Doppelzitat: Schicksal und Versöhnung

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Diese Geschichte beginnt mit einem Geschenk.

Es wurde mir 2008 von Pfr. Christoph Cless zuteil, dessen Gemeinde in Württemberg den landeskirchlichen Gedenktag »Erinnerung und Umkehr« am 9. November initiierte und durchsetzte. Christoph Cless war mithin auch Leiter des Gottesdienstes, bei dem ich meine »Tübinger Ansprache« halten durfte.

Zum Abschied drückte er mir einen Band von Elazar Benyoëtz in die Hand, der mir bis dahin kaum bekannt war und dessen kulturorientierte, weil bibelgestützte Sprachgewandtheit mich sofort überwältigte. Seitdem liegt stets neben meinem Kopfkissen sein »Allerwegsdahin« (Zürich u. Hamburg: Arche, 2001), aus dem ich nun Folgendes zitieren möchte:

Das Gedächtnis gibt Auskunft
die Erinnerung Antwort

»Der Versuch, alle düsteren Erinnerungsbilder beiseite zu schieben und so zu tun, als wären sie nie gewesen, ach, er wird meistens nur von solchen unternommen, auf die es nicht ankommt. Entsühnen kann kein irdisches Gericht. Wir haben uns auf eine schauerliche Weise mit dem Judentum verbunden.

Aber in der ungeheueren Krise des Menschengeschlechts, die wir gegenwärtig durchleben, wird vielleicht unversehens unser Verhältnis zum Judentum das wichtigste werden.« Hans Carossa

Für einen Dichter eine schon zu späte Einsicht, diktiert vom geplagten Gewissen und der Anst von jener Instanz, die alles zuläßt, aber nichts billigt.

Er schreibt: »auf eine schauerliche Weise mit dem Judentum verbunden«, was bedeutet: bis ans Ende der Tage unaufkündbar.

In der Tat, würde Kajin Abel nicht erschlagen haben, niemand wüßte mehr, daß sie Brüder sind.

Carossa schreibt: »… in der ungeheueren Krise des Menschengeschlechts, die wir gegenwärtig durchleben, wird vielleicht unversehens unser Verhältnis zum Judentum das wichtigste werden.«

Er sagt: »vielleicht«, weil er nicht wagt, das zu hoffen; er sagt »unversehens«, weil es ja kaum zu glauben ist.

»Das gehört nicht zur Sache«, könnte man einwenden. Aber was ist denn die Sache? Und wo hat sie zu beginnen, damit wir sachgerecht von ihr sprechen können? Und wer ist Messer genug, Sache und Person, Wort und Sache scharf genug zu trennen?

Das Wort sucht seinen Anfang
und findet uns

Soweit Benyoëtz. Und meinerseits noch eine Bemerkung: Heute feiern wir Israeliten den hebräischen Versöhnungstag (ich "dürfte" eigentlich nicht Computer gebrauchen). In diesem Sinne möchte ich auch meinen deutschen Lesern eine tragfähige, wurzelbasierte und zukunftsorientierte Versöhnung zwischen unser beider, in meinen Augen wichtigsten Kulturvölkern des Abendlandes wünschen und eine erneute Blüte dieser Kultur, der Kultur schlechthin.

Auch und erst recht ein Schwanengesang gehört gehört.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

6 Kommentare

  1. Etwas bescheidener bitte!

    Zitat : “Versöhnung zwischen unser beider, in meinen Augen wichtigsten Kulturvölkern des Abendlandes wünschen”

    Es würde doch reichen, einfach nur “wichtigen Kulturvölkern” zu schreiben.

    Wenn ich an den deutschen Bürokratismus und Militarismus denke, dann ist da meiner Ansicht nach auch viel Schatten.

    Z.B Der Nationalsozialismus.

    Wenn ich an die israelische Militärmaschine denke, dann ist da meiner Ansicht nach auch viel Schatten.

    Gegen das Vergessen:
    19. März 2009 : http://www.n-tv.de/…schockiert-article62152.html

  2. Und schon wieder…

    …sind wir beim Thema “die Juden tun es doch auch”.

    Offenbar fungiert mein Blog als Sammelbecken für Deutsche, die mit sich selbst nicht klar kommen. Nun gut, also ist ‘un/zugehörig’ zu einem Ort der virtuellen Vergangenheitsbewältigung geworden: Solange das Bedürfnis danach besteht, ist es auch recht so.

  3. Gegen das Vergessen!

    Zu “18.09.2010 | 19:38”

    Was sagen die jüdische Religion und die christlichen Religionen dazu? Sind sie veraltet?

    Es gibt eine Kultur des nicht Wegsehens!

    “Internationaler Hilfskonvoi angegriffen
    Mindestens neun Tote bei israelischer Militäraktion”
    Siehe:
    http://www.tagesschau.de/…/israelangriff102.html

  4. Oh mei…

    Wenn du auch nach heutigem Kenntnisstand noch von einem “Hilfskonvoi” sprichst, dann darf ich deine Prämissen für ziemlich wirklichkeitsfremd halten.

    Auf solche Diskussionen möchte ich hier keine Zeit mehr verschwenden, ich habe es im Blog bis zum Überdruss getan und halte dieses Verhalten nicht für konstruktiv.

  5. Religionen erzeugen Konflikte

    Wie wir am Nahen Osten sehen, sind Religionen oft intolerant.

    Schon kleine Unterschiede führen manchmal zu massiven Gewalttaten.

    Gegen das Vergessen: 1631: Ermordung tausender evangelischer Christen durch römisch katholische Christen:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Magdeburger_Hochzeit

    “General Pappenheim: „Ich halt, es seyen über zwaintzig Tausent Seelen darüber gegangen. Es ist gewiß, seyd der Zerstörung Jerusalem, kein grewlicher Werck und Straff Gottes gesehen worden. … Gott mit uns.“”

    “Papst Urban VIII.: Freude über die „Vernichtung des Ketzernestes“”

  6. Hat Gewalt eine eigene Wahrheit?

    Zu ” 18.09.2010 | 22:54

    Wenn du auch nach heutigem Kenntnisstand noch von einem “Hilfskonvoi” sprichst, dann darf ich deine Prämissen für ziemlich wirklichkeitsfremd halten.”

    So hat Gewalt scheinbar eine eigene Wirklichkeit? Was bleibt da von Ihrer Behauptung “in meinen Augen wichtigsten Kulturvölkern des Abendlandes” noch übrig?
    ===========================================

    Mein Tipp: Israel soll Opfer anerkennen, Entschädigungen zahlen und Denkmal finanzieren.

    Gegen das Vergessen:
    “UN-Bericht kritisiert Verhalten Israel …
    UN-Menschenrechtsrates
    … israelische Militär das türkische Schiff “Mavi Marmara” auf hoher See geentert und neun Personen erschossen. Das sei ein Verstoß gegen internationales Recht gewesen.”

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