Ist Berlin noch eine “deutsche” Stadt?

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Knapp drei Jahre lang, seit einem Spätsommergespräch mit einem israelischen Freund, habe ich mit zahlreichen, langen Unterbrechungen an diesem Text gearbeitet, ohne ihn in einer klaren Aussage münden lassen zu können, bis mir eingefallen ist, dass diese Schwierigkeit direkt von der Berliner Realität herrührt. Darum will ich jetzt nicht mehr in Konsequenz und Eindeutigkeit zwingen, was sich nicht zwingen lässt, und begnüge mich mit folgenden Notizen zur heutigen Situation in der Metropole an der Spree, eurer Hauptstadt (seit kurzem).

 

Migration ist nicht gleich Migration

Die kalvinistischen Hugenotten und, später, die böhmischen Protestanten, die im evangelischen Berlin der frühen Neuzeit Zuflucht gefunden hatten, gingen im Preußentum auf und deren Nachkommen trugen, prägten und gestalteten die deutsche Kultur mit – wie es damals, wenn auch mit letzten Endes wesentlich geringerem Erfolg, die Juden ebenfalls taten, angefangen mit den fünfzig aus Wien vertriebenen Familien, die Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, hierher eingeladen hatte.

Ob das von den Türken, Arabern oder den Vietnamesen in ähnlicher Weise erwartet werden kann, darf? Es geht hierbei also nicht unbedingt oder nicht nur um jene Problembevölkerungen, deren launiger Gunst jeder ausgesetzt ist, der in Berlin auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist (in anderen Städten ist das Überleben nicht wesentlich leichter), und die sich durch Höchstleistungen in puncto Kriminalität, Arbeitsscheu u. a. von anderen, wirtschaftlich erfolgreichen Migrationsgruppen unterscheiden; vielmehr handelt es sich um eine grundsätzliche Problematik, die im Großen und Ganzen die Migration aus nichtabendländischen Kulturräumen als solche kennzeichnet. Nicht Gesetzestreue und Arbeitsmoral stehen im Mittelpunkt, sondern der Zusammenhalt der Gemeinschaft auf geistiger und kultureller Basis.

Wird eine solche Assimilation auch fürderhin ausbleiben, so wird sich Berlin in ein NYC-artiges Konglomerat nebeneinander existierender Kulturen verwandeln, die in geistig-intellektueller Hinsicht relativ wenig miteinander verbindet und die insgesamt keine Synergie, keine gemeinsame Leitkultur erzeugen, welche in dieser Stadt eine umfassende Gemeinschaft zusammenhalten könnte. Darauf folgen Straßenkämpfe und Stadtterrorismus à la Paris. Die Oberhand hat dann naturgemäß die Gruppe, die von sich die meisten gewaltbereiten jungen Männer, zwischen ca. 14 und 29 Jahre, hervorbringt (ausschlagebend ist dann Gunnar Heinsohns “Youth Bulge”, die auch in bzw. gegen Israel ziemlich viel Terrorismus erzeugt).

Anzeichen einer solchen Entwicklung sind heute nicht mehr zu übersehen, in Neuköllner No-Go-Gassen mit vom Verfassungsschutz beobachteten Moscheen, in Moabiter Straßen, auf denen Vollverschleierte schon zur Norm gehören, oder in den östlichen, teilweise großteils von Ostasiaten besiedelten Außenbezirken, wo kaum noch von Deutschland die Rede sein kann. Momentan speist sich Berlin, zumindest die Mittel- und Westbezirke, noch aus weißer Zuwanderung, darunter auch aus anderen Teilen Deutschlands, was dem demographischen Niedergang einigermaßen entgegenwirkt. Wie lange das noch andauern könnte, ist nicht vorherzusagen.

Vor vier Jahren, als ich erstmals nach Berlin kam und überall rumlief, schaute mein jetziges Viertel noch ganz anders aus als heute. Islamische Familien wandern aus Platzgründen vermehrt von der östlichen und nördlichen Umgebung in den benachbarten Akazienkiez, die Kinder auf der Straße werden inzwischen fast nur noch von Kopftuchmüttern begleitet. Mein Vormieter wagte es, eine Israelfahne auszuhängen, und wurde so lange terrorisiert, bis er wegziehen musste. An meiner Wohnung gibt es keinen einzigen Hinweis, dass hier ein Jude wohnt.

 

Berlin: traditionell international

Auch nach der Zeit der Religionsflüchtlinge zog es bekanntermaßen viele nach Berlin. Zur von tief eingreifender Industrialisierung geprägten Gründerzeit und der damit einhergehenden Stadterweiterung wurde Berlin erst recht international – im deutschen Sinne des Wortes: Dank jenes deutschen Staatenbundes, der am 18. Januar 1871 ins Leben gerufen wurde und in mehrerer Hinsicht die heutige EU vorwegnahm (mehr dazu in: »Deutschland? Aber wo liegt es?«), kamen immer mehr Leute mit anderer Staatsangehörigkeit nach Berlin: Bayern, Sachsen, Württemberger, Badener und viele andere.

Wie jedes internationale Gefüge – man denke etwa an die sozialistische Internationale – erfolgte auch die Internationalisierung Berlins auf Basis und im Namen einer gemeinsamen Vorstellung: Es war das gemeinsame Bekenntnis zum Deutschtum, das Berlin von der Hauptstadt Preußens bzw. Residenzstadt des preußischen Königs allmählich – und zumindest de facto als Sitz internationaler Gremien wie der Reichsrat und der Bundesrat – zu einer übernationalen, deutschen Hauptstadt verwandelte; eine im Hinblick auf den deutschen Geschichtsverlauf herausragende Stellung, an die auch die 2006 erstmals erfolgte Ernennung Berlins zur deutschen Hauptstadt anknüpft (davor, in der DDR, war Berlin ja nur eine deutsche Hauptstadt).

Eine solche Vision, welche unterschiedliche Bevölkerungsgruppen durch narrative Mittel in ein inklusives, begeisterndes Kollektiv, ja in ein Volk überführen könnte, fehlt im heutigen Deutschland, also natürlich auch im heutigen Berlin. Zuallererst fehlt sie bei den Deutschen selbst, geschweige denn bei den Fremdstämmigen. Man erinnere sich an die “Du bist Deutschland”-Kampagne, die dem verzweifelten Streben nach Selbstfindung und -erhaltung entsprungen ist.

