Ökonomische Bewertung der Natur – die Wurzel alles Bösen?

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Ein Gastbeitrag von Bartosz Bartkowski, Doktorand im Department Ökonomie des UFZ

Die ökonomische Bewertung von Ökosystemen und ihren Dienstleistungen erregt regelmäßig die Gemüter. Sei es in Fachzeitschriften, sei es auf Konferenzen (z.B. der degrowth-Konferenz im September 2014 in Leipzig) oder in einschlägigen Medien. Die Liste der Vorwürfe ist lang und divers. Einige sind berechtigt und sollten ernst genommen werden, andere fußen auf Unverständnis der Methode und überzeichnen mittels konstruierter Implikationen und vermuteter Folgen. Im Folgenden möchte ich nur auf einige Vorwürfe eingehen, um zu skizzieren, was ökonomische Bewertung ist und was sie aus meiner Sicht nicht ist.

Die Ökonomie, egal welcher Subdisziplin und weitgehend auch unabhängig von der Denkschule, befasst sich zuvorderst mit dem Umgang mit knappen Ressourcen. Die Grundidee ist die folgende: Wir haben viele Wünsche und Bedürfnisse, aber nicht die Mittel, alles zu tun, was wir gern tun würden. Wir müssen also abwägen (trade-offs ist einer der zentralen Begriffe der Ökonomie) zwischen verschiedenen Handlungsoptionen, auf der Basis unserer inhärent beschränkten Mittel. Und das tun wir auch: Das menschliche Leben besteht aus ständigen Abwägungsentscheidungen, auch wenn wir uns der meisten davon nicht bewusst sind. So ist auch der Umweltschutz nicht frei von Abwägungsnöten: Wollen wir eine Bahnstrecke bauen oder lieber einen Wald erhalten? Was tun wir, wenn Windanlagen, die wir wegen des Klimawandels als vergleichsweise „saubere“ Energiequelle bauen wollen, Fledermäuse und Zugvögel töten? Sollten Entwicklungsländer ihre fast unberührte Natur schützen oder lieber zugunsten von wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungszielen opfern (Stichwort Yasuní-ITT)? Dabei geht es selten um binäre ja-nein-Entscheidungen, sondern vielmehr um komplexe Abwägungsprozesse mit dem Ziel, die Handlungsoption auszuwählen, die gesellschaftlich optimal ist (kostenminimierend/nutzenmaximierend). Die ökonomische Bewertung ist eine Methode, diese trade-offs explizit zu machen. Dafür braucht man oft eine vergleichbare Einheit – dies kann eine Währung sein, aber grundsätzlich auch jede andere Einheit (z.B. Exergie oder Hektar Land), in die sich Aspekte der jeweiligen Abwägung übersetzen lassen.

Eine häufige Kritik des ökonomischen Ansatzes ist, dass eine derart „rationalisierte“ Herangehensweise an die Natur ihre Zerstörung fördert. „Moralische“ Argumente, die die Ästhetik, Einmaligkeit und den intrinsischen Wert von Ökosystemen heraufbeschwören, seien das Mittel der Wahl. Darauf gibt es zweierlei Antworten: zum einen eine pragmatische, die darauf hinweist, dass moralische Argumente mindestens seit der Veröffentlichung von Rachel Carsons „Silent Spring“ 1962 verwendet werden (und eigentlich noch viel länger – man denke nur an Henry David Thoreau oder Aldo Leopold) – die Umweltzerstörung geht aber munter weiter. Dies soll nicht heißen, „traditionelle“ Umweltschutzargumente seien vollends gescheitert – die Anerkennung ihrer vielen Erfolge sollte aber nicht verkennen lassen, dass die globale Umwelt 2014 in einem schlechteren Zustand ist als noch vor 50 Jahren. Es bedarf also neuer Strategien und Ansätze – die ökonomische Bewertung kann eine(r) sein. Zum anderen sind der ökonomische und der „moralische“ Ansatz keine Gegensätze. Vielmehr sollten sie als komplementär angesehen werden. Gerade wenn man, außer seinem Potenzial, auch die Grenzen des ökonomischen Ansatzes in Betracht zieht.

Ein Missverständnis bezüglich der ökonomischen Bewertung – und zwar eines, das man auf beiden Seiten der Debatte beobachten kann – ist ihr Objekt. Der ökonomische Ansatz vermag es nicht, den Wert eines bestimmten Baumes oder eines Wals oder eines menschlichen Lebens zu bestimmen. Als ein explizit marginaler Ansatz ist er in seiner Reichweite auf Veränderungen beschränkt. So kontraintuitiv dies erscheinen mag, bedeutet das, dass man zwar einer Veränderung in einer Walpopulation einen ökonomischen Wert beimessen kann – nicht aber einem bestimmten Wal. Oder man kann, zumindest theoretisch, den ökonomischen Wert einer Veränderung in der Sterbewahrscheinlichkeit von Menschen ermitteln – es ist aber nicht möglich, aus dieser den „Euro-Wert“ eines bestimmten menschlichen Lebens zu berechnen. Hier machen manche Ökonomen selbst den Fehler, dass sie den geringfügigen und doch fundamentalen Unterschied verkennen. Genauso ist es übrigens nicht möglich, den ökonomischen Wert der Biosphäre zu ermitteln, weil ohne sie menschliches Leben nicht möglich wäre – sie ist sozusagen unendlich wertvoll und ihre Zerstörung kostet uns alles. Ironischerweise ist die meistzitierte ökonomische Bewertungsstudie von Costanza und anderen eine, in der genau dieser Fehler gemacht und der gesamten Biosphäre ein Dollar-Wert zugewiesen wird.

