Die Perfektion als Herausforderung und Gefahr
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Eine der größten Herausforderungen im heutigen Abendland ist wohl die uns umgebende Perfektion.
Hochglanzmonitoren erzeugen für uns perfekte Bilder, Grafikprogramme verwandeln subjektiv schöne Frauen in die perfekten Models, digitale Schriftarten sorgen für immer und immer wieder perfekte Buchstaben, Hi-Fi-Anlagen geben zuverlässig jedes Mal mit perfektem Klang unsere Lieblingsmusik wieder, Computer mischen in der Parfümindustrie perfekt abgestimmte Düfte zusammen – und zwar massenweise.
Unsere Sinne werden verwöhnt, unsere Psyche immer weiter verblendet und vergesslich für die sonstige Realität unserer Welt, die ja nach wie vor »analog« bleibt. Ist man zudem perfektionistisch veranlagt oder hat man einfach eine Schwäche für immer höhere Ansprüche, kann diese ständige Versuchung wohl auch gefährlich werden und zu Hindernissen im Alltagsleben führen.
Wie geht ihr damit um?
Das “perfekte” Bild…
schafft nicht der Monitor, sondern der Künstler. Die perfekte Frau wird man nie in Photoshop finden und der perfekte Klang ist schal im Vergleich mit dem Moshpit von Wacken.
All die Dinge, die du aufzählst, sind mächtige Werkzeuge, aber auch sie erschaffen keine Perfektion. Makellos vielleicht, aber “perfekt” ist eine Wertung, die sich im Kopf des Betrachters abspielt, und als solche nicht beliebig vermehrbar.
Die bemerkenswerten technischen Möglichkeiten können Perfektion weder erzeugen noch anderer Dinge Perfektion entwerten. Sie schaffen neue Möglichkeiten, aber sie zerstören die alten nicht. Unserer Aufnahmefähigkeit für diese Dinge berauben können wir uns nur selbst.
Übereinstimmung
Die Perfektion ist doch nur die Übereinstimmung von Istzustand und Sollzustand.
Eine hundertprozentige Übereinstimmung ist auf Grund der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation und der thermischen Molekularbewegung physikalisch unmöglich.
Perfektion am Morgen
Ich stand heute vor der Wahl, ob ich mit meinem perfekten (15 Jahre alten) Opel über die perfekten, absolut schlagloch- und staufreien Straßen zur Arbeit fahre, oder mich in die perfekt pünktliche Straßenbahn auf perfekt saubere, keineswegs kaugummi- und fußsohlenbeschmutzte und niemals auch nur ein bisschen aufgeschlitzte, und dazu auch noch perfekt wohlduftende Straßenbahn setze.
Ich entschied mich für Letzteres.
Aaahhh, welch ein Glücksgefühl, schon am frühen Morgen von so viel Perfektion umgeben zu sein. Es besteht allerdings die konkrete Gefahr, dass ich mich daran gewöhne, derartig verwöhnt zu werden.