“Ist Gott unveränderlich?”

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Lange nach der ersten Lektüre ist mir neulich wieder ein Buch in die Hände gefallen, auf das ich in Gedanken immer wieder zurückkomme. Obwohl argumentativ fundiert und durchweg mit Fußnoten belegt, ist es kein akademisches Werk.

Vielmehr handelt es sich um einen intellektuellen Roman: Im Laufe eines hebräischen Jahres dokumentiert der Verfasser, Dov Elbaum, seine Auseinandersetzung mit verschiedenen Vorstellungen der jüdischen Tradition und reflektiert über ihre Bedeutung für sein Leben, das genauso mit inneren und äußeren Schwierigkeiten geschmückt ist wie jenes des Lesers.

Elbaum wurde in Jerusalem in eine chassidische Familie geboren, was nicht verhinderte, dass man ihn als Jugendlichen in die hochangesehene Jeschiwa "Hebron" schickte. Diese ist tief in der Tradition des litauischen Judentums verwurzelt, welches sich nicht gerade gut mit dem Chassidismus verträgt.

Später verließ er die orthodoxe Welt und wurde allgemein-jüdisch, sodass er sich inzwischen ganz unterschiedliche Perspektiven angeeignet hat. Und nun begibt er sich auf eine Reise in die "Geheimlehre", ins Reich dessen, was in fremden Sprachen bzw. im nichtjüdischen Raum gemeinhin als jüdische Mystik bezeichnet wird. Dabei setzt er sich insbesondere mit dem kabbalistischen Gedankengut auseinander, auf das er sich spezialisiert hat.

Das 2007 beim israelischen Verlag Am-Oved erschienene Buch trägt auf der zweiten Seite auch einen englischen Titel: "A Walk Through the Void". Wer Hebräisch liest, kann sogar in Deutschland fündig werden, und zwar in der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien (dort ist jetzt nämlich jenes Exemplar beherbergt, das ich vor zwei Jahren aus Israel mitgebracht habe).

Soviel zum Hintergrund – und jetzt ein Zitat, das Elbaums Sichtweise m. E. gut zum Vorschein bringt (S. 268-269; meine Anmerkungen in eckigen Klammern):
 

Ist Gott wirklich unveränderlich? Was Gott überhaupt zu "Gott" werden lässt, ist doch sein Wille allein, dem Raum seiner Unendlichkeit zu entkommen und innerhalb der Welt [der Menschen] die Einschränkung [von sich selbst] zu erreichen [~ eine konkrete, weil begrenzte Gestalt anzunehmen]. Das heißt, seine Veränderung im Bewusstsein der Menschen entspricht eigentlich seiner eigenen Veränderung. Gott kann nur "Gott sein", indem er in menschlichen Vorstellungswelten weilt. Ändern und erneuern sich diese Vorstellungen, so ändert und erneuert er sich selbst und bringt weitere Aspekte von sich zum konkreten Ausdruck. Gottes Existenz ist zwar unabhängig, während der Mensch sich ihn seinem Zeitgeist entsprechend vorstellt; nur ist diese Gestalt, die er sich vorstellt oder gar sieht, eben der wahre, unabhängige Gott. Es ist so, als ob Gott wirklich für diese eine Person, in deren Gestalt, neu entstünde. Es ist die Subjektivität des Menschen, die den wahren Gott kreiert und schafft.

Dem kann ich nur zustimmen. Denn mir erscheint die Sache so: Wenn wir von "Gott" schlechthin reden, beziehen wir uns eigentlich darauf, was wir uns darunter vorstellen, und somit auf unsere eigenen Vorstellungen. Das Signifikat hinter der menschlichen Denkfigur "Gott" ist nichts anderes als das, was einem jeden in seinen Vorstellungen von diesem Signifikant begegnet.

Dieses Buch ist zwar nur ein Beispiel, in meinen Augen jedoch ein typisches. Denn für mich verkörpert sich (auch) in ihm der Geist des neujüdischen, hebräischen Denkens, wie dieses im jüdischen Land blüht und die Hindernisse des akademischen Akkumulats überwindet. Hat hier Elbaum neue Entdeckungen gemacht? Nein. Hat er überhaupt wissenschaftlich gearbeitet? Auch das nicht. Doch gerade deswegen, weil er seine Wissbegier von den Fesseln der Technik befreit hat, die wir "Wissenschaft" nennen, konnte er hier Bedeutsames sagen.

Den oben zitierten Ansatz – die Identifizierung des Göttlichen mit unseren (sehr unterschiedlichen) Vorstellungen davon – habe ich deswegen ausgewählt, weil er sich bei mir an andere Fragen knüpft. Diese müssen allerdings noch warten, weil ich in wenigen Tagen zum Historikertreffen der Geschichtswerkstatt Europa (heuer in Breslau) reise. Hoffentlich kann ich das Thema wieder aufgreifen, wenn ich zurück bin.

