Und dennoch weiter

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Siebenmal hat der Mond schon die Erde umkreist, seitdem ich hier zuletzt geschrieben habe. Inzwischen hat sich meine Lebenssituation einigermaßen verändert: Nach etlichen “Affären” mit Deutschen und sonstigen habe ich eine Frau kennen gelernt, die sich immer wieder als die Richtige erweist. Eigentlich war das schon vor zwei Jahren, aber jetzt, wo es sich schon eine Zeit lang bewährt hat, erlaube ich mir, das Sein gewissermaßen auch Schein werden zu lassen. Nun findet das leidenschaftliche Ringen zwischen Deutschem und Jüdischem tagtäglich bei uns zuhause statt.

Ansonsten hat mir die berufliche Stabilität, die seit 2009 bei mir herrscht (täglich danke ich Gott für die Entscheidung, Heidelberg zu verlassen), in Verbindung mit dem niedrigen Leitzins zu einer Hypothek und einer eigenen Wohnung verholfen. Also ja, ich habe mich in Deutschland niedergelassen, aufs Deutsche eingelassen. Ist das eine Entscheidung für Deutschland? Vielleicht, aber selbst dann ist damit mein Deutschland gemeint.

Über mein Deutschland habe ich hier früher oft geschrieben, verschiedene Aspekte beleuchtet – allesamt Annäherungsversuche an mein Deutschland, das innere Deutschland, kleine Schritte im Selbstfindungsprozess. Im letzten Jahr habe ich versucht, daraus einen einheitlichen Text zu machen, also ein Buch. Aber allzu weit bin ich damit nicht gekommen. Es bleibt immer sehr fragmentarisch. Wie Deutschland eben.

Jedenfalls ist mein Verhältnis zu Deutschland und dem Deutschen anders geworden. Gewissermaßen intensiver, in mancher Hinsicht sachlicher, was auch Nachteile mit sich zieht, denn meine alltägliche, berufliche Beschäftigung mit diesen Themen ist einer der Gründe, warum ich kaum noch Zeit habe, mich hier mit den philosophischen Aspekten zu befassen. Doch immer wieder spüre ich, wie sehr es mir fehlt.

Die letzten Jahre haben mich weiterhin zu Vorträgen an verschiedene, mir oft neue Ecken Deutschlands verschlagen. Meine Reise in die deutschen Intimitäten hat sich intensiviert. Ich glaube, inzwischen schon fast überall gewesen zu sein. An die meisten Orte würde ich nicht unbedingt zurückkehren wollen, jedenfalls nicht unbezahlt. Am schönsten war jedoch die Einladung, der Universität Wien wieder einen Besuch zu gestatten. Nur mit gebrochenem Herzen – und ich meine das ernst – konnte ich die Maschine nach Berlin besteigen. Nirgendwo drängte es mich so sehr, das Buch zu schreiben, wie in Wien. Und dennoch bin ich hier in Berlin glücklich, ich kann mich keineswegs beschweren. Auch im achten Jahr in Deutschland – meinem Deutschland – bleibt es also bei Berlin und Wien, wie mit zwei Frauen, die um einen kämpfen und die man beide liebt. Aber mein Deutschland ist weder das eine noch das andere, es liegt, wie es mir scheint, vielmehr dazwischen. Näher definieren kann ich es im Moment auch nicht.

Ich möchte es jetzt darum so formulieren: Mein Deutschland ist kein Ort, sondern ein Weg, und auf diesem Weg bin ich, ob zum Guten oder Schlechten, weiter gekommen. Darüber zu urteilen vermag ich noch nicht, dafür stecke ich noch viel zu sehr da drin.

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

2 Kommentare

  1. D

    Mein Deutschland ist kein Ort, sondern ein Weg, und auf diesem Weg bin ich, ob zum Guten oder Schlechten, weiter gekommen.

    …ist vor allem auch ein Ort, den man nicht vermisst, wenn man nicht da ist.

    BTW, Wien gehört zurzeit nicht zu D.

    MFG
    Dr. W

  2. Berlin und Wien

    Ick kann mir, wenn ich den vorletzten Absatz lese, ein gewisses sardonisches Grinsen nicht verkneifen. Wien und Berlin unter dem Überbegriff “Deutschland” rubriziert … wenn Du RICHTIG Ärger haben willst, tust Du noch Basel, Bern und Zürich dazu.

    Gestern war übrigens Scbweizer Nationalfeiertag.

    Gruss
    Helmut

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