Meine Erinnerungen an Auschwitz

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Als am gestrigen Abend der Megastaat "Deutschland" (eine fragliche Bezeichnung übrigens) den eigentlichen Kampf gegen die dritte Rzeczpospolita im europäischen Osten hat gewinnen dürfen, ist mir ein Erlebnis aus meiner Auschwitzer Zeit wieder in den Sinn gekommen.

Naja, so ganz kann ich mich (Jg. 1979) an das Phänomen "Auschwitz" selbstverständlich nicht erinnern, dafür aber an meinen kürzlich stattgefundenen Besuch in Auschwitz I und II. Das Ganze lässt sich ziemlich einfach abwickeln: Man hat sich nur bei einer der zahlreichen Krakauer Agenturen anzumelden, die täglich zwei Auschwitzreisen anbieten. Vor Ort darf man sich sowieso nur vom gedenkstätteneigenen Personal führen lassen, das im Auftrag der dritten Republik ausgebildet und geprüft worden ist.

Die Gedenkstätte selbst erwies sich als ein voyeuristisches, ja pornographisches Gräuelmuseum ohne jeglichen Anspruch auf Vermittlung historischer Zusammenhänge. Also brauchen sich auch die staatlich geprüften Führer mit keinen besonderen Fachkenntnissen zu behaupten: "Das waren also die Brillen. Im nächsten Raum sehen wir Menschenhaar. Follow me, please!"

Dieser Banalität des Musealen zum Trotz hat unsere staatlich geprüfte Führerin den Weg in mein Gedächtnis gefunden. Ganz am Ende der Durchführung, als wir schon im zweiten Lager bzw. Birkenau waren, hat sie uns von blondhaarigen und blauäugigen Kindern erzählt, die aufgrund solcher rassischen Merkmale von ihren polnischen Familien entfernt wurden, um von Deutschen garmanisiert zu werden.

Daraufhin hat einer in der Gruppe gefragt: "Auch jüdische Kinder?"

"Nein", hat die von seinem Bildungsniveau offenkundig enttäuschte, staatlich geprüfte Führerin erwidert, "ich habe doch gesagt: nur blondhaarige und blauäugige!"

Und in diesem Sinne wünsche ich trotz aller Unbildung in Sachen Fußball Löw & Co. auch weiterhin viel Erfolg.

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

5 Kommentare

  1. “Und in diesem Sinne wünsche ich trotz aller Unbildung in Sachen Fußball Löw & Co. auch weiterhin viel Erfolg.”

    Ich wünsche Löw & Co auch viel Erfolg, aber aus anderen Gründen. 😉

    Ich würde nicht wegen des Totalausfalles einer “staatlich geprüfte Führerin” auf ein ganzes Land rückschließen. Auch die polnische Boulevard Presse schafft das bei mir nicht, denn ich habe unter den Polen einige sehr herzliche Menschen kennengelernt.

  2. Das war ja…

    …nicht ernst gemeint. Hätte ich keine guten Freunde in Polen, so wäre ich in den letzten 13 Monaten nicht dreimal hingereist. Auch die Führerin hat mich nicht geärgert, ich habe sie eher lustig gefunden. Und irgendwie auch ziemlich typisch für dieses Land 😉

  3. Das erinnert mich ein bissel an den Sketch von החמישיה הקאמרית, wo die eine Tochter aus dem Ausflug nach Auschwitz dem Papa anruft, um zu sagen, sie habe die Gruppe verloren und wartet neben den Schuhen. Grotesk. Schade, ich finde die passende YouTube-Video nicht.

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