Darum scheitern auch die Versuche zur “Integration” der Letzteren. Es erfolgt mit wenigen Ausnahmen höchstens die wirtschaftliche Integration, naturgemäß nur bei denjenigen, die sie auch wirklich wollen und sich nicht vor der erforderlichen Mühe scheuen. Staatliche Subventionen, die Ausländern in anderen Ländern beileibe nicht so großzügig gewährt werden, bieten wenige Anreize auch zur teilweisen, wirtschaftlichen Integration, dafür aber zum zwecklosen Verbleib einer Generation nach der anderen.

 

Vom Russen lernen

Ist Berlin also noch eine deutsche Stadt? Und was bedeutet das überhaupt, dass es noch deutsch sei?

In solchen Fragen scheint der russische Sprachgebrauch dem deutschen seit langem einige Schritte voraus zu sein: Dort wird nämlich grundsätzlich zwischen “russisch” und “russländisch”, “Russe” (der Volksangehörige, egal wo) und “Russländer” (der Staatsbürger Russlands) differenziert; mehr dazu findet man in: Die Sprache neu besetzen). Nicht jede russische Ortschaft ist unbedingt auch “russländisch”, weil Russen auch außerhalb des russischen Staates leben (man denke etwa an die russische Minderheit in Litauen); und bei weitem nicht jede russländische Ortschaft ist auch russisch, weil in Russland neben dem staatstragenden, russischen Volk auch zahlreiche, laut Wikipedia “noch fast 100 andere Völker” leben.

In Israel herrschen ähnliche Verhältnisse, z. B. in der heutigen Stadt Schfar’am, eine Stadt am Rande des Galiläa, das zunächst über lange Zeit hinweg jüdisch war. Einst Hauptsitz israelischer Talmudgelehrten, findet man dort heutzutage eine doch fast ausschließlich arabische Bevölkerung vor. Die hebräische Originalform des Ortsnamens wurde indes, wie in beinahe jeder Ortschaft in Israel/Palästina, beibehalten, wenn auch in arabischer Verzerrung (von dieser Regel gibt es übrigens, wie immer, auch wenige Ausnahmen wie etwa die arabische Bezeichnung “Nablus”, die nicht auf die hebräische Form “Sch’chem” bzw. Sichem zurückgeht, sondern auf die griechischsprachige, erst zur Römerzeit entstandene Bezeichnung “Neapolis”).

Was für eine Stadt ist also das heutige Schfar’am? Wie Berlin sich im deutschen Nationalstaat befindet, liegt Schfar’am im jüdischen Nationalstaat und ist mithin eine “israelische”, trotzdem aber inzwischen keine jüdische Stadt mehr, im Gegensatz etwa zum benachbarten Städtchen Tiwon, das rein jüdisch ist; umgekehrte Beispiele gibt es seit dem Holocaust einerseits und der Vertreibung der Juden aus dem islamischen Raum andererseits kaum noch, aber die Ortschaft Monsey im US-amerikanischen Bundestaat ist im Hinblick auf seine Bevölkerung wohl ein jüdisches Städtchen.

Die gebührende Differenzierung gibt uns die Mittel, auch die Situation in Berlin und anderen Orten nachzuvollziehen: Der Berliner Stadtteil Neukölln-Nord, den der SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky heroisch gegen den ideologischen Widerstand aus den eigenen, linken Reihen zu retten versucht, ist z. B. nach wie vor durchaus deutschländisch, weil im deutschen Nationalstaat liegend, doch kaum noch deutsch, da die Einheimischen, sofern sie noch oder schon Kinder haben, ihn mittlerweile – natürlich “freiwillig” – schon fast gänzlich verlassen haben (Herrn Buschkowsky, einen feinen, redlichen Mann, habe ich als Bundestagsstipendiat persönlich treffen dürfen. Seine und seiner Mitarbeiter Analyse der gefährlichen Zustände in Neukölln kann man von der offiziellen Website des Landes Berlin herunterladen). Auf der anderen Seite sind Orte wie Bregenz, Vaduz oder Winterthur freilich keine deutschländischen, sondern nur einfach deutsche Städtchen.

Was Berlin angeht, so ist klar, dass diese Frage sich sinngemäß nicht auf Berlin als Ganzes bezieht, sondern von der Problematik bestimmter Stadtteile herrührt, die kaum noch von Deutschstämmigen bzw. Deutschen bewohnt sind. Man kann hier also nicht verallgemeinern, weder in der einen Richtung (Berlin wäre noch deutsch) noch in der anderen (Berlin wäre inzwischen schon nur deutschländisch, also zu bloß einer Stadt in Deutschland geworden).

 

Buschkowski und Sarrazin: zu wenig, zu spät?

Bei der Differenzierung zwischen den beiden Aspekten, “deutsch” und “deutschländisch”, die sich decken können, aber de facto nicht müssen, geht es nicht unbedingt um Urteil und Bewertung. Ein weitgehend entdeutschter Stadtteil ist nicht weniger interessant. Manchmal trifft das Gegenteil zu: Ich lebe gern in Berlin, sogar im Winter, gerade aufgrund seiner Vielfältigkeit. Schließlich bin ich selbst, ein jüdischer Pied-Noir, in einer Region aufgewachsen, wo islamische Araber keine seltene Erscheinung sind; geschweige denn arabisches Essen, von dem ich ein großer Anhänger bin und das in Berlin in teilweise recht guter Qualität serviert wird.

Dennoch bin ich kein Berlin-Schwärmer. Das, was hier seit Jahrzehnten passiert, muss einfach wahrgenommen werden, und zwar so, wie es sich vollzieht: als ein gravierender Wandel, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Zugegeben: Nicht nur in Berlin wird die deutsche Bevölkerung schleichend verdrängt, doch an keinem anderen Ort in Deutschland bergen diese Veränderungen eine so große, wegweisende Bedeutung in sich. Schließlich ist Berlin ja nicht umsonst Berlin: der Kristallisationspunkt des modernen Deutschland.

Politisch verdeckt wird die Situation oft mit statistischen Mitteln und einem vornehmlich von links aufgebürdeten Neusprech, der in diesem Blog schon mehrmals besprochen worden ist und sich mit der biblischen Frage zusammenfassen lässt (Luther zu Jeremia 13, 23): “Kann etwa ein Mohr seine Haut wandeln oder ein Panther seine Flecken?” Nun, offensichtlich doch, wenn er nur den richtigen Pass bekommt. Es ist in deutschen Medien schon so oft gesagt worden, dass es zu Recht völlig banal klingt: Deutschland hat keine sinnvolle Zuwanderungs- und Einbürgerungspolitik, nein, Deutschland treibt seit Jahrzehnten, allgemein gesehen, eine geradezu destruktive Politik.

