AES – mehr Biodiversität zwischen den Stühlen

BLOG: Vom Hai gebissen

Notizen aus dem Haifischbecken
Vom Hai gebissen

Agrarökologen der Universität Göttingen wollen einen potentiellen dritten Weg in der Landwirtschaft entdeckt haben, der im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft einen größeren Fokus auf die Biodiversität der Umwelt legt, dabei aber weniger restriktiv ausgelegt ist als die Vorgaben der ökologischen Landwirtschaft. Ich habe mal versucht zu beschreiben, was aus meiner Sicht dahinter steckt.

In der Studie geht es um sogenannte agro-environmental schemes, kurz AES. Dem Paper zufolge wurden AES zum ersten Mal Ende der 80er Jahre in einigen EU-Ländern etabliert, um negativen Folgen der Landwirtschaft auf die Biodiversität zu begegnen. Bestandteile sind der verringerte Einsatz von Pestiziden, Crop Rotation (also der Wechsel von angebauten Pflanzen auf den Feldern), der Erhält der vorhandenen Landschaft, dauerhafte Ackerrandstreifen und der Anbau von mindestens 15% Hülsenfrüchtlern. Um den Nutzen dieser AES zu überprüfen, haben sich die Wissenschaftler Estland ausgesucht und dort über zwei Jahre von 2010-2012 allerhand aufgezeichnet. Natürlich wurden auch Vergleiche zur ökologischen Landwirtschaft und als Kontrolle auch zur konventionellen Landwirtschaft angestellt. Sonst wäre die Untersuchung recht sinnlos gewesen.

Als Ergebnis verzeichneten die Forscher die meisten Pflanzen- und Vogelarten auf ökologisch bewirtschafteten Ackerflächen (äh, oder besser drum herum?). Der Artenreichtum unter den Hummeln war dagegen auf ökologisch wie auch umweltfreundlich (also auf Basis der AES) bewirtschafteten Flächen im Vergleich zu jenen konventionellen gleichermaßen hoch. Der letzte Absatz der Pressemitteilung erfordert dann noch eine genauere Betrachtung:

Dr. Péter Batáry und Prof. Dr. Teja Tscharntke, die die Arbeit betreuten, können sich vorstellen, dass von den Ergebnissen Anreize ausgehen, jenseits der eingefahrenen Zweiteilung zwischen ökologischer und konventioneller Bewirtschaftung neue Wege zu beschreiten. “Umweltfreundliches Management mit reduziertem Einsatz von Dünger und Pestiziden kann eine wichtige Alternative und ein dritter Weg für Landwirte sein und einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt darstellen. Allerdings bedarf es dazu klarer Regeln, die auch überwacht und möglicherweise mit einer für den Konsumenten verlässlichen Zertifizierung gekennzeichnet werden müssen”, so die beiden Agrarökologen der Universität Göttingen

ARGH! Warum muss immer alles gleich ein verdammtes Label bekommen? Da haben wir mal einen ordentlichen Ansatz, der Spielraum für Kreativität bietet und Landwirten diesen Weg zu gehen ermöglicht oder sogar zu verbessern und dann soll all das zielsicher durch ein Label mit Regeln wieder eingemottet werden? Gerade ohne Siegel und starre Regeln sehe ich hier ein hohes individuelles Anpassungs-Potential für jeden Betrieb. Außerdem kann ein Label angesichts des durchschlagenden Erfolges ähnlicher ” Zwischen-Label” mit Fokus auf nur einen Aspekt im Bereich der Tierhaltung (siehe Tierschutz-Label und Aktion Tierwohl) absolut keine Option sein.

In der Washington Post berichtete Jane Black letztes Jahr in ihrer Kolumne “Smarter Food” über den Landwirt Tony Thompson. Dieser bewirtschaftet in Minnesota einen 3000 acres großen Betrieb und baut dort genetisch veränderte Pflanzen an. Die Frage im Titel, ob denn Landwirtschaft im großen Stil automatisch schlecht sei, tut ihr Übriges.

Die Überraschung folgt schnell. Zwischen den Feldern wachsen und blühen vielerlei Blumen und Gräser. Sie tun das nicht in erster Linie aus kommerziellen Gründen, sondern um die von Thompson auf die Felder aufgebrachten Düngemittel, Erdboden wie auch Wasser an der Flucht in den nächsten Fluss – kurz: Erosion – zu hindern. So ganz nebenbei bieten diese blühenden Streifen Lebensräume für Bienen, Schmetterlinge und Vögel. Außerdem nutzt Thompson ein besonderes Verfahren zu Bodenbearbeitung. Er zieht oberflächliche Furchen für die Aussaat, die tieferen Schichten bleiben intakt. Die Furchen verhindern ebenfalls das Abfliessen der Düngemittel, wodurch er 10% einparen kann – bei gleichem Ertrag versteht sich.

