Die islamische Kirche

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Bei meinem Hin- und Herlaufen durch den Bundestag habe ich neulich eine Diskussion über die staatskirchenrechtliche Anerkennung des Islam und somit die Gewährung der Rechtsstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) erlebt.

Gemeint ist hier natürlich nicht die Gleichstellung von Muslimen, da schon aufgrund von Art. 3 Abs. 3 GG kein Muslime als solcher benachteiligt werden darf. Es geht aber auch nicht um die freie Religionsausübung, die mit Art. 4 Abs. 2 GG im Grunde genommen sowieso gesichert ist. Auf dem Tisch liegt vielmehr die Aufnahme des Islam in jenen öffentlichen Bereich, wo der deutsche Nationalstaat – über die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit hinaus – zu bestimmten Religionsgemeinschaften eine besondere, auf Zusammenarbeit abzielende Beziehung hat.

Dabei ist mir besonders aufgefallen, dass die verschiedenen Diskussionsparteien keine inhaltlichen, sondern fast nur rechtlich-formale Argumente vorgebracht haben. Von manchen ist die Position vertreten worden, dass die Muslime aufgrund von Art. 140 GG, der wiederum auf die Weimarer Verfassung verweist, grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf staatliche Anerkennung haben, sodass es nur noch darauf ankomme, inwiefern die bestehenden Vereine in der Lage sind, die formalen Voraussetzungen für eine solche Anerkennung zu erfüllen bzw. ob diese Voraussetzungen überhaupt mit islamischen Traditionen kompatibel sind.

Was mir als Laien zu Art. 140 vor allem im historischen Zusammenhang einfällt, möchte ich in einem anderen Beitrag thematisieren. Vorerst stellt sich mir aber die Frage, inwiefern es sich hierbei wirklich um ein rein rechtlich-formales Thema handelt bzw. ob die besonderen Beziehungen, die der an sich konfessionslose Staat (insbesondere auf Bundesebene, obwohl die Anerkennung selber im Ermessen der Länder liegt) zu bestimmten Konfessionen unterhält, nicht schon ins rechtlich nicht regulierbare Selbstverständnis des Staates gehören.

Denn man kann es auch anders sehen, nämlich so, dass die vom deutschen Nationalstaat zugelassene bzw. geförderte Beteiligung bestimmter Konfessionen am Schulwesen, öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens ein Bekenntnis des Staates zu den Traditionen darstellt, aus denen er entstanden ist und in denen er sich auch heute noch verstehen möchte.

Hinzu kommt, dass die Errichtung einer neuen staatlich anerkannten Kirche in der Geschichte der Bundesrepublik ein ziemliches Novum wäre. Zwar ist seit Gründung der Bundesrepublik verschiedenen Religionsgemeinschaften diesen Status gewährt worden, jedoch stehen sie alle in der geistigen Tradition des Abendlandes, sodass ihre Anerkennung keine Änderung im öffentlichen Charakter des Landes mit sich gezogen hat. Zudem gilt m. W. keine dieser Gemeinschaften als den etablierten Kirchen ebenbürtig, sodass sie bei der Gestaltung des öffentlichen Raums offensichtlich kaum ins Gewicht fallen, geschweige denn auf nationaler Ebene.

Eine wesentliche Änderung im religiösen Selbstverständnis Deutschlands hat auf (klein-)deutschem Boden – abgesehen von der NS-Zeit, von der die Bundesrepublik zumindest in dieser Hinsicht abkehren will – zum letztem Mal 1847 stattgefunden, als das Gesetz über die Verhältnisse der Juden im Königreich Preußen erlassen wurde (als erster Staat auf deutschem Boden war es Baden, dessen Großherzog 1809 seiner jüdischen Religionsgemeinschaft die staatliche Anerkennung verlieh). Das preußische Gesetz wurde 1869 im Rahmen des Norddeutschen Bundes geographisch ausgedehnt und 1871, soweit ich es verstanden habe, im Rahmen des bismarckschen Kaiserreiches ins neue Reichsgesetzblatt aufgenommen (eine umfassende Gleichstellung der Juden bedeutete dies indes nicht: diese erfolgte erst durch die Weimarer Verfassung). Mit dieser staatlichen Anerkennung bekannte sich das allmählich entstehende Deutschland in offizieller Weise zu seiner damals schon (je nach Gesichtspunkt) mindestens jahrhundertelangen christlich-jüdischen Tradition.