Ein weiterer Kritikpunkt an ökonomischer Bewertung ist, ihr eigentliches Ziel sei die Kommodifizierung und Vermarktlichung, letztlich eine Privatisierung der Natur. Wie eingangs erläutert, geht es in der ökonomischen Bewertung zentral um die Erfassung von Zielkonflikten entlang verschiedener Handlungsoptionen. Das Ziel der Ökonomie als Privatisierung öffentlicher Güter wie der Natur darzustellen fußt also auf einem fundamentalen Irrtum im Verständnis der wissenschaftlichen Disziplin der Volkswirtschaftslehre. Es ist eine alte und eher unkontroverse Erkenntnis der Ökonomie, zurückgehend auf einen ihrer Koryphäen Paul Samuelson, dass öffentliche Güter eben nicht auf Märkten gehandelt werden sollten – aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften sind sie nicht dafür geeignet. Dies beruht, wieder, auf zwei Missverständnissen. Grundsätzlich ist die Kette Erfassung-Bewertung-Monetarisierung-Kommodifizierung von Ökosystemdienstleistungen keine logische Notwendigkeit. Man kann naturschutzrelevante trade-offs explizit machen, ohne gleich eine Bewertung durchzuführen. Eine Bewertung muss nicht zwangsläufig monetäre Kategorien bemühen (auch wenn dies meistens der Fall ist). Und selbst wenn eine Ökosystemdienstleistung monetarisiert wurde, heißt dies noch lange nicht, dass sie in Märkten gehandelt werden kann oder gar sollte. Ganz im Gegenteil: Die meisten Ökosystemdienstleistungen sind öffentliche Güter und für diese funktionieren Märkte nicht effizient (das heißt für das Wohl der Gesellschaft). Auch dies wird teilweise auf beiden Seiten der Debatte vergessen, ist aber ein entscheidender Punkt, wenn man über die ökonomische Perspektive redet.

Zu guter Letzt noch ein Punkt. Auch wenn Ökonomen häufig den Begriff der Kosten-Nutzen-Analyse im Kontext der ökonomischen Bewertung bemühen, so eignen sich die mittels ökonomischer Bewertungsmethoden ermittelten Werte kaum für eine Kosten-Nutzen-Analyse im engeren Sinne. Dies liegt daran, dass die Werte nur grobe Schätzungen sind – ihre Präzision hängt von sehr vielen Parametern ab, von denen man viele nicht in ausreichendem Maße kontrollieren kann. Eine Kosten-Nutzen-Analyse ist also nur im Sinne einer groben Abwägung sinnvoll, nicht aber im Sinne einer exakten Ermittlung eines monetären Netto-Nutzens von Umweltschutzmaßnahmen.

Vernünftig angewandte und zur Stützung politischer Entscheidungen genutzte ökonomische Bewertung kann durchaus hilfreich sein. Sie dient zuallererst der Analyse und Explizitmachung von Zielkonflikten – und nicht, wie manchmal behauptet, der Kommodifizierung und Privatisierung der Natur. Sie ist auch nicht das Allheilmittel für alle Umweltprobleme unserer Zeit und sollte daher nicht als Substitut für andere (z.B. „moralische“) Ansätze angesehen werden, sondern vielmehr als ihre Ergänzung. Und auch wenn der ökonomische Ansatz gelegentlich rhetorisch missbraucht wird – welcher wird das nicht?

44 Kommentare

  1. Wer von “Ökosystemdienstleistungen” spricht und damit den Nutzen eines Ökosystems für den Menschen meint, macht eigentlich nur das explizit, was implizit bereits von den meisten Menschen, die die Natur als Rohstoffquelle sehen, gemacht wird: Ganz klar haben Bienen für den Imker einen ökonomischen Wert und insgesamt ist der Wert von Bienen als Befruchter von Blütenpflanzen noch sehr viel höher, weil ganze Landwirschaftszweige davon abhängen. Der “Mehrwert” einer ökonomischen Bewertung von Ökosystemdienstleistungen ist meist nur der, dass anstatt eine Bewertung aus dem Bauch heraus eine quantitative Bewertung ausgedrückt in Dollar pro gemacht wird. Es ist ganz ähnlich wie wenn ein Immobilienexperte den Wert eines Hauses einschätzt. Der Hausherr weiss bereits um den Wert des Hauses, der Experte kann es dann auf Euro und Cents berechnen wieviel das Haus wirklich wert ist.

    Aus Sicht eines Naturschützers, der an den impliziten Wert der Natur glaubt, ist eine solche Betrachtung aber problematisch. Sollte es irgendwann einen Ersatz für Bienen geben (z.B. als RoboBees), sinkt der Wert von Bienen auf Null, genauso wie eine Immobilie, in der niemand mehr wohnen will, ihren Wert verliert.

    Für mich ist es deshalb sehr gut verständlich, wenn jemand diese Art der Natur-Betrachtung ablehnt. Allerdings stimmt es eben auch, dass Ressourcen, die dem Menschen ökonomisch etwas wert sind, vom Menschen auch beschützt werden – aus Eigeninteresse. Ein Waldbesitzer wird sich gegen alles wehren, was den Wert seines Waldstückes vermindert, seien das nun Schadinsekten oder fremde Menschen, die den Wald für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Allerdings zeigt sich auch bei diesem Beispiel wieder, dass die ökonomische Betrachtung zweischneidig ist. Denn wenn ein Waldstück nur unter dem ökonomischen Gesichtspunkt betrachtet wird, kann es auch verkauft und umgenutzt werden – mit dem Resultat, dass es das Waldstück dann nicht mehr gibt.

    Etwas besser kommt die Ökosystemdienstleistungsbetrachtung weg, wenn man die Natur als öffentliches Gut betrachtet, die Dienstleistungen nicht für Private sondern für die Öffentlichkeit erbringt. Als öffentliches Gut kann ein Wald oder See nicht so ohne weiteres veräussert und umgenutzt werden. Man kann diesen Gütern aber trotzdem einen ökonomischen Wert zumessen. Aber auch dieser Betrachtungsweise haftet der Makel an, dass Natur nur so viel wert ist, wie sie dem Menschen – nun als Mitglied einer Gemeinschaft – einen Nutzen bringt.

    Im Grunde offenbaren die obigen Überlegungen aber ein Grundproblem im Verhältnis Mensch/Natur. Der Mensch ist letztlich der aktive Part. Er entscheidet was mit der Natur passiert. Wenn er sie nicht braucht, kann er sie auch liquidieren. Wenn allerdings die Liquidation nichts einbringt wird sie weniger wahrscheinlich. Insoweit könnte sogar mehr Natur übrigbleiben, wenn der Mensch in Zukunft immer weniger abhängig von Dienstleistungen der Natur wird, weil er zum Beispiel in sich selbstversorgenden Städten lebt.

