Warum Israel sich nicht rechtfertigen darf

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Dutzende werden am Hindukusch von Deutschen umgebracht und man bekommt es außerhalb Deutschlands kaum zu spüren; von jüdischen Soldaten werden einige Friedensterroristen getötet und die ganze Welt tobt. Wie hat man auf derlei zu reagieren?
 
In solchen Situationen wiederholt sich regelmäßig ein bestimmtes Ritual: Nichtjüdische Medien lassen sich auf antijüdische Hetze ein; Israel versucht sich mit eleganter Verspätung zu verteidigen, indem es die Weltöffentlichkeit mit relevantem Material informiert; diese korrigiert ihre Berichterstattung, wenn überhaupt, nur in geringem Maße; und zum schönen Abschluss wollen dann pseudoneutrale "Außenseiter" selber über das Geschehene urteilen und somit Israel verurteilen.
 

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Wie in solchen Auseinandersetzungen unausweichlich, verhält sich der jüdische Staat freilich nicht fehlerfrei; Darum gibt es hier zwei unterschiedliche, nicht unbedingt miteinander zusammenhängende Ebenen:
 
1. Die militärisch-sachliche Ebene: Hat sich das Militär richtig verhalten oder wäre das Ziel auch bei kleinerer Gefährdung unserer Streitkräfte zu erreichen gewesen? Zu kampfethischen Fragen habe ich hier früher schon mehrmals geschrieben, darum geht es jetzt eher um…
 
2. Die öffentlich-mediale Ebene: Wie mit dem Israel-Bashing umzugehen ist.
 
Nun, wer ist schon diese "Weltöffentlichkeit"? Unzählige Milliarden Fliegen nähren sich an Exkrementen, jedoch wird es wohl kein Grund sein, ihre Sichtweise anzunehmen; eher im Gegenteil.
 

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Als Abraham sich auf den Weg nach Israel machte, stand die "Weltöffentlichkeit" nicht gerade an seiner Seite, auch nicht beim jüdischen Aufstand gegen Rom. Während des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto interessierte sich kaum jemand fürs jüdische Schicksal, auch im seinem Unabhängigkeitskrieg 1947-49 musste das jüdische Volk ein fast weltweites Waffenlieferungsembargo überleben (es sei an dieser Stelle nochmals den Tschechen gedankt). Die Weltöffentlichkeit ist also kein moralischer Maßstab.
 
Doch wer sich vor einer eingebildeten »Weltöffentlichkeit« zu rechtfertigen beginnt, hat schon verloren, indem er die von ihr beanspruchte Meinungshoheit a priori akzeptiert hat.
 
Diskussionshalber möchte ich nun die Sachlage zuspitzen und davon ausgehen, Israels Verhaltensweise wäre wirklich schlimm und würde darum auch so viel negative Aufmerksamkeit verdienen, wie ihr tatsächlich zuteil wird. Stellen wir uns vor, bei der Flottillengeschichte wären keine neun, sondern 90 oder gar 900 Menschen umgekommen:
 
So what?
 

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Um es gleich auf den Punkt zu bringen:
 
Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg richtig Schlimmes begangen. Und dennoch ist kaum jemand, nicht einmal Henry Morgenthau, auf die Idee gekommen, das deutsche Volk hätte deswegen keinen Anspruch auf Eigenständigkeit. Vielmehr arbeiteten die Sieger bald fleißig an der Errichtungen deutscher Staaten, allen voran natürlich Österreich.
 
Vor diesem Hintergrund beanspruche ich für mein Deutschland entronnenes Volk in theoretisch-ethischer Hinsicht das Recht, mindestens genauso Schlimmes zu begehen wie ihm das damalige Deutschland antat, ohne mit schlimmeren Konsequenzen bedroht zu werden als jene, die seit dem Krieg für die deutschen Staaten gelten.
 