Dieses symbiotische Bekenntnis ist bis heute, obwohl das Reich 1919 konfessionslos geworden ist, im Wesentlichen noch wirksam. So ist etwa in der Präambel des bundesrepublikanischen Grundgesetzes von des deutschen Volkes "Verantwortung vor Gott und den Menschen" die Rede, womit zweifelsohne der biblische Gott gemeint ist. Schließlich war es die nationalsozialistische Judenverfolgung und -vernichtung, infolge deren das Judentum erst recht in das historische Grundnarrativ Deutschlands aufgenommen werden konnte. Diese gemeinsame Meistererzählung ist aber – gewissermaßen bis auf die deutsche Linke – nicht aufgelöst worden, sondern wird weiterhin von ihrem Subjekt, dem deutschen Volk, getragen. Ihre (teilweise rückwirkende) Ergänzung durch das Jüdische bedeutet also nicht, dass sie auf "Pluralismus", "Multikulturalismus" oder gar "Multireligiosität" als eigenständigen Werten beruht. Denn sie ist nach wie vor fest in den Traditionen des Abendlandes verwurzelt.

Anderthalb Jahrhunderte später möchte man nun – und das muss zumindest zur Kenntnis genommen werden – Geschichte machen: Schon nach vier Jahrzehten muslimischer Gegenwart auf deutschem Boden soll jetzt erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine hierzulande eigentlich traditionslose Weltreligion in den intimen Beziehungsbereich zwischen Staat und Kirche aufgenommen werden. Somit soll also das delikate, historisch gewachsene Bekenntnis des deutschen Nationalstaates, das nach wie vor den öffentlichen Charakter dieses Landes prägt, einem nunmehr auch staatlich geförderten Multikulturalismus ausweichen.

Wären wir in Frankreich, wo der Staat grundsätzlich in keiner religiösen Tradition steht, so müssten wir uns gar nicht mit dieser Problematik auseinandersetzen. Da Deutschland es aber nicht bei der Relgionsfreiheit belässt, sondern im Einklang mit dessen spezifischer Entwicklung es für wichtig hält, mit bestimmten Religionsgemeinschaften zusammenzuarbeiten und sie in die Gestaltung des öffentlichen Lebens einzubinden, erscheint mir eine nicht nur rechtlich-formale, sondern auch inhaltliche Diskussion über etwaige Änderungen im religiösen Charakter des Staates absolut notwendig.

Ich bin mir sicher, dass auch die unterstützenden Parteien imstande sind, mithilfe ihres Gedankenguts zu argumentieren, warum dieser Schritt nicht nur für die bundesrepublikanische Bürgerschaft rechtlich machbar, sondern auch für das nicht auf die Interessen von Einzelnen reduzierbare, in der Präambel des Grundgesetzes postulierte (und dort übrigens großgeschriebene) Subjekt "deutsches Volk" erstrebenswert sei.

Bestehen könnte eine solche Begründung z. B. in der (vermeintlichen oder tatsächlichen) Notwendigkeit, den Multikulturalismus öffentlich-rechtlich zu befestigen, etwa als eine Konsequenz der Aufarbeitung der großdeutschen Verfolgungsgeschichte. Oder man lässt sich was anderes einfallen; Hauptsache, man versucht das Wesentliche zu erklären: Was soll die offzielle, durch die staatliche Anerkennung verkörperte Aufnahme des Islam in das Selbstverständnis des deutschen Nationalstaates für das staatstragende Volk bedeuten? Wie würde diese Maßnahme die Traditionen verändern, die das halbbewusste Fundament des deutschen Gemeinwesens bilden? Und warum seien solche Veränderungen im Charakter des deutschen Nationalstaates vom deutschen (oder "Deutschen") Volk zu befürworten?

Das sind alles Fragen, die m. E. bei der Argumentation für eine nicht zuletzt auch historisch so bedeutungsvolle Maßnahme beantwortet werden müssten. Inwiefern die Begründung in der Bevölkerung auf Zuspruch stieße, ist natürlich eine andere Frage, die man sich aber schon stellen müsste, wenn man bei der nationalen Volksvertretung arbeitet.

Mutet man aber anderen zu, sich mit formalen Argumenten zufrieden geben zu müssen, so erweckt es zumindest bei mir den Eindruck, als ob man eine ernste Diskussion vermeiden möchte, indem man suggerieren würde, jede entgegengesetzte Position wäre grundsätzlich falsch bzw. verfassungswidrig.