    • Diesmal scheinen wir weitgehend übereinzustimmen. Der einzige Punkt, zu dem ich Bedenken habe, betrifft die Möglichkeit der Überwindung der Abhängigkeit von der Natur. Sie haben natürlich recht: aus einer anthropozentrischen Perspektive wäre die logische Schlussfolgerung, Natur “wegzumachen”, wenn man sie nicht mehr braucht. Zwei “Aber” sind an dieser Stelle zu nennen. Zum einen schließt die ökonomische Perspektive Wertschätzung überein, die nicht nutzungsabhängig ist: wenn Menschen Natur wertschätzen, weil sie sie schön finden oder gar einfach, weil sie existiert (Existenzwert), dann hat sie in diesem Sinne einen ökonomischen Wert. Selbst wenn wir sie nicht “brauchen”, um unsere materiellen Bedürfnisse zu stillen. Zum anderen bezweifle ich, dass der Mensch sich weitgehend von der Natur “befreien” kann. Zumindest wenn wir einen relativ breiten Naturbegriff zugrunde legen. Falls Natur = “wilde Natur”, gehe ich mit – dann kann es sein, dass wir sie irgendwann nicht mehr “brauchen” (aber s.o.). Wenn man Natur aber allgemeiner versteht, dann werden wir uns wohl nie von ihr “befreien” können – selbst das, was wir als “menschengemacht” oder “künstlich”/”artificial” bezeichnen, besteht aus Bausteinen, die der Natur entnommen wurden – seien es Metalle, bioaktive Substanzen, bestimmte Muster und Formen (“blueprints”)… Der einzige (aber auch nicht vollständige) Ausweg aus dieser Art der Natur-Abhängigkeit wäre die Erfüllung aller heimlichen Träume der Befürworter synthetischer Biologie. Ich bezweifle, dass dies jemals eintreten wird. Aber Futurologie ist bekanntlich eine widerspenstige Disziplin.

      • Was den Naturbegriff angeht: Damit meine ich die biologische Natur, die den Menschen hervorgebracht hat, nicht aber die physikalische Natur, die es ja auf der Mondoberfläche genauso gibt wie hier auf der Erde.
        Ich betrachte es als erstrebenswert viele biologische Arten und Lebensräume auf der Erde dem menschlichen Einfluss zu entziehen, denn für mich ist der Mensch nur ein Lebewesen unter anderem und nicht der Gärtner, der die ganze Erde nach seinen Wünschen bestellt. Im Amazonas-Regenwald sehe ich also mehr als eine Touristenattraktion und wilde Tiere sollte es nicht nur im Zoo geben. Es dauerte hunderte von Millionen Jahren bis der Mensch entstand. Diese Wiege der Menschheit nun in einen Garten für die Menschheit umzuwandeln, wo alles seinen vom Menschen bestimmten Platz hat, damit würden sich sogar viele umweltbewusste Menschen einverstanden fühlen. Biodiversität bedeutet für diese Menschen beispielsweise die Vielzahl der Apfelsorten, die vom Menschen herangezüchtet wurden. Für mich wäre aber eine Reduktion der biologischen Natur auf das dem Menschen Nützliche und Genehme ein grosser Verlust und Ausdruck eines extremen Anthropozentrismus – eines Anthropozentrismus, der sogar die Herkunft des Menschen ignoriert.

        • Erkennen, was WIR in den letzten 50 Jahren Alles zerstört haben.
          Dazu braucht es erstmal nur gesunden Menschenverstand.
          Wozu brauchen wir RoboBees, wenn es lebendige natürlich wundervolle Bienen gibt, die unsere Pflanzen befruchten, summend über die Blumenwiesen tanzen und uns darüber hinaus noch mit Propolis und Honig versorgen?!

          DANKE – das LEBEN SELBST einfach achten und uns an ihr erfreuen,
          WIR, die ein Teil der Natur und Biodiversität SIND.

          • RoboBees wären eine denkbare Antwort auf das welweite Bienensterben, das man heute beobachtet. Neben dem Cyborg, wartet vielleicht auch die Cybernatur auf uns – eine Natur, die ein Flickenteppich aus natürlichen und kuünstlichen Elemente ist und wo beispielsweise künstliche Tauben, die ein ungeübtes Auge nicht von natürlichen unterscheiden kann auf öffentlichen Plätzen “für unsere Sicherheit sorgen” (wie uns die Polizei in Werbeeinspielungen mitteilt).

        • @ Herr Holzherr :

          Ich betrachte es als erstrebenswert viele biologische Arten und Lebensräume auf der Erde dem menschlichen Einfluss zu entziehen, denn für mich ist der Mensch nur ein Lebewesen unter anderem und nicht der Gärtner, der die ganze Erde nach seinen Wünschen bestellt.

          Wenn Sie mal hier schauen:
          -> https://scilogs.spektrum.de/go-for-launch/der-philosoph-gegen-die-technotopische-vision/ (jene Kommentatorik betreffend und insbes. Ihr dortiges Output)

          …passt dieses Geseiere – geht diese Einordnung hier?, ansonsten gerne ‘Geschwätz’ als Ersatz annehmen, oder weiter absteifend: die Inkonsistenz des allgemein Vorgetragenen meinend – nicht mit Ihrer jetzigen Nachrichtenbildung zusammen.

          Wichtich ist, philosophisch zumindest, i.p. Anthropozentrismus, Physiozentrismus und was es sonst noch alles gibt, die Positionierung.

          MFG
          Dr. W

          • @Dr. Webbaer: Ein Welt dominiert von organischem Landbau und mit viel Biotreibstoff kann eine Welt sein, wo es kaum noch freie Natur gibt.
            Für mich bietet Technik die Möglichkeit mit weniger Fläche für den Ackerbau und weniger Rohstoffen auszukommen. Eine intensivere Landwirtschaft betrachte ich als positiv und eine Kreislaufwirtschaft würde den Bedarf nach neuen Rohstoffminen deutlich senken und schliesslich gar verschwinden lassen.
            Natur und Technik sind kein Gegensatz, Technik kann den Bedarf an Natur als Rohstoff- und Naturstoffquelle und als Abfallkübel deutlich senken.

