Die Juden unterm Halbmond: Ging es ihnen wirklich gut?

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Immer wieder kann man von islamischer Seite hören, den Juden sei es in der islamischen Welt doch gut ergangen und überhaupt sei es eine heile Welt gewesen, bis die Juden plötzlich so aggressiv den Staat »Israel« errichtet haben.

Um solchen Desinformationstaktiken entgegenwirken, nenne ich im Folgenden etliche Begebenheiten aus der Zeit vor der jüdischen Staatsgründung, die heutzutage gerne aus dem allgemeinen Gedächtnis verdrängt werden. Die Angaben entnehme ich israelischen Zeitungsarchiven. Ich erhebe natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Die Geschichte der Juden im Islam ist nicht mein Gebiet. Vielmehr geht es hier nur darum, zum gegenwärtigen Verklärungstrend einige Gegenbeispiele zu liefern:

1011 in Cordoba (Iberien): Pogrome, bei denen Hunderte bis Tausende Juden den Muslimen zum Opfer fallen

1033 in Fes (Marokko): Pogrome mit tausenden Toten

1066 in Granada (Iberien): Pogrome mi tausenden Toten

1465 in Fes und umliegenden Städten (Marokko): weitere Pogrome

1676 im Jemen: die Juden werden in die Wüste vertrieben, der Großteil verdurstet, Waisen müssen zum Islam konvertieren

1776 in Basra (Irak): Pogrom

1785 in Banghazi (Libyen): Pogrome mit hunderten Toten
 
1790 in Tétouan (Marokko): Pogrome
 
1792 in Tétouan (Marokko): nochmals Pogrome
 
1805 in Algier: Pogrome
 
1815 in Algier: weitere Pogrome
 
1830 in Algier: nochmals Pogrome

1839 in Maschhad (Persien, heute Iran): Pogrom mit 40 Toten, der Rest muss zum Islam konvertieren
 
1840 in Damaskus (Syrien): Ritualmordlegende mit anschließenden Pogromen daselbst und in anderen Städten

1844 in Kairo (Ägypten): Pogrom

1847 in Jerusalem: Pogrom

1848 in Damaskus (Syrien): noch ein Pogrom

1850 in Aleppo (Syrien): Pogrom

1862 in Beirut (Libanon): Pogrom

1864-1880 in Marrakesch (Marokko): Pogrome mit Hunderten Opfer
 
1870 in Alexandrien (Ägypten): Pogrom

1874 in Beirut (Libanon): Pogrom

1875 in Aleppo (Syrien): ein weiteres Pogrom

1879 in Damaskus (Syrien): noch ein Pogrom
 
1882 in Alexandrien: Pogrom
 
1890 in Kairo (Ägypten): Pogrom
 
1901-1902 in Kairo (Ägypten): weitere Pogrome
 
1906 in Alexandrien (Ägypten): Pogrom
 
1907 in Casablanca (Marroko): Pogrom mit 30 Toten und Dutzenden Vergewaltigter (im Islam richtet sich die Zugehörigkeit des Kindes nach dem Vater)

1910 in Schiraz (Persien, heute Iran): Ritualmordlegende mit anschließendem Pogrom und 30 Toten

1912 in Fes (Marroko): Pogrom mit 60 Toten

1929 in Palästina/Israel: Landesweite Pogrome; die uralte Gemeinde in Hebron erlischt (wiederauferstanden erst 1968)

1934 in Constantine (Algerien): Pogrom mit 25 Toten

1941 in Bagdad (Irak): Pogrom mit 182 Toten
 
1945 (nach Kriegsende) in Banghazi (Libyen): Pogrom mit 140 Toten

1945 in Aleppo (Syrien): Pogrom mit 75 Toten

1945 in Ägypten: Pogrome in den großen Städten

1947 in Syrien: Landesweite Pogrome; in Damaskus werden 13 Juden geschlachtet, darunter 8 Kinder

1947 in Aden (Jemen): Pogrom mit 97 Toten

…so weit, so viel. Mich dünkt, die obige Liste reicht, um dem Mythos vom guten Leben der Juden unterm Halbmond nicht mehr anheim zu fallen.

An dieser Stelle tauchen zudem einige Fragen auf wie z. B.:

Warum sollen sich Europäer von islamischen Demagogen einschüchtern lassen? Freilich ging es den Juden im christlichen Mittelalter relativ schlimmer als in den islamischen Herrschaftsgebieten, jedoch holen die Muslime ihren Anteil an Judenmorden später nach. Hätten sie den Krieg von 1948-49 gewonnen, so wäre der Holocaust in Israel fortgesetzt worden.

Warum ist man über die Polen entsetzt, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch Pogrome verübten, während man die Nachkriegspogrome in der islamischen Welt unbeachtet lässt? Schließlich soll man von den Muslimen denselben Zivilisationsgrad erwarten, den man von den Polen verlangt.

