Der Monotheismus: etwas anders betrachtet

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Kürzlich habe ich hier anhand eines Zitats von Dov Elbaum den Ansatz vorgestellt, laut dessen das Göttliche (oder das Numinose, um mit Rudolf Otto zu sprechen) sich in unseren Vorstellungen von demselben manifestiert und folglich mit diesen identisch ist. Nun möchte ich eine Frage aufgreifen, die dieser Ansatz bei mir berührt, nämlich jene des jüdischen Monotheismus.

Heben wir mit dem einfachen Sachverhalt an: Uns ist zunächst "Jahwe" bekannt, eine jüdische Gottheit. Früher war sie, d.h. er, nicht alleine da: Aus archäologischen Funden sind uns Ausdrücke bekannt wie "Jahwe und seine Aschera". Doch das ist alles schon lange her. Neben dem allmählich universalisierten Jahwe gibt es im jüdischen Diskurs, d.h. in der jüdischen Vorstellungswelt, seit langem keine anderen Gottheiten mehr. Heißt es nun, dass andere Völker aus jüdischer Sicht ihren Gottheiten den Rücken kehren müssen?

Als Gegenbeispiel können wir den heidenchristlichen Diskurs heranziehen: Sind die Vorstellungen von Jesu als Gottheit grundsätzlich "falsch"? Zeugen sie nicht vom Göttlichen und sind sie nur deswegen aus Elbaums Ansatz auszuschließen, weil sie dem jüdischen Diskurs, wie er sich seit Jahrtausenden entwickelt hat, widersprechen?

Meine Antwort lautet: Nein. Denn der jüdische Diskurs bezieht sich sinngemäß auf das jüdische Volk und auf die jüdische Gottheit, die sich mittels jüdischer Vorstellungen enthüllt. Für die Juden gibt es mithin eben nur diese Gottheit, aber das bedeutet nicht, dass die jüdische Wirklichkeit alles andere "annulliert".
 
Von zentraler Bedeutung ist hier also der Diskursbegriff: Göttliche Emanationen kommen in unseren (jüdischen, heidenchristlichen, hinduistischen) Vorstellungen zum Ausdruck. Unsere Vorstellungen existieren wiederum nicht im Vakuum, sondern speisen sich aus früheren Vorstellungen und wirken ihrerseits auf künftige ein. Das bedeutet: Die Vorstellungen vom Göttlichen formieren sich im Laufe der Zeit zu Diskursen, die sich langsam, aber ständig fortentwickeln. Diese Diskurse setzen sich jeweils ziemlich heterogen zusammen, doch unterscheiden sie sich auch umso klarer von anderen Diskursen. So sind etwa das Christentum und das Judentum, sprich: der christliche und der jüdische Diskurs, bei allen Gemeinsamkeiten doch eindeutig voneinander zu differenzieren (desgleichen die Unterdiskurse, etwa innerhalb des Christentums: der katholische, evangelische, syrisch-orthodoxe Diskurs usw. usf.).
 
Im Laufe der Geschichte, die ich in Anlehnung an Hegel als keine Chronik, sondern als eine fortlaufende, von uns stets zu interpretierende Selbstentfaltung des Göttlichen zu verstehen neige, hat sich der jüdische Diskurs in einer ziemlich monotheistischen Richtung entwickelt: Er duldet die mystische Aufteilung Jahwes in nicht weniger als zehn "Emanationen" einerseits und den humanistischen Atheismus andererseits, schließt jedoch die Anbetung fremder Gottheiten aus. Jüdische Gottesvorstellungen bewegen sich per definitionem innerhalb dieser Grenzen (wobei es natürlich nicht nur darauf ankommt, wie man sich selbst bezeichnet, sondern vor allem auch darauf, wie man von anderen Juden bzw in der jüdischen Öffentlichkeit verstanden wird, ob als Jude oder nicht).

Allerdings ist der jüdische Diskurs eben nur das, was er ist, nämlich ein lediglich jüdischer und kein internationaler bzw. globaler Diskurs. Die Existenz jüdischer Gottesvorstellungen und somit einer jüdischen Gottheit vermag also in meinen Augen noch nicht die Existenz fremder Vorstellungen bzw. fremder Gottheiten abzustreiten, auch wenn der jüdische Diskurs "monotheistisch" ist und eine Gottheit porträtiert, die einzig und allein über die Schöpfung herrscht.
 
