M wie Magnetare oder die unwiderstehliche Anziehungskraft

„Sonst kommste ja zu nix.“ Fabian Schneiders Antwort auf die Frage, ob er die in vielerlei Hinsicht enormen zeitlichen und räumlichen Dimensionen seines Forschungsgebiets manchmal einfach ausblendet, ist so nüchtern wie lapidar. Der Astrophysiker beschäftigt sich mit einem Phänomen, das unsere Welt und alles drumherum im Innersten zusammenhält. Dabei ist es weder mit bloßem Auge zu sehen, noch kann der Mensch es anderweitig sinnlich wahrnehmen. Und doch ist Magnetismus sowohl auf der Erde als auch in unserem Universum allgegenwärtig. Hier auf unserem Planeten sorgen elektromagnetische Kräfte dafür, dass uns die Materie nicht um die Ohren fliegt, das Wasser im Glas bleibt und das Glas wiederum nicht durch den Tisch hindurch auf den Boden kracht. Und auch im restlichen Universum würde ohne elektromagnetische Wechselwirkungen so einiges aus den Fugen geraten.

Fabian Schneider interessiert eine besondere Form der magnetischen Anziehungskraft, der Gegenstand seines Interesses liegt allerdings nicht gerade um die Ecke. Genau betrachtet ist er mit einigen hundert Lichtjahren sogar ziemlich weit weg, womit wir bei der enormen räumlichen Dimension seines  Forschungsgebietes wären. Die Leidenschaft des Astrophysikers gilt einer bestimmten Art von Sternen, die extrem magnetisch sind, den sogenannten Magnetaren. Vor allem interessiert ihn, wie diese Sterne, die zu den stärksten Magneten überhaupt im Universum gehören, zu ihren extrem starken Magnetfeldern kommen.

Dabei ist es mitnichten so, dass die Frage nach der Entstehung extrem magnetischer Sterne neu wäre, obwohl lediglich ein verhältnismäßig geringer Anteil, nämlich etwa 10%, der massereichen Sterne in unserem Universum magnetisch sind. Bereits seit 70 Jahren wird sie immer wieder diskutiert. Während dieser Zeit gab es die unterschiedlichsten Hypothesen, von denen die meisten jedoch wieder verworfen wurden, entweder weil sie entscheidende Schwachpunkte aufwiesen oder die technischen Möglichkeiten fehlten, um sie zu überprüfen.

Als Schneider vor ungefähr sieben Jahren anfing, sich mit dem Thema zu beschäftigen, erschien ihm eine Theorie plausibler als alle anderen: Was, wenn diese Magnetfelder bei der Verschmelzung zweier Sterne entstehen? Dazu würde passen, dass Astronomen davon ausgehen, dass ungefähr 10% aller massereichen Sterne in unserer Milchstraße das Produkt einer Verschmelzung sind. Oder ist die Übereinstimmung dieser Zahlen purer Zufall? Zwischen mehreren Langstreckenläufen begann der Astrophysiker, die Theorie mit Computersimulationen am Beispiel Tau Scorpii (τ Sco) zu überprüfen, einem Stern, von dem später noch die Rede sein wird. Und in der Tat waren die ersten Resultate vielversprechend.

Mit diesen Ergebnissen im Gepäck fuhr Schneider, damals Postdoktorand in Oxford, zu einer Fachtagung in die englische Universitätsstadt Cambridge, um sie dort seinen KollegInnen vorzustellen und potentielle MitstreiterInnen zu finden. Im Laufe der Konferenz hörte Schneider einen Vortrag seines Kollegen Sebastian Ohlmann, damals noch Doktorand am HITS und sofort schien ihm dessen Forschungsansatz interessant für sein eigenes Projekt.

Also setzte Schneider auf eine bewährte Technik in akademischen Kreisen, die besonders bei mitunter langwierigen und erschöpfenden Konferenzen gerne angewandt wird: Er traf sich mit Ohlmann  in einem Pub, um mit ihm eine mögliche Zusammenarbeit zu besprechen. Und nach ein paar Pints war man sich einig: Gemeinsam könnte man dem Urpsrung der magnetischen Sterne ein gutes Stück näher kommen.