Denn es ist nicht hinzunehmen, dass Deutschlands Existenz nach so und so vielen Millionen Ermordeten so sehr als legitim empfunden wird, dass darüber nicht mal diskutiert wird, während Organisationen wie die UNO jede Kleinigkeit wie z. B. die Flottillengeschichte als Anlass zum Israel-Bashing missbrauchen. Ein solcher Mechanismus deutet letztendlich an, dass das Opfer für erheblich weniger Schlimmes doch noch schlimmer behandelt, ja bestraft wird als sein Täter; und man soll mir an dieser Stelle die geschichtsblinde Bemerkung sparen, Deutschland wäre seinerzeit aufgrund der Judenvernichtung bekämpft und zerbombt worden. Es wurden damals aus allen nur erdenklichen Gründen die unterschiedlichsten Ziele bombardiert, nur nicht die Vernichtungslager und die dahin führenden Bahngleise.
 
Soll also das jüdische Volk ein Genozid an einem anderen begehen? Nein. Nur ist die »Meinung« nichtjüdischer Nationen und Gremien das Allerletzte, was uns von einem solchen Vorhaben abbringen sollte. Vom Phantom der "Weltöffentlichkeit" sollen sich die Juden besser emanzipieren. Anzeichen hierfür sind vielleicht im Erwachen des jüdischen Geistes in Israel zu finden: Wenn schon international geurteilt wird, dann ganz im Sinne der Propheten von Jerusalem aus, nicht jedoch über Jerusalem.

Es wird geschehen am Ende der Tage, da wird der Berg des Hauses des HERRN fest stehen als Haupt der Berge und erhaben sein über die Hügel; und alle Nationen werden zu ihm strömen. Es werden viele Völker hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg des HERRN gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.

Und er wird richten unter den Heiden und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.

 

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Zeit ist es für den Ausgang des Juden aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

6 Kommentare

  1. @ Yoav Sapir

    “Vor diesem Hintergrund beanspruche ich für mein Deutschland entronnenes Volk in theoretisch-ethischer Hinsicht das Recht, mindestens genauso Schlimmes zu begehen wie ihm das damalige Deutschland antat, ohne mit schlimmeren Konsequenzen bedroht zu werden als jene, die seit dem Krieg für die deutschen Staaten gelten.”

    So funktioniert das nicht. Ich muß immer wieder an Nietzsches Satz denken, daß der Mensch etwas Gewordenes ist und das auch das Erkenntnisvermögen geworden ist.(Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, Erbfehler der Philosophen)
    So irrig es ist, die Propheten vom heutigen Stand aus zu verurteilen, so irrig ist es aber auch, frühere Verhaltensweisen als legitime zu betrachten. Und Gott? Wie willst Du wissen, was die Stimme Gottes ist, was die Stimme Deiner Indoktrination oder Selbstgespräch ist? Wenn es einen Gott gibt, so will ich ihm gerade ins Auge blicken und streiten. Ich will nicht wie Hiob am Ende in Staub und Asche meine Hand auf meinen Mund legen. Man hat große Ursach’ auch seinen Gott zu belehren -Abraham hat’s ja vorgemacht!

  2. @ Dietmar

    Die Antwort auf deine Frage steckt in dem Satz, den du außer Acht gelassen hast:

    “Soll also das jüdische Volk ein Genozid an einem anderen begehen? Nein. Nur ist die »Meinung« nichtjüdischer Nationen und Gremien das Allerletzte, was uns von einem solchen Vorhaben abbringen sollte.”

    Es geht also nicht darum, inwiefern Völkermorde ethisch vertretbar sind, sondern um die Behandlung Israels durch nichtjüdische Nationen. Erst ab dem Punkt, wo Israel noch Schlimmeres tun würde als Deutschland schon tat, wäre ich bereit, zu akzeptieren, dass – etwa in der UNO – an Israels Legitimation mehr gezweifelt wird als an Deutschlands.

    Zu Gott: Warum nicht mit ihm streiten? Ich bin der letzte, der dich daran hindern möchte. Dass Gott gerade vom Bösen nicht freizusprechen ist, darüber kannst du auch in meiner “Tübinger Ansprache” lesen: http://www.chronologs.de/chrono/blog/un-zugeh-ouml-rig/holocaust/2008-11-15/ansprache-in-t-bingen-zum-9.-november

