Das Hofburgtheater: Ein deutsches Theater?

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Das Wiener HofburgtheaterIst das Wiener Hofburgtheater ein nur "deutschsprachiges"? Und welche Problematik steckt in seiner Fassade? Eine kurze Analyse seiner repräsentativen Architektur – und ein Erklärungsversuch.

Die zentrale Stelle an der dreiseitigen Fassade des nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebauten bzw. restaurierten Burgtheaters in Wien besetzen die Büsten (v. l. n. r.) Lessings, Goethes und Schillers. Am linken Seitenflügel der Fassade sind Calderón, Shakespeare und Molière, am rechten Seitenflügel Hebbel, Grillparzer und Friedrich Halm abgebildet. Im Mittelpunkt befinden sich also drei sehr berühmte Deutsche aus dem nichtösterreichischen Raum; links drei fremdsprachige Ausländer; und rechts zwei Österreicher – Halm wurde im damals kurzfristig habsburgischen Krakau geboren und wuchs schon in Wien auf – sowie ein Norddeutscher (Friedrich Hebbel), der zwar aus Holstein stammte und als dänischer Untertan geboren wurde, aber immerhin die zweite Hälfte seines Erwachsenen- und Berufslebens in Wien verbrachte und in diesem Zusammenhang offensichtlich als Örtlicher eingestuft und somit als Österreicher erachtet wird.

In Anbetracht der zahlreichen Bemühungen, das Nachkriegsösterreich sogar in sprachlicher Hinsicht von Deutschland abzugrenzen, erscheint es eher merkwürdig, dass im Mittelpunkt der Fassade des wohl wichtigsten Theaters in Österreich gerade drei nichtösterreichischen Deutschen eine solche Ehre erwiesen wird. Läge es nicht näher, die Büsten der drei (anachronistisch betrachtet) "Reichsdeutschen" an den weniger sichtbaren rechten Seitenflügel zu verlegen, wo sie – dem Narrativ der Zweiten Republik entsprechend – mit den drei Ausländern am linken Seitenflügel korrespondieren und gleichgesetzt werden würden? Und wäre es nicht zu erwarten, dass gerade die österreichischen Dichter, die tatsächlich in Wien tätig waren, nach vorne gebracht würden?

Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass sich auch im Falle des restaurierten, nach 1945 eigentlich wiederaufgebauten Burgtheaters die Tendenz zur Entkontextualisierung manifestiert. Nur scheinbar könnte damit die "Verösterreichischung" des aus dem holsteinischen Dithmarschen gebürtigen Hebbel erklärt werden. Noch weniger trifft dieser Erklärungsansatz auf die anderen Schwierigkeiten zu, welche die Fassade aufweist: Eine entkontextualisierte Aneignung der drei "Titanen" deutscher Dichtung wäre einfach zu weit hergeholt, um irgendwie noch hingenommen werden zu können. Zudem wäre damit die ausgesprochene Marginalisierung der zwei bzw. drei Österreicher kaum erklärt.

Es kann jedoch sein, dass die Grenzen gar nicht so klar verlaufen, wie die Political Correctness es suggeriert. Denn womöglich sind die Büsten der drei deutschen Dichter gerade in Wien am Platze: Sie wurden ja alle im Alten Reich geboren; dort und damals – weder in der Zweiten Republik noch in der BRD – wuchsen sie auf, studierten und arbeiteten sie an ihren Texten; zwei von ihnen, nämlich Lessing und Schiller, starben noch in diesem Reich, dessen Bedeutung zwar längst verschwommen war, das aber weit länger bestand als alle anderen politischen Gefüge im deutschsprachigen Mitteleuropa – einschließlich der heutigen. Wenn diese Dichter an Deutschland dachten und in ihren kanonischen Texten darüber schrieben, stellten sie sich nichts anderes vor als dieses erste, für sie eben noch einzige Reich, dessen damalige Kaiser in Wien residierten. Gäbe es für ihre so repräsentativen Büsten eine bessere Lage als den Mittelpunkt der restaurierten Fassade des wichtigsten Theaters dieser ehemaligen Residenzstadt?