Gibt es also andere Gottheiten als die jüdische? Ja, die Welt ist doch voller Menschen, die allerlei Gottheiten anbeten, die mit der jüdischen nicht identisch sind. Darum lautet meine Antwort: Ja, natürlich, wenn auch nicht für mich. Ich erwarte nämlich von gläubigen Juden, dass sie, wenn sie schon gläubig sind und Vorstellungen vom Göttlichen zu Eigen haben, sich mit diesen Vorstellungen innerhalb des jüdischen Diskurses bewegen. Von anderen Völkern erwarte ich hingegen gar nichts: Sie können nach wie vor ihre Gottheiten behalten, d.h. ihre Gottesvorstellungen (ob von Shiva, Allah, Baal, Hachiman, dem vergöttlichten Jesus usw. usf.)  – und Israel eben die seinige(n). Mit anderen Worten: Aus meiner Perspektive obliegt es uns nicht, sondern ist völlig der restlichen Welt überlassen, inwiefern die prophetischen Worte in Erfüllung gehen sollten und die ganze Welt sich zu Jahwe bekennen möchte.
 
Diesen wohl etwas verwirrenden Sachverhalt möchte ich mit einem Bild veranschaulichen. Der jüdische Diskurs kennt nämlich sehr gut die Metapher der Ehe, die die Beziehung zwischen Israel und seiner Gottheit beschreibt. So heißt es etwa in Hosea 2:21-22:

Ich will mich mit dir verloben für alle Ewigkeit, ich will mich mit dir verloben in Gerechtigkeit und Recht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ja, in Treue will ich mich mit dir verloben und du wirst den HERRN erkennen.

Das bedeutet, dass die jüdische Gottheit sich von vornherein dadurch kennzeichnet, dass sie eine alleinige Beziehung zu Israel führt und, so die jüdischen Gottesvorstellungen, von Israel dasselbe verlangt. Daher rührt die Charakterisierung der Beziehung mit diesen "romantischen" Begriffen. Aber hier muss man Folgendes bedenken: Eine Verlobung bzw. eine Ehe bedeutet nicht, dass es grundsätzlich keine anderen "Partner" gibt. Im Gegenteil: Man verlobt und verheiratet sich gerade deswegen, weil es auch andere "Partner" gibt. So soll Israel nicht deswegen keine anderen Gottheiten anbeten, weil es sie nicht gibt (in dem Fall hätte das Verbot ja keinen Sinn), sondern gerade deswegen, weil sie bei anderen Völkern, d.h. in deren sehr realen Vorstellungswelten bzw. Diskursen, tatsächlich existieren. Der Sinn der "Ehe" besteht also darin, dass es für das Ehepaar keine anderen Partner mehr gibt, d.h. für Israel keine anderen Gottheiten und für Jahwe kein anderes Völkchen. Über andere Völker und deren Gottheiten besagt die Beziehung zwischen Israel und seiner Gottheit hingegen nichts.
 
Tatsächlich interessiert sich der jüdische Diskurs – abgesehen von Randerscheinungen (wie etwa die Noachidischen Gebote) – kaum dafür, was für Götter in fremden Völkern angebetet werden. Wie ein guter Partner möchte das Judentum, soweit man eine verallgemeinernde Aussage über den jüdischen Diskurs machen kann, eigentlich nicht, dass die ganze Welt an der besonderen Beziehung zur jüdischen Gottheit teilnähme. Selbst die prophetischen Worte zur Endzeit werden (m. W. eigentlich ausnahmslos) dahin gehend interpretiert, dass die Völker der Welt sich zwar zu Jahwe bekennten, aber keineswegs selber Teil des jüdischen Volkes würden.
 