Meine Kernfrage lautet also: Stoßen wir bei diesem Thema nicht an die Grenze des Formalen?

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

12 Kommentare

  1. Islam in Deutschland

    Lieber Yoav,

    über den Handel hinausgehende Beziehungen zur islamischen Welt pflegte das heutige Deutschland schon zu Zeiten Karls des Großen, von späteren Kaisern (wie dem Staufer Friedrich II.) und schließlich Preußen (mit muslimischen Soldaten samt Heeresimam!) sowie Geistesgrößen wie Goethe & Lessing ganz zu schweigen. Wußtest Du, dass z.B. selbst die Doktorurkunde von Immanuel Kant von einer Basmallah geziert wird? Auch im Habsburger Reich gab es zahlreiche Muslime und sogar eine islamische Körperschaft, an die heutige Strukturen anknüpfen.

    Muslimische Gemeinschaften gab es bereits in der Weimarer Republik, heute gibt es zwischen 1 und 2 Millionen Muslime deutscher Staatsangehörigkeit.

    Den Islam zur “fremden”, “nichtdeutschen” Tradition erklären und damit letztlich eine dauerhaft rechtliche Schlechterstellung gegenüber Christen und Juden zu fordern, halte ich für verfehlt. Du wirst aber sicher Applaus dafür von den “richtigen” Leuten bekommen, die in religiösen Minderheiten schnell bedrohliche Verschwörer erblicken. Wie mailte mir doch mal ein Rechtsextremer? Wir Christen, Juden und Muslime seien doch alle Angehörige von “Wüstenreligionen” und hätten in Germanien mit seinen “angestammten” Kulten nichts zu suchen…

    Auch mit Frankreich liegst Du übrigens falsch. Hier war es der damalige Innenminister und heutige Staatspräsident Sarkozy selbst, der mit massivem Einsatz eine islamische Nationalvertretung schuf, mit der der Staat nun kooperieren kann. Auch berief er Muslime ins Kabinett (was es ja auch in Israel schon gab).

    Ich sehe wirklich keinen Grund, deutsche Muslime gegenüber Deutschen anderen Glaubens zu diskriminieren. Allerdings halte ich es umgekehrt auch für richtig, dass sie für die Erlangung z.B. der Körperschaftsrechte die gleichen Anforderungen erfüllen müssen wie andere Gemeinschaften auch. Was Du hier “formal” nennst, würde ich als Rechtsstaat bezeichnen… 😉

  2. @ Michael

    1. Das mit dem Heeresimam wusste ich nicht, aber ehrlich gesagt, klingt es bei mir zunächst wie eine Kuriosität. Ob davon jetzt wirklich Politik abzuleiten ist?

    2. Ferner frage ich mich, ob diese Beispiele wirklich das besagen können, worauf du hinauswillst. Freilich interessierten sich Lessing und Goethe für den Islam und brachten gewonnene Kenntnisse in ihre Werke, doch geschah das nicht eben aus Interesse fürs Fremde? Mit anderen Worten: Weisen solche Ausnahmsfälle nicht gerade auf die Regel hin?

    3. Nicht-Privilegierung ist noch keine Diskriminierung. Du zahlst jetzt bestimmt mehr an deine Krankenkasse als ich es als Student tue. Doch wirst du deswegen noch längst nicht diskriminiert.

    4. Zur Rechtsstaatlichkeit gehört, dass Muslime einerseits nicht als solche diskriminiert werden und andererseits ihre Religion ausüben dürfen. Beides ist im heutigen Deutschland, wie oben erklärt, im Grunde genommen schon gesichert.

    5. Sarkozy meint überhaupt, der französische Staat müsse sich für Sachen interessieren, die dort lange als tabu gegolten haben. Damit stellt er sich aber der republikanischen Idee in Frankreich entgegen (wie das zu bewerten ist, ist natürlich eine ganz andere Frage).

    6. Jetzt komme ich aufs Wichtigste: Wenn du diese Informationen für wesentlich hältst, warum sollten sie nicht als Argumentation für die von dir befürwortete Maßnahme verwendet werden? Etwa in Verbindung mit der von mir vorgeschlagenen Pro-Argumentation? Will sagen: Warum beim Formalen bleiben, wenn man auf solche Grundlagen zurückgreifen könne? Diese Frage ist doch der Punkt… Ob der Islam in Deutschland öffentlich-rechtlich etabliert werden soll oder nicht, ist hier eine Nebenfrage.

