Das Licht am Ende der Milchquote

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Seit dem 1. April ist die Milchquote Geschichte. Ab jetzt kann jeder Landwirt so viel Milch produzieren wie er kann. Das ist natürlich auch irgendwie Quatsch, weil sich Kühe nicht beliebig ausquetschen lassen, viel spannender ist aber ohnehin was anderes. China gilt als der Markt der Zukunft, schließlich vertrauen die Chinesen ihren eigenen Produzenten bzgl. der Sicherheit ihrer Produkte nicht mehr so wirklich und kaufen daher zum Beispiel lieber Deutschland leer. Ein Konzept für die Zukunft deutscher Milchvieh-Betriebe sehe ich darin aber nicht, denn auch die chinesischen Landwirte rücken auf.

2008 gab es in China ein trauriges Schlüssel-Erlebnis. Der Melamin-Skandal erschütterte die chinesische Milch-Industrie ganz gewaltig. Jetzt kam der Skandal allerdings nicht über Nacht, vielmehr war er das Ergebnis verschiedener (Fehl)Entwicklungen in der Zeit davor, obwohl im Jahre 2006 noch 81% der chinesischen Milchvieh-Betriebe gerade mal um die 5 Kühe hielten. Allerdings setzte schon in den 90er Jahren ein Wettkampf großer vs. kleiner Molkereien (Dairy processors?) ein, dem die Kleineren nicht mehr gewachsen waren. 2006 gab es vier große Molkereien, die die Hälfte des Marktes für sich einnahmen, während den 700 kleineren Molkereien nur die andere Hälfte blieb.

Ein harter Wettkampf und niedrige Preise bei gleichzeitig steigenden Betriebskosten machten dann auch den kleinen Landwirten zu schaffen. Das Drama nahm seinen Lauf. Was mit dem Zusetzen von Wasser in die Milch begann, um diese zu strecken und so dem Kostendruck standzuhalten, mündete letztlich im Melamin-Skandal.

Wandel im Zeitraffer

Als Folge erlebte das große Land einen Strukturwandel im Zeitraffer, sah die chinesische Regierung die Lösung doch in einer radikalen Konsolidierung mit dem Ziel großer Betriebe mit standardisierten Abläufen, die die verlorengegangene Lebensmittelsicherheit wieder – oder jetzt erst recht – garantieren sollten. Dazu erfand man sogenannte Kuhhotels. Das waren große Betriebe, in denen “kleine” Landwirte ihre wenigen Kühe gemeinsam managen konnten. Die technische Ausstattung dieser Betriebe wurde staatlich unterstützt. Gleichzeitig investierten chinesische Firmen im Ausland und brachten die produzierte Milch dann ins Land. Der Gedanke, dass hier in erster Linie das Wissen anderer Länder gekauft wurde, liegt nahe. Zudem kamen jetzt auch zunehmend ausländische Firmen nach China, um sich auf dem dortigen Markt zu platzieren.

Der rapide Wandel der Betriebsstukturen in China sollte zu denken geben – zumindest jenen, die auf China als Export-Land der Zukunft setzen. Zwei Punkte halte ich in diesem Zusammenhang für interessant und wichtig: während die kommunistische Regierung den Wandel hin zu größeren standardisierten Betrieben durch Gesetze und Auflagen verordnen sowie finanziell fördern konnte, sparte man sich die “Trial and Error”-Phasen der Forschung und Umsetzung, indem Wissen und Erfahrung im Management großer Betriebe schlicht aus aller Welt zugekauft wurde. Die dort benötigte Zeit der Forschung fiel also weg. Das gilt übrigens auch ganz grundlegend für die Ställe selbst – die kommen unter anderem aus den USA.

In diesen Video besuchen einige Fachleute aus den USA neue chinesische Betriebe. Ohne die Menschen im Video könnte man tatsächlich glauben in den USA zu sein.

Think big

Ein ähnliches Beispiel findet sich auch in Ningxia, im Norden Chinas. Das Klima ist vergleichbar mit unseren Verhältnissen, also recht gute Voraussetzungen für Milchvieh, weshalb es dort seit 2011 einen Milchvieh-Betrieb mit 10.000 Tieren gibt, die sich wiederum in 6000 Kühe und 4000 Färsen aufteilen. Auch der Betrieb an sich ist aufgeteilt in zwei Kompartimente mit jeweils 3000 Kühen plus Färsen. Entworfen wurde der Betrieb von einer israelischen Firma. In Israel wurden dann auch die Mitarbeiter im Management für diesen großen Betrieb ausgebildet.

