Die Staatswerdung des Judentums: ein weiterer Schritt nach vorn?

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Das Parlament des jüdischen Staates verabschiedet schrittweise ein Gesetz über die Gültigkeit von Übertritten ins Judentum.

Im Laufe der jetzigen Woche hat eine Gesetzinitiative die erste von insg. drei Abstimmungen bestanden. Ziel der Initiative ist es, bestimmten Übertritten, die vom derzeitigen Hauptrabbinat angezweifelt werden, Gültigkeit zu verleihen.

Konkret geht es um Militärübertritte: Personen, die selber oder deren Eltern im Rahmen des jüdischen Rückkehrgesetzes nach Israel zugewandert, jüdisch sozialisiert worden sind, nun als Juden in den Streitkräften des jüdischen Staates fürs jüdische Land kämpfen, aber halachisch gesehen als Nichtjuden gelten, bekommen während ihres Militärdienstes die Möglichkeit, in einem relativ schnellen und einfachen Verfahren ihre Integration ins jüdische Volk zu vervollständigen. So weit, so gut – und logisch, denn als Soldaten im Dienste des jüdischen Volkes haben sie es auch verdient (vgl. die Légion Étrangère).

Genau dieses Übertrittsverfahren wird vom Hauptrabbinat angezweifelt, seine Gültigkeit mithin nicht umgesetzt. Es ist die bekannte Geschichte, in der Rabbiner sich gegenseitig bekämpfen. Die momentan fehlende Anerkennung bedeutet z. B., dass Personen, die auf diese Art und Weise übergetreten sind, nicht als Juden heiraten können oder etwa dass ihre Kinder – sofern es um weibliche Übergetretene geht – nicht als Juden gelten würden. Betroffen sind hiervon vornehmlich, aber nicht ausschließlich, Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion bzw. deren junge Nachkommen.

Mit dem neuen Gesetz soll dem Hauptrabbinat in solchen Fällen die Entscheidungsbefugnis entzogen werden: Die Übertritte wären dann per Staatsakt gültig, ohne einer weiteren Prüfung zu bedürfen. Die große Bedeutung dieser Initiative besteht m. E. eben darin, dass der jüdische Staat hiermit selber über die Gültigkeit von Übertrittsverfahren entscheidet; nicht »entscheiden würde«, sondern im Gesetzgebungsverfahren jetzt schon darüber zu entscheiden hat!

Da jedem Juden weltweit grundsätzlich das Recht zusteht, Bürger des jüdischen Staats zu werden und an den demokratischen Wahlen teilzunehmen, beobachten wir momentan eine Entwicklung von historischer Bedeutung: Zum ersten Mal seit der Erneuerung jüdischer Souveränität 1948 obliegt es einer frei gewählten Volksvertretung, über die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk zu beschließen.

Das ist schon durch die letzte Abstimmung Wirklichkeit geworden; auch wenn diese Gesetzinitiative die weiteren Gesetzgebungshürden nicht bestehen sollte, wird es auf jeden Fall eben diese jüdische Volksvertretung sein, welche die Entscheidung – ob eine positive oder eine negative – getroffen haben wird. Mit anderen Worten: Auch falls die Entscheidung über die Gültigkeit dieses Übertrittsverfahren doch dem Hauptrabbinat überlassen werden würde – würde sie ihm vom Parlament überlassen werden. Denn durch das Bestehen der ersten Abstimmung ist jetzt die Frage endgültig auf den Tisch gebracht worden – und was schon mal auf dem Tisch liegt, ist nicht mehr so schnell wieder vom Tisch.

Im militärischen Übertrittsverfahren agieren nach wie vor Rabbiner, welche die Soldaten persönlich begleiten. Aber die letzte Instanz, d.h. das Parlament, das über die Gültigkeit des rabbinischen Verfahrens als solchen zu entscheiden hat, schöpft seine Autorität aus keinen rabbinischen Quellen; unter den Abgeordneten gibt es bekanntermaßen auch wenige Palästinenser.

Nach langen Jahrhunderten – seit der Spätantike bis in die heutige Zeit – in denen das Judentum von Rabbinern geführt, also von den eher religiösen Aspekten seines Volkslebens dominiert wurde, vollzieht es jetzt einen weiteren Schritt in seiner Staatswerdung. Damit schließt das heutige Judentum einen Kreis und findet wieder zu seinen alten Wurzeln, denn schon in der Hochantike waren es auch jüdische Könige, also die politische Macht, welche über Massenübertritte entschied (so war z. B. die ursprünglich edomitische Sippe jüdisch geworden, der später Herodes der Große entstammte).

Unterm Strich ist es also eine relativ kleine Sache, über die entschieden wird; aber die Entscheidung selbst ist ein Präzedenzfall. Sie führt uns in eine neue Etappe von Mündigkeit und Emanzipation, die wiederum eines Tages vielleicht sogar in einem gänzlich staatlichen, grundsätzlich überkonfessionellen Aufnahmeverfahren münden könnte. Zu einem altehrwürdigen Volk wie Israel würde das viel besser passen als die kaum kontrollierbaren Kämpfe, die Rabbiner unterschiedlicher Strömungen weltweit gegeneinander führen.
 

 

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Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

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