  3. Rechtfertigungen

    Es gibt gute Gründe, vom Aufrechnen der Verbrechen gegeneinander prinzipiell Abstand zu nehmen. Darauf läuft dieser Beitrag hinaus. Und aus diesem “Vollzug der Allgemeinheit” wie der jüdische Neukantianer Hermann Cohen das genannt haben würde, gewinnt er die Souveränität für den Schlussaufruf, aus der selben Quelle auch die Kraft, etwas verständlicher zu machen, wie unterschiedlich eine “Öffentlichkeit” auf die Gegenwehr von Opfern und auf die selbstverständlichen Aggressionsrechte von Tätern reagiert. Die öffentliche Blockbildung ist in der Tat immer ein Problem, das sich nur (übrigens, @ Dietmar, gerade auch im Buch Hiob) denen, die Opfer solcher Blockbildungen werden, erschließt. Die Geste des “so what” ist wohl zuweilen nötig, um sich freizuschlagen aus solcher Bedrängung. Wo einer sich soweit freigeschlagen hat, kann er dann eben auch einräumen, dass das Verhalten Israels nicht fehlerfrei ist. Schwierig bleibt die Frage, wie am Prinzip einer Weltöffentlichkeit festzuhalten ist, ohne diese ihren Charakter als “Weltgemeinschaft” an einem klassischen Opfer gewinnt, mit anderen Worten, wie eine Weltöffentlichkeit ein durchlässiges, vielstimmiges Gebilde werden kann, das nur in konstruktiven Fragen zu Einstimmigkeit findet. Das wäre ja der theoretische Zielpunkt einer zu vollziehenden Allgemeinheit.
    Und ein Letztes @ Dietmar: Hiob ergibt sich, wenn man die Bibel genau liest, gerade nicht. Im Buch Hiob ergibt sich Gott, schummelt sich aber ein wenig darüber hinweg.

  4. Wenn Israel sich schlecht benimmt, schläft manch Deutscher besser, der nach außen hin vorgibt, sehr “besorgt” zu sein. Das hat in Deutschland eine zwar besondere Ausprägung, kommt aber bei anderen Völkern oft auch vor. Solange dem so ist (und das wird sich, wenn bislang noch immer nicht, wohl nie mehr richtig ändern), kann von einer “Normalität” der Beziehungen zum Jüdischen keine Rede sein, die eine Voraussetzung bilden würde für eine wertvolle und ernstzunehmende “Weltgemeinschaft”.

  5. Kann sich Israel um die Weltöffentlichkeit scheren?

    Israel steht regelmässig am Pranger und die öffentliche Meinung (Weltöffentlichkeit?) hat sich tatsächlich bis zu einem gewissen Grad gegen Israel verschworen. Allerdings kann man die “Weltöffentlichkeit” vielleicht ignorieren, nicht aber die vielen Einzelnen, die man unter diesem Begriff subsumiert. Dazu gehören ja auch Politiker, Diplomaten, Künstler und Meinungsmacher. Ein Meinungsmacher vielleicht, der schliesslich mit einem Buch oder Artikel selbst Freunde Israels – z.b den amerikanischen Präsidenten – in ihrem Urteil beeinflusst.

    Einem falschen Bild muss auch ein Staat entgegentreten, denn ein falsches Bild führt zu falschen Interpretationen und einer Voreigenommenheit, an der vieles scheitern kann.

    Ich spreche jetzt nicht darüber, wie über einzelne Aktionen Israels in den Medien berichtet wird, sondern beispielsweise über das Verhältnis Israels zu seinen Nachbarländern und zur Nahostregion und wie das hier wahrgenommen wird.
    Um ein Beispiel zu geben: Es fällt auf, dass viele Araber, zum Beispiel Saudis (wo ich mal kurz war) durchaus verstehen, warum Israel atomar bewaffnet ist und dass sie, wenn schon, mehr Angst vor einer iranischen Atombombe haben. Hier jedoch, im deutschsprachigen Raum, hört man nicht selten die Meinung, Israel bedrohe die Region mit seiner atomaren Bewaffnung. Das gehört zu einem hier weit verbreiteten Unverständnis für die Situation Israels. Solch ein grundlegendes Unverständnis lässt die Leute dann auch viel schärfer und ungerechter über einen Vorfall in Israel oder den besetzten Gebieten urteilen.

    Wenn das grundlegende Verständnis für die Situation eines Landes oder auch einer Person fehlt, und dies bei vielen fehlt, dann ist dieses Land oder diese Person recht einsam und gefährdet.
    Verstehen steht am Anfang, wenn es aber eine Rechtfertigung braucht, ist es oft schon zu spät.

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