 „Nachdem ich Sebastian‘s Vortrag gehört hatte, war mir sofort klar, dass er während seiner Promotion Tools entwickelt hat, mit denen man endlich per Computersimulation direkt testen kann, ob bei der Verschmelzung zweier massereicher Sterne starke Magnetfelder erzeugt werden oder nicht. Also haben wir noch im Pub in Cambridge besprochen, wie man eine solche Simulation am besten angeht und was der vermutlich aussichtsreichste Ansatz ist. Dabei kamen meine eigenen Vorarbeiten gerade richtig und so konnten wir einen detaillierten Fahrplan für unsere nächsten Schritte aufstellen.“

Eine entscheidende Rolle spielte bei der folgenden Kooperation ein Computerprogramm, das einige Zeit zuvor von Volker Springel am HITS entwickelt worden war und auf den Namen AREPO hört. Ohlmann verwendete das neuartige Programm, das eine Kombination mehrerer Simulationsmethoden erlaubt und von dem in einem späteren Blogeintrag zum Thema „Illustris“ noch die Rede sein wird, bereits bei seinem eigenen Forschungsprojekt.

 „AREPO verwendet ein sogenanntes mitbewegtes Gitter. Dieses erlaubt es, die Vorteile zweier traditioneller Simulationstechniken zu kombinieren: Zum einen ist es damit möglich genau zu verfolgen, wie sich Magnetfelder entwickeln und zum anderen kann man zwei sich umkreisende Sterne lange genug simulieren, um ein akkurates Bild der Verschmelzung zu bekommen.“

Zurück in Oxford und Heidelberg wurden die nötigen Vorbereitungen getroffen. Und ein passender Kandidat, an dem man die Theorie testen wollte, war ja auch schon gefunden: Der Stern Tau Scorpii (τ Sco) ist mit bloßem Auge im Sternbild Skorpion zu erkennen und ungefähr 500 Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit einem scheinbaren Alter von unter 5 Millionen Jahren handelt es sich bei ihm um ein relativ junges Mitglied dieser 11 Millionen Jahre alten Sternassoziation, womit wir die enorme zeitliche Dimension von Schneiders Fachgebiet auch erwähnt hätten.

Credits: Ohlmann / Schneider / Röpke

Tau Scorpii steht am Ende seiner Lebenszeit das gleiche Schicksal bevor wie schon zahllosen Sternen vor ihm: Er wird unter seiner eigenen Anziehungskraft in sich zusammenfallen und in einer Supernova explodieren. Und nach den Berechnungen von Fabian Schneider und seinen Kollegen könnte dabei tatsächlich ein hochmagnetischer Neutronenstern entstehen.

Die Theorie war so überzeugend, dass die Studie im Oktober 2019 samt Titelbild in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde. Außerdem erklärte „Spektrum der Wissenschaft“ das Titelbild im November 2019 zum Bild des Monats. Gut, dass Fabian Schneider die Dimensionen seines Forschungsgebiets einfach ausblenden kann – sonst wäre es dazu nicht gekommen.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter:

https://www.nature.com/articles/s41586-019-1621-5

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Das Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Dabei werden große Datenmengen verarbeitet, strukturiert und analysiert. Der methodische Schwerpunkt liegt auf der Theorie- und Modellbildung. Die rund 120 HITS-Forscherinnen und -Forscher aus 22 Ländern befassen sich unter anderem mit theoretischer Biochemie, molekularer Biomechanik, wissenschaftlichen Datenbanken, Computerlinguistik, theoretischer Astrophysik, statistischen Methoden und Informatik.