  3. Formal & Nebenfrage

    Lieber Yoav,

    schau, ich habe einfach ein grundsätzliches Problem damit, wenn Menschen (wieder) anfangen, bestimmte religiöse Minderheiten herauszupicken und zu fordern, diese als “fremd”, “nicht dazugehörig” zu definieren und schlechter zu behandeln als andere. Den Muslimen zu sagen, dass sie auch bei Erfüllung aller formalen Voraussetzungen keine Körperschaftsrechte bekommen können, die Christen und Juden für sich beanspruchen IST Diskriminierung und Ausgrenzung.

    Und zu meinem Neuen-Atheismus-Beitrag hat sich auch prompt schon ein Kommentator mit dem Vorschlag gemeldet, doch lieber die Vorrechte aller Religionsgemeinschaften zu streichen, womit auch Deine Hochschule und Dein Studiengang erledigt wären.

    Ich finde es immer wieder bedauerlich, wenn Menschen andere Menschengruppen versuchen abzuwerten und auszugrenzen. Ebensowenig, wie Juden oder Katholiken unter Generalverdacht gestellt werden dürfen (und beides ist in der deutschen Geschichte noch der letzten hundert Jahre geschehen!), so wenig haben dies die vier Millionen Muslime in unserem Land, davon eine knappe Hälfte deutscher Staatsangehöriger, verdient. Auch sie bilden längst keine “fremde” Religion mehr, sondern “sind Teil unseres Landes und unserer Zukunft”, wie es Bundesinnenminister Schäuble formuliert hat. Und ich würde mich freuen, wenn Du mehr Geschmack an Frieden und Dialog (gerade auch für Europa und Israel, mit seinen jeweiligen Minderheiten und Nachbarn) finden würdest, denn Ausgrenzung und Herablassung zwischen Anhängern verschiedener Religionen und Weltanschauungen gibt es auf diesem doch eher kleinen Planeten nun doch wahrlich genug…

    Schalom alechem

  4. @ Michael

    Ehrlich gesagt, finde ich, dass dein letzter Kommentar eher aus bodenlosen Vorwürfen besteht als aus intersubjektiv nachvollziehbaren Argumenten.

    Wenn du schon von Ausgrenzung und Herablassung sprichst, dann bitte ich dich, dies auch zu belegen.

    Ebenso darf ich dich abermals darum bitten, dass du begründest, warum die Nicht-Privilegierung des Islam unbedingt einer Diskriminierung gleichkomme, zumal die in Deutschland lebenden Muslime nicht an der freien Ausübung ihrer Religion gehindert werden.

    Was meine Sichtweise angeht, so bin ich der Meinung, dass der deutsche Nationalstaat sich nicht in das religiöse Leben einer jeden Familie einmischen soll. Insofern ist es egal, ob eine hier anwesende Familie sich zum Katholizismus, dem Islam, dem Buddhismus oder was auch immer bekennt. Dort aber, wo Deutschland über das Diskriminierungsverbot und die Freiheit der Religionsausübung hinausgehen will (was es als Staat gar nicht tun muss) und aus seinem Selbstverständnis als deutschem Nationalstaat heraus Interesse daran hat, zu bestimmten Konfessionen eine besondere Beziehung zu unterhalten, dort darf es Deutschland auch tun. Solange der Islam in keinster Weise darunter leidet, darf dieses Land einen christlichen (oder meinetwegen christlich-jüdischen) Charakter und keinen multikulturellen pflegen.

    Wenn ich hingegen deine Position zu Ende denke, stellt sich mir die Frage, warum Volksdeutsche, die etwa in Sibirien geboren sind und eigentlich keine Verwandten in Deutschland haben, Anspruch auf Einbürgerung haben sollen und ob das (aus deiner Sicht) nicht als Diskriminierung von Russen bzw. russischen Staatsbürgern sonstiger Volkszugehörigkeit zu bezeichnen wäre.

    Darum glaube ich – als Ausländer notabene -, dass man hier nicht nur die Rechte von Randgruppen, sondern genauso auch die Rechte der Einheimischen respektieren muss, deren Nationalstaat es ist. Und wenn Einbürgerungen dazu führen, dass Hinzugekommene glauben, man müsste den deutschen Nationalstaat in eine Art USA umgestalten, dann ist die Einbürgerungspolitik trotz aller Gastfreundlichkeit vielleicht doch neu zu überlegen.

