Ein Volk auf dem Sofa: Kollektive Psychotherapie nötig?

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Berlin im täuschenden Lenz. Ein Café im Scheunenviertel. Auf dem Tisch liegt ein Heft, orangenfarben, mir unbekannt: Kollektivschuld. Bremse der Lebensenergie
 
Oh ja, das klingt nach etwas. Mal was anderes als die ewige Langeweile von FAZ, taz und Tagesspiegel. Ich schaue rein:
 

Seit jeher trug ich eine Art Schuldgefühl mit mir herum, einen Drang zur Rechtfertigung, den ich mir nicht recht erklären konnte. Ich wunderte mich auch immer, warum all meine Versuche, dieses Gefühl des Nicht-in-Ordnung-Seins in mir zu transformieren, im Grunde nicht erfolgreich waren. Aus der Sicht dieses Schuld-Introjektes ist das allerdings vollkommen verständlich: Es impft mir ja ständig ein, dass ich grundsätzlich (einfach nur, weil ich Deutscher bin, obwohl es das nicht explizit sagt) nicht in Ordnung, dass ich schuldig bin. Da kann ich auf einer persönlichen Ebene noch so viel dran drehen – es nützt nicht wirklich was. Solange ich so etwas mit mir herumtrage, kann ich einfach nicht in meine Kraft kommen, darf nicht klar sehen, mich klar ausdrücken. Diese Struktur verbietet es. Sie sagt: “Du bist wertlos, krieche am Boden, begnüge dich mit dem, was man dir zuwirft. Und wage es nicht, den Kopf zu erheben, du bist schuldig, schuldig, schuldig.” Das Muster verbietet auch, dass ich meine Stimme erhebe, dass ich laut werde, dass ich mich ausdrücke. Ich muss klein und im Hintergrund bleiben, darf nicht ins Zentrum treten. Und solange ich nicht weiß, woher diese “Knechtung” kommt, kann ich mich auch nicht davon befreien.

 
Nun gut. Die Juden haben also die Psychoanalyse erfunden, um sich dann anscheinend ganze Generationen von Klienten zu verschaffen… Aber immerhin. Mir erscheint der Ansatz keineswegs verfehlt.

Den ganzen Text findet man hier, einen anderen zum Thema hier, und das Heft als solches hier.

PS.
Wen’s interessiert, der findet meine kleine Kritik des "deutschen" Judentums vom Dezember 2009 in der aktuellen Ausgabe der Jüdischen Zeitung (4/2010).

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

8 Kommentare

  1. Theodor Lessing revisited

    Eine Ironie der Geschichte? In Theodor Lessings berühmtem “Der jüdische Selbsthaß” finden sich durchweg Passagen, die beinah identisch klingen.

  2. @ M. L.

    Oder eine späte Erscheinung von teilweiser Gerechtigkeit (wenn man’s auch mit dem fehlenden Willen verbindet, neue Deutsche auf die Welt zu bringen).

    Hättest du Lust, hier Einiges zu zitieren?

  3. Therapeutische Unterstützung

    So schlecht wie dem Autor des Textes geht es mir nicht, aber einen Knick in der Optik habe ich definitiv. Tut mir leid das du als Therapeut hinhalten musst Yoav, aber durch meine Macke und deinen Blog habe ich einiges gelernt z. B:

    “Die Juden haben also die Psychoanalyse erfunden, um sich dann anscheinend ganze Generationen von Klienten zu verschaffen”

    es sind doch alles die Juden schuld! hab ich´s doch gewusst! ich darf wieder vollkommen selbstverliebt sein! yiipiiieee!

    Ist gibt bestimmt ein paar verrückte die daraus eine Verschwörungstheorie stricken würden.

    Gute Nacht und frohe Ostern

    Alex

  4. Goldmedaillen

    Nichts für ungut, aber das erinnert mich doch ein wenig an den damaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann, der nach den Olympischen Spielen 2000 in Sydney (oder war es 2004 in Athen?) sinngemäß meinte, die Deutschen hätten deshalb so wenige Medaillen geholt, weil die deutsche Jugend durch die ständige Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit geistig und charakterlich geschwächt sei. (Jedenfalls sinngemäß – ich finde das genaue Zitat leider nicht mehr.)

    Mal abgesehen davon, daß es sicher wichtigere Dinge gibt als Olympia-Medaillen, ist das auch in der Sache offensichtlicher Unsinn. Jedenfalls habe ich noch von keinem Fußballer gehört, der durch den Gedanken an die deutsche Geschichte von einem Tackling (oder einem Torschuß oder von Blutdoping oder regelmäßigem Training) abgehalten wurde.