 

Migration als Erfolgsgeschichte

Ja, Migration muss nicht unbedingt zu Zersetzung führen, manchmal ist es gerade umgekehrt. Nicht nur in Ländern, die sich von vornherein als ethnische, religiöse und kulturelle Konglomerate verstehen, sondern auch in Ländern mit durchaus nationalstaatlichem Anspruch wie etwa Israel. Nur sind die nach Israel Zuwandernden zum Zeitpunkt der Zuwanderung großteils bereits vorintegriert, nämlich ideologisch, auf die eine oder andere Weise.

Das jüdische Kollektiv setzt sich nämlich narrativ zusammen, und der Wille, sich zum jüdischen Narrativ (in der einen oder anderen Ausprägung, etwa religiös oder nicht) zu bekennen und mit dem eigenen Leben und der eigenen Familie an dieser welt- oder heilsgeschichtlichen Meistererzählung teilzunehmen, ist es, was diese Menschen trotz unterschiedlicher Muttersprache, Herkunft und Ethnie, auch trotz der stets prekären Sicherheitslage in Israel dorthin zieht und unterm Strich doch sehr erfolgreich zusammenschmiedet, so sehr, dass sie normalerweise auch bereit sind, für Volk und Land auch ihr Leben zu riskieren.

Demgegenüber sind die Zuwanderer, mit denen Deutschland zu tun hat, aus allen erdenklichen Gründen nach Deutschland gekommen, nur eben nicht aus dem Willen heraus, am deutschen Narrativ teilzunehmen. Im heutigen Deutschland ist es ja schon fast unmöglich, selbst die eigenen Leute noch für dieses, ja eigentlich für irgendein deutsches Narrativ zu gewinnen. Die Erwartung, dass aus den Zuwanderern nicht nur Mitbürger, sondern darüber hinaus auch Deutsche werden könnten, ist vor diesem Hintergrund schlichtweg absurd.

“Man kann aus Deutschland mit immerhin einer tausendjährigen Geschichte seit Otto I. nicht nachträglich einen Schmelztiegel machen”, habe Helmut Schmidt laut Wikipedia in der Frankfurter Rundschau vom 12. September 1992 gemeint. Damit wird er auch Recht gehabt haben.

 

Das erbärmliche Deutschland: Epilog

Was hier beschrieben wird, trifft bekanntermaßen nicht nur auf diese Stadt, sondern auf viele Orte in Deutschland und, ja, überhaupt auf West- und Mitteleuropa zu. In Berlin scheint es bisweilen sogar etwas weniger “schlimm” zu sein als in manch anderer europäischer Großstadt; man denke etwa an Brüssel: Die “Hauptstadt Europas” wird in wenigen Jahrzehnten mehrheitlich islamisch sein, wie uns Bundestagsstipendiaten Reinhard Bettzuege erklärt hat, damals deutscher Botschafter im (gerade noch bestehenden) Königreich Belgien. Aber Berlin ist die Stadt, in der Deutschlands Schwanengesang am deutlichsten zu vernehmen ist, und deswegen lebe ich hier relativ gern: ganz nah am Puls der deutschen Geschichte. War das moderne Deutschland im Grunde genommen überhaupt mehr als ein Phänomen des 19. Jh., eine romantische Vorstellung, deren Nachholen im 20. Jh. außer Kontrolle geraten ist und uns seitdem ewiglich verfolgt?

Wir schreiben das Jahr 2007. Ein Freund, eigentlich ein links Gesinnter, der wegen ideologisch motivierter Wehrdienstverweigerung im israelischen Gefängnis eine Weile absitzen musste. Sommernachmittag im Görlitzer Park. Wir müssen lange nach einem freien und noch einigermaßen sauberen Stück Gras suchen. Dann legen wir uns endlich hin, entspannen uns und schauen uns sommerlich gekleidete Mädchen an. “Wir sind die Letzten”, sagt er jäh und fährt gleich erklärend fort: “Wir sind die letzte, allenfalls vorletzte Generation, die diese Stadt noch so erlebt, wie sie ist: so frei und so locker.”

 


In eigener Sache: Jewish Heritage Tours in Berlin


Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

27 Kommentare

  1. Das “Narrativ”

    Ich habe selten einen schwächeren Artikel gelesen. Man weiß kaum, wo man anfangen könnte. Zuerst Kleinigkeiten. Weder meine jüdischen Vorfahren, noch mir sonst über die postmodernen Moden der Universitäten seit etwa 1990 bekannten Menschen denken, ihr “Kollektiv” “setzt sich narrativ zusammen”. Das ist schlicht eine Art all die Menschen, die Sie angreifen, nichts angehende Modesprache, ähnlich dem, was Sie recht salopp Ihren Gegner als “Modesprech” vorwerfen. Es ist “in”, sagt aber – beinahe nichts. Es reduziert, wie schon zu lange, die Welt, aber das ist ein anderes Problem.

    Die Lage in Neukölln scheint differenzierter, als Sie sie wahrnehmen. Es gibt dort nun immer mehr auch gar nicht wenige junge, sich cool fühlende Kultur- und Medienwissenschaftler, die immer mehr nach Neukölln ziehen. Sowas geht schnell, ganze Viertel in Großstädten werden “cool”. Man nennt es unter “styles” nachrennenden jungen reicheren Leuten “dirty chic”. In Hamburg begann es mit dem Schanzenviertel, auch wenn die Medien das noch nach 15 Jahren nur als “Problemviertel” sehen, das zwar längst lauter Modegeschäfte hat – aber sei es drum… das ist Vorurteilsschreibern gleich. Die “no go” areas usw. – das ist alles so nicht richtig. Es ist gerade wichtig, für solche Leute, daß der Stadtteil “verrufen” sein soll. Das Schanzenviertel Hamburgs ist es seit 15 Jahren nicht mehr, also zieht man wieder weg…Jetzt ist Neukölln grade “in”.

    Es ist auch recht unklar, wenn ich versuche, extrem freundlich zu lesen, was Sie “von den Türken, Arabern oder Vietnamesen” sagen wollen. (Ach, würden Intellektuelle wie Sie mit ihrem ewigen postmodernen Modesprech und ihrer sich selbst zugesprochenen “Vielfalt” doch einmal anfangen, ihre eigenen, vorurteilsbeladenen Sätze zu prüfen. Wer sind denn “die Türken”, wer sind “die Araber”? Wo fangen Sie, als Artikelschreiber, böse zu verdrehen und damit gefährlich zu lügen an? Das ist weit wichtiger als das postmoderne Eimerchen, aus dem man irgendwelche nichtssagenden Wörterchen zieht.).