  5. @ Thilo

    So kritisch ich die Haltung von Yoav zum Islam auch mit ihm diskutiere – ich finde es zutiefst verstörend, dass Du ihm als Juden ernsthaft vorwirfst, dass er sich kritisch-konstruktiv mit Formen des Holocaust-Gedenkens in Deutschland auseinandersetzt!?! Oder stört es Dich, dass ich mich in einer KZ-Gedenkstiftung engagiere?

    Bist Du wirklich der Meinung, Yoav darf sich nicht kritisch zu deutschen Formen des Holocaust-Gedenkens äußern? Oder was wirfst Du ihm denn nun vor? Willst Du mit Deinem Beitrag wirklich andeuten, er sei ein “Geist”, den man “loswerden” solle? Was soll das, Thilo?

    Ich bin mit Yoav in vielem nicht einer Meinung – aber hier in den Chronologs wird offen zwischen Menschen diskutiert und Geister weder beschworen noch “losgeworden”…

    * Kopfschüttelnde Grüße *

  6. Völlig korrekt, die Abschlussfrage. Aber auch naiv, von den Politikern zu erwarten, dass sie in einer sensiblen Frage ohne Not Farbe bekennen, wenn sie sich mit formalen Argumenten davon stehlen können.

  7. Diskriminierung

    Yoav wird unterstellt, er habe die Absicht, den Islam und seine Gläubigen zu diskriminieren. Er wiederum streitet dies mit dem einigermassen kuriosen Argument ab, eine Nichtprivilegierung sei keine Diskriminierung.

    Das Wort Diskriminierung leitet sich aus vom lateinischen “discriminare” ab und bedeutet soviel wie abgrenzen, abtrennen, unterscheiden.
    Diskriminierung ist entgegen dem Sprachgebrauch ein alltägliches und gewolltes Phänomen. Wenn ich als Schweizer in Deutschland lebe, dann habe ich kein Stimmrecht, werde somit diskriminiert.

    Seltsamerweise wird dies aber nicht so genannt. Warum ist das so ? Das Wort Diskriminierung wurde seinem eigentlichen Bedeutungsgehalt entledigt und als politischer Kampfbegriff etabliert. Dadurch ist der Begriff ” Diskriminierung ” so schwammig geworden, dass er als Schlagwort bezeichnet werden darf. Jeder, der behauptet, er wende sich gegen jede Form der Dikriminierung – ein Aussage, die oft von Politikern zu hören ist – ist entweder ein Heuchler, oder er versteht die eigentliche Bedeutung nicht und hält sich an die vielfältigen Konnotationen.

    Die Frage, schlicht und ergreifend gestellt, lautet : Soll der Islam als Glaubensgemeinschaft dem Christentum gleichgestellt werden ? Die Frage könnte auch lauten : Ist die BRD ein christliches Land, soll die BRD ein christliches Land bleiben ?

    Diese Frage ist aber schon lange beantwortet. Da sich die BRD wie eigentlich alle europäischen Staaten als ein säkularer Staat versteht, lautet die Antwort : Nein.

  8. Identität und Identifikation

    Die meistgehörte Position zum Islam in Europa ist, dass er in allen Belangen dem Christentum gleichgestellt sein soll, da die Staaten der EU sich als säkular verstehen.

    Der religiöse Glaube spielt in Europa nur mehr eine sehr bescheidene Rolle, und der Einfluss der Kirchen auf die politischen Entscheide ist gering. Aus der Sicht eines Atheisten ist der Glaube in einem säkularisierten Staat Privatsache und somit von geringem politischen Interesse. Problematisch wird die Beziehung des säkularen Staates zum Islam immer dann, wenn muslimische Protagonisten den Islam als politisch relevant verstehen und westlichen zivilreligiösen Dogmen widersprechen. Dann zeigt sich, dass die Toleranz eigentlich keine Toleranz, sondern vielmehr Idifferenz gegenüber den Religionen ist.
    Die scheinbare Toleranz dem Islam gegenüber ist an den Glauben gebunden, dass der Islam in Europa, so wie alle anderen Religionen, politisch irrelevant ist und bleibt. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass der Islam, anders als das Christentum, keinen Säkularisierungsprozess durchlaufen hat, so wie das Christentum, ausgelöst durch die französichen Revolution. Ob die Annahme eines unpolitischen Islams gerechtfertigt ist, wird sich in der Zukunft zeigen.

