Riki Daskal: Ein Geruch von toten Staren hängt in der Luft

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus: ein Gedicht der jüdischen Dichterin Riki Daskal, Jg. 1953, Preisträgerin des hebräischen Schriftstellerbundes 2001. In ihrem Werk setzt sie sich oft mit der Geschichte und dem Holocaust, Europa und dem europäischen Erbe aus.

 

Ein Geruch von toten Staren hängt in der Luft

Ein Geruch von toten Staren hängt in der Luft
Es ist der Geruch ihrer Angstausflüsse
Ich trete auf die kleinen Bäumchenfrüchte
Die Geräusche bei ihrem Auspressen
Und das Blut, das sie herausspritzen:
Durch die Schuhsohlen
Brennen meine Füße

Auch ich vermochte nicht die Dickichtfrüchte zu pflücken
Deren ausgespritztes Blut
Und unheilbare Flecken
Nimmer verschwinden werden
Es werden alle Stare
Tot aus den Dickichtzweigen
Auftauchen

Sie weinen
Und mit hart schallendem Geflatter
Bedecken sie den ohnedies grauen Himmel.

 

Erschienen 2000 in »Meines Bauches Memoiren«, nachgedichtet von mir

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

4 Kommentare

  1. Beklemmend

    Danke für dieses Gedicht! Mich hatte vor allem Paul Celan “Todesfuge” bewegt, der ja die Shoa noch selbst durchlebt hatte. Es ist ein schwieriges, buchstäblich “dunkles” Gedicht, lässt aber einiges von dem Grauen ahnen, durch das die Menschen gegangen sind.

    ” Schwarze Milch der Frühe wir trin­ken sie abends
    wir trin­ken sie mit­tags und mor­gens wir trin­ken sie nachts
    wir trin­ken und trin­ken
    wir schau­feln ein Grab in den Lüf­ten da liegt man nicht eng
    Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlan­gen der schreibt
    der schreibt wenn es dun­kelt nach Deutsch­land dein gol­de­nes Haar Mar­ga­rete
    er schreibt es und tritt vor das Haus und es blit­zen die Sterne er pfeift seine Rüden her­bei
    er pfeift seine Juden her­vor läßt schau­feln ein Grab in der Erde
    er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

    Schwarze Milch der Frühe wir trin­ken dich nachts
    wir trin­ken dich mor­gens und mit­tags wir trin­ken dich abends
    wir trin­ken und trin­ken
    Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlan­gen der schreibt
    der schreibt wenn es dun­kelt nach Deutsch­land dein gol­de­nes Haar Mar­ga­rete
    Dein asche­nes Haar Sula­mith wir schau­feln ein Grab in den Lüf­ten da liegt man nicht eng

    Er ruft stecht tie­fer ins Erd­reich ihr einen ihr andern sin­get und spielt
    er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
    stecht tie­fer die Spa­ten ihr einen ihr andern spielt wei­ter zum Tanz auf

    Schwarze Milch der Frühe wir trin­ken dich nachts
    wir trin­ken dich mit­tags und mor­gens wir trin­ken dich abends
    wir trin­ken und trin­ken
    ein Mann wohnt im Haus dein gol­de­nes Haar Mar­ga­rete
    dein asche­nes Haar Sula­mith er spielt mit den Schlan­gen
    Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meis­ter aus Deutsch­land
    er ruft streicht dunk­ler die Gei­gen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
    dann habt ihr ein Grab in den Wol­ken da liegt man nicht eng

    Schwarze Milch der Frühe wir trin­ken dich nachts
    wir trin­ken dich mit­tags der Tod ist ein Meis­ter aus Deutsch­land
    wir trin­ken dich abends und mor­gens wir trin­ken und trin­ken
    der Tod ist ein Meis­ter aus Deutsch­land sein Auge ist blau
    er trifft dich mit blei­er­ner Kugel er trifft dich genau
    ein Mann wohnt im Haus dein gol­de­nes Haar Mar­ga­rete
    er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
    er spielt mit den Schlan­gen und träu­met der Tod ist ein Meis­ter aus Deutschland

    dein gol­de­nes Haar Mar­ga­rete
    dein asche­nes Haar Sulamith

    Paul Celan”

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