2 Kommentare

  1. Der kurze (im Vergleich zum englischsprachigen) deutschsprachige Wikipedia-Artikel zu Tau Scorpii befasst sich zu einem Drittel des Textes mit dem Magnetfeld von Tau Scorpii und erwähnt explizit die Arbeit von Fabian Schneider und Sebastian Ohlmann.
    Man liest im Wikipedia-Artikel sogar, dass aus dem hochmagnetischen Stern Tau Scorpii bald schon eine Supernova hervorgehen wird, welche dann in einem Neutronenstern endet – und dieser Neutronenstern wird das Magnetfeld von Tau Scorpii “konservieren” (oder gar potenzieren?) und damit ein Neutronenstern mit einem extrem starken Magnetfeld sein, ein Magnetar also.

  2. Angela Michel schrieb (02. März 2020):
    > […] die Frage nach der Entstehung extrem magnetischer Sterne […] Bereits seit 70 Jahren wird sie immer wieder diskutiert. Während dieser Zeit gab es die unterschiedlichsten Hypothesen, von denen die meisten jedoch wieder verworfen wurden, entweder weil sie entscheidende Schwachpunkte aufwiesen oder die technischen Möglichkeiten fehlten, um sie zu überprüfen.

    Es stimmt zwar, dass diejenigen Aussagen “Hypothesen” [1] heißen, die zumindest im Prinzip überprüft werden könnten und daraufhin ggf. widerlegt gefunden und verworfen würden.
    Hypothesen, deren Überprüfung aus “praktischen” (“ökonomischen”, “ethischen”, …) “Gründen” wie dem (vorläufigen) “Fehlen technischer Möglichkeiten” bis auf Weiteres unterbleibt, sind deshalb aber nicht zu verwerfen, sondern sie bestehen ungeprüft.

    > Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter: [ siehe Link im obigen SciLogs-Artikel bzw. im Memo dieses Kommentars — FW]
    > [ Fabian R. N. Schneider et al., “Stellar mergers as the origin of magnetic massive stars” ]

    Darin wird eine bestimmte Hypothese erwähnt: »The merger hypothesis […] that merging of main-sequence and pre-mainsequence stars could produce such strong, large-scale surface magnetic fields.«
    Erwähnt und detailliert beschrieben werden dort auch »simulations of the coalescence [or merger] of two massive stars« und »our merger model« und »our merger scenario«.

    > Als Schneider vor ungefähr sieben Jahren anfing, sich mit dem Thema zu beschäftigen, erschien ihm eine Theorie plausibler als alle anderen: Was, wenn diese Magnetfelder bei der Verschmelzung zweier Sterne entstehen?

    Wieso “eine Theorie” ??
    Erschien Schneider nicht stattdessen die Verschmelzungs-Hypothese plausibler als alle anderen Hypothesen hinsichtlich des Auftretens und der Vorgeschichte extrem magnetischer Sterne ?

    > […] begann der Astrophysiker, die Theorie mit Computersimulationen am Beispiel Tau Scorpii (τ Sco) zu überprüfen,

    Wieso “die Theorie überprüfen” ??
    War es etwa Schneiders Absicht zu “überprüfen”, was mit den in der »merger hypothesis« auftretenden Begriffen (»merging«, »stars«, »magnetic field« …) überhaupt gemeint sei ?

    > Die Theorie war so überzeugend, dass die Studie im Oktober 2019 samt Titelbild in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde.

    Wieso “die Theorie war überzeugend” ??
    Erscheint Schneider in Schlussfolgerung der Untersuchungen, an denen er beteiligt war, nicht stattdessen das im o.g. Artikel beschriebene Verschmelzungs-Modell (der Entstehung) des Sterns “τ Sco” überzeugend bzw. zumindest überzeugender als etliche (vorstellbare und mitteilbare, aber in ihren jeweiligen Vorhersagen von gegebenen Messwerten abweichende) andere Modelle ?

    Von »theory« ist im genannten „Nature“-Artikel jedenfalls nur beiläufig die Rede. …

    p.s.
    [1: Vgl. Wikipedia-Artikel “[[Hypothese]]”.]

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