Moment! Hatten wie das alles nicht gerade schon? Eben. Dafür braucht Thompson übrigens kein Label mit Vorschriften, sondern handelt hier aus freien Stücken, wofür er aber sehr wohl anerkannt wird und andere inspiriert.

Erst kürzlich las ich einen hervorragenden Artikel zum Thema Nachhaltigkeit in der Rindermast. Davon abgesehen, dass Nachhaltigkeit für alle was anderes bedeutet, es also keine allgemein gültige Definition gibt, taucht dort der Erhalt, die Verbesserung oder sogar die Wiederherstellung von Weiden – in diesem Falle in South Dakota – ziemlich weit vorne auf. Keine Überraschung, schließlich ist eine hohe Pflanzenvielfalt bspw. mit Leguminosen (Eiweiß) essentiell, um eine gute Nährstoff-Versorgung und damit eine effiziente Mast zu gewährleisten (bei der Wiederherstellung von Weiden muss natürlich zugefüttert werden) – und eine hohe Pflanzenvielfalt zieht wiederum Insekten und andere Tiere an, die so einen Lebensraum haben.

Vielleicht liegt es an meiner hier im Blog schon bemerkten Übersee-Fixierung, aber das sind jetzt nur zwei Beispiele für meine begrenzte Begeisterung bezüglich des Erkenntnis-Gewinns aus dieser Studie, was nicht heißt, dass ich die Erkenntnisse oder deren Umsetzung nicht interessant fände. Natürlich sind wissenschaftliche Referenzen immer gut, einen neuen tollen und hippen dritten Weg, den man dringend mit einem Label manifestieren sollte, sehe ich hier aber nicht.

Vielen Dank an Susan Ville für den Hinweis über Twitter. Wenn Ihr für mich potentiell Interessantes findet, sagt ruhig Bescheid. Gerne auch hier. Ich freue mich!


Quellen

Veröffentlicht von

Wissenschafts- und Agrarblogger seit 2009 – eher zufällig, denn als „Stadtkind“ habe ich zur Landwirtschaft keine direkten Berührungspunkte. Erste Artikel über Temple Grandin und ihre Forschungen zum Thema Tierwohl wurden im Blog dann allerdings meiner überwiegend ebenfalls nicht landwirtschaftlichen Leserschaft derart positiv aufgenommen, dass der Entschluss zu einer stärkeren Beschäftigung mit der Landwirtschaft gefallen war. Auch spätere Besuche bei Wiesenhof und darauf folgende Artikel konnten die Stimmung nicht trüben. Seit 2015 schreibe ich auch gelegentlich für das DLG-Blog agrarblogger.de, teile meine Erfahrung in der Kommunikation als Referent und trage nebenbei fleißig weitere Literatur zum Thema Tierwohl zusammen. Auf Twitter bin ich unter twitter.com/roterhai unterwegs.

12 Kommentare

  1. Hi,
    was mich doch stark irritiert ist folgende Aussage der Studienleiter in obigem Zitat: “Umweltfreundliches Management mit reduziertem Einsatz von Dünger […].”.

    Was ist “reduzierter Einsatz von Dünger”?
    Das nur die Hälfte vom Feld gedüngt wird und die restlichen Pflanzen gehen leer aus? Das der gesamte Pflanzenbestand nur soweit gedüngt wird, dass der Nährstoffbedarf um 80% gedeckt ist?
    Und was ist daran umweltfreundlich, wenn ich eine mickrige Ernte, aufgrund von unzureichender Düngung, erwarte, weil das Ertragspotential nicht ausgeschöpft wird. Unter den derzeitigen Szenarien zukünftiger Ressourcenknappheit wäre das alles andere als nachhaltig.

    Dann doch lieber Smart Agriculture, wo zum Beispiel mit Hilfe von Sensoren der optimale Nährstoffbedarf der Pflanzen/ des Bodens ermittelt wird und so eine Überdüngung, sowie Nährstoffmangel vermieden wird und die Ressource Boden optimal genutzt wird.

    • Hallo Lederstrumpf,

      ich denke (oder besser: ich hoffe), dass mit den erwähnten Randstreifen dort ähnliche Überlegungen angestellt wurden wie bei Thompson, das heißt, dass die Pflanzen den Dünger auf dem Feld halten. Thompson hat dadurch ja auch seinen Einsatz reduziert. Ansonsten hättest Du hier einen Klops aufgetan. Ansonsten wären da, wie Du schreibst, ja noch entsprechende Maschinen, die den Dünger besonders effektiv in die Boden drücken.

  2. Das gleiche gilt übrigens für Pestizide. Der bloße Verzicht ohne Alternative ist nicht umweltfreundlich und nützt keinem Bauern, wenn ihm dadurch die Ernte durch Schadorganismen zerfressen wird.