    Sollen Leute, die nach Berlin oder anderswohin ziehen, sich qua Assimilierung um genau jene intellektuellen Beiträge kümmern, die Ihnen oder uns als Intellektuellen grade in den Kram passen? Hat man nur dann Lebensrecht in Berlin oder Hamburg?

    “Höchstleistungen in puncto Kriminalität, Arbeitsscheu u.a.” schreiben Sie – das ist in dieser Pauschalität bloßer Hass. Das ist eine ideologisch vernarrte Kampfsprache, hochgefährlich, aber nicht selten. Empirisch falsch, und auch durch das jahrzehntelang monotone Geschreibsel gegen “political correctness” nicht schönzurden. Das sprachlich flotte Abfertigen teilen sie allerdings dann manchmal mit nicht wenigen Intellektuellen, denen der Abstieg von millionen Menschen in fürchterliche Niedriglohnarbeit völlig entgangen ist. Und die, ohne Kenntnisse, aus ihrer Sicht dann gerne, um mal ein weniger militantes Wort zu nehmen als Sie, mit Begriffen wie “Feinripphemd” argumentieren. Das sind dann ärmere Arbeiter, für die Frauen fehlt übrigens noch ein Wort, da ist man fein.

    Ich würde mich freuen, Sie nähmen einmal die soziale Lage der letzten Jahre wahr, bevor Sie pauschal urteilen. Etwa könnten Sie dann, nachdem es Ihnen nach schwieriger, und bedauernswerter Suche nach einem frischen Stück Gras doch noch gelungen ist, sich hinzusetzen (das ist etwa so schlimm wie das, was eine Studentin in Hamburg mir ins Ohr sagte – “unglaublich, diese unaufgeräumte Gemüseabteilung im Kaufhof” – wahrlich, wer solche Probleme hat….) einmal über das bedingungslose Grundeinkommen nachlesen. Was, wenn die Ihnen so verhaßten Hunderttausende statt ihrer auswegarmen Lage eine Chance hätten? Lesen Sie mal bei Götz Werner oder Sascha Liebermann nach, oder bei Erich Fromm, der schon 1951 darüber schrieb, in noch ganz anderer sozialer Lage…Da finden Sie Lockerheit und Freiheit…

    Statt, wie der gar nicht “linke” (da müßte man schon weit rechts sein) Buschikowsky, wie Sarrazin, Bolz, Sloterdijk et al. von oben herab zu urteilen, wie Sie es tun. Ihre Sprache ist schrecklich, und ähnelt schlimmsten Vorurteilsschreibern. Ihre Angst scheint überbordend groß zu sein. Solche Angst ist gefährlich, wie wir genau wissen.

    Eingeleuchtet hat mir, was Sie von Menschen schreiben, die “in geistig-intellektueller Hinsicht relativ wenig miteinander verbindet und die insgesamt keine Synergie, keine gemeinsame Leitkultur erzeugen”.
    Allerdings ist das, in intellektuellen Mehrheiten jedenfalls, nicht durch das bedingt, was Ihnen schwant und droht, und was Sie schon jetzt als “Überlebenskampf” bezeichnen. Straßenkämpfe folgen auch meist aus ganz anderen Gründen…
    Sie unterschlagen alles, was Ihnen nicht in Ihr islamophobes Bild paßt.

    Es gibt eine neue Art, zu argumentieren, in unseren intellektuellen Szenen, keinesfalls nur in Deutschland, aber hier wohl besonders übertrieben. Da haben diverse Gruppen tatsächlich, wie Sie schreiben, wenig gemein. Es plätschert so. Man hat nichts miteinander zu tun. “Fashion rulez” könnte man es nennen, und “fashion is for fashion people”. Zighunderte, sehr unterschiedliche Gruppen, eint aber eines: “be cool”. Nimm nichts ernst. Außer coolness. The wind changes very fast, be a part of cool. Gemeinsam ist diesen intellektuellen Mehrheiten nur der Feind – “links sein”. Und nicht einmal das ganz. Denn gar nicht wenige, in Berlin etwa Mercedes Bunz, nannten sich noch gerne links, während sie “ironisch” auf alles eindroschen, was sich um soziale Gerechtigkeit, um fröhliches, freies Leben kümmert(e).
    Ein Resultat von 15-20 Jahren dieser “coolen” Denkarten ist – da es die immerzu beschimpften Feinde längst gar nicht außer in winzigsten Minderheiten gab – Langeweile. Man drosch auf nicht existierende Minderheiten ein. Nun haben wir lose zusammenhängende, in sich meist einzig durch cool-Gehabe auffallende kulturwissenschaftliche Ergüsse, und manche Intellektuelle reden aus alter Gewohnheit gern immer noch vom “Narrativ” oder “der großen Erzählung”.

    Eine “Leitkultur” wollten – zum Glück – in Deutschland nach dem Nazigrauen niemand. Zum Glück! Meine Vorfahren würden sich im Grab umdrehen, würden sie Ihre Sätze dazu lesen.
    Eine “Leitkultur” a la Germania wäre auch kaum “locker”, wie Ihr Aufsatz endet. Wie kommen Sie darauf? Was meinen Sie damit? Wäre das nicht grade ein Ende der nun nicht mehr Modewort sein müssenden Vielfalt?

    Gerade die fehlende deutsche “Leitkultur” ist – da sind sich linkenhassende Neo-Intellektuelle und der langsam wieder wachsende Widerstand gegen unpolitische Langeweile einmal einig – ein Glück gewesen. Und trug, nicht nur in Berlin (vielleicht in Medien-Berlin, aber das wäre ein anderes Thema) zu einer gewissen Phase von Lockerheit und Freiheit zumindest für die, die es sich leisten können, bei. Deren Problem ist, desintegriert, wie Durkheim es vielleicht genannt hätte, immer häufiger, ob der Rasen nicht zu unfein ist. Und nicht, wie man überleben soll.

    Für die, die Sie angreifen, gab es keine Lockerheit und Freiheit, die wir genießen.