Anhand von Elbaums Ansatz, den ich hier einigermaßen weiterentwickelt habe, kann man also sowohl dem monotheistischen Diskurs des Judentums treu bleiben als auch die Eigenart und Existenzberechtigung fremder Kulturen wahrnehmen. Und so wie ich es sehe, ist beides tatsächlich durcheinander bedingt: Nur wenn Israel – bei allen guten Kontakten und aller gegenseitigen Befruchtung – die Fremden unterm Strich bei ihrer Fremdheit und ihren fremden Gottheiten lässt, bleibt seine eigene Kultur und insbesondere die exklusive Beziehung zu seiner Gottheit unversehrt.

Jedes Volk und sein Diskurs, jedes Volk und sein Kult, jedes Volk und seine Gottheit(en) – ganz nach dem Sprichwort: Good fences make good neighbours.

Soweit diesmal; im nächsten Beitrag möchte ich erklären, was das in Bezug auf Kulturen bedeuten kann, die oft – wenn auch eher zu Unrecht – mit dem Judentum im selben Atemzug genannt werden, nämlich das Heidenchristentum und der Islam.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

8 Kommentare

  1. Als Polytheist bin etwas überrascht,

    obwohl ich mich längst von der nicht nur bei “Neuheiden” weit verbreiteten Vorstellung frei gemacht habe, dass Monotheimus ohne “Missionsbefehl” nicht funktioniert – schließlich missioniert das Judentum schon lange nicht mehr.

    Ich habe mich oft darüber gewundert, dass in der Bibel ausdrücklich vor der Verehrung fremder Götter gewarnt wird, obwohl es, so wie ich bisher den Monotheismus verstand, für einen Monotheisten einfach nur einen Gott gibt. (Das wäre zwar unlogisch, aber da auch mein eigener Polytheismus ist logisch nicht zu rechtfertigen ist – würde ich konsequent logisch denken, wäre ich Agnostiker.) Wobei nach meiner sprirituelle Auffassung (die ich nicht Religion nenne)die Frage nach den tatsächlichen Existenz (im Sinne eines Gottes- oder Götterbeweises etwa) meiner Götter völlig gleichgültig ist, es reicht aus, dass ich mir Vorstelle, dass es sie gibt und das sie “funktionieren”.

    Womit eine friedlichen Koexistenz zwischen Juden und Asatruar nicht entgegen stehen dürfte – außer “nur” dem leider bei den Freunden germanischer Götter weit verbreiteten (und meist bestrittenen) Antisemitismus.

  2. @ Martin

    Hi Martin,

    1.

    wie oben angedeutet, war Jahwe zunächst eine ganz normale Stammesgottheit, die auf einen engen Zusammenhang von Volk und Land “beschränkt” war und erst im Laufe der Zeit universalisiert wurde. Allerdings war es eine rein geographische Universalisierung: Jahwes “Kompetenzenbereich” umfasste nunmehr die ganze Welt, aber Jahwe selbst war nach wie vor an ein spezifisches Volk gebunden. Es entstand eine Art Pyramide, die seitdem gleichsam auf dem Kopf steht. Mehr dazu findest du hier: http://www.chronologs.de/…g-ttliche-geburtswehen

    Unterm Strich bedeutet das, dass der Umgang Israels, das ja selbst unterschiedliche Kultformen durchlief, mit Fremden im Laufe der Geschichte nicht so sehr durch den Glauben der Letzteren, sondern in erster Linie durch deren Volkszugehörigkeit bestimmt war (was normalerweise, d.h. bis auf das Heidenchristentum und den Islam, sowieso sehr eng miteinander zusammenhing). Bis auf bestimmte Regelungen, die den Kult im eigenen Land betreffen (und von Israel selbst nur relativ selten “eingehalten” wurden), hatte Israel eigentlich nie ein Problem damit, dass andere Völker ihre fremden Gottheiten anbeten. Im Gegenteil: Das war (und ist) der Normalfall.

    Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass dem hochantiken Israel Anbeter nordischer Götter begegneten, nämlich als Soldaten im Dienst des römischen Kaisers, die Judäa ja mehrmals plünderten und vernichteten. Selbstverständlich wurden jene Germanen gehasst, aber bei diesem Hass spielte ihr fremder Kult eine bestenfalls zweitrangige Rolle.

    2.