Was ich hier beschrieben habe, ist nur ein Beispiel von mehreren – von vielen vermag ich noch nicht zu reden. In dem mit vorliegenden Report schreiben die Autoren von 40 Betrieben in China, die mehr als 10.000 Tiere halten. Die wirken allerdings geradezu wie Kleinbetriebe, wenn wir uns diese Meldung anschauen

China has started to build a joint Chinese-Russian livestock agricultural complex. A hundred thousand cows are planned to be bred in a project costing one billion Yuan.

The farm is being set up in the Chinese city of Mudanjiang with production supplied to the Russian market, Zhang Chuntszyao, chairman of the Association of Applied Economics of the Heilongjiang Province told Interfax on Monday.

Holy cow! Tschuldigung, aber 100.000 Kühe – klar, in verschiedenen Kompartimenten, trotzdem ist das schon eine Ansage, natürlich auch – oder gerade? – im Hinblick auf Russland als Importziel westlicher Länder.

Geistiger Import

Auch Joep Driessen, Tierarzt und Milchvieh-Berater aus Holland, treibt sich schon in China rum und berichtet von dortigen Entwicklungen in Richtung einer modernen Milchvieh-Wirtschaft. Die Diskussion, was davon zu halten ist, lasse ich jetzt mal weg. Hier berichtet er über einen neuen Betrieb, der “immerhin” 40.000 Kühe hält:

Die genannten 40 Betriebe mit mehr als 10.000 Tieren sind in einem Land wie China noch nicht viel. Aber das Wissen darüber, was klappt und was nicht verbreitet sich schnell – und bei einem weiteren Skandal wissen ganz bestimmt auch die Chinesen, dass ihre Industrie ziemlich endgültig mausetot ist. Aktuell gehen mal wieder Meldungen über niedrige Milchpreise um, auch von einem stagnierenden Markt in China ist die Rede. Das kann natürlich nur ein temporärer Zustand sein, schließlich ist die Milch-Nachfrage in China vorhanden und das Vertrauen in deutsche Erzeugnisse weiterhin ungebrochen.

Ausblick

Ich würde allerdings nicht darauf spekulieren, dass das noch 20 Jahre so weitergeht (das ist ungefähr der Zeitraum, der für das Bezahlen eines neuen Stalls draufgeht).
Dafür passierte der grundlegende Strukturwandel, der sich in den Ländern Europas und Nord-Amerika über 100 Jahre hinzog, mit ca. 10 Jahren um einiges schneller. Im Bericht ist sogar von nur vier Jahren die Rede. Ein paar Zahlen:

There was a 72 percent increase in farms with 500 to 999 cows and a 55 percent increase in farms with over 1,000 cows between 2008 and 2009 alone. Between 2009 and 2010, there was a 16 percent and 27 percent rise in such farms, respectively. Though vertical integration continues, the staggering total number of farmers who raise milk cows means that 50 percent of raw milk is still produced on farms with fewer than 10 cows.

Gut möglich, dass China als goldenes Land des Milch-Importes schneller Geschichte ist als wir uns das momentan vorstellen können – obwohl in einem Report aus 2014 Folgendes zu lesen ist

China’s selfsuffciency in milkproduction has been declining rapidly in the past years. However, China’s dairy consumption is expected to increase 38 percent by 2022. Dairy imports are therefore expected to rise by 20 percent with 82 percent of those imports being skim or whole milkpowder.

Kein Wunder. Wenn mich mein Eindruck aber nicht täuscht, greifen der Import von Wissen und Technologien plus Kooperationen aus aller Welt erst seit Kurzem, weshalb ich glaube, dass auch der Grad der Selbstversorgung in Verbindung mit einem guten Marketing wieder deutlich, aber vor allem schnell, ansteigen wird. Kooperationen mit anderen Ländern wie im Falle Russlands tun ihr Übriges und dürften potentielle Importmärkte aus Sicht westlicher Länder weiter schmälern.


Quellen

  • International Dairy Topics — Volume 13 Number 1 (leider nicht öffentlich)
  • China’s Dairy Dilemma – The Evolution and Future Trends of China’s Dairy Industry (ist ein PDF, sollte sich über Google problemlos finden lassen)
  • Cowsignals-Blog von Joep Driessen
  • Was ist Melamin?

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

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