    So ist Ihr Beitrag wenig mehr als die mir als Nachfahr geliebter jüdischer Vorkommen entsetzliche, (ich möchte nicht unhöflicher werden, aber das fällt angesichts dieser pauschalen Vorurteile und ihrer Haßurteile über Millionen Menschen schwer) Islamophobie, ein Unkenruf, als wäre das Ende nahe, weil Menschen in Berlin leben, die Sie hassen. Mir schaudert vor solchen Denkarten, man malt den Islam und alle, die man ausgrenzt, als das Böse an die Wand, und steigert sich wie Sie in groteske Szenarien hinein.
    Genau das ist der Bodensatz, den alle Fanatiker brauchen. Wir alle wissen, daß es inzwischen so niveaulos geworden ist, daß man nur noch ein paar lockere Begriffe sagen muß – soll ich sie wiederholen, sie haben sie tausende Mal gehört, Gutmensch, political correctness, Sozialromantiker usw usw. – und die Debatte ist vorbei. DAS ist intellektuelle Niveaulosigkeit, und die Intoleranz. Ein Niveau, das durch Ihren Aufsatz scheint, das Sie bei den Menschen, die Sie am Anfang als eine Art Kulturträger bezeichnen, zumindest weniger und hoffentlich gar nicht finden würden.

  2. @ Georg

    Ich glaube dir, dass du die Situation so wahrnimmst, wie du oben geschildert hast, möchte dich gar nicht von deiner Wahrnehmung abbringen und lasse sie trotz mancher Herablassungen neben der meinigen stehen.

  3. @Yoav

    Das wiederum finde ich schön. Es gibt viele andere Beispiele, in denen andere Meinungen grundsätzlich gelöscht werden. Ich bin auch nicht herablassend, sondern fürchte tatsächlich –
    aber es steht ja da oben. Und wer weiß, vielleicht ist es für irgendwann mal schöner, außerhalb eines Forums Meinungen auszutauschen. Meine e-mail siehst du ja, falls Du irgendwann einmal Lust dazu hast oder mich aus Deiner Sicht korrigieren möchtest.
    Wärs nicht manchmal schön, wir wüßten, was Vergangene heute zu diesen Problemen sagen würden, nicht nur in unseren Fammilien?
    Zutreffend hat es meiner Meinung nach Amos Oz in der FAZ vom (glaub ich) 4.Juni gesagt, damals auf die Hamas bezogen, nicht auf Berlin oder Deutschland. Falls Du das nicht gelesen hast, “Tödliche Spirale” muß der Titel gewesen sein.

    Ich bleib bei meiner Meinung, aber finde es schön, daß Du das stehenläßt, auch falls Du nichts davon teilen solltest. Viele Grüsse!

  4. Sarrazin und das “Juden-Gen”

    …das erzählte dieser fürchterliche Mann erst, nachdem Du Deinen Artikel geschrieben hast. Aber wie immer man das deuten mag – das ist Rassismus… Und unglaublichen Unsinn ähnlicher Art erzählt nicht nur er (den man allgemein ignorieren sollte, dann würde niemand auch noch durch ihn bestärkt) seit langem.
    Es scheint mir gefährlich, zu Sarrazin “zu wenig, zu spät?” zu sagen. “Zu viel, medial aufgebauscht und dann von zuvielen als ‘Argument’ benutzt”, das scheint mir eher richtig?

  5. @ Georg

    Mir scheint tatsächlich, dass osteuropäische Juden – freilich nicht alle – unterm Strich doch überdurchschnittlich intelligent sind. Die vornehmlich neuzeitliche Verwandlung des christlichen Europa in eine abendländische Kultur fand unter maßgeblicher Mitwirkung von jüdischer Seite statt und wäre ohne diese Zusammenarbeit unmöglich gewesen. Doch das jüdische Fundament besteht fast aussschließlich im Geistigen; das ist, wenn man das quantitative Gewicht der damaligen Juden bedenkt, ja sehr erstaunlich.

    Demgegenüber spielten die Juden in der islamischen Welt bis auf wenige Ausnahmen (z. B. im heutzutage beschönigten al-Andalus) keine zentrale Rolle, auch fand da keine solche Verwandlung statt, wobei ich zwischen beidem eine Wechselbeziehung vermute.

    Also macht es mich zu einem Rassisten, nun gut. Ich kann damit leben. Über Sarrazins Thesen vermag ich nicht viel zu sagen – das bereits vorbestellte Buch habe ich wie viele andere noch nicht zugeschickt bekommen. Mit “zu wenig, zu spät?” habe ich die Tatsache gemeint, dass sie ansatzweise zu einer Wende im bundesrepublikanischen Diskurs beitragen und kritische Fragestellungen präsentieren, die lange Zeit tabuisiert gewesen sind.

  6. Menschenrechte

    Das es Rassenunterschiede gibt braucht man nicht leugnen, der Mensch passt sich wahrscheinlich an seine Umgebung an. Die besten Langstreckenläufer der Welt sind in der Regel aus Afrika, und das liegt sicher nicht nur an den Trainingsmethoden. Auch die Jüdische Intelligenz könnte auf das Klima und die Lebensumstände zurück geführt werden, wenn dem so wäre, wäre mit Israel die Jüdische Intelligenz in ein paar Jahrhunderten dem durchschnitt der anderen Völker die in diesen Regionen leben angepasst.

    Aber es ist gibt ja noch genug Juden die in Amerika und anderswo leben:)

    Weiter könnte man annehmen das sich bei einer Islamisierung Deutschlands ein ganz neuer Islam entwickelt, oder eine Generation von Moslems die diesen wieder abschaffen würde.

    Die Frage stellt sich was man mit dem Wissen über die unterschiede bei Rassen anstellt, und ob es nicht wieder in eine Richtung führt an die man lieber nicht denken sollte. Das Konzept der Menschenrechte ist meiner Meinung das beste was die Menschheit bisher an Dogmen und Idealen hervorgebracht hat, es lohnt daran zu glauben und danach zu handeln.

  7. Bewusst provokant?

    Mir scheint tatsächlich, dass osteuropäische Juden – freilich nicht alle – unterm Strich doch überdurchschnittlich intelligent sind. […] Demgegenüber spielten die Juden in der islamischen Welt bis auf wenige Ausnahmen […] keine zentrale Rolle […] Also macht es mich zu einem Rassisten, nun gut.

    Mit dem Vorwurf des Rassismus, auch an sich selbst, sollte man sparsam umgehen. War das nun eine bewusste Provokation oder gar eine Fortsetzung der altbekannten Ashkenazim-Sephardim-Debatte?

    Ich meine, dass der Begriff “Intelligenz” schwer zu definieren und noch schwerer zu messen ist, was an der schlechten Abgrenzbarkeit von thematisch verwandten Sachverhalten wie “beruflich erfolgreich” und “gebildet” liegt.

    Der oft zu beobachtende überdurchschnittlich hohe Grad an gesellschaftlichem Erfolg bei Angehörigen kleiner, äußerlich auffälliger und gesellschaftlich ausgegrenzter Minderheiten ist in der Tat bemerkenswert.