    Nach meinem Verständnis des Ansatzes von Elbaum, den ich in einem früheren Text vorgestellt habe (s. hier: http://www.chronologs.de/…st-gott-unver-nderlich), gibt es keine wesentliche Differenz zwischen unseren Vorstellungen vom Göttlichen und dessen tatsächlicher Existenz. Unsere Vorstellungen *sind* die tatsächliche Existenz des Göttlichen, das sich in eben diesen Vorstellungen manifestiert.

    Zur Veranschaulichung des Ansatzes (oder zumindest meines Verständnisses hiervon) kann ich folgendes Beispiel geben: Auch “Europa” ist ja – im geographischen, kulturellen oder politischen Sinne – nur eine Vorstellung, die die Natur, also die physische Welt der Atome und Moleküle, keineswegs kennt. Und dennoch existiert Europa! …aber eben nur deswegen, weil es seit geraumer Zeit Menschenmassen gibt, die sich (in sich stets verändernden Bedeutungen) ein “Europa” vorstellen.

    Vorstellungswelten stehen nämlich keineswegs in Opposition zur realen Welt, sondern bilden bei den Menschen (wenn auch nicht bei Katzen, Pferden etc.) – neben der physischen Welt – einen ganz wesentlichen Teil der realen Welt der jeweiligen Menschengruppe.

    Genauso wie “Europa” existieren also auch “Jahwe” oder “Shiva” – für meine Katze überhaupt nicht, doch in der Welt der Menschen sind sie durchaus real. Das trifft natürlich auch auf Odin zu, wobei man stets auch den quantitativen Aspekt bedenken muss (Odins Existenz scheint dann a bissl verschwommener zu sein als Shivas).

  3. Gefängnis

    Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist Ihre Religion bzw. Monotheismus für Sie ein selbstgewähltes Gefängnis, in welches Sie sich selbst einsperren.

  4. @ Richard

    Das kann man wohl auch so sehen. In dem Fall bildet der Monotheismus von seiner Beschaffenheit her ein “Gefängnis”.

    Nun ist es aber so, wie es nach jahrtausendelanger Geschichte geworden ist, nämlich, dass es in Israel nur eine “anerkannte” Gottheit gibt. Daher ist es unmöglich, wenn man schon gläubig ist, eine andere Gottheit statt oder auch nur neben Jahwe anzubeten. Der jüdische Diskurs enthält seit Beginn der Moderne auch Atheisten (etwa Kommunisten), die die Existenz Jahwes ganz und gar abstreiten, aber nach wie vor keine Anbetung fremder (oder vor Jahrtausenden fremd gewordener) Gottheiten. Das ist auch im jüdischen Rückkehrgesetz so geregelt.

    Ist das ein “Gefängnis”? Wie gesagt, das kann man wohl auch so sehen. Nur, wenn schon ein Gefängnis, dann es ist aus meiner Sicht immerhin besser, den “Geltungsbereich” dieses Gefängnisses nur auf das eigene Volk zu beziehen und nicht, wie es etwa die monotheistischen Weltreligionen tun, auf die ganze Welt, die folglich, wie etwa im Fall der überzeugten Anhänger des Islam, quasi “gefangen genommen” werden sollte.