          • @ Herr Holzherr :
            Sie sind ja geschwätzig, Ihr Kommentatorenfreund kann sich dbzgl. auch nicht ganz frei sprechen, aber es macht sich nicht gut, wie Ihr Kommentatorenfreund findet, wenn Sie an einer Stelle wie folgt verlautbaren:

            Clive Hamilton und Naomi Klein gehören jedenfalls zur nicht kleinen Gruppe von Leuten, die das Klimaproblem zum Anlass nehmen wollen, die Gesellschaft komplett umzubauen. Es sind die alten linken Utopien vom befreiten Menschen, der das Joch des Kapitalismus abg[e]worfen hat und erst dadurch in Glück leben kann. Selber sehen sich diese Vordenker wohl als Teil einer zukünftigen Elite wissen aber über die Technikabhängigkeit unserer Gesellschaft wenig. (Quelle)

            …und hier wie folgt:

            Ich betrachte es als erstrebenswert viele biologische Arten und Lebensräume auf der Erde dem menschlichen Einfluss zu entziehen, denn für mich ist der Mensch nur ein Lebewesen unter anderem und nicht der Gärtner, der die ganze Erde nach seinen Wünschen bestellt. [Hervorhebung: Dr. Webbaer]

            Sie sind hier u.a. herausgefordert die Grundsatzentscheidung zu treffen, ob Sie die Lebensgrundlagen der Menge oder die Welt als anthopozentrisch zu bestimmen gewollt sind oder eben physiozentrisch, ‘technikabhängig’ vielleicht in Ihrem Duktus.

            Auch Sie dürfen ‘Gärtner’ sein.

            MFG
            Dr. W

          • Naomi Klein+Clive Hamilton wollen (teilweise) weg von der Technik und zurück zur Natur. Und das letztlich im Interesse des Menschen.

            Für mich irren sich dieses Geisteswissenschaftler in einem wichtigen Punkt: Der Mensch kann gar nicht mehr auf die Technik verzichten und zurück zu einem vorindustriellen Leben. Dazu gibt es heute schlicht zu viele Menschen. Meist ist es völliges Unwissen von Leuten, die vorschlagen, dass wir in Zukunft wieder alle mit einer Holzheizung leben und zur Ernährung Beeren pflücken. Wir können gar nicht mehr auf Technik verzichten. Wir müssen sie nur richtig einsetzen. Einsetzen um weniger Natur auszubeuten nicht mehr. Einsetzen um unser eigenes Ökosystem aufzubauen genau so wie wir es tun müssten wenn wir auf dem Mond leben würden.

          • @ Herr Holzherr :

            Naomi Klein+Clive Hamilton wollen (teilweise) weg von der Technik und zurück zur Natur. Und das letztlich im Interesse des Menschen.

            Für mich irren sich dieses Geisteswissenschaftler in einem wichtigen Punkt: Der Mensch kann gar nicht mehr auf die Technik verzichten und zurück zu einem vorindustriellen Leben. Dazu gibt es heute schlicht zu viele Menschen. [Hervorhebung: Dr. Webbaer]

            Weil nicht über die ‘Interessen der Menschen’ gesprochen oder geschrieben werden kann, wäre die klar ausgeschrieben Einschränkung nett.

            Sie haben die von Ihnen benannten Kräfte womöglich nicht weitgehend beobachtet, denn die wollen ganz anscheinend etwas anderes.

            Das “Mengenargument” war übrigens lau.

            Ansonsten dürfen Sie, zumindest bei Gelegenheit, auf diese angebotene Sache mit dem Anthropozentrismus (geht in Richtung: “Humanismus”) und dem Physiozentrismus anspringen.

            MFG
            Dr. W (der sich nun bis auf Weiteres ausklinkt, auch post festum keine bes. pers. Empfängerzufriedenheit generieren konnte)

  2. “Es ist eine alte und eher unkontroverse Erkenntnis der Ökonomie, zurückgehend auf einen ihrer Koryphäen Paul Samuelson, dass öffentliche Güter eben nicht auf Märkten gehandelt werden sollten ”

    Der Satz überrascht und berührt gleichzeitig den Kern des Problems.

    Unkontrovers ist in der vorherrschenden VWL – vor allem in Deutschland – die neoliberale Wirtschaftstheorie , die den öffentlichen Sektor weitgehend als Feind betrachtet und sehr wohl die Meinung vertritt , daß eine Total-Privatisierung aller Lebensbereiche das Ziel sein muß ., das zu übersehen , ist , gelinde gesagt , abenteuerlich.
    Die ökonomische Betrachtung der Natur ist – stimme zu – nicht an sich das Problem , sondern die nicht nachhaltige Form des Wirtschaftens , eine Lehre , die streng genommen gar nicht mehr als Volkswirtschaftslehre bezeichnet werden kann , weil sie ständig betriebswirtschaftliche Sichtweisen auf die VWL überträgt.
    Die Natur zu nutzen ist nicht neu , bereits der erste Acker ist eine ökonomische Nutzung der Natur.

      • Dann sind diese Theorien und ihre Vertreter aber nicht wirklich durchsetzungsfähig und beschränken sich auf die Unis , in fast allen einflußreichen Wirtschaftsinstituten und Stiftungen tauchen sie nirgends auf und werden offen verunglimpft.
        Wesentlich für die Auswirkungen auf die Umwelt ist die reale Umsetzung in der Wirtschaftspolitik , nicht die Theorien in “geschlossenen Gesellschaften “.

        • in fast allen einflußreichen Wirtschaftsinstituten und Stiftungen tauchen sie nirgends auf und werden offen verunglimpft

          Darf ich fragen, was die empirische Grundlage für dieses Urteil ist? Mir würden sofort Gegenbeispiele einfallen (mein eigenes UFZ oder das DIW).

          • Das ist der Vorteil für mich als Laien , ich kann (und muß) von den Infos ausgehen , die in den Medien rüberkommen oder die ich mir selber aneigne. Es ist Unfug , in der Kommunikation mit Laien eine empirische Grundlage zu erwarten , das können diese nicht leisten ,dann kann man es auch gleich bleiben lassen.
            Das Argument ist hinterhältig und damit leider typisch in diesem Bereich.