    Ob dieser Erfolg allerdings wirklich genetisch verankert ist, müsste belegt werden. Plausibler finde ich den “Eltern-Effekt”: Wenn innerhalb solcher Gruppen die Eltern – eben aus dem Gefühl des Eingekreistseins heraus und wohl wissend, dass keine Alternative zum Aufstieg besteht – immer Druck ausüben: “Hast du schon die Hausaufgaben gemacht?” “Warum bist du dieses Jahr nicht Klassenerster?” “Fußball? Erst machst du deine Klavierübungen”, dann muss dies zwangsläufig eine Wirkung haben.

    Sicher nicht bei jedem, aber im statistischen Mittel eben doch.

  8. “Ob dieser Erfolg allerdings wirklich genetisch verankert ist, müsste belegt werden. Plausibler finde ich den “Eltern-Effekt”: Wenn innerhalb solcher Gruppen die Eltern – eben aus dem Gefühl des Eingekreistseins heraus und wohl wissend, dass keine Alternative zum Aufstieg besteht – immer Druck ausüben: “Hast du schon die Hausaufgaben gemacht?” “Warum bist du dieses Jahr nicht Klassenerster?” “Fußball? Erst machst du deine Klavierübungen”, dann muss dies zwangsläufig eine Wirkung haben.”

    Das hört sich ziemlich plausibel an. Vielleicht ist auch das “schlechte” Benehmen von arabischen und türkischen Jugendlichen in Berliner Autobussen eher auf das Alter und die soziale Schicht zurückzuführen? Natürlich könnte ein Rassist jetzt antworten diese Menschen befänden sich aufgrund ihrer genetischen Veranlagung in dieser Position, aber ich weiß nicht…

    Wenn man Rassist ist und es schafft das wertfrei zu sein, ist das doch legitim? Allerdings ist das Wahrscheinlich schwierig bis unmöglich.

    “War das nun eine bewusste Provokation oder gar eine Fortsetzung der altbekannten Ashkenazim-Sephardim-Debatte?”

    Darauf wollte ich auch auf eine, naja Geschmacklose Art, hinaus. In Israel gibt es doch auch einen Konflikt zwischen Orientalen und Okzidentalen, kann man das so sagen?

  9. La Haine/der Hass

    Hallo Yoav,

    wegen des Stadtterrorismus á la Paris ein Filmtip, ist auch eine Jüdische Geschichte. Es lohnt sich schon allein wegen der Fotografie diesen Film anzuschauen. Allerdings würde ich ihn in original Vertonung mit Untertiteln gucken. Ob der Film Authentisch ist? Ich kenne die Vorstädte von Paris nicht, aber in Deutschland gibt es diese oder ähnliche Konstellationen von Jugendlichen.

    http://www.youtube.com/watch?v=q70QQj0KHwQ

  10. @Yoav

    Bitte. Wenn ich wieder irgendetwas finde, von dem ich glaube das es dich interessieren könnte lasse ich es dich wissen. Keine Angst ich spam dich nicht zu, ich versuche drüber nachzudenken bevor ich etwas poste, auch wenn das manchmal nicht klappt, du kennst ja deine Pappenheimer.

  11. Von Israel lernen, Utopie oder Lösung

    Um so mehr ich über diese Probleme nachdenke, um so vernünftiger und logischer scheint mir die Trennung von Staats und Volkszugehörigkeit.
    So wäre eine Möglichkeit geschaffen Migranten zu integrieren aber nicht zu assimilieren. Vielleicht könnte so auch der Braunen Pest der Wind aus den Segeln genommen werden, da die Angst vor übervölkerung und Unterwanderung einfach keine Berechtigung mehr hätte.

    Wenn es offiziell Bürger zweiter Klasse gibt muss um so mehr darauf geachtet werden das daraus nicht Menschen zweiter Klasse werden. Wenn Migranten als Gäste definiert werden müssen sie auch wie Gäste behandelt werden, sprich sehr gut. Ich meine sogar in der Israelischen Herangehensweise eine Chance für die Globalisierung zu sehen, eine Globalisierung ohne Gleichschaltung.

    Allerdings habe ich einige Zweifel das die Deutschen mit so einer Verantwortung umgehen können.

  12. @Yoav

    “Die Römer taten daher in diesen Fällen das,was alle klugen Fürsten tun müssen:diese haben nicht nur auf die gegenwertigen Unruhen zu achten, sondern auch auf die zukünftigen, und müssen sie unter Aufbietung all ihrer Kräfte im Keim ersticken; denn wer rechtzeitig vorbeugt , kann leicht heilen; wenn man jedoch wartet, bis die Unruhen ausgebrochen sind, kommt jede Medizin zu spät, denn die Krankheit ist Unheilbar geworden Es steht damit wie mit der Schwindsucht. die- wie die Ärzte sagen- am Beginn der Erkrankung leicht zu heilen und schwer zu erkennen ist, aber im Laufe der Zeit, wenn sie anfangs nicht erkannt und behandelt wurde, sich leicht erkennen und schwer heilen läßt . Ebenso verhält es sich mit dem Staatswesen; wenn man im voraus die darin aufkeimenden Übel erkennt (was nur dem klugen gegeben ist), so kann man sie rasch kurieren; läßt man sie jedoch, weil man sie nicht erkannt hat, sich auswachsen, bis jeder sie wahrnimmt, dann gibt es kein Mittel mehr dagegen.”

    An anderer Stelle heißt es:

    “während mir nämlich der Kardinal von Rouen sagte , die Italiener verstünden sich nicht auf die Kriegskunst, antwortete ich ihm, die Franzosen verstünden sich nicht auf die Staatskunst; denn wenn sie sich darauf verstünden, würden sie die Kirche nicht zu solcher Macht kommen lassen. Auch hat die Erfahrung gezeigt, daß in Italien die Macht Spaniens und der Kirche durch Frankreich und daß dessen Ruin durch diese beiden verursacht wurde. Daraus folgt eine allgemeine Regel, die nie oder nur selten trügt: wer bewirkt daß ein anderer Mächtig wird, der richtet sich selbst zugrunde; denn diese Macht ist von ihm entweder durch Geschicklichkeit oder durch Gewalt verursacht, und das eine wie das andere ist demjenigen verdächtig, der dadurch mächtig geworden ist.”

    Aus Der Fürst,Niccoló Machiavelli

    Wenn der Islam in Deutschland wirklich dabei ist Macht zu bekommen, wie geht man mit so einer Situation Human um? Wie du schon einmal gesagt hast, es handelt sich schließlich nicht um ein Computerspiel. Wie kann man im Einklang mit den Menschenrechten unterdrücken und Diskriminieren?