Sollen die Hunderttausende Verbliebener, die nach der jüdischen Staatsgründung nach Israel flohen, deren Nachkommen oder der jüdische Staat als Gesamtvertreter um Kompensation für ihren einstigen Besitz kämpfen? In der heutigen Politik bekommt man schnell den Eindruck, zahlen sollte nur derjenige, der in einem Vernichtungskrieg angegriffen wurde und diesen nebbicherweise auch noch zu gewinnen wagte.

Man mag diese Fragen beantworten, wie man will. Aber die Parolen, die Juden hätten es in der islamischen Welt gut gehabt, kann man nicht ernst nehmen.

 

 

  • Veröffentlicht in: Islam

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www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

11 Kommentare

  1. Islamschönfärberei

    Die heutige Islamwissenschaft betreibt leider in vielen Punkten nichts anderes als Schönfärberei. Dabei wird oft an bereits bestehende Mythen angeknüpft, etwa an den Mythos von toleranten al-Andalus.

    Wer versucht diese Mythen zu entzaubern, wird schnell als “Rassist”, “Islamophobiker” oder “Rechter” ausgegrenzt und gemobbt.

    Die Professoren in der Islamwissenschaft stehen diesem Trieben entweder positiv gegenüber und unterstützen es noch, oder aber sie lassen es ohne einzugreifen geschehen.

    Ich habe als Student der Islamwissenschaft oft genug erlebt, welcher Geist in dieser “Wissenschaft” heute weht: es kommt allein auf die islamophile Gesinnung an, nicht auf Fakten.

  2. Der Mythos al Andalus

    Der Orientalist Bernard Lewis führt die Entstehung des Mythos vom friedlichen Al Andalus, wo Christen, Juden und Muslime in friedlicher Eintracht gelebt hätten, wesentlich auf die Bestrebungen jüdischer Intellektueller zurück, die Emanzipation der europäischen Juden voranzutreiben.

    Dieser Mythos ist somit zumindest zum Teil jüdischen Ursprungs und war im Grunde als Kritik an den europäischen Verhältnissen des 19 Jahrhunderts gedacht.

    So äusserte sich beispielsweise der englische Staatsmann Disraeli zu al Andalus: “… jene schöne und unübertroffene Zivilisation, in der die Kinder Ismaels die Kinder Israels mit gleichen Rechten und Privilegien belohnten.”

    Die Realität war freilich nicht ganz so märchenhaft. Aber um historische Genauigkeit ging es weder gestern noch heute. Der Mythos – dessen Idealisierungen an den Mythos des “edlen Wilden” erinnern – war gestern und heute zuallererst Zivilisations – und Gesellschaftskritik des gegenwärtig Bestehenden.

  3. Die Juden unterm Halbmond

    “Juden haben vierzehn Jahrhunderte lang unter islamischer Herrschaft gelebt, und zwar in vielen Ländern. Es ist deshalb schwierig, ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu verallgemeinern. Dies jedoch läßt sich mit einiger Gewißheit sagen-daß sie nie frei waren von Diskriminierung, aber nur selten verfolgt wurden; daß ihre Situation nie so schlimm war wie unter der Christenheit in ihren fürchterlichsten Momenten, und nie so gut wie unter der Christenheit zu ihren besten Zeiten. Es gibt in der islamischen Geschichte keine Parellele zu der spanische Vertreibung und Inquisition, zu den russischen Pogromen oder zum Holocaust der Nazis; es gibt aber auch nichts, was sich mit der fortschreitenden Emanzipation und gesellschaftlichen Aufnahme der Juden vergleichen ließe, die es im Laufe der vergangenen drei Jahrhunderte im demokratischen Westen gegeben hat.”

    Aus “Treibt sie ins Meer, Die Geschichte des Antisemitismus” von Bernard Lewis

  4. Viel zu pauschal

    In wieweit kann man eigentlich den mittelalterlichen Islam mit dem heutigen vergleichen? Es ist doch sowieso auffällig, daß der Islam während des Mittelalters dem christlichen Abendland kulturell in so vielen Dingen überlegen war. Ich würde gerne mal wissen, wieviel Anteil die jüdischen Intellektuellen an dieser kulturellen Überlegenheit hatten. Leider weiß ich darüber nicht genug.

    Aber bekanntlich konnte es “den Juden” in der Geschichte in dem einen christlichen Land ganz hervorragend gut gehen, während es ihnen GLEICHZEITIG in einem anderen Land phasenweise sehr schlecht gehen konnte. Das eine schloß doch das andere in der jüdischen Geschichte selten aus, oder?

    Und so denke ich, wird es auch in “dem Islam” gewesen sein. Und deshalb scheint mir schon die Fragestellung des Blogartikels viel zu pauschal formuliert.

    Genauso könnte ich fragen: Ging es den Juden im 20. Jahrhundert gut? Die Antwort kann doch immer nur lauten, entweder: “Ja, aber …” oder: “Nein, aber …” Aber kein glattes Nein oder glattes Ja wäre richtig.