            Gegenfrage : Wie schaffen Sie es , zu ignorieren , in welche Richtung die Wirtschaftspolitik seit 20 Jahren läuft ? Respekt , das ist eine größere Leistung , als es wäre , diese Wirtschaftspolitik zu verteidigen.
            DIW , naja , da haben Sie ntürlich eins der wenigen Gegenbeispiele genannt (eine wirkliche Gegenposition vetreten die aber auch nicht ) , das noch einen gewissen Einfluß hat , seit der Krise sogar zunehmend , nennen könnte man auch die gewerkschaftsnahen Stiftungen oder die Münchener (Ifo?) , weil letztere zu den gemäßigteren Vertretern des aktuellen Kurses gehören.
            Nach wie vor aber dominiert die Deutung der Bertelsmänner , der INSM , des Instituts zur Zukunft der Arbeit (oder so ähnlich) und all ihrer netten kleinen Ableger.

    • @ ‘DH’ :

      Unkontrovers [Hervorhebung: Dr. W] ist in der vorherrschenden VWL – vor allem in Deutschland – die neoliberale Wirtschaftstheorie , die den öffentlichen Sektor weitgehend als Feind betrachtet und sehr wohl die Meinung vertritt , daß eine Total-Privatisierung aller Lebensbereiche das Ziel sein muß ., das zu übersehen , ist , gelinde gesagt , abenteuerlich.

      Sie folgen hier der Agitation durch linke Kollektivisten, der Ordoliberalismus (für einige auch: Neoliberalismus [1]) ist höchst sozial bemüht, will er doch u.a. die Abhängigkeit Bedürftiger von der (privaten) Wohlfahrt eingeschränkt bis ausgeschlossen sehen, das Ergebnis ist die sog. Soziale Marktwirtschaft.
      Die sich durchgesetzt hat, eigentlich auf “westliche” [2] Systeme bezogen global.

      MFG
      Dr. W (der an dieser Stelle schon eindrücklich zum Selber-Denken anregen muss, Sie sind fehlgeleitet und desinformiert, “liberale Anarchisten” gibt es nur sehr wenige, was auch damit zusammenhängt, dass der Liberalismus der Staatlichkeit bedarf)

      [1] eine blöde Begriffswahl, die Einzelnen geschuldet ist, i.p. Bemühen um Akzeptanz oder “Marketing” sicherlich ein Tiefpunkt liberalen Bemühens

      [2] wie immer sind diejenigen Systeme oder Staaten gemeint, die den Ideen und Werten der Aufklärung folgend gesellschaftlich implementieren konnten, “westlich” ist als Richtungsangabe irreleitend

  3. Es kann ökonomisch [1] gerechnet, also modelliert und sich im Prädiktiven geübt werden, anders geht dies direkt nicht, Kennzahlen und so betreffend.

    MFG
    Dr. W

    [1] ‘Ökonomie’ und ‘Wirtschaft’ sind problematische Begriffe, setzen sie ein frühes Gewerbe voraus, das nicht repräsentativ ist, Kooperationsverhalten benötigt keine Wirte und Kunden, sondern Teilnehmer

  4. @DH (der Kommentarbaum erlaubt keine weiteren Antworten-Abzweigungen, daher muss ich hier unten antworten):
    Das Wort “empirisch” war nicht wörtlich gemeint. Anekdotenartige Beispiele hätten auch gereicht (eine entsprechende Publikation etc.). Ich bezweifle immer noch, dass die gängige Meinung in der konkret von uns diskutierten Frage (öffentliche Güter und Märkte) in Deutschland so “neoliberal” ist, wie sie es darstellen. Was nichts daran ändert – wie bereits erwähnt -, dass ich der Ökonomie als “Wissenschaft” und als Grundlage für tatsächliche Politikberatung skeptisch gegenüber stehe, in der Form, in der sie meistens vorkommt. Ich kann nur nochmal auf den Link verweisen, den ich in meinen vorherigen Kommentar eingebettet habe, der zu meinem eigenen Blog führt, da gehe ich darauf ausführlich ein.

    Wie schaffen Sie es , zu ignorieren , in welche Richtung die Wirtschaftspolitik seit 20 Jahren läuft ?

    Ich bin 26 und erst seit 11 Jahren in Deutschland. Das erklärt schon mal einen Teil. Ansonsten: ich ignoriere nicht die Richtung, in die die Wirtschafts- und sonstige Politik sich entwickelt. Wie bereits angedeutet. Wir haben hier aber mit einer konkreten Frage (Samuelsons Theorie öffentlicher Güter) angefangen. Ich denke kaum, dass Sie daraus auf meine allgemeinere Ignoranz (oder eben nicht) schließen können.

  5. 1. Ein Problem ist, dass “Nutzen” eine Leerformel darstellt, praktisch alles und nichts sein kann und sich somit der Wissenschaftlichkeit entzieht.

    2. Zitat: “Die Ökonomie, egal welcher Subdisziplin und weitgehend auch unabhängig von der Denkschule, befasst sich zuvorderst mit dem Umgang mit knappen Ressourcen.”
    Das ist eine problematische Aussage, aber als solche leider Standard. Tatsächlich kann sich Ökonomik auch mit anderen Dingen befassen. Wenn das Ökonomen heute nicht mehr meinen, das tun zu müssen, zeigt das nur den begrenzten Horizont.

    3. Problematisch an der ökonomischen Bewertung ist, dass dort mehr oder minder ein Primat des Nutzenkalküls vertreten wird, das absolute (ethische) Werte unterläuft. Deutlich wird das bei sozialen Fragen, aber auch beim Umweltschutz. Da wird postuliert, dass Umweltschutz und Profitstreben keine Widersprüche sind, die Frage ist nur, was aus Umweltschutz wird, wenn der keine Rendite mehr abwirft … Dann müssen wieder ökonomische Anreize gesetzt werden, lautet die Standardantwort. Aber genau damit wird Umwelt wieder zum “Gut”, wird “verdinglicht”.

    4. Zitat: “Meines Wissens gehört die Theorie öffentlicher Güter, basierend auf Samuelson, Musgrave und anderen, zum Kanon des VWL-Curriculums an den meisten Universitäten.”
    Naja, von öffentlichen Güter gehört haben werden viele Studierende. Aber ob die Theorie der öffentlichen Güter zum VWL-Kanon gehört? Das glaube ich nicht; vom eigenen Studium her kann ich das nicht bestätigen. Viel mehr ist es doch so, dass die öffentlichen Güter im Studium nicht gut wegkommen. Entweder sprechen Tragik der Allmende bzw. Trittbrettfahrertum dagegen oder die Assoziation mit der staatlichen Versorgung bzw. staatl. Monopolen – und das geht ja nun mal gar nicht, denn das wäre ja nicht mehr Markt.

