Eine geschichtsträchtige Adresse

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

…hab ich keine, abgesehen davon, dass ich jetzt ganz nah am Mauerverlauf wohne. Trotzdem ist es mir gelungen, meinen Wohnort auf einem alten Foto zu finden, das ich auf einer Webseite zur Geschichte des Berliner Landwehrkanals entdeckt habe:

Bomben über Kreuzberg 1945

Das Foto soll 1945 aufgenommen worden sein. Wann genau, weiß man wohl nicht. Vielleicht im März oder im April, um den sowjetischen Massen die Reichshauptstadt zu dämpfen? Links bzw. a bissl westlich von dieser Wohngegend bereitet man sich unter den Linden und in der Wilhelmstraße wohl schon intensiv auf den Fall "Clausewitz" vor: Berlin als Frontstadt. Es regnet Feuer über Soddom, Stahl über Gomorrha. Der letzte Akt beginnt, es heißt nun: Götterdämmerung.

Und jetzt?

Jetzt wohne ich dort, wo das rote Häckchen ist. Erwartungsgemäß: in einem Plattenbau.

Und so sieht die Gegend heute aus:

Engelbecken heute

Das erste Foto ist nach Nordosten gerichtet, im Google-Maps-Screenshot kann man sich aber am Engelbecken orientieren, das nach einem semiquadratischen Fleck ausschaut und auf beiden Fotos nah am Mittelpunkt abgebildet ist. Weitere Wahrzeichen aus der Vogelperspektive sind die Spree (auf beiden eher oben) sowie der Landwehrkanal (auf beiden Fotos unten).

Was für Leute dürfen zu jener Zeit an diesem Ort gewohnt haben? An wessen Stelle lebe ich jetzt? Und wie haben sie, wenn überhaupt, den Krieg überlebt?

Ach, nicht alles muss man wissen.

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

4 Kommentare

  1. 1. Bild

    Na, das ist aber eine tolle Aussicht von der eigenen Wohngegend. Irgendwie etwas beklemmend.

    Tja, wer hat da wohl gewohnt? Vielleicht ganz üble fanatische Leute …? In der Tat muß man nicht alles wissen.

  2. Spaziergang in die Vergangenheit

    Der “Ritt auf der Bombe” (1. Bild), sieht in der Tat beklemmend aus.

    Wenn ich in einer fremden Stadt bin und wissen will welche Leute da früher gewohnt haben, sehe ich mir immer die Friedhöfe an.

    http://www.berlin.de/…liner-friedhofslandschaft/

  3. Friedhof

    Eine Tante meiner Großmutter kam beim Bombenhagel in Berlin ums Leben.

    Zum Beispiel auf dem Friedhof in der Lilienthalstraße (westlich der Hasenheide) sind viele Bombenopfer bestattet.

    Dort legen auch die in Berlin angesiedelten Botschaften – soweit ich das verstanden habe – alljährlich ihre Kränze nieder.

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