sondern auch generell. Das gilt also auch für jene Tiere, die schon “offiziell” ein Zuhause haben, Besitzer und TA aber quer durch Deutschland verstreut wohnen. Zudem hat es natürlich so seine Gründe, dass Haustiere ebenso wie Menschen eigene Krankenakten besitzen, anhand derer sich Tierärtze einen Überblick über vergangene oder noch laufende Behandlungen verschaffen können. Solche Akten existieren über Twitter natürlich nicht.

Wenn Ihr also ein Haustier besitzt und bei diesem ein Problem vermutet, geht doch bitte zu Eurem Tierarzt oder – viel wahrscheinlicher – zu Eurer Tierärztin ;). Die können Euer Tier mit einem Klick in der Datenbank aufrufen und wissen dann, was los ist. Bei Twitter dagegen weiß ich leider überhaupt nix.

Ausführungen über die Bedeutung einer ordentlichen Untersuchung des betreffenden Tieres führten jetzt erstmal zu weit, aber generell gilt auch hier, was Temple Grandin schon für Problemlösungen in der Nutztierhaltung feststellte: 50% Management und 50% Technologie. Die ganzen kleinen Helferlein, die man heute in der Klinik oder sogar einer Tierarztpraxis findet, sind super hilfeich und ebenso teuer – aber erst, wenn man sich ein Bild vom Tier gemacht hat und keineswegs zuvor.


Anmerkungen

  1. Freigänger haben nicht selten mehrere Futterstellen, die sie auf ihren Streifzügen besuchen.
  2. Das Gleiche gilt natürlich auch für Foren.

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

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