  5. @ Ingo

    Im Gegenteil: Pauschal ist die heutzutage immer wieder vorgebrachte »Feststellung«, man sollte die europäischen Komplexe nicht auf Muslime projizieren, schließlich sei es den Juden in der islamischen Welt doch gut gegangen.

    Ziel dieses Artikelchens ist einfach, zu zeigen, dass die islamische Welt keineswegs so heil war, wie man sie nun sehr gerne darstellt, und dass die islamische Judenfeindlichkeit kein neues, erst in Reaktion auf den jüdischen Staat entstandenes, ausschließlich und gänzlich aus dem Westen importiertes Phänomen.

  6. Noch ein Mythos

    @ Ingo Bading

    “Es ist doch sowieso auffällig, daß der Islam während des Mittelalters dem christlichen Abendland kulturell in so vielen Dingen überlegen war.”

    Das ist ein weiterer Mythos, der besonders in bestimmten bildungsbürgerlichen Kreisen gepflegt wird, um damit die eigene Bildung, Toleranz und Kultiviertheit, sprich Überlegenheit, vor allem gegenüber “kleinbürgerlichen Spießern” und dem “Stammtisch” zu zelebrieren.

    Auch dieser Mythos hält, wie der von toleranten Zusammenleben in al-Andalus, einer kritischen Nachprüfung nicht stand.

  7. Islam und Jesus – @ Sarah, @ Martin

    @ Sarah: Das waren zunächst einmal oft Sektenkämpfe zwischen verschiedenen monotheistischen Kirchen und ihren Priestern. Jesus hat im Neuen Testament fast immer nur für Juden gepredigt, auf Nichtjuden ggfs. herabgeschaut (“Wohl gesprochen”, sagte er zu dem nichtjüdischen Weib, das ihn anbettelte: “Frißt der Hund nicht auch die Brosamen, die vom Tische des Herrn fallen?”, um ihn zu überreden, auch Nichtjuden seine übernatürlichen Fähigkeiten zugute kommen zu lassen, was der ethnozentrische Jesus zunächst weit von sich wies.) Erst Paulus hat Nichtjuden angesprochen und missioniert. Und denen mußte er erst mal erklären, warum Jesus auch eine Messias für die Nichtjuden sein sollte.

    Und tatsächlich gibt es Nichtjuden, die das noch heute nicht so recht verstehen wollen. Daß die Welt christlich wurde, konnten viele Heiden nicht verhindern. Aber sie empörten sich darüber, daß – damit – alle jüdisch-religiös sein sollten und wurden – deshalb – oft “antisemitisch” und machten es “den Juden” zum Vorwurf, daß sie Jesus ans Kreuz genagelt hatten.

    @ Martin: Wenn es ein Mythos ist, würde ich gerne Literatur kennenlernen, in der dieser Mythos entzaubert wird. Im Hochmittelalter haben einige der aufgeklärtesten Geister – etwa Kaiser Friedrich II. – ihre Freigeistigkeit aus der Auseinandersetzung mit Wissenschaft aus dem islamischen Bereich heraus gewonnen. (So viel ich gehört habe, ist das auch noch eine der wesentlichsten Wurzeln der Rennaisance.)

    Und einen so freigeistigen, über den Dingen stehenden Dichter wie Hafis kann ich mir in Europa während des verbiesterten Hochmittelalters keineswegs vorstellen. Ich glaube schon, daß man damals auf vielen Gebieten in der isalmischen Welt weiter war, gebe aber zu, daß ich darüber weniger weiß, als ich gerne wissen würde.

  8. In 936 Jahren gab es ca. 35 Pogrome. Meinen Sie das ehrlich und allein von diese Anzahl können Sie Aussagen über das Leben der Juden in Islamischen Ländern machen. Allein die Anzahl der Opfer ist so gering das im Vergleich in 56 Jahren des Nahost Konflikt mehr als 10.000 Palästinenser starben. Was sagt uns diese Zahl dann im Vergleich?
    Und andersherum gefragt liegt es vll. an den anderen oder am ende doch einem selbst….

  9. Die Liste ist aber bei weitem nicht vollständig mein Lieber.
    Ein bisschen genauer darf es schon sein, auch das mit den Vertreibungen!

    @Herold
    Bleib mal besser bei den fast 100.000 Millionen Toten welche 2 Weltkriege angerichtet haben.
    Von Leuten wie dir Links oder Rechtsnazis habe ich die Schnauze zwischenzeitlich so ziemlich gestrichen voll. Und die Zahlen im Vergleich sagen mir, dass du ein Megaarschloch.
    Ganz nebenbei war auch in Israel Krieg und ist es immer noch.

    So jetzt germanische Grüße
    (was heißt betrachte dir richtig hart eine aufs Maul gehauen)

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