 

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

5 Kommentare

  1. In der Tat eine sehr ansprechende Denkfigur: Einerseits passt sie (wenn ich richtig verstehe) gerade zu den faktisch (v.a. exegetisch) beobachtbaren historischen Wandlungen in der Gottesvorstellung. Andererseits widerspricht sie allzu eindimensionalen, genauer: monologischen Begriffen von „Offenbarung“ – Thomas Mann übrigens schreibt in diesem Sinne in seiner Josef-Tetralogie irgendwo sehr schön, Abraham habe Gott „hervorgedacht“, was ihn gewissermaßen zum „Vater Gottes“ mache (ohne dass damit das unabhängige Sein Gottes bestritten wäre; werd mal schauen, ob ich das ganze Zitat finde); ich lese das genau als subjekt-orientierte Ergänzung der biblischen Erzählung: spricht in der Schlüsselszene in 1. Mose 12 Gott zu Abraham, so wird hier Abraham als das Gott-(„hervor“)denkende Subjekt betont.

    Nicht ganz sicher bin ich, ob ich deine Anmerkungen zum Wissenschaftsbetrieb richtig verstehe – die jüdische („akademische“) Religionsphilosophie scheint mir doch ähnliche Motive hervorgebracht zu haben, jedenfalls würde ich etwa den „Korrelations“-Gedanken des späten Hermann Cohen (der ja geradezu der Inbegriff akademischer deutsch-jüdischer Gelehrsamkeit ist) in diesen Spuren lesen…- sehr spannend auf jeden Fall, bin schon gespannt auf Weiteres… (c;

  2. tibetisches Sprichwort

    Ein tibetisches Sprichwort: ´Götter, Teufel und Menschen benehmen sich in der gleichen Art!´, – deutet darauf hin, dass nicht nur das Göttliche sondern auch das Teuflische auf menschlichen Vorstellungen beruht.

  3. @ Christopher

    Danke für deinen Kommentar und Entschuldigung für die verzögerte Veröffentlichung desselben, ich war nämlich beim Historikertreffen in Breslau.

    Das mit dem Wissenschaftsbetrieb habe ich nicht spezifisch gemeint. Es ging mir darum, dass die Wissenschaft als Akkumulat funktioniert und inzwischen so sehr in sich selbst verwickelt ist, dass freies Denken in vielen geisteswissenschaftlichen Fächern kaum noch möglich und jedenfalls erheblich beschränkter ist als vor etwa 100 Jahren (Ausnahmen hiervon bilden neue Fächer zu deren Anfangszeit wie etwa die Gender Studies). Zudem bin ich nicht der Meinung, dass in solchen (und ähnlichen) Fragen wirklich von Wissenschaft (im positivistischen Sinne) die Rede sein kann.

    Sicherlich hat hier Elboim nicht das Rad erfunden. Seine Reflexionen führt er selber auf frührabbinische Schriften zurück. Aber zum akademischen Akkumulat trägt er wenig bei, jedenfalls wenig Nichtsubjektives. Anfang des vorigen Jahrhunderts hätte er vielleicht ebenfalls zur “Wissenschaft” zählen können. Aber heutzutage? Ich fürchte, heute würde selbst Hermann Cohen sich nicht durchsetzen können, sondern mit Vorwürfen begnügen müssen, sein Denken sei nicht “intersubjektiv nachvollziehbar” und entbehre einer “empirischen” Basis.

  4. @ Richard

    Dir auch danke und Entschuldigung für die Verzögerung.

    Nun, dass Figuren des “Teufels” genauso der menschlichen Seele widerspiegeln wie jene “Gottes”, erscheint mir völlig logisch.

    Das würde wohl auch Elboim so sehen, wenn auch mit dem Vorbehalt, dass das rabbinische Denken, mit dem er sich befasst, eigentlich keinen “Teufel” kennt (auch in der Bibel kommt sie ja nur am Rande vor).

    Ob diese “Verringerung” des Übermenschlichen, das in diesem Fall aus einem einzigen Gott ohne ein böses Pendant besteht, dem Seelenleben des Menschen besser entspricht als Systeme mit mehreren Göttern bzw. mit einem “Teufel”, ist eine andere Frage.

    Carl Gustav Jung behauptet in “Psychologie und Religion”, dass die menschliche Seele sich nach einem vierfachen Gott sehnt, weshalb der Katholizismus eine vierte Säule in der Gestalt Mariae (das weibliche bzw. irdische Element) bzw. des Bösen (weil irdisch und triebhaft wie die biblische Eva) hervorgebracht hat.

    Vielleicht deswegen hat die jüdische Geheimlehre Jahwe in nicht weniger als zehn “Emanationen” aufgeteilt.

  5. Ist Gott unveränderlich?

    Im Vorhof Gottes befände sich eine Garderobe.
    Dort könne man seine Gewänder ablegen: den Stolz, den Übermut, die Überheblichkeit, die Lust an feinen Betrachtungen und Konstruktionen, das Bedürfnis, sich mit “Bedeutendem” in Verbindung zu bringen, den “Gockel in der Hose”, die Besserwisserei, die Lust am Abwägen und Bewerten, die Täuschung, das Bedürfnis und die Lust an Trauer, die Ansprüche, das Ordnen, die Lust am Denken, das Bedürfnis Leserbriefe zu schreiben, ….. .
    Auf der anderen Seite wieder: >>lasst die Kinder zu mir kommen, weil Ihnen gehört das Himmelreich

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