    Vielleicht könntest du dazu mal was schreiben? Humanismus und Nationalismus, geht beides zusammen? Oder so ähnlich.

  13. @ Alex

    Humanismus ist Nationalismus, denn die nationale Selbstentfaltung zu den menschlichen Grundrechten gehört (dabei auch Erfolg zu haben, ist allerdings kein Recht, sondern ein Verdienst). Der Versuch, den Menschen auf seine Bedeutung als Einzelnen zu reduzieren und ihm das Gemeinschaftliche, ja das Nationale abzusprechen, ist inhuman.

    Es ist darum eine Manifestation von Humanismus, dass die Sorben in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt sind oder etwa dass die Araber in Israel ein Schulwesen haben dürfen, in dem auf Arabisch unterrichtet wird. Das alles wird z. B. im so hoch bejubelten Frankreich nicht gewährt.

    Das andere Extrem wäre aber auch grundsätzlich falsch und destruktiv. Obwohl die Sorben hierzulande eine nationale Minderheit bilden, müssen die Richter in Karlsruhe ihre Urteile natürlich nicht auch in sorbischer Sprache bekannt geben. Denn es ist ja ein deutscher Staat. Und dass die Araber in Israel nicht das jüdische Schulwesen durchlaufen müssen, bedeutet nicht, dass es ein binationaler Staat wäre; daher definiert sich der Staat verfassungsrechtlich als jüdischer Staat.

    Was den Islam in Deutschland angeht, so muss man seinen Denkhorizont erweitern. In Griechenland z. B. – einem Mitglied der EU! – gibt es keine Trennung von Staat und Religion, daher auch keine Gleichheit der verschiedenen Konfessionen. Die Staatsreligion ist die griechisch-orthodoxe Kirche, Punkt. Das rührt daher, dass Griechenland sich sehr stark über seine Nationalreligion definiert (wie übrigens Israel oder Polen auch). Und es gerade diese Klarheit, diese unmissverständliche Haltung, die religionspolitisch beschwichtigt.

    Stell dir mal vor, du gehst einen neuen Computer kaufen. Du willst ungefähr 1000 Euro ausgeben. Dann siehst du, dass dein Wunschmodell für 800 Euro angeboten wird, für Studenten sind es gerade mal 700 Euro. Du bist kein Student, kaufst es für 200 Euro weniger als geplant und bist sehr zufrieden. Eine Minute später kommt aber ein anderer Kunde in den Laden und du siehst, wie er, obwohl er kein Student ist und keinen Studentenausweis vorzeigen kann, trotzdem mit dem Verkäufer über den Preis verhandelt und dasselbe Modell für 700 Euro kriegt. Jetzt bist du natürlich verärgert.

    Was ich damit sagen will: Die gegenwärtige Haltung in Deutschland, laut der quasi alles in Islamkonferenzen etc. verhandelbar ist, trägt nichts zur religionspolitischen Ruhe bei, ganz im Gegenteil. Die Unklarheit darüber, ob dieses Land wirklich christlich ist und das auch bleiben möchte, schafft Unruhe, Erwartungen und Ärger. Deutschland muss mal lernen zu sagen: “Das ist nun mal so und darüber wird nicht verhandelt”. Islamische Religionsfreiheit, ja. Gleichstellung mit den abendländischen Konfessionen, nein. Bauerlaubnisse für Moscheen, ja. Bauerlaubnisse für überdimensionierte Minarette, nein.

    Humanismus bedeutet nicht Gleichheit, im Gegenteil. Humanismus, das bedeutet die anderen in deren Anders-Sein anerkennen. Humanismus bedeutet auch keine Gleichmacherei, sondern Respekt vor der im jeweiligen Land geltenden Hierarchie. Es wäre schlimm, wenn Christen eines Tages auf die Idee kämen, sie müssten in Saudiarabien für eine Gleichstellung des Christentums mit dem Islam kämpfen. Wenn es Christen so wichtig ist, nicht diskriminiert zu werden, sollten sie lieber bei sich zuhause bleiben. Es ist aber nicht weniger schlimm, wenn Muslime hierzulande die abendländischen Traditionen durch Gleichmacherei zu ersetzen suchen.

  14. @ Yoav Sapir

    “Humanismus ist Nationalismus”
    Hier wäre doch eine andere Begrifflichkeit vonnöten. Patriotismus ist Liebe zu den Seinen, Nationalismus ist Haß auf die anderen.
    “Deutschland muss mal lernen zu sagen…”
    Deine Denke ist inkonsequent, denn Du schreibst an Elmar Dietrichs: “Im Übrigen muss ich immer wieder darüber staunen, wie eitel manch Deutscher sein kann, der meint, ihm stünde das Recht zu, darüber zu entscheiden, was die Juden gefälligst sein wollen und was nicht.” Wenn Du schreibst, daß es inhuman sei, den Menschen auf seine Bedeutung als Einzelnen zu reduzieren, so sage ich das Gegenteil: es ist inhuman, den Menschen zu einem Haus -und Herdenvieh zu machen, welches hernach, wenn es wieder gründlich verbödet ist, wieder einen Hirten braucht!

  15. @Yoav

    Wieso sucht man nicht einen neuen unreligiösen Ansatz? Warum muss Europa Christlich sein? Die Völker Europas wurden doch Christianisiert ? Warum an alten Traditionen festhalten? Warum nicht versuchen etwas neues zu schaffen?Vielleicht sind Religionen wie der Islam und das Christentum einfach schreckliche Verirrungen? Vielleicht ist der wahre Feind einer jeden Gesellschaft die Monotheistische Religion?

    Vielleicht wäre es gar nicht so falsch die Menschen nicht Deutscher Herkunft zu Assimilieren, die die das möchten werden zu Deutschen gemacht, und sie können auch etwas aus ihrer Kultur mit in die Gesellschaft einfließen lassen, aber eben keine Religion. Die die das nicht möchten? Keiner zwingt sie hier zu leben.

    Was spricht gegen einen solchen Ansatz?

  16. @ Dietmar

    Sehr gut, dann mach ihn nicht zu einem Vieh. Da bin ich vollkommen einverstanden. Übrigens hat deine Assoziationskette viel mehr mit dir zu tun als mit mir.

    Und wie du die Eitelkeit von “Wir Deutschen entscheiden, was jüdisch ist” mit der Verantwortung von “Wir Deutschen entscheiden, was Deutschland ist” verwechseln und dann auch noch behaupten kannst, das wäre “inkonsequent”, ist mir rätselhaft.

    Aber gut, es muss ja nicht jedes Rätsel gelöst werden.

  17. @ Alex

    Was dagegen spricht? Vielleicht doch Einiges:

    1. Wer seiner Vergangenheit den Rücken kehrt, unterbindet seine Fähigkeit, Neues schaffen. Der Weg in die Zukunft führt notwendigerweise durch die Vergangenheit hindurch.

    2. Ich bezweifele in allem Ernste, dass wir grundsätzlich noch (wesentlich) Neues schaffen können. Für uns hat die Weltgeistuhr schon zwölf geschlagen. Angebracht wäre es, sich aufs Bisherige zu besinnen und mit dem Besten daraus fortzuleben.

    3. Der abendländische Atheismus ist ein jüdisch-christliches Phänomen, bedingt durch Aufklärung und Säkularisierung. In islamischen Kulturen gibt es hierfür kein echtes Pendant, höchstens bedeutungslose Randerscheinungen. Mit anderen Worten: Du kannst die Braut nicht ohne die Schwiegermutter bekommen. Wozu du diese Braut überhaupt haben willst, ist eine andere Frage.

  18. @ Yoav Sapir

    “Wir Deutschen entscheiden, was Deutschland ist”

    Wie machst Du das? Ich habe Dich doch richtig verstanden, daß Du ein Jude in Deutschland ohne Heimat bist? Jetzt schreibst Du: “Wir Deutschen…” Verstehe ich nicht! Das Volk…, die Staaten…-so viel halte ich davon nicht. Ich kenne nur den Einzelnen, der sein Eigner ist. Vielleicht ist tief in uns ein Band verborgen, das die Einzelnen miteinander verbindet.
    Du sagst, daß man durch die Vergangenheit hindurch muß, um zukunftsfähig zu sein. Ich sage: der Weg zur Gemeinschaft führt durch den Einzelnen hindurch. Denn nur so kann Einheit in Vielfalt entstehen -jenseits von Staaten und Völkern. Wenn schon der schnöde Mammon global geworden ist, um wie viel mehr muß der Geist global werden!

    “Übrigens hat deine Assoziationskette viel mehr mit dir zu tun als mit mir.”

    Ja, kann man so sehen.

  19. @ Yoav Sapir

    Meinst Du das Haifa Deines Herzens? Oder glaubst Du wirklich, es ist der Staat Israel. Israel ist und bleibt eine Sehnsucht des Herzens. Dieser Staat hier und jener Staat dort ist nicht die Entsprechung unserer Herzen!

  20. @ Yoav Sapir

    Ok -ich verstehe. Meine Eltern sind/waren deutsch. Deutsch ist meine Sprache. Ich denke in deutschen Begriffen. Die Philosophen, die mich prägten, sind deutsch(auch wenn so mancher meinte, sich als Pole fühlen zu müssen -aber das bereitet mir kein Kopfzerbrechen). Die Landschaft, die mich in meiner Kindheit umgab, war/ist deutsch. Und dennoch fühle ich in mir eine Sehnsucht, die darüber hinaus geht. Nicht, daß wir uns mißverstehen. Ich habe diesem Land viel zu verdanken. Aber dieses Land, diese Welt, die mich umgibt, kann mich nicht be-fried-igen. An diesem Ufer kann ich nicht bleiben. Mein Schiff sucht nach tieferen Gewässern.

  21. Nachtrag

    “Gibt es ein Land auf der Erde,
    wo der Traum Wirklichkeit ist?
    Ich weiß es wirklich nicht.
    Ich weiß nur eins und da bin ich sicher,
    dieses Land ist es nicht. Dieses Land ist es nicht.
    Dieses Land ist es nicht. Dieses Land ist es nicht.” (Rio Reiser, Werner-Seelenbinder-Halle, Berlin)

  22. Lieber Yoav,
    sehr beeindruckend durch ihre früheren Artikel lese ich ab und zu ihre neuen Überlegungen. Das Thema, das Sie nun greifen: Berlin und Deutschland ist nicht so leicht insbesondere für die Menschen, die nicht aus Deutschenländern stammen.

    Ihre Titelfrage: ob Berlin noch
    „deutsche“ Stadt ist, haben Sie nicht deutlich beantwortet, denn Sie es nicht können.

    Daß die Berlin nicht nur durch Ausländer
    etwas entfremdet ist – braucht man nie bestreiten, aber das ist das Herz Deutschlands, wie vielleicht, für Sie, die Stadt woher sie kommen.
    Also, diesmal haben Sie mit mehr Worten, weniger als früher mit weniger Worten ausgesagt. Denn es geht nicht nur darum, dass Berlin durch seine Regierung mit ihrer „besonderen Verantwortung“ momentan wird so durch Restdeutschen betrachtet, wie in den letzten Jahren der Weimarer Republik.

    Sie sollen nicht vergessen, dass Sie trotz Ihrem guten Deutsch in Berlin nicht als Deutsche, ganz anders als Französen, Dänen oder Portugieser, betrachtet werden. Denn die Stadt, wie auch das Land immer noch nicht souverän bleibt und durch so genannte „die Vergangenheit, die nicht gehen vergehen wollte“, sondern musste.

    Man kann höfflich bleiben und sogar etwas gleicher Respekt gegenüber den Juden versuchen zu zeigen, bleibt bei den Berlinern aber ein Gefühl eines Schauspiels. Und das ist immer noch eine nicht normale Sache, die man nicht in Paris, Königsberg oder Budapest nun wahrnehmen sollte.
    Wir, die Deutschen, sind immer noch verdächtigt bleiben – das sitzt doch fest an allen deutschen Nacken. Deswegen auch Ihren Lob und Zuversicht wirkt immer noch als eine Halbe Mitte.

    Frau Evelyn Hecht-Galinski, die kämpft für würdiges Israel oder Iris Borchardt-Hefets, die von „nur auf Zehenspitzen gehen“ spricht von Berlin aus schon die Rechtlage der Deutschen einbezieht.
    Also normal ist das nicht, selbst wenn Sie dass freundlich darüber nicht äußern wollen. Es gibt in der Geschichte doch die spannenden Momente, wenn es selbst die Zeit mit einem anachronistischen Narrativ belastet ist.

    Ein Beispiel dafür: die Behauptung von Charlotte Knobloch: “Ich frage mich ernsthaft, ob dieses Land uns noch haben will?” (05.09.2012 „Süddeutsche Zeitung“)

    Liebe Grüße aus Frankfurt

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