Die Banalisierung des Deutschen: Notizen zur deutschen Einheit

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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Nach langen Überlegungen bin ich zum Schluss gekommen, dass ich die deutsche Einheit doch nicht so toll finde.
 
Das ist natürlich nicht objektiv gemeint: Wer diesen Blog verfolgt, weiß schon, dass ich zur Geschichte überhaupt und insbesondere zu deutschen eine sehr romantische Einstellung habe. Also, natürlich wirkte sich der SED-Untergang sehr positiv auf zahlreiche Einzelpersonen. Aber der Zusammenbruch eines Regimes ist nicht gleichbedeutend mit dem Verschwinden eines Staates, auch wenn diese Entwicklung in diesem Fall aus wirtschaftlichen, vielleicht auch nationalen Gründen eher unausweichlich war. Und wenn ich vom Leben des Einzelnen absehe und diese Zäsur als Ganzes bewerte, muss ich dann sagen:
 
Dieses Verschwinden hat die deutsche Geschichte nunmehr furchtbar banalisiert, ja fast zu Tode normalisiert.

Seit seinen mittelalterlichen Anfängen stand dem Deutschen eine zentrale Rolle zu: Bei der Entstehung Europas war es der vermittelnde Faktor zwischen West und Ost, Alt und Neu, dem romanischen Kulturkreis und der slawischen Wildnis.

Was wäre aus dem Nordosten ohne die deutsche Hanse geworden? Ein jahrhundertelanges Projekt der Ausdehnung der Kultur, der Erweiterung Europas. Das erfolgreiche Ergebnis der mehrarmigen Ostsiedlung zeigte sich, als die ehemals wichtigsten Siedlungsgebiete tatsächlich in die EU integriert wurden.

In der Moderne war die deutsche Geschichte lange von der Spannung zwischen Viel- und Einstaatlichkeit, herausfordernder Vielschichtigkeit und verblödender Einfältigkeit. Nach dem drastischen Pendelschwingung hin zur Einstaatlichkeit im Dritten Reich, kam die entsprechende Auf- Zerteilung.

Auch dann behielt Deutschland seine gewohnte Position als Kristallisationspunkt des Geschichtsverlaufs: Mit der BRD und Westberlin als Vorposten des Westens, der DDR als Vorbild des Sozialismus und Österreich dazwischen als eine Art Mittelweg im Herzen Europas war Deutschland auf jeder »Party« dabei. Entsprechend tief gor damals das Deutsche – und »Deutschland« stand geopolitisch für den Zusammenprall der Kulturen schlechthin, lange bevor man auf die Idee kam, durch diesen Begriff Unkulturen mit Hochkulturen zu vergleichen.

In jenen Zeiten durfte sich Deutschland nicht ausruhen: auf den unglaublichen Rausch unter Hitler folgte kein süßer Schlaf, sondern eine mit der letzten Energie geführte Afterparty, die noch Jahrzehnte dauern musste. Entsprechend hochbeladen war seinerzeit die gespaltene Volksseele. Erst am nächsten Abend, gegen Ende des 20. Jahrhunderts, durfte Deutschland wieder ins Bett. Es kam die Wiedervereinigung und der kurze Glücksausbruch desjenigen, der sich nach schlaflosen Nächsten endlich hinlegen darf.

Das flüchtige Glücksgefühl ist inzwischen wieder dahin, erholt hat sich das Deutsche allerdings nicht. Die Tiefe und Komplexität, die es einst kennzeichneten, wurden mit einem Zangengriff zunichte gemacht.

Einerseits verschwand die Ostsiedlung, aus der sich seine Mehrdimensionalität gespeist hatte, fast gänzlich, ohne dass das reiche Erbe in der heutigen Republik erhalten bliebe; vielmehr wird alles inzwischen wieder gleichgeschaltet und reif gemacht für »Deutschland sucht den Superstar«.

Andererseits konsolidierte sich der Rest zu einem riesengroßen Einfaltsapparat, in dem nur noch verwaltet wird. Vertriebene? Museum. Holocaust? Mahnmal. Zuwanderung? Kursscheine. Kein Wunder, dass keine Kultur mehr entsteht, seitdem die Vorkriegsgeneration, die noch vom lebendigen Geist der deutschen Geschichte geprägt war, nicht mehr da ist.

Einst war das Deutsche eines der wichtigsten Momente in Europa, gleichsetzbar vielleicht mit dem Jüdischen. Heute entbehrt es jeglicher Besonderheit und wäre fast Polen, Ungarn oder Spanien gleich, wenn es den Holocaust nicht gäbe. Ja, der Holocaust, der wie Deutschland nur noch als der Schatten von sich selbst figuriert, als eine Parodie, in der sich die Deutschen wiedererkennen können, um auf etwas, irgendetwas, stolz zu sein.

Jeder Künstler weiß: Die Farben, Noten oder Buchstaben alleine reichen nicht, auch wenn sie reichlich vorhanden sind. Im Gegenteil: Erst die Engpässe bringen wirklich Wertvolles hervor. So war es einst auch hierzulande, als Deutschland sich zwischen Romanischem und Slawischem, zwischen Nord und Süd, Ost und West durchsetzen musste.

Das ist jetzt eigentlich alles vorbei. Den deutschen Landen geht es zu gut – daran würde wohl erst die unausweichliche, sich schon abzeichnende Auseinandersetzung mit den kulturfernen Gemeinschaften etwas ändern. Denn in dieser Herausforderung steckt dialektischerweise großes Revitalisierungspotenzial für die Deutschen, die dies noch sein möchten (auch darüber habe ich hier mehrmals geschrieben).

Zur gegenwärtigen Situation kann ich aber nur sagen:

Deutschland hat einen Kater.

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

4 Kommentare

  1. her mit den Aspirin

    Vielleicht ist es auch nur die Ruhe vor dem Sturm. Wir werden es erst hinterher wissen, und dann wird es auch Sinn machne.

  2. @Falk R

    Zustimmung.

    Wie? Man mich verstanden? Ich muß mich geirrt haben. Auf der Bestsellerliste zu stehen, ist beinahe ein Garant dafür, ein schlechtes Buch geschrieben zu haben. Die, die etwas zu sagen hatten, sind stets posthum geboren worden.

  3. @Falk R

    Ich weiß jetzt nicht genau, was Sie erläutert haben möchten. “posthum geboren werden” hätte ich wohl kursiv schreiben müssen. In die Fußstapfen eines Herren von und zu möchte ich nicht treten. “Posthum geboren werden” steht im Vorwort zu Nietzsches Buch Der Antichrist. Nietzsche geht davon aus, daß Ohren erst wachsen müssen, um überhaupt gehört werden zu können. Ja Nietzsche geht sogar in seiner Selbstanalyse so weit, daß auch der, der da schreibt, nicht gleichzusetzen ist mit dem, der da hört. So kann es also sein, daß spätere Generationen den Schreiber besser verstehen als der Schreiber sich selbst. Das zu Ihrem Kommentar: “Wir werden es erst hinterher wissen”

    P.S.
    Korrektur: Man hat mich verstanden?

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