Es gibt wohl keinen, der das vergleichsweise recht provinzielle Weimar ernsthaft in eine solche Konkurrenz ziehen ließe. Die eigentliche Frage lautet also nicht, was die drei Deutschen an dieser Stelle zu suchen haben, sondern wie plausibel das Selbstverständnis der Zweiten Republik sein kann, wenn es die Fassade des repräsentativsten Theaters dieser Republik so erklärungsbedürftig erscheinen lässt. An diesem Beispiel wird erkennbar, dass das heute bereits weit verbreitete Vorstellung von Österreich als einem Nationalstaat, der "Deutschland" gegenüberzustellen ist, eine noch relativ junge Erscheinung ist, die in der Nachkriegszeit erst im Keimen begriffen war.

In der Ersten Republik, die noch als "zweiter deutscher Staat" verstanden wurde, konnte sich diese Vorstellung nicht durchsetzen (man denke etwa an die geplante deutsch-österreichische Zollunion 1931). Erst durch die Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg gewann sie an Anziehungskraft: Angesichts des militärischen Verlustes und der Angst vor dem drohenden Schicksal der Deutschen erschien die Vorstellung von einem streng abgegrenzten, "nichtdeutschen" Österreich nunmehr sehr nützlich. Der politisch bedingte Wille zur Distanzierung von Deutschland war so groß, dass Felix Hurdes, der erste Bundesminister für Unterricht, die Schulfachbezeichnung "Deutsch" durch "Unterrichtssprache" ersetzen ließ. Aus dieser anfänglichen Not ist im Laufe der Zeit ein neues Selbstverständnis entstanden, das auch rückwirkend angewandt und in die Vergangenheit hineinprojiziert wurde – und eigentlich noch immer wird. Wie tragfähig dieses Narrativ ist, kann man an der Fassade des Burgtheaters ablesen: Österreich ist zwar von der BRD abgegrenzt, doch ins überstaatliche Deutschlanderbe findet es sich nach wie vor verwoben.

Vor diesem Hintergrund wird nun erklärlich, warum auch im scheinbar klaren Fall des als dänischer Untertan geborenen Hebbel doch nicht von Entkontextualisierung die Rede sein kann: Ende des 19. Jahrhundert, als das Hofburgtheater am Wiener Ring erbaut wurde, war Hebbels Heimat schon unter deutscher, eigentlich preußischer Herrschaft, nachdem österreichische und preußische Truppen im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Sachsen-Lauenburg erobert hatten. Zudem gab es im damals kaiserlich-königlichen Wien noch keine Abgrenzungswünsche; selbst die preußisch-österreichische Rivalität war inzwischen durch den Zweibund überwunden. Daher stellte die Zuordnung Hebbels zu den Wiener Dichtern trotz dessen holsteinischer Herkunft m. E. gar nicht das Problem dar, das man darin aus heutiger Sicht erblicken mag.

Nun kann man also zusammenfassend sagen, dass die Fassade des Burgtheaters dreierlei Ehrerbietung aufweist: in nationaler Hinsicht an die "gesamtdeutschen" bzw. schlicht deutschen Dichter im Mittelteil; in regionaler Hinsicht an die Wiener Dichter am rechten Seitenflügel; und schließlich auch in europäischer, damals eigentlich globaler Hinsicht an die ausländischen, anderssprachigen Dichter am linken Seitenflügel.

Damit manifestiert die Fassade gerade in der Zeit nach 1945 bzw. seit der Restauration dieses wichtigen Gebäudes die ganze Problematik Deutschlands, aber zugleich auch, mit welch "edler Einfalt" dieser Gordische Knoten sich lösen lässt. Denn das Burgtheater – genauso wie das Ostalpenland, das es repräsentativ verkörpert – ist nicht nur österreichisch und europäisch, sondern dazwischen nun mal auch deutsch, so einfach und offensichtlich einerseits, jedoch so bedeutungsvoll andererseits diese Eigenschaft ist. Jede Bestrebung, sich von diesem breiten, natürlichen Zusammenhang abzuschotten, würde bestenfalls in selbstverschuldeter Provinzialität münden – und das wäre nicht nur für Österreich, sondern vor allem auch für das Hofburgtheater unwürdig.

 

 

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www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

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