Buch und Reformation – das eine nicht ohne das andere

BLOG: Vergangenheitsstaub

Die Zukunft hat schon begonnen
Vergangenheitsstaub

Heute, am 23. April, ist der Welttag des Buches und des Urheberrechts – ein 1995 von der UNESCO eingeführter „Feiertag“ für das Lesen, für Bücher, für die Kultur des geschriebenen Wortes und auch für die Rechte ihrer Autoren, wie so schön der Artikel in der Wikipedia diesen Tag definiert.

Nein, ich werde diesen Tag jetzt nicht zum Anlaß nehmen, Gedanken zur aktuellen Urheberrechtsdiskussion zu äußern, sondern – wie es sich für einen Historikerblog gehört – zurück auf eine Zeit zu blicken, die entscheidend mit zum Verständnis des (gedruckten) Buches, wie wir es heute kennen, beitrug – die Rolle des Buches in der Reformationszeit.

Es gibt das Diktum des Reformationshistorikers Bernd Moeller „Ohne Buchdruck keine Reformation“, das der britische Historiker Arthur Geoffrey Dickens mit seinem Satz „The German Reformation was a book-event“ bestätigte. Was ist damit gemeint?

Die reformatorischen Bewegungen (ja, ich verwende hier bewußt die Mehrzahl, da in den 1520er Jahren es nicht die Reformation (gemeint die Lutherische) gab, sondern von der Gestalt, Verlauf, Zielsetzung, Motivation mehrere verschiedene wie beispielsweise die Zwinglische, die Calvinistische, das Täufertum, die schwärmerische, die Müntzerische etc.) haben einerseits u. a. ihren Nährboden in den Auseinandersetzungen der gelehrten Humanistenkreise in den Jahrzehnten zuvor, andererseits wurden sie durch Flugschriften, Bücher, Traktate etc. in ihrer Ausbreitung, Rezeption, Akzeptanz, Verbreitung massiv unterstützt und gefördert. Schon die 95 Thesen Luthers als Startpunkt des umwälzenden Ereignisses “Reformation” sowie seine drei bedeutenden reformatorischen Schriften „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (alle 1520) zeigen die Bedeutung der gedruckten Schriftlichkeit für die kommenden Ereignisse an. Gleiches gilt für das „Happening am Elstertor“ (Oberman), als Luther gemeinsam mit seinem Wegbegleiter Melanchthon und Wittenberger Studenten am Tag, an dem nach seiner Berechnung die Widerrufsfrist für seine Aussagen ablief, Schriften, die das altgläubige System symbolisierten, verbrannte: die päpstliche Bannandrohungsbulle, ein Beichthandbuch und wichtige kirchliche Rechtsbücher. Die symbolische Kraft der Buchverbrennung nutzte Luther zur Festigung seiner Position und seiner Meinung.

Ende 1520 gab es wohl über 500.000 Exemplare von Luther-Schriften, hinzu kamen noch Flugschriften, Auslegungen, Erwiderungen etc. von Anhängern und Gegnern der reformatorischen Bewegungen. Gleichzeitig muß man sich bewußt machen, daß die Alphabetisierung der Bevölkerung keineswegs den Grad heutiger Durchdringung erreicht hatte!

Mit der reformatorischen Umwälzungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die die Neuzeit einläutete, änderte sich die Rolle des Buches. War das Buch (als kostbare Handschrift oder Inkunabel) im Spätmittelalter ein Hort der Aufbewahrung von zumeist tradiert überliefertem Wissen, das nur bestimmten Personengruppen aufgrund seiner Kostbarkeit zugänglich war, wurde es nun darüber hinaus zu einem politischen Instrument, zu einer scharfen Waffe, in einer tiefen Auseinandersetzung um Wahrheit, Heil und gesellschaftlicher Ordnung, die der Masse Zugang zu neuen Erkenntnissen und Ideen brachte. Es ist diese Quantität, dieses Phänomen der Massenliteratur (sowohl im Sinne der Produktion als auch im Sinne der Durchdringung) sowie der Bezug zu aktuellen Diskussionen und nicht mehr der Fokus auf die Überlieferung hergekommenen Wissen, die eine neue Qualität in diesem Ringen brachte und den Charakter und die Rolle des Buches entscheidend veränderte.