  5. Zunächst und wie schon beim letzten Mal gesagt: Ich sehe durchaus die von dir herausgearbeiteten Vorzüge eines solchen Konzepts – dennoch bleibt bei mir so manches Unbehagen. Ich greife mal einen Punkt heraus: Wenn ich richtig verstehe, konzipierst du Religion als ein Nebeneinander differenter Diskurse, in denen je spezifische (jüdische, christliche etc.) Gottesvorstellungen verhandelt werden – ohne dass hiervon die Geltungsansprüche religiöser Paralleldiskurse (also z.B. eines hinduistischen Diskurses) berührt würden. Verbinden sich mit der jüdischen Gottesvorstellung (und mit der christlichen übrigens ebenso) aber nicht doch universale Geltungsansprüche, die mit einem solchen Modell letztlich unverträglich sein müssen? Anders gesagt: Für eine Gottesvorstellung im Sinne der Monolatrie mag ein solches Nebeneinander ja gut angehen; wo aber Gott im Sinne eines strikten Monotheismus, als universaler Schöpfer und „Herr der Welt“ gedacht wird, scheinen mir damit doch Ansprüche angemeldet, die über eine solche Diskursschranke hinausreichen. Die von dir angesprochenen prophetischen Endzeittexte („Völkerwallfahrt“ etc.) scheinen mir dafür ein gutes Beispiel: Hier mag nun tatsächlich, wie du sagst, nicht daran gedacht sein, dass die Heidenvölker „Teil des jüdischen Volkes“ würden, sehrwohl aber, dass sie JHWH als den einen Gott anerkennen – das aber heißt doch (in der von dir vorgeschlagenen Terminologie gesagt), dass sie genau in den „jüdischen Diskurs“ eintreten, sich den „jüdischen Diskurs“ bzw. sein Grundthema aneignen und ihren bisherigen „heidnischen“ Diskurs aufgeben (oder eben im Sinne des jüdischen Monotheismus fortentwickeln). Eine solche universale Geltung steht unter gegenwärtigen Bedingungen meinetwegen unter einem „eschatologischen Vorbehalt“, d.h. die nicht-monotheistischen „Heiden-Diskurse“ haben gegenwärtig eine vorläufige Berechtigung und man kann, nämlich kraft dieser eschatologischen Distanz, heute als „good neighbours“ leben – aber es ist dann eben doch nur eine vorläufige Berechtigung, die letztlich (prophetisch gedacht) auf den monotheistischen Diskurs hingeordnet bleibt, dem der Gläubige also doch übergeordnete (nämlich: „globale“) Geltungsansprüche zuerkennt, und zwar eben nicht nur für sich, sondern (zumindest in eschatologischer Perspektive) auch für die (alle?) anderen. Besagt aber insofern der jüdische Diskurs nicht doch sehrwohl auch etwas „über andere Völker und deren Gottheiten“, nämlich v.a.: deren Vorläufigkeit – sodass das Ganze, in the long run quasi, doch wieder auf „Annullierung“ dieser anderen Vorstellungen hinauslaufen muss?

  6. @ Christopher

    Danke für deine ernste Fragestellung. Wenn ich dich recht verstanden habe, fragst du mich eigentlich, ob der jüdische Diskurs keine “latente” Intoleranz aufweist, die sich in der biblischen Endzeitprophetie manifestiert. Ich gehe in einem gesonderten Beitrag darauf ein.

  7. Die jüdische Religion missioniert nicht?

    Es wurde von verschiedenen Leuten hier auf dem Blog

    (etwa von Alex hier:

    http://www.chronologs.de/…ael-und-seine-gottheit )

    wie selbstverständlich unterstellt, daß das jüdische Volk per se (?) keine Mission betreiben würde. – Stimmt denn das?

    Es ist keineswegs so, daß die jüdische Religion per se eine Religion wäre, die nicht missionieren würde. Sind Jesus und seine Jünger, Paulus und eine große Anzahl der Adressaten der Apostelbriefe etwa Nichtjuden? Wenn man etwa die Diskussionen um die “Bibel in gerechter Sprache” liest (siehe etwa Micha Brumlik hier
    http://www.fr-online.de/…on/?em_cnt=1159917&
    und andere),
    dann haben sehr wohl sehr viele Menschen die Ansicht, daß Jesus niemals anders als ein ganz normaler Rabbiner gesprochen hat. Und daß er auch ganz im Sinne der jüdischen Religion gesprochen hat.
    Die kaiserlichen Gesetzbücher des Römischen Reiches sind voll von Gesetzen gegen die Missionierung zum Judentum, gegen Beschneidung nichtjüdischer Sklaven durch Juden und viele ähnliche Dinge mehr.

    Der Isalm und das Christentum wären gar nicht entstanden, wenn es in der damaligen Zeit nicht eine so umfangreiche Missionierung von Nichtjuden durch Juden gegeben hätte. Das waren die damals so genannten “Proselyten”.

