Die Auflösung der Judenfrage. Das Bild des Juden im Spielfilm der DDR: Kapitel X

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Dies ist eine unformatierte Version der Magisterarbeit "Die Auflösung der Judenfrage. Das Bild des Juden im Spielfilm der DDR", erforscht und geschrieben von Yoav Sapir an der Hebräischen Universität Jerusalem, 2004-2006. Diese unformatierte Version dient allein der Erschließung durch Google. Wenn Sie sich für die Arbeit interessieren, empfehle ich Ihnen wärmstens, kostenlos die PDF-Version herunterzuladen: Klicken Sie hier.


 

 

 

X. Abstract in deutscher Sprache

 

Die amtliche Politik der SED gegenüber den Juden war durch ständige Spannung zwischen Verneinung des Antisemitismus einerseits und scharfem Antizionismus andererseits gekennzeichnet: Den Juden wurde einerseits eine ausgesprochen günstige Rolle als »Opfer des Faschismus« im Rahmen des antifaschistischen Gründungsnarratives der DDR zugeschrieben, andererseits eine entgegengesetzte Rolle als »faschistische« Zionisten, die in höchst problematischer Beziehung zum ebenfalls »faschistischen« Bonn standen. Infolge dieses Zwiespalt wurde den ostdeutschen Staatsbürgern eine nach und nach entstandene, gewissermaßen amtliche Antwort auf die Frage »Wer und was sind die Juden?« gegeben, nicht zuletzt um das Judentum in eine dem SED-Regime dienliche Stellung zu bringen. Das Publikum, welches größtenteils keinen Juden (geschweige denn bewusst) begegnete, lernte aus den Filmen, ob bewusst oder nicht, worum es bei den »Juden« geht: Wer diese Leute seien, wodurch sie sich von allen restlichen unterscheiden würden, was für eine gemeinsame Gruppenidentität sie hätten. Aufgrund der sehr strengen Parteikontrolle sind die zur Sache gehörigen Spielfilme der DEFA imstande, von der Art und Weise zu zeugen, auf welche die SED die Herausforderung der ostdeutschen Judenfrage, also der jüdischen Gruppenidentität, bewältigte.

 

Die Fragestellung, die dieser Forschung zugrunde liegt, besteht nun aus drei Schritten und lautet: 1. Was für eine jüdische Identität zeigte das SED-Regime der Bevölkerung der DDR implizit kraft des Massenmediums des Films? 2. Wie ist diese Antwort auf »Wer und was sind die Juden?« durch den politisch-ideologischen Zusammenhang in der DDR zu erklären? 3. Zeugt das Bild des Juden im ostdeutschen Spielfilm von Entthematisierung oder Umthematisierung des Juden in der DDR?

 

Die Schwerpunkte der Forschungsmethode liegen auf Empirismus (eine Figur ist nur insofern jüdisch, als dies überhaupt wahrnehmbar ist) und Durchgängigkeit (die Frage nach dem »Bild des Juden im Spielfilm der DDR« fungiert hier nur als Muster- und Extremfall). Es werden Anzeichen der jeweils gesuchten Gruppenzugehörigkeit gesammelt sowie anschließend beurteilt und ausgewertet.

 

Die Resultate: 1. Die in den Filmen gezeigte jüdische Identität ist eine leere bzw. entleerte. Die Juden sind dabei allen anderen gleich, d.h. ganz gewöhnliche Menschen. Der Unterschied wird ihnen von den Nazis aufgezwungen, weshalb die unterschiedliche jüdische Gruppenidentität auf die Verfolger zurückzuführen sei. 2. Die Ursache für dieses Bild war, dass eine unterscheidende Betrachtungsweise des Juden für die SED von vornherein sowohl ideologisch als auch politisch unannehmbar war. Die Zwecke bzw. die Vorzüge an diesem Judenbild waren erstens, dass der besagte Widerspruch zwischen »Opfern des Faschismus« und »faschistischen Hebräern« gelöst werden konnte, da beide Gruppen nunmehr aus einfachen Menschen bestehen sollten, die keiner Obergruppe zugehören sollten und denen nichts Besonderes gemeinsam sei; und zweitens, dass die nationalsozialistische Judenverfolgung somit verallgemeinert wurde und für das antifaschistische Gründungsnarrativ der DDR mobilisiert werden konnte. 3. Der ostdeutsche Spielfilm zeugt von Umthematisierung des Juden in der DDR, durch welche das SED-Regime dem bundesdeutschen Bewältigungsmuster ausweichen konnte. Diese Umthematisierung war durch innewohnende Widersprüchlichkeit gekennzeichnet, die von verschiedenen Gesichtspunkten aus letztlich sowohl auf Kontinuität als auch auf Bruch mit der NS-Vergangenheit hinweist.

X.a. Abstract in English

 

The Dissolution of the Jewish Question: The Representation of the Jews in the Feature Films of the GDR

 

The official policy of the SED towards the Jews was characterised by constant tensions between the rejection of Anti-Semitism, on the one hand, and severe Anti-Zionism, on the other, as two opposing roles were ascribed to the Jews: On the one hand, the positive role as »victims of Fascism« within the antifascist foundation narrative of the GDR, on the other hand, the negative role as »fascist« Zionists, who had extremely problematic relations with the likewise »fascist« government in Bonn. As a result of this dichotomy, the citizens of the GDR were given a gradually constructed and to a certain extent official answer to the question »Who and what are the Jews?«, which meant to put Judaism in a position that would suit the regime of the SED. The audience, who for the most part never encountered a Jew (let alone consciously), learned through films, whether consciously or not, what the »Jews« were all about: Who these people are, in what way they differ from all the others, what kind of a common group identity they have. Because of the very tight control by the party, the feature films of DEFA dealing with Jews are capable to testify to the way in which the SED coped with the challenge of the East-German Jewish question, i.e. the challenge of the Jewish group identity.

 

This research seeks to answer the following three questions: 1. What kind of a Jewish identity did the SED-regime present implicitly to the population of the GDR by using the mass medium of film? 2. How can the answer to the question »Who and what are the Jews?« be explained in the politic-ideological context of the GDR? 3. Does the image of the Jew in East-German feature films testify to a discontinuation of the discourse concerning the Jews after 1945 or rather to a change in the discourse patterns?

 

The research method focuses on empiricism (a figure is Jewish only insofar as this is perceptible) and universality (the question regarding »the representation of the Jews in the feature films of the GDR« acts here as an extremely complex test-case). Indications of belonging to the group searched for are collected, assessed and evaluated.

 

The results: 1. The Jewish identity shown in the films is an empty one. There, the Jews are identical to all the others, completely ordinary human beings. The difference is forced upon them by the Nazis; therefore, the different Jewish identity is to be traced back to the persecutors. 2. The cause of this representation was, that looking at the Jews as different was from the outset both ideologically and politically unacceptable for the SED. The purposes or the advantages of this representation of the Jews were, firstly, that the contradiction described above between »victims of fascism« and »fascist Hebrews« could be solved, since both groups were now turned into simple and ordinary people, who are not supposed to belong to any supra-group or to have any common features; and secondly, that the national-socialist persecution of the Jews was generalized und could therefore be mobilized for the anti-fascist foundation narrative of the GDR. 3. The East-German feature films shows that the discourse concerning the Jews continued after 1945, but that a major change in the discourse patterns took place, through which the regime of the SED could avoid the West-German patterns of coming to terms with the past. These new patterns of discourse in the GDR were characterised by an inherent inconsistency, which indicates that from different points of view there were both continuity and a break with the national-socialist past.

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

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