Von jüdischen und deutschen Studien

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Im letzten Post über die jüdische Nationalbibliothek habe ich die Hebräische Universität zu Jerusalem und deren sonstige Beiträge zur Pflege jüdischer Kulturgüter erwähnt. Hierzu fällt mir eine Anekdote ein.

Jüdische Einrichtugen in Deutschland standen einst mit mir hinsichtlich möglicher Lehrtätigkeiten in Kontakt. Es scheiterte jedoch immer daran, dass ich keinen Abschluss als »Judaist« habe und somit die festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle…

Dass in Israel und insb. an der Hebräischen Universität alle Geisteswissenschaften von Jüdischem durchwoben sind und es daher keine gesonderte Judaistik gibt, können sich hierzulande viele kaum vorstellen. Naja, ich warte also noch den Tag ab, an dem in Deutschland der Studiengang »Deutsche Studien« gegründet würde oder zumindest die hiesigen Judaisten, allgemein gesehen, mit Absolventen der Hebräischen Universtität konkurrieren könnten.

In Deutschland, lernte ich damals schnell, zählt nicht der Inhalt, sondern die Form. Das Papier muss stimmen; was dahinter steckt, interessiert kaum jemand. Und so muss ich einstweilen wie Karl Kraus mit seiner »Fackel« verfahren: als eine One-Man-Show. Aber das ist auch gut so.

Die »deutschen Studien« sind indes nichts, was mir jetzt eben eingefallen ist. Sie existieren in Israel genau so wie hierzulande die jüdischen Studien. An fast jeder Universität gibt es ein Zentrum und Lehrstühle zu deutscher Geschichte etc., überhaupt zählt das Deutsche zu den in Israel am meisten erforschten (geisteswissenschaftlichen, nichtjüdischen) Themengebiete.

An der Hebräischen Universität wird dieser Studiengang im B.A.-Stadium angeboten und besteht aus Geschichts-, Sprach-, Literatur- und Kulturstudien, d.h. man besucht deutschlandbezogene Kurse in den Abteilungen für Geschichte, Germanistik, Kulturstudien usw., wobei auch die österreichische Thematik selbstverständlich dazugehört und entsprechend akkreditiert wird. Wir Juden wollen uns nämlich keiner falschen Diskriminierung schuldig machen.

Das sind dann insg. fünfzehn Jahres-Lehrveranstaltungen, was 30 Semester-LV in Deutschland entspricht: In Israel werden die meisten Kurse ein Studienjahr bzw. zwei Semester lang unterrichtet oder man trifft sich zweimal die Woche für jew. zwei akademische Stunden; sonst bekommt man nur die Hälfte der Kreditpunkte.

Bei erfolgreichem Abschluss steht im Zeugnis auch »Deutsche Studien« geschrieben. Allerdings ist es unvermeidlich, dass in jedem Kurs sowohl jüdische als auch nicht jüdische Aspekte des deutschlandbezogenen Themas besprochen werden. Grundsätzlich könnte man es noch um Kunst-, Musik-, Politik- oder Rechtsstudien durch Einbeziehung des bereits existierenden Angebots in den entsprechenden Universitätsabteilungen erweitern. Das hängt jedoch schon von der Nachfrage ab und für viele Studierende sind 15 bzw. 30 Kurse schon »deutsch genug« für einen B. A., der zudem auch die gewöhnlichen Grundstudien und noch einen anderen, nichtdeutschen Studiengang umfassen muss.

Man sieht also: Die Geisteswissenschaft sind, wie wir wissen, orts- und kulturabhängig, was wiederum die inzwischen alte Frage aufwirft, inwiefern hier überhaupt von "Wissenschaft" die Rede sein kann.

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

6 Kommentare

  1. Danke…

    …das ist echt interessant. In Deutschland nehme ich ein weiter steigendes Interesse an Judaistik (Aussenperspektive) einerseits und Jüdischen Studien (auch Innenperspektive, z.B. Exegese) andrerseits wahr. Sind die “Deutschen Studien” in Israel eher im Auf- oder Abschwung?

  2. Nur das, was auf seinem Blog selbst steht. (Ich bin auf der Achse des Guten darauf gestoßen.) Er heißt Jan-Philipp Hein und scheint Journalist in Bremen zu sein.

    http://www.aufmacher.com/?cat=4

    Im Juli hat einige interessante Artikel über deutsch-jüdische Beziehungen gemacht.

  3. Aussenansicht?

    Vielleicht ist es ab einem gewissen Punkt einfach nicht möglich “sich selbst” zu studieren. Beobachtungshilfe “von aussen”, neutrale Bewertung von nicht involvierten mag nötig sein: im Mikrobereich (Psychologie/Psychoanalyse) genauso wie im Makrobreich (Geschichtliche Ereignisse, Gesellschaften, Kulturen, Staaten usw.) …

Schreibe einen Kommentar