    Daß die Juden auf Missionierung zu ihrem eigenen Gott verzichten, seitdem diese nichtjüdischen Jahweh-Anhänger (also die Christen und die Moslems) ihnen das in großem Umfang abgenommen haben – mit brachialen Mitteln -, und seitdem auch die Freidenker unter ihnen zusammen mit vielen Juden als Freimaurer weiter – zumindest symbolisch – an der “Wiedererrichtung des Tempels Salomos in Jerusalem” arbeiten (und dabei einen “großen Baumeister aller Welten” anpreisen), denke ich, wird man nicht als einen Widerspruch zu dem jüdischen Verhalten in der Spätantike erachten.

    Historiker wie Juri Slezkine und andere machen außerdem sehr richtig darauf aufmerksam, daß auch sonst Juden keineswegs aufgehört hätten, “moral entrepreneurs” für Nichtjuden zu sein. Das war schon ein Gebot des Selbstschutzes. (Denn um so mehr man Einfluß nehmen konnte auf die moralischen Vorstellungen der nichtjüdischen Völker, um so mehr konnte man sich vor Übergriffen ihrerseits schützen.)

    Interessanterweise ist einem kaum ein Jude bekannt, der es versucht hätte, Nichtjuden NICHTjüdische Religionen und Götter anzupreisen. Es sind aber kulturgeschichtlich andererseits auffallend viele Juden bekannt, darunter auch sehr viele Rabbinersöhne, die den Menschen Atheismus angepriesen haben oder anpreisen.

    Man kann auch letzteres als einen sehr auffälliger Befund erachten. Und die Beachtung dieser Umstände werden manches ergänzen und verdeutlichen können, was Christopher und Yoav hier erörtern.

  8. @ I.

    Hallo I.,

    Entschuldigung, dass meine Antwort sich so lange verzögert hat.

    Ja, das hochantike Israel und insb. die Hasmonäer “missionierten”, aber nicht so sehr im religiösen Sinne (überhaupt war damals die Kult- kaum von der Volksgemeinschaft zu trennen), sondern eher im politischen Sinne (wobei natürlich sowohl das Religiöse als auch das Politische in diesem Zusammenhang Anachronismen sind).

    Die Hasmonäer hatten nämlich demographische Besorgnisse und wollten das kleine Israel, das erst neulich wieder eigenständig geworden war, durch Expansion verstärken. Darum sollten damals etwa die Edomiter im israelischen Volk aufgehen bzw. “eingejüdischt (im Sinne von “eingedeutscht”) werden, was nun mal auch die Annahme des israelischen Kultes bedeutete. Den jüdischen “Monotheismus” – natürlich auch ein Anachronismus! – an sich in alle Himmelsrichtungen zu verbreiten, interessierte die Hasmonäer überhaupt nicht.

    Es ging also darum, dass die “Dazugewonnenen” Teil Israels werden, und erst in diesem Zusammenhang notwendigerweise auch um den israelischen Kult, mit dem sich die Zugehörigkeit zu Israel vollzog. Ob das sich als “Mission” im üblichen, d.h. rein religiösen Sinne bezeichnet lässt, ist wohl eine Frage der jeweils subjektiven Perspektive.

    Jesus schwebte wohl noch kein Missionsbefehl vor, wie dieser später in die synoptischen Evangelien aufgenommen wurde. Der große Wandel ereignete sich erst mit Saul/Paulus, dem es nicht mehr ums Volk ging, sondern um eine Glaubensgemeinschaft. Etwas ganz Neues erfand er tatsächlich nicht, aber die Prioritätensetzung war bei ihm anders als bis dahin. Der Islam hat diesen Ansatz übers Heidenchristentum ererbt und “weiterentwickelt”.

    Das mit der Sklavenbeschneidung lässt nun nicht auf missionarische Bestrebungen im Römischen Reich schließen; es handelt sich einfach um ein Gebot, das zu jenem Zeitpunkt schon längst im “Kanon” stand, nämlich im Pentateuch (vgl. Gen. 17). Es war also nicht so, dass Israel damals alle hätte beschneiden wollen, die man nur dazu hätte bringen können, worunter nun mal auch die eigenen Sklaven gefallen wären; sondern umgekehrt: Voraussetzung für die Beschneidung war die Zugehörigkeit zum jüdischen Haushalt. Besonders tolerant war es aus unserer Sicht wohl nicht, aber mit einem biblischen “Missionsbefehl” hat es noch nichts zu tun.

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