  3. Wenn es sinnvolle Techniken/ Methoden der Ökobauern gibt, warum sollten die Konventionellen darauf verzichten?

    Es gibt ja schon heute unterschiedliche Intensivitätsstufen. Die letzte Ertragssteigerung kostet wahrscheinlich mehr als den Ertrag und könnte eher schädlich für die Umwelt sein.

    • Ich denke, wir haben hier ein typisches Problem mit der Frage, wer es sich leisten kann. Im Artikel erwähnte ich Tony Thompson, der sich das leisten konnte. Sein Betrieb war/ist groß genug, wie weit die Einsparungen bei Dünger und Pestiziden helfen, wurde im Artikel nicht erwähnt.

      Bleibt noch die Frage nach der Umsetzung auf breiterer Ebene. Das vorgeschlagene Label sollten wir dabei ganz schnell wieder einmotten, auf Twitter schlug ein Leser höhere Standards vor. Können wir machen, aber das dürfte dann wie so oft das Ende vieler klein-bäuerlicher Betriebe sein. Auch deshalb halte ich ein Label für verfehlt.

  4. Nur hierzu kurz etwas:

    Davon abgesehen, dass Nachhaltigkeit für alle was anderes bedeutet, es also keine allgemein gültige Definition gibt (…)

    Die Nachhaltigkeit meint das Fortdauernde, wenn beabsichtigter Erfolg eingetreten ist. Es wird von nachhaltigen Maßnahmen gesprochen und geschrieben, wenn eine Maßnahme, die bestimmter Maßgabe folgt, direkt Erfolg zeitigt und dieser dann nicht daran scheitert, dass er nicht von weitergebender oder umgebender, auch personeller, Struktur gefährdet wird.

    In der Wirtschaft wäre ein Erfolg also genau dann nachhaltig, wenn bspw. ein Produkt- oder Vertriebserfolg nicht daran mittel- und langfristig scheitert, dass nicht zureichend und mengenmäßig Personal bereit steht, um weiteren Vertrieb und Produktion sicher zu stellen.

    ‘Nachhaltig’ wäre in diesem Sinne als fortdauernd zu verstehen, der englische Begriff ‘sustainable’ [1] geht in ganz ähnliche Richtung, vgl. :
    -> http://www.etymonline.com/index.php?search=sustainable

    MFG
    Dr. W

    [1] Joschka Fischer war’s wohl, der Anfang der Neunziger diesen Begriff im ökologischen und ökologistischen Sinne “entdeckte” bzw. aus dem Englischen übernahm, für seine Zwecke *

    * Der Schreiber dieser Zeilen erinnert sich an diesen Zeitpunkt und war anfänglich zufrieden, bis es dann leider zu Missdeutungen gekommen ist

    • PS:
      Der Begriff ist natürlich alt, er wurde aber vor ca. 20 Jahren wie beschrieben neu besetzt, er könnte aber auch dbzgl. Sinn machen.

    • Hallo Webbaer,

      Sie haben schon recht. Natürlich gibt es eine Definition. In der Praxis – und hier wiederum in der Landwirtschaft – gibt es aber mehrere Anhaltspunkte. So gelten zum Beispiel die oben genannten Praktiken als nachhaltig, ebenso kann man aber auch die möglichst effektive Landnutzung (produce more with less) oder schnellwachsende Rassen mit effektiver Futterverwertung als nachhaltig beschreiben, wobei das ganz klar Aspekte der konventionellen Landwirtschaft sind.

      Genau deshalb kann ich mich für die Idee eines Labels für diese Zwischen-Variante – bezogen auf das Schema konventionell/öko – auch so gar nicht begeistern. Damit löst sich nicht etwa der Graben, sondern es verhärtet ihn und etabliert lediglich eine Nische.

      • Herr Schewe, Ihr Kommentatorenfreund, der zwischen Effektivität, Effizienz & Nachhaltigkeit unterscheiden können zu glaubt, kommt da nicht mehr ganz mit.
        Soll aber wirklich nicht stören, danke für Ihre Arbeit, Sie scheinen schon sehr ordentlich bemüht wie dazustehen, gut auch das dezent platzierte ARGH (vgl. : Third Way) m Web-Artikel.
        MFG
        Dr. W

  5. Hm. Wir sind in der Lehre einfach hinter der Berufsschule in die Feldmark gelaufen. Jeder 10 Pflanzen finden und bestimmen. Waren nicht bei jedem die selben, und mehr als 5 m hat sich keiner bewegt.
    Aber vielleicht sind ja die Wege heute schmaler. Bei mir hinterm Haus zwischen Nachbars Flächen funktioniert das immer noch. Und der hat nicht mal Zwischenfrucht, geschweige denn Blühstreifen.

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