    5. Zitat: “Eine Kosten-Nutzen-Analyse ist also nur im Sinne einer groben Abwägung sinnvoll, nicht aber im Sinne einer exakten Ermittlung eines monetären Netto-Nutzens von Umweltschutzmaßnahmen.”
    Sorry, aber was nützen solche Arten von Bewertungen? Irgendwas abwägen, ja, aber bitte nichts Genaues, das geht nämlich nicht … Was ist das für eine Argumentation? Nee, das sind doch die besten Vorrausetzungen für Spökenkiekerei! Wozu brauche ich da Ökonomen? Agrarier, Geologen, Biologen usw. sind doch viel näher an den Problemen dran, ganz ohne diese auch noch umständlich in Nutzenkategorien transformieren zu müssen.

    • Vielen Dank für den Kommentar. Ich antworte gern auf die Einwände.
      Zu 1: Da bräuchte ich schon eine Begrüdung.
      Zu 2: Ich finde, diese Definition der Ökonomie umfasst bereits ein sehr weites Feld. Menschliches Wohlergehen basiert letztendlich darauf, dass wir aus dem, was wir haben, das beste machen. Auch hier wäre aber eine ausführlichere Argumentation vonnöten, weil ich nicht weiß, was Ihrer Meinung nach sonst Gegenstand ökonomischer Untersuchungen sein sollte.
      Zu 3: Die Ökonomie basiert auf der allgemein annerkannten ethischen(!) Theorie des Utilitarismus, daher das “Nutzenkalkül”, das Sie bemängeln. Man kann Utilitarismus als ethische Theorie gut oder schlecht finden, aber ihr den Status von Ethik abzuerkennen ist schlicht und einfach falsch.

      Da wird postuliert, dass Umweltschutz und Profitstreben keine Widersprüche sind

      Das ist ein anderes Paar Schuhe und hat mit Nutzenkalkül/Utilitarismus an sich nichts zu tun. Die Position, die sie da zitieren, ist auch innerhalb der umweltökonomischen Community sehr umstritten. Die Frage ist natürlich, was wir hier unter “Profitstreben” verstehen. Ich nehme an, es geht um die Maximierung des monetären Gewinns. Nun, wie bereits erwähnt – da wir es hier vornehmlich mit öffentlichen Gütern zu tun haben, ist so verstandener “Profit” keine relevante Kategorie. Nichtsdestotrotz sehe ich natürlich ein, dass es innerhalb der Ökonomie auch Denkweisen gibt, laut denen öffentliche Güter nur insoweit einen Wert haben, wie sie zur Profitmaximierung beitragen, weil Letztere mit Maximierung gesellschaftlicher Wohlfahrt identifiziert wird. Diese Denkweise ist jedoch nicht alldominant, ich habe nicht einmal den Eindruck, dass sie unter kontinentaleuropäischen Ökonomen von der Mehrheit vertreten wird. Dies ist jedoch nur eine Hypothese und bedürfte empirischer Prüfung. Wie diese auch immer ausfallen würde: letzten Endes zielt die ökonomische Bewertung darauf ab, menschliche Präferenzen für/gegen Umweltschutz zu erfassen. Das hat nicht grundsätzlich irgendwas mit Profitstreben zu tun. Man kann natürlich fragen, ob die Präferenzen der Menschen “richtig” sind, dann droht man aber sehr schnell in Paternalismus abzurutschen.
      Zu 4: Der VWL-Kanon ist de facto bis heute determiniert durch die Forschung Paul Samuelsons (nicht zuletzt, weil sein VWL-Lehrbuch eine dominante Stellung in der Lehre hat). Samuelson hat zu sehr vielen Themen geforscht, mit teils neoklassischer, teils keynesianischer Prägung (was ihn zu einer Koryphäe werden ließ – (fast) alle konnten mehr oder weniger etwas mit ihm anfangen). Die Theorie öffentlicher Güter ist einer seiner wichtigsten theoretischen Beiträge. Daher bleibe ich bei der These, dass diese durchaus Teil des VWL-Kanons ist/sein muss. Unter dem Vorbehalt natürlich, dass meine empirischen Erfahrungen diesbezüglich begrenzt sind.
      Zur Tragik der Allmende: sowohl in der ursprünglichen Variante von Garrett Hardin (der den Begriff geschaffen hat), als auch in der in der Ökonomie populäreren Variante von Mancur Olson wird als die Lösung des Allmende-Dilemmas ENTWEDER Privatisierung ODER staatliche Regulierung vorgeschlagen. Des Weiteren hat Elinor Ostrom bekanntlich gezeigt, dass es unter bestimmten Bedingungen auch eine dritte, kollektive Alternative geben kann – was immerhin soweit anerkannt wurde, dass sie 2009 den Ökonomie-“Nobelpreis” bekam. Auch betrifft die Tragik der Allmende nur Allmende-Güter, die ein Spezialfall der öffentlichen Güter sind, d.h. das Dilemma ist nicht auf öffentliche Güter im Allgemeinen übertragbar.
      Zu Trittbrettfahrerei: streng genommen ist Trittbrettfahren ein Argument FÜR staatliche Regulierung und GEGEN Privatisierung.
      Zu 5: Was solche Arten von Abwägungen nutzen? Das habe ich eigentlich in meinem Beitrag versucht zu erklären: es geht um die Botschaft an Entscheidungsträger, dass die Leistungen der Natur nicht wertlos sind – in einer Sprache, die sie verstehen, und die zumindest Vergleiche der Größenordnung erlaubt. Zudem können Preise Knappheiten signalisieren, auch das ist eine wichtige Rolle der ökonomischen Bewertung (wobei man hier natürlich mit einer beliebigen anderen Einheit hantieren könnte, nicht unbedingt mit Geld – dazu habe ich mich in meinem Beitrag ebenfalls geäußert).

      Agrarier, Geologen, Biologen usw. sind doch viel näher an den Problemen dran, ganz ohne diese auch noch umständlich in Nutzenkategorien transformieren zu müssen.

      Die Probleme, mit denen wir hier zu tun haben, finden an der Schnittstelle zwischen menschlichen und Ökosystemen statt. Die Kompetenzen der Geologen, Agrarier und Biologen (und der Vertreter vieler anderen Disziplinen) liegen zuvorderst auf der Seite der Ökosysteme. Die der Ökonomen (und anderer Sozialwissenschaftler) auf der Seite der menschlichen/gesellschaftlichen Systeme. Nur unter Inbetrachtziehung beider Perspektiven ist es möglich, Lösungen für Umweltkrisen zu erarbeiten. Daher ist ökonomische Bewertung der Natur auch (fast) immer ein multi- oder gar interdisziplinäres (und bestenfalls transdiziplinär) Unterfangen. Ich würde daher ökonomische und naturwissenschaftliche Ansätze nicht als Widersprüche oder Alternativen zueinander ansehen, sondern vielmehr als komplementär.

      • 1. Ein Problem ist, dass “Nutzen” eine Leerformel darstellt, praktisch alles und nichts sein kann und sich somit der Wissenschaftlichkeit entzieht. (Arbo)

        Vielen Dank für den Kommentar. Ich antworte gern auf die Einwände.
        Zu 1: Da bräuchte ich schon eine Begrü[n]dung.

        Weil der ‘Nutzen alles und nichts sein kann und sich somit der Wissenschaftlichkeit entzieht’, im gemeinten Sinne, das Wohlbefinden Einzelner meinend oder gar die individuelle oder allgemeine Sittlichkeit?

        MFG
        Dr. W

        • Im Grunde beides. Das ist ja der Clou in der Ökonomik (= “Wissenschaft”). Da wird von Nutzen gesprochen, Nutzenmaximierung, Erwartungsnutzen usw. … Meist sind es monetäre Größen, also Geld. Wird das kritisiert, sind es andere Faktoren. Nutzen kann alles sein – vom Egoismus bis zum Altruismus. Und somit hat das einen Aussagewert = 0.

          • Solange mit dem Nutzen monetär und eher primitiv gerechnet werden kann, scheint dies wirtschaftswissenschaftlich umfänglich OK, wird aber antizipierter politischer Nutzen über Präferenzmodelle modelliert, kann oder muss dies im Sinne der Wirtschaftswissenschaften problematisch werden.

      • A) Zitat: Zu 1: Da bräuchte ich schon eine Begrüdung.

        Habe ich oben schon gegeben. Ansonsten siehe auch Dr. Webbear (9. Oktober 2014 13:33). Ihr Begriff “Wohlergehen” macht es nicht besser.

        B) Zitat: Zu 2: Ich finde, diese Definition der Ökonomie umfasst bereits ein sehr weites Feld.

        Mag sein, sie reduziert den Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft (= Ökonomik) aber auf den Umgang mit knappen Gütern. Tatsächlich ist Wirtschaften aber weit mehr und nicht jede Situation muss im Lichte knapper Güter betrachtet werden.

        C) Zitat: Zu 3: Die Ökonomie basiert auf der allgemein annerkannten ethischen(!) Theorie des Utilitarismus, daher das “Nutzenkalkül”, das Sie bemängeln.

        Beim Lesen stellen sich mir offen gestanden die Haare zu Berge. Sie schreiben das, als ob das in Stein gemeißelt wäre. Wer hat Ihnen denn das erzählt?

        Es gibt nicht DIE Ökonomie – weder als Wirtschaft (Gegenstand), noch als Wirtschaftswissenschaft (Ökonomik). Was Sie hier schreiben, ist schlicht eine Behauptung, die vielleicht auf einen großen Teil der Mainstream-Ökonomik zutreffen mag. Aber es gibt verschiedene ökonomische Strömungen, die gegenüber verschiedenen Ethiken offen sind (verschiedene berücksichtigen können; ich sage nur: Wirtschaftskulturforschung) und/ oder die eine ganz andere Ethik vertreten. Schon mal was von der Buddhistischen, Islamischen oder Integrativen Wirtschaftsethik gehört? Müssen Sie nicht teilen, aber in der absoluten Art zu behaupten, dass “die Ökonomie” auf dem “Utilitarismus” basiert, ist gelinde gesagt Käse.

        D) Zitat: Daher bleibe ich bei der These, dass diese durchaus Teil des VWL-Kanons ist/sein muss.

        Sollen und Sein … das ist schon ein ziemlicher Unterschied. Sie haben vorher behauptet, es wäre so. Ich kann das nicht bestätigen.

        Und nebenbei bemerkt wirkt es wesentlich eigenständiger, nicht ständig von Koryphäen zu reden. Die gibt es wie Sand am Meer. Und da könnte ich Ihnen auch eine Liste aufmachen, was alles in einen Kanon soll … Fragen Sie eingefleische PostKeynesianer oder von mir aus feministische Ökonominnen, Sie werden dann hinsichtlich eines Kanons Ihr blaues Wunder erleben.

        E) Zur Tragik der Allmende: Die haben ich hier nur auf Reaktion Ihrer Behauptung angeführt, dass die Theorie der öffentlichen Güter im VWL-Kanon enthalten wäre. Öffentliche Güter werden zwar behandelt. Aber soweit ich das einschätzen kann, dürften die wenigsten Studierenden wirklich was von Samuelson, Hardin oder Ostrom hören. Stattdessen das Standard-Argument gegen öffentliche Güter mit Verweis auf die Tragik der Allmende. Ist zwar nicht ganz sauber und verkürzt, aber damit werden die Studierenden konfrontiert.

        F) Zitat: Zu Trittbrettfahrerei: streng genommen ist Trittbrettfahren ein Argument FÜR staatliche Regulierung und GEGEN Privatisierung.

        Es kommt darauf an, WER das streng nimmt. Gemäß der Standard-Lehre ist Trittbrettfahrerei ein Argument für Deregulierung und Privatisierung. Ansonsten auch das eher als Illustration dafür, wie Studierende heute mit öffentlichen Gütern und Staat konfrontiert werden. Aber das habe ich weiter oben schon geschrieben.

        F) Zitat: Zu 5: Was solche Arten von Abwägungen nutzen? Das habe ich eigentlich in meinem Beitrag versucht zu erklären

        Sie haben nicht wirklich verstanden, was ich mit dieser Frage kritisiere. Sie haben einfach eine Argumentation aufgemacht, die in meinen Augen völliger Humbug ist (s.o.). Auch Ihre Trennung in “Ökosystem” und “menschlichen/gesellschaftlichen System” überzeugt nicht und wirkt stattdessen nur künstlich. Was glauben Sie eigentlich, warum sich Biologen, Agrarier usw. mit Umwelt beschäftigen? Die tun das auch eingebettet in unseren soziokulturellen Kontext menschlicher/ gesellschaftlicher Systeme.

        G) Zitat: Daher ist ökonomische Bewertung der Natur auch (fast) immer ein multi- oder gar interdisziplinäres (und bestenfalls transdiziplinär) Unterfangen. Ich würde daher ökonomische und naturwissenschaftliche Ansätze nicht als Widersprüche oder Alternativen zueinander ansehen, sondern vielmehr als komplementär.

        Theoretisch ja, praktisch ist diese Interdisziplinarität häufig nur Schein. Sie lassen außer Acht, in welchem Hochschulsystem wir leben und dass “Interdisziplinarität” dort die eigene Forschung aufwertet (näher an die Fleischtöpfe rückt). Wo Interdisziplinarität drauf steht, muss noch lange keine drin sein.

        Außerdem besteht Interdisziplinarität nicht darin, die eigenen Konzepte anderen Disziplinen überzustülpen. Genau das wird aber seitens der Ökonomik immer wieder gemacht. Bestes Beispiel ist Gary S. Becker, der “die ökonomische Methode” auf sämtliche Lebensbereiche übertragen möchte. Da ist die Ökonomik dann auf einmal total vielfältig, modern und interdisiplinär, obwohl sie eigentlich nichts anderes macht, als das dort etablierte Vorgehen (meist unreflektiert) auf andere Bereiche anzuwenden. Wirklich anders ist da nichts, allenfalls der Gegenstand. Und in dem Sinne ist das meist auch überflüssig. Da brauche ich keine Ökonomen, die mir erklären, dass Umweltschutz “nützlich” ist. Dazu reichen die Erkenntnisse von Agrariern, Biologen usw. allemal.

        Gerade mit Ihrer Konzentration darauf, Umweltprobleme als Knappheitsprobleme zu interpretieren, sehe ich offen gestanden keinen interdisziplinären Ansatz, sondern eher eine reduzierte Sicht auf die Dinge. Von soziokulturellen Lösungen ist das m. E. ziemlich weit entfernt. Es reicht halt nicht, andere Phänomene in Nutzen- und Knappheitskategorien zu übertragen. Interdisziplinarität müsste über diese Kategorien hinausgehen.

        • A: Argument hingenommen. Einverstanden bin ich immer noch nicht, aber zumindest weiß ich grob, was Sie meinen.
          B: Wenn Sie mir schreiben könnten, was dieses “weit mehr” an Wirtschaften sei, wäre ich sehr dankbar.
          C: Sie haben behauptet, Ökonomie schließe ethische Überlegungen aus. Es war offensichtlich auf die Mainstream-Ökonomie bezogen, weil andere, wie Sie selbst schreiben, sogar in Ihrem Verständnis andere ethische Systeme versuchen einzuschließen. Ich habe geantwortet, dass sogar die Mainstream-Ökonomie eine, wenn auch dürftige ethische Grundlage hat. Ich verstehe nicht, wieso Ihnen die Haare zu Berge stehen. Übrigens ist Ihr stellenweise paternalistischer Ton recht anstrengend.
          D: Reden wir vom Mainstream oder nicht?! Natürlich haben Post-Keynesianer andere Koryphäen. Was aber an den meisten Hochschulen gelehrt wird (und darum geht es uns doch hier), basiert in großem Maße auf Samuelson. Siehe sein Standard-Lehrbuch.
          E: Ich weiß nicht, wo Sie Ihre Überzeugungen her haben, was an Universitäten gelehrt wird. Mit meinen Erfahrungen deckt sich das jedenfalls nicht.
          F: Das ist schlicht und einfach falsch. Ein Blick in ein beliebiges Lehrbuch reicht aus, um das zu überprüfen.
          zweites F: Ich arbeite an einem Institut, an dem vor allem Naturwissenschaftler vertreten sind und habe aufgrund meines Forschungsthemas auch sonst Kontakt mit Naturwissenschaftlern. Ein fehlender Blick auf soziale Implikationen ihrer Forschung scheint mir ein recht verbreitetes Phänomen. Aber vielleicht haben Sie da andere Erfahrungen gemacht.
          G: Ich sage ja nicht, dass Interdisziplinarität einfach ist und überall dort tatsächlich vorhanden, wo das Wort drauf steht. Und mit Gary Becker möchte ich nicht in Verbindung gebracht werden. So viel dazu.

  6. “…..Ich würde daher ökonomische und naturwissenschaftliche Ansätze nicht als Widersprüche oder Alternativen zueinander ansehen, sondern vielmehr als komplementär.”
    Eigentlich selbstverständlich. Ich wundere mich immer wieder, wie schwer das zu vermitteln ist. Die ökonomische Theorie und Empirie liefert jede menge Werkzeuge um sich den anstehenden ökologischen Herausforderungen zu stellen. Eine Mischung aus gepflegten Vorurteilen und Ahnungslosigkeit scheint dem entgegen zu stehen.
    Solange eine “Grüne” Partei der Einführung von Ökonomie als Schulfach feindlich und ängstlich entgegensteht, unter dem Vorwand es könne dort Lobbyismus betrieben werden, sehe ich wenig Hoffnung auf Besserung. Ein bekannter Ex- Grüner hat es sinngemäß so formuliert: Wer ökonomischen Sachverstand besitzt und diesen einsetzt hat geringe Chancen auf eine politische Karriere bei den Grünen. Und ich fürchte das ist nicht nur bei den Grünen so…

    • Solange eine “Grüne” Partei der Einführung von Ökonomie als Schulfach feindlich und ängstlich entgegensteht, unter dem Vorwand es könne dort Lobbyismus betrieben werden, sehe ich wenig Hoffnung auf Besserung.

      Ohne hier eine Diskussion pro- und contra-Grüne anstoßen zu wollen, möchte ich darauf hinweisen, dass die üblicherweise an Hochschulen gelehrte Ökonomie eine sehr enge Fassung dieser Disziplin ist und durchaus kritisch gesehen werden sollte. Derart gelehrte Ökonomie als Schulfach würde ich tatsächