Keine politische Blüte: eine kleine Bilanz

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Nach der letzten Erfahrung mit "pro Deutschland" überwältigt mich die Erkenntnis, die "Lage der Nation" wird sich in Deutschland in absehbarer Zukunft nicht verbessern.
 
Es gibt zurzeit wohl nur ein – einziges – politisches oder zumindest semipolitisches Milieu, von dem man sich als Jude in Deutschland eine Kleinigkeit erhoffen kann: Das sind die "Jungle World"-Leute und der benachbarte Kreis der sog. Antideutschen, die in puncto Israel sich nicht verwirren lassen und gegen den Zeitgeist fest an der Seite der Kultur stehen. Allerdings haben sie, was das Deutsche angeht, normalerweise recht wenig bis gar nichts anzubieten.
 
Von der sonstigen Linken (sofern die Antideutschen überhaupt zur Linken zu rechnen sind) ist nichts mehr zu erwarten, steckt sie großteils seit Jahrzehnten in einer dezidiert antijüdischen Tradition, zu der auch die Entführung und Selektion jüdischer Flugzeugpassagiere gehört haben. Ganz zu schweigen von Leuten, die sogar heute noch im Bundestag sind, wie etwa Hans-Christian Ströbele, die sich 1991 in Israel einen Namen machte, da er es für ganz nötig hielt, Deutschland, aber auch den dortigen Juden zugleich zu erklären, sie seien an den Raketenangriffen durch den Massenmörder Saddam Hussein selber schuld. Kurzum: Je linker man in Deutschland ist, umso tiefer ist dann die ideologische Vorbelastung, umso schlimmer auch die sich nur noch psychopathologisch erklärende Blindheit für bestimmte Sachverhalte. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Als Privatperson ist Herr Ströbele (2009 übrigens mein Büronachbar) ziemlich uninteressant, besorgniserregend ist vielmehr die Tatsache, dass er dank eines Direktmandates (!) im Bundestag sitzt.
 
Haben die Linken jedoch – zumindest theoretisch gesehen – irgendwelche "Prinzipien", die in der bürgerlichen Gesellschaft als Warnsignale dienen, so ist es in der von Union und FDP beherrschten "Mitte" noch viel schlimmer. Da hat man inzwischen eine grundlose Objektivität zum selbstgerechten Dogma erhoben und sich somit in moralischer Hinsicht auf dieselbe Stufe erniedrigt wie die UNO (die ihr kulturförderndes Potenzial übrigens längst erschöpft hat, Weiteres dazu in der "Welt").

Denn jene sich gerne nützlich machenden Linken, die jährlich im öffentlichen Hetz- und Hassumzug, den man fälschlicherweise noch immer "al-Quds-Tag" nennt, unter dem Slogan "gegen Zionismus und Antisemitismus" [sic] mitmachen, versuchen ihre Sympathie fürs Böse immerhin nicht zu verheimlichen. Wirklich gefährlich sind hingegen diejenigen, die sich einer vermeintlichen "Mitte" zuschreiben und sich sehr viel Mühe geben, um beiden Seiten mit "Verständnis" zu begegnen, während die Geschäfte mit dem rasant nuklear werdenden Iran in ihrer Verantwortung auch weiterhin blühen dürfen.
 
So bleibt einem nur noch das rechte Spektrum, von dem man schon erwarten dürfte, zwischen Kultur und Unkultur klare Grenzen zu ziehen, ja sich noch überhaupt an den Kulturbegriff zu halten. Doch was für Gründe gibt es, dort eine gewisse Blüte zu vermuten? Zu beobachten sind nun schon einige Anzeichen:

In der Jungen Freiheit erscheint der Bruch mit Hitler glaubwürdig vollzogen. Vielleicht ist Stauffenberg, der unter Hitler ziemlich lange mitmachte, keine perfekte Identifikationsfigur; doch wenn das Bundesministerium der Verteidigung in der nach Stauffenberg umbenannten Bendlerstraße residieren will und die deutschen Staatsträger am dortigen Denkmal jährlich einen Kranz niederlegen, darf sich die JF allemal ebenfalls dieses Erbes annehmen. Dieter Stein und seine Leute sind zwar keine Freunde Israels, aber verglichen mit anderen, sogar "salonfähigen" Zeitungen wie FR, taz u. dgl. kann man sich kaum über die JF beschweren (und nebenbei: der deutsche Salon – ein No-Go-Area?). Jedoch besteht vermutlich eine große Diskrepanz zwischen den Zeitungsmachern und deren Lesern.

Die meistens anspruchsvoll gemachte Zeitschrift "Sezession" sowie die sonstige Tätigkeit im Antaios-Verlag rund um Götz Kubitschek bezeugen m. E. den Willen, fürs heutige Deutschland ein neues Gedankenfundament zu schaffen, das sowohl dem aktuellen Stand gerecht wird als auch intellektuelle Erwartungen zu erfüllen sucht. So weit, so gut, nur glaube ich nach vielen Recherchen, langen Beobachtungen und manchen Gesprächen in diesem Milieu, dass es den Sezessionisten innerlich und insgeheim doch lieber gewesen wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Damit will ich nicht behaupten, sie möchten jetzt noch einen neuen Hitler großziehen, aber faschistische, weil Staatsmacht und Kampfschmiede verherrlichende Tendenzen sind nicht zu übersehen. Ferner führt man da, allgemein gesprochen, eine ziemlich komplizierte, von Neid bestimmte Beziehung zum Jüdischen: einerseits wird gegen die Juden Groll gehegt, weil sie aus dem letzten Krieg eine nationale Renaissance schöpfen, während den Deutschen nur noch Selbstverachtung gegönnt wird; andererseits bewundert man gerade angesichts dieses Wunders das heutige Israel, dessen "Unverschämtheit" die Sezessionisten wohl am liebsten auch hierzulande ausleben würden. Trotzdem widerstehen sie nur viel zu selten der Versuchung, die Geschehnisse im Namen Osten zu missbrauchen, um Israel mal wieder an den Pranger zu stellen und sich selbst zu "beweisen", dass die Juden "es" anderen doch auch antäten.

Heutzutage fungieren ja nicht nur die Druckmedien, sondern vermehrt auch das Internet als die Agora, auf der Gleich- oder zumindest ähnlich Gesinnte zueinander finden und eine gewisse "Bewegung" entstehen lassen können. In dieser Hinsicht zeichnet sich z. b. Politically Incorrect (PI) durch islamkritische und proisraelische Positionen aus. Beobachtet man die große Resonanz in der deutschen Blogosphäre, so scheint PI zu einem wichtigen Spieler geworden zu sein, der bald vielleicht auf in der internetmedialen "Bundesliga" auftreten würde. Dabei höre ich in meinem Umfeld immer wieder, den PI-Leuten gehe es nicht wirklich um Israel, sondern sie würden das Thema Israel nur zu ihren Gunsten nützen, nämlich um sich selbst als anti-rassistisch darzustellen. Dass hinter solchen Sprüchen wirklich etwas stünde, ist eher zweifelhaft. Auf proisraelischen Kundgebungen lassen sich immer wieder auch PI-Sympathisanten treffen. Allerdings figuriert PI fast nur medial; richtig politisch werden traut man sich da anscheinend noch nicht.

Dafür macht sich auf dem realpolitischen Feld seit einigen Jahren "pro Deutschland" präsent, und zwar mit bundesligamäßigen Aspirationen. Doch von einem dortigen Bruch mit dem Antisemitismus kann leider keine Rede sein – meinen Erfahrungsbericht findet man bekanntermaßen hier.
 
Also bleibt man verzweifelt dastehen und spürt, wie einem sich die Frage aufdrängt: Wo ist der deutsche Geert Wilders, der auf dem politischen Spielfeld israelsolidarisch proabendländische Positionen mit Anstand und Würde vertreten könnte? Unterstützung gäbe es schon, auch von erwachten Linken, die momentan auch kein politisches Zuhause haben. Dabei denke ich etwa an einen Freund, einen gewesenen 68er, dessen Freundeskreis später teilweise in der Bewegung 2. Juni landete und Juden entführte. "Wenn Israel fällt," erklärte er mir letzten Winter in der Berliner Deponie, "steht nichts mehr zwischen uns und der Barbarei."  

Man schaut sich also – auch und gerade als Jude – in Deutschland um und weiß nicht mehr, wohin. Die Auswahl ist groß und umso schwieriger fällt einem die Entscheidung: Ist man bei den linken, den rechten oder den islamischen Antisemiten am besten aufgehoben?

Na gut, hier wird vermutlich zu viel verlangt; denn mit welcher Wahrscheinlichkeit hätte schon ein Deutscher, der in Israel lebt, eine geistig-politische Heimat? …wobei ich da wiederum nicht wenige Deutsche kenne, die sich bei den einen oder anderen Juden doch ganz wohl fühlen.

Vielleicht ist das für Deutschland noch zu früh. Seit Kriegsende sind ja kaum sieben Jahrzehnte vergangen. Vielleicht darf man einfach nicht so viel erwarten, vielleicht ist die politisch-intellektuelle Verkrüppelung geradezu geboten.

So bleibt noch die Frage, ob es in Deutschland auf diesem Gebiet je zu einer positiven Wende kommen könnte. Ob es hier eines Tages überhaupt genug Menschen gäbe, die beides zu tun verstehen: sich sowohl des Holocaust-Erbes annehmen als auch sich des deutschen Erbes erbarmen. Wäre eine "kritische Masse" hiervon überhaupt denkbar? Wahrscheinlich nicht. Und wenn es bei den Wenigen bleibt: Ob es dann doch in Richtung Vergeistigung geht, ob aus den Wenigen im Laufe der Zeit eine proisraelische, prodeutsche "Gelehrtenrepublik" entsteht, welche die deutsche Substanz in geistiger Form zu bewahren weiß? Vielleicht wären mit etwas so Mildem auch die Antideutschen "einverstanden".

Nun also darf man zum Abschluss den unzähligen Polizisten, die an diesem Samstag die bürgerliche Normalbevölkerung vor den "Qudstag"-Marschierenden schützen werden, viel Erfolg wünschen. Hoffentlich werden sie diesmal nicht so rückgratlos sein wie früher, als sie, von den marschierenden Fanatikern gehetzt und selber beängstigt, in private Wohnungen eindrangen und Israel-Fahnen beschlagnahmten, damit sich auf Kosten von ach-leider-doch-nicht verfassungsgeschützten Grundrechten die islamische Masse wieder beruhigen ließ. Hier ein berühmtes Beispiel, auf das seinerzeit auch eine offizielle Entschuldigung folgte. Und hier ein anderes, das dieselbe Polizei offenbar nicht verhindern konnte: Deutschland, 1939-2009. Doch liebe Polizisten: Spart euch heuer die Entschuldigung. Denn ihr tragt nicht alleine die Schuld. Euer Staat hat kläglich versagt – und wird es allem Anschein nach auch in Zukunft tun. Bleibt stark.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

2 Kommentare

  1. “Man schaut sich also – auch und gerade als Jude – in Deutschland um und weiß nicht mehr, wohin. Die Auswahl ist groß und umso schwieriger fällt einem die Entscheidung: Ist man bei den linken, den rechten oder den islamischen Antisemiten am besten aufgehoben?”

    Bedürfen Sie einer Heimat, die außerhalb von Ihnen liegt? Ich denke, das WORT der Toten ist lebendiger als das Wort der Lebenden.

  2. Vieleicht mal vor die Haustür gucken

    Yoav Sapir, als Berliner sollte man vieleicht mal vor die Haustör gucken.
    Das Land Brandenburg baut grade Stück für Stück und ganz pragmatisch, in vielfältiger Weise seine Kontakte zu Israel aus.
    http://www.europa.brandenburg.de/…b1.c.171234.de
    erst im April war er ja mit Schülern aus Ostbrandenburg und Unternehmen aus Brandenburg da.
    Hoch spannend, was da derzeit passiert.
    http://www.stk.brandenburg.de/…d=bb1.c.149096.de
    Man sollte bei allem immer auch die Zukunft im Augen behalten..

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