  9. @ Peter

    Ob Deutschland sich *wirklich* als säkularen Staat versteht, ist nicht so eindeutig, wie mancher meint. In diesem Zusammenhang darf ich nochmals auf die Präambel des GG hinweisen.

    Einen Punkt möchte ich aber aufgreifen:

    Wenn das Bekenntnis zum Islam in diesem Land (dessen Volk sich in anderen Traditionen verwurzelt sieht) Privatsache sein soll und sich zudem bereits nach den zurzeit gültigen Verhältnissen (etwa in Form von Vereinen) ungehindert entfalten darf: Wozu soll es noch der Gewährung der Rechtsstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bedürfen?

    Etliche Argumente hierfür kenne ich schon, aber um nichts vorwegzunehmen, warte ich deine Antwort ab.

    PS.
    Ich glaube, sowohl Michael als auch ich meinen bzw. verstehen “Diskriminierung” in diesem Zusammenhang als Benachteiligung.

  10. Das säkulare Europa

    Yoav : “Wenn das Bekenntnis zum Islam in diesem Land (dessen Volk sich in anderen Traditionen verwurzelt sieht) Privatsache sein soll und sich zudem bereits nach den zurzeit gültigen Verhältnissen (etwa in Form von Vereinen) ungehindert entfalten darf: Wozu soll es noch der Gewährung der Rechtsstellung als Körperschaft des öffentlichen Rechts bedürfen?”

    Dein Einwand ist nachvollziehbar, zeigt er doch, dass die Säkularisierung in der BRD nicht so konsequent erfolgte wie im idealtypischen Frankreich.

    Formaljuristisch ist die Antwort einfach : Der Rechtsursprung ist, das vermute ich mal, schon in der Weimarer Verfassung nachzulesen : “Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.” Somit ist, rein formaljuristisch betrachtet, die Rechtsstellung des Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausreichend begründet.

    Deine Kritik, ich unterstelle dir das mal, zielt aber nicht auf ( sowieso nicht vorhandene )formaljuristische Unzulänglichkeiten, sondern auf die Reduzierung der Fragestellungen auf ebendiese formaljuristischen Aspekte.

    Die Religion und ihre Glaubensinhalte prägten Gesellschaften und ihre Philosophien während Jahrhunderten. Der symbolträchtige Akt der Rechtsgleichstellung des Islam mit dem Christentum ist ein Bekenntnis.Es ist ein Bekenntnis zum Säkularismus.

    Damit reduziert sich die Frage, ob der Islam in der BRD rechtlich dem Christentum gleichgestellt werden soll, zu einer formaljuristischen.

    Ich selbst würde dem Islam die rechtliche Gleichstellung verweigern. Genau so wie ich türkisch nicht als Landessprache der Schweiz anzuerkennen gewillt bin. Ist es Diskriminierung ? Ja natürlich ist es Diskriminierung, ganz einfach deshalb, weil ich einen Unterschied zu machen gewillt bin.

    So wie die türkische Sprache nicht Teil der tradierten kulturellen Matrix der Schweiz ist, so ist es der Islam auch nicht.

    Was ich hier für die Schweiz beispielhaft anführe, ist ebenso auf die BRD übertragbar. Es ist aber nun nicht so, dass in der BRD oder in der Schweiz nicht eine kulturelle Matrix bestünde, in der sich der Islam zu integrieren hätte.

    Das – wie soll ich es nennen – das kulturelle Leitbild der BRD ist ein multikulturelles Leitbild, desssen als Toleranz gepriesene Haltung ich wie bereits erwähnt lediglich für Indifferenz halte. Dies wird dann deutlich, wenn islamische Protagonisten zivilreligiöse Dogmen nicht akzeptieren wollen und damit gesellschaftspolitische Relevanz beanspruchen. Als Beispiel mag der Imam in der Schweiz dienen, der sich auf den Koran beziehend, die körperliche Züchtigung der Ehefrau durch den Ehemann als rechtens verteidigte.

    Wie bereits gesagt : Die “Toleranz” des Multikulturalismus ist teilweise zumindest schlicht Indifferenz und hat nur solange Gültigkeit, wie die zivilreligiösen Dogmen, die einzig relevanten Glaubensdogmen in einer atheistischen Gesellschaft, nicht angetastet werden. Oder anders ausgedrückt : Die Toleranz den Religionen gegenüber ist die Toleranz gegenüber Phänomenen, die als gesellschaftspolitisch irrelevant betrachtet werden.

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