Unter dem Damoklesschwert

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Gastbeitrag von Benjamin von Brackel

Die Verhandler auf der UN-Klimakonferenz in Warschau wollen verhindern, dass eine Debatte über die fehlenden Abstimmungsregeln den Gipfel lähmt und ein Klimaschutzabkommen 2015 in weite Ferne rückt. Russland, das die Debatte im Frühjahr angestoßen hatte, wird derzeit in informellen Gesprächen vor Ort bearbeitet.

Abdullah bin Hamad Al-Attiya, der Konferenzpräsident der COP 18 in Doha, beendete den Klimagipfel 2012 überraschend schnell mit dem "Durchhämmern " der Beschlüsse. Foto: Benjamin von Brackel
Abdullah bin Hamad Al-Attiya, der Konferenzpräsident der COP 18 in Doha, beendete den Klimagipfel 2012 überraschend schnell mit dem “Durchhämmern ” der Beschlüsse. Foto: Benjamin von Brackel

Denn noch immer fehlen Regeln, wie auf den UN-Klimagipfeln abzustimmen ist. Weil sich Russland in Doha 2012 vom katarischen Verhandlungsführer übergangen  gefühlt hatte, der den Holzhammer gesenkt und den Gipfel beendet hatte, ohne noch auf die Einwände Russlands zu warten, hatte das Mitglied des UN-Sicherheitsrats auf der Frühjahreskonferenz in Bonn einen Verhandlungsstrang blockiert und angekündigt, unter Umständen sich auch in Warschau quer zu stellen.

Das wollen Verhandler aus den EU, der Schweiz, den Inselstaaten und Afrika, aber auch Mexiko unter allen Umständen verhindern. In informellen Gesprächen während des UN-Klimagipfels in Warschau versuchen Delegierte, auf die Bedenken Russlands einzugehen und sie zu überzeugen, nicht das große Fass aufzumachen. Präsentiert werden die Ergebnisse in der zweiten Verhandlungswoche.

Doch die Ungewissheit bleibt, solange klare Regeln fehlen. 1992 hatte Saudi Arabien noch im Vorlauf des ersten UN-Klimagipfels in Berlin eine Annahme der Abstimmungsregeln blockiert. Konkret ging es um den Artikel 42 der Rules of Procedures, der mehrere Abstimmungsoptionen vorsieht. Um dieses rechtliche Vakuum zu umschiffen, hat sich das Konsensprinzip als ungeschriebenes Gesetz eingebürgert – zunächst für eine Übergangszeit, dann auf Dauer: “Wenn niemand die Hand hebt, oder einen Knopf drückt, gilt das als Zustimmung”, erklärte Marilyn Averill von der University of Colorado Boulder während einer Nebenveranstaltung zum Thema Rahmenwerk der UN-Klimaverhandlungen auf dem UN-Klimagipfel in Warschau am Mittwoch. “Die Entscheidung kann unabhängig von unterschiedlichen Meinungen gefällt werden, es darf nur niemand offiziell Einspruch erheben.” Ein Vabanquespiel für jeden Verhandlungsführer – er muss ein feines Gespür dafür haben, wann die Verhandler bereit für eine Entscheidung sind. Einem Veranstaltungsteilnehmer gelang ein treffender Vergleich: “Es ist wie ein Damoklesschwert”, sagte er, “die Abstimmung hängt über unseren Köpfen, aber wird nicht angewendet.”

Marilyn Averill von der University of Colorado Boulder. Foto: Benjamin von Brackel
Marilyn Averill von der University of Colorado Boulder. Foto: Benjamin von Brackel

Alternativen gibt es rein theoretisch viele, etwa Abstimmungen mit Mehrheit, qualifizierter Mehrheit oder Einstimmigkeit; auch könnten bestimmte Ländergruppen mehr Stimmen bekommen als andere. Oder es könnten je nach Sachlage verschiedene Abstimmungsregeln gelten – etwa in den heiklen Finanzfragen nach wie vor das Konsensprinzip, in technischen Fragen hingegen das Mehrheitsprinzip. Wohl keines dieser Modelle hat aber eine Chance auf baldige Realisierung. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass die USA einem System zustimmen, das sie an Mehrheitsentscheidungen bindet”, sagte Averill.

Zumindest nicht bis 2015, wenn in Paris ein globales Klimaschutzabkommen beschlossen werden soll. Sollte dieses jedoch scheitern sieht die Situation wieder anders aus. “Wenn in Paris kein Abkommen zustande kommt, sehe ich eine Chance, dass das als Katalysator für eine Veränderung in den Abstimmungsregeln dienen könnte”, sagte Luke Kemp von der Australia National University. Dann könnte ein eigener Klimagipfel sich nur um dieses Thema kümmern.

Marilyn Averill ist da skeptisch: “Ich glaube, dass nicht die Prozeduren das Problem sind”, sagt die Anwältin und Expertin für internationale Umweltsteuerung. “Das Problem ist schlicht, dass sich die teilnehmenden Staaten in vielen Punkten inhaltlich nicht einig sind.” Unter den Staaten fehle das gegenseitige Vertrauen, das Mehrheitsentscheidungen erst möglich machen würde. Deshalb hält sie es auch für unwahrscheinlich, dass sich die Welt 2015 auf ein Klimaabkommen einigt. Averill setzt vielmehr auf bilaterale Verhandlungen zwischen den beiden mit Abstand größten Emittenten von Treibhausgasen: den USA und China.

2 Kommentare

  1. Die tieferen klimapolitischen Absichten der grossen Wirtschaftskräfte USA und China sind wohl in der langen Frist entscheidend sowohl für diese Länder selber als auch für die von ihnen abhängigen Länder.
    Verhandlungen zwischen souveränen Ländern werden aber auch – unabhängig vom Thema – von den beteiligten Ländern als Chancen gesehen, etwas für das eigene Land herauszuholen. Das allein schon – die Chance eines Verhandlungserfolgs für einen selbst – ist ein Grund Verhandlungen über einen Themenbereich aufrechzuerhalten, unabhägig davon ob man an einen langfristigen Erfolg glaubt. Deshalb darf man aus der langen Geschichte der Klimaverhandlungen nicht schliessen, die beteiligten Länder seien an Klimapolitik interessiert, es seien nur Verfahrensfragen und andere widrige Umstände dafür verantwortlich, dass die Resultate bis jetzt bescheiden seien.
    Aus klimapolitischer Sicht wäre es am besten, wenn die Hauptemittenten von CO2 zum Schluss kämen, das CO2-Problem müsse wirklich von ihnen selber angegangen werden, aber man müsse die Gelegenheit auch dazu benutzen, die eigene Machtstellung zu stärken und das gelänge dann über die Klimaverhandlungen.

  2. Unter den Staaten fehle das gegenseitige Vertrauen, das Mehrheitsentscheidungen erst möglich machen würde.

    Es fehlt an gemeinsamen Werten, in der UN sind sehr unterschiedliche Gesellschafts- oder Herrschaftssysteme vertreten. Die Idee einer UN-Demokratie ist insofern niedlich.

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