  5. Kollektivschuld?

    Das Konstrukt “Kollektivschuld” gibt es, denke ich, nur noch in den Köpfen “der Deutschen” (vieler Deutscher, nicht aller, aber derjenige, die das kulturelle Klima beeinflussen). Ursprünglich geboren ist die deutsche Projektion, andere hielten sie kollektiv für schuldig, wie auch das kollektive Schuldgefühl, das aus dem zitierten Aufsatz spricht, aus der Angst vor der schrecklichen Rache der Alliierten (die ausblieb) und dem Drang nach Entlastung derjenigen, an deren Händen das Blut Millionen dahingemordeter klebte – Prinzip: “Wenn alle Schuld sind, ist niemand verantwortlich”.
    Heute ist sie der Pappdrachen, der Strohmann der “Rechten”, vom Neonazi bis zum “in der Mitte der Gesellschaft” lebenden und denkenden Nationalkonservativen. Da wird von einem “Schuldkult” geredet, den es (so) nur in den Köpfen der “Rechten” gibt, von einer angeblichen – und real, im poltischen und wirtschaftlichen Leben, nirgendwo nachweisbaren – Unterwürfigkeit “Deutschlands”. Und für andere ist sie eine bequeme “Erklärung”, oder Rechtfertigung, für das Unbehagen an der eigenen Kultur und dem Zweifel am eigenen Lebensstils. Ein Mythos, der den Selbsthass zu einem edlen Gefühl verklärt, der einem Trauerarbeit erspart. Ein Mythos, der verhindert, dass die wirklich unangenehmen Fragen gestellt werden. Selbstmitleid und (theatralische) Selbstanklage sind eben einfacher und bequemer als Selbstzweifel und (ehrliche) Selbstkritik.

  6. M. L.

    Ich glaube nicht an die Gerechtigkeit, die sich an Kindern und Kindeskindern bis ins soundsovielte Glied rächt. Im Christentum führt das Mea Culpa zur Vergebung; hier wäre der Fall andersrum: Aug um Aug, Zahn um Zahn, und nur die, die sich als schuldlos begreifen, bleiben affektiv intakt und kommen durch. In der Realpolitik hat sich Christus, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, ja auch nie durchsetzen können. Vielleicht gibt es aber jenseits von Jahwe und Christus soetwas wie ein kollektives Karma. Von dem wären aber auch die Juden nicht ausgeschlossen.

    Hier habe ich gerade eine Stelle zur Hand, das Original gerade leider nicht, Lessing zitiert aus dem Tagebuch einer Jüdin:

    “Was wissen die alltäglichen, oberflächlichen Judenfresser, die nur ihre natürliche, gesunde Rassenantipathie fühlen, ohne deren Sinn ergründen zu können, was wissen sie wohl von der ungeheuren Tragik dieser Hölle, die da leibhaftig auf Erden wandelt! Ich selber habe nie etwas wirklich Böses getan und doch ist mir zuweilen in trüben Stunden, als hätte ich alle Schuld der Welt begangen und auf meinen Schultern liegen.”

  7. ICH BIN…..

    DER ICH BIN…so stellt sich der GOTT ISRAELS dem späteren LEADER UND BEFREIER MOSES im brennenden BUSCH vor, dem er später, in einem von seinen KINDERN ERZWUNGENEN DOPPELAKT, die beiden GESETZESTAFELN GIBT. Im Zusammenhang mit dieser zweiten GABE, werden auch die damit verbundenen KONDITIONEN und KONSEQUENZEN sehr konkret und präzise kommuniziert. Von den KAPITELN wird gerne nur der SEGEN LAUT GELESEN die FLUCHWORTE mit ihren drei ESKALATIONSSTUFEN nur leise oder am LIEBSTEN ÜBERLESEN.
    ICH BIN…nach mehrjähriger betrachtung aber mehr denn je der ÜBERZEUGUNG dass genau sie die präziseste aller BESCHREIBUNGEN sind (vergiss PSYCHOANALYSE, SOZIOLOGIE ETC). Was in der Individuellen, Familien, Sippen, Stammes und Völkergeschichte WIRKT IST GENAU DAS WAS HIER BESCHRIEBEN IST. JEDER IST KLUG DIESE KAPITEL ZU STUDIEREN und sich nach besten KRÄFTEN daran zu orientieren.
    EINE AUFLÖSUNG des Befreiung nötigen OPFERS ZEIGT AUF EINDRÜCKLICHE ART UND WEISE die PESSACH-HAGGADAH, die von der MESSIANIC ASSEMBLY OF ISRAEL herausgegeben wurde. Sie zeigen in aller DEUTLICHKEIT die ERFÜLLUNG in der PERSON des Josephs und Davidsohnes, der als OPFERLAMM SÜHNE bewirkt hat, und als wiederkommender MESSIAS ALS SAR SHALOM nicht nur seinem VOLK, sondern der ganzen WELT den ersehnten FRIEDEN bringen wird.

    ER IST DIE EINZIGE REALITÄT die dies BEWERKSTELLIGEN kann und wird. Alles andere sind, und das zeigt die Geschichte der letzten 120 jahre überdeutlich, dilettantische Versuche von GOTTLOSEN Humanisten die auf arroganteste ART UND WEISE nur für LEICHENBERGE gesorgt haben. LEIDER gibt es auch in diesen TAGEN viele dieser Art. SIE richten sich gegen ISRAEL immer zuerst. AUS VORGENANNTEM GRUND.

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