Das Buch entwickelte sich zu einem Ideen- und Gedankenträger und wurde nicht mehr ausschließlich als Wissensschatz/-archiv verwendet. In dieser Form ist es bis heute lebendig, auch wenn sich sein Erscheinen zunehmend ins Digitale wandelt, ohne seine tradierte analoge vollständig zu vergessen oder abzustreifen. Buch und Reformation gehörten also zusammen, ohne das eine hätte es das andere nicht gegeben!

„The common people oft that day are now allowed to have minds and spirits”, so der Historiker Arthur Geoffrey Dickens (The German nation and Martin Luther, London 1974, S. 210). Dies gilt übrigens sowohl für die Reformationszeit als auch heute!

Literaturempfehlungen zum Thema:

  • Johannes Burkhardt: Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517-1617, Stuttgart 2002.
  • Bernd Moeller: Reichsstadt und Reformation. Mit einer Einleitung hrsg. von Thomas Kaufmann, Tübingen 2011.

 

Veröffentlicht von

digiwis.de/

Wenke Bönisch, 1981 in Dresden geboren, studierte Mittlere und Neuer Geschichte sowie Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Die Frühe Neuzeit, vor allem die Reformations- und Bildungsgeschichte, ist ihr historisches Steckenpferd. Zur Zeit promoviert sie an ihrer Hochschule über die Bildungslandschaft Mitteldeutschlands und arbeitet freiberuflich im Verlagswesen. Im Netz findet man sie auch unter den Namen „Digiwis“. Webseite: http://digiwis.de/ Blog: http://digiwis.de/blog/ Twitter: http://twitter.com/digiwis Facebook: http://www.facebook.com/Digiwis Google+: https://plus.google.com/109566937113021898689/posts

9 Kommentare

  1. Urheberrecht

    Gerade heute sollte man das Urheberrecht doch etwas betrachten.
    Um 1150 wurde die erste europäische Papiermühle in Xativa (bei Valencia/Spanien) betrieben. Der Nürnberger Ulman Stromer spionierte das Wissen der Papierherstellung aus und startete 1390 in Gleismühl bei Nürnberg die erste deutsche Papiermühle.
    Ohne Urheberrechtsverletzung / Industriespionage wäre unsere Kulturgeschichte wohl etwas anders verlaufen, denn nun konnten Schriften in größerer Anzahl hergestellt werden.

  2. spannendes Buch dazu auch

    Eisenstein, E. L. (2005). The printing revolution in early modern Europe. Cambridge: Cambridge University Press.

  3. Das Christentum und die Schrift, das ist sehr miteinander verknüpft. Die Reformation war nicht die erste Gelegenheit. Da muß man sich nur mal die Briefe des Neuen Testamentes aus der Antike zu Gemüte führen. Der Einfluß auf unsere Kultur und Denken ist wesentlich größer als so manch einer wahrhaben will und es ihm lieb ist.

  4. Sie schreiben es selbst: »Gleichzeitig muß man sich bewußt machen, daß die Alphabetisierung der Bevölkerung keineswegs den Grad heutiger Durchdringung erreicht hatte!« Tatsächlich ist von einer weitgehend illiteraten Bevölkerung auszugehen, zumindest auf dem Land. Wie also sollen die reformatorischen Gedanken die Menschen erreicht haben? Wohl weniger über die Lektüre, sondern vielmehr über die Rede, die Predigt und den Gesang. Diese Kanäle waren wohl bedeutsamer als der Buchdruck, der die Vermittlung allerdings erheblich unterstützt hat. Insofern bleibt Moellers These, dass es ohne Buchdruck keine Reformation gegeben hätte, meines Erachtens weiterhin spekulativ oder zumindest kontrovers.

  5. Alphabetisierung

    @Jürgen

    Nun, in diesem Punkt ist die Forschung schon ein Stückchen weiter. Neuere Studien zu Schulbildung zeigen ein differenzierteres Bild von Schule. Hier bedarf es noch weiterer Studien ob der Lehrinhalte, Organisation etc. Ich denke aber, daß sich ein Bild von Land=Nichtschule nicht unbedingt in dem Maße halten läßt, wie bisher angenommen. Natürlich wurden die reformatorischen Ideen mehr übers Mündliche als übers Schriftliche in die breite Bevölkerung getragen – sowohl auf dem Land als auch in den Städten. Dies ist in erster Linie von der Schichtzugehörigkeit abhängig.

  6. Zustimmung

    Liebe Wenke,

    ich wollte auf diesem Wege auch als Religionswissenschaftler dem Blogpost einfach zustimmen. Bemerkenswert scheint mir noch zu sein, dass sich gerade auch über die protestantisch-religiöse Betonung der Bibel eine starke Begründung ergab, auch Mädchen und Frauen Lesen und Schreiben lernen zu lassen. Bildung wurde zum “Wert an sich” und konnte über die Mütter nun sehr viel stärker auch nachfolgenden Generationen (Jungen wie Mädchen) weiter vermittelt werden. In den letzten Jahren gab es dazu ja eine Reihe spannender, empirischer Studien, z.B.
    http://www.cesifo-group.de/…ho-hdbl-29-12-08.htm

    Danke & herzliche Grüße!

  7. Alphabetisierung

    @ Wenke

    Ich bin kein Experte auf dem Gebiet und kenne daher den aktuellen Stand der Forschungsdiskussion nicht. Meine Gedanken waren und sind daher nur gleichsam allgemeiner Natur. Nach dem posting fiel mir zudem das Buch »Der Käse und die Würmer« von Carlo Ginzburg ein. Es ist zwar bereits in den 70er Jahren erschienen und befasst sich auch mit der Situation gegen Ende des 16. Jhs. Aber das Thema, die vermeintlich illiterate Unterschicht, wird doch sehr anschaulich beschrieben. Insofern bleibt abzuwarten, ob weitere Forschungen das traditionelle Bild eine ungebildeten oder illiteraten Landbevölkerung bzw. Unterschicht nicht doch noch weiter korrigieren werden.

  8. blumige Geschichte

    Studienfächer der ersten Wahl bei meinen ehemaligen Mitschülern, die von unseren Lehrern als “kenntnisschwach, aber meinungsstark” qualifiziert wurden, waren auch Politik und/oder Religion. Blume, der uns mitteilt, er finde den von ihm verlinkten Aufsatz “spannend” (wer will das wissen?), hat ihn offenbar nicht gelesen – eine Guttenbergiade also. In dem Artikel wird die Behauptung, der Vorsprung der Mädchenbildung im Preußen des 19. Jahrhunderts (300 Jahre nach Luther !) lasse sich auf dessen zitierte Sentenz zurückführen, durch nichts belegt; ferner ist von der “Bildung als Wert an sich” überhaupt nicht die Rede, sondern es wird als Motiv die Verbesserung der Heiratschancen genannt. Insofern ist auch die unsubstantiierte Vermutung, die Mütter hätten an der literacy der Töchter mitgearbeitet, aus der Luft gegriffen. Blume sollte, statt sich in ein weiteres Gebiet einzumischen, in dem er sich nicht auskennt, lieber bei seiner Kernkompetenz bleiben – dem Salbadern.

  9. @ranke

    Hmm, ich kann in dem verlinkten Artikel das Wort “Heiratchancen” nicht finden. Jedoch unterstreicht eine vor drei Jahren an der Universität Leipzig abgeschlossene Dissertation zu den Leipziger Winkelschulen in der Frühen Neuzeit in ihren Ergebnissen die Kernaussagen des verlinkten Artikels. Es waren die Eltern, die maßgeblichen Einfluß auf die Bildung ihrer Kinder hatte – sowohl für Jungen, noch mehr für Mädchen. Sie sollten den Katechismus lesen sowie im besten Fall auch Lesen, SChreiben und Rechnen können, um später bestimmte Berufe ausüben zu dürfen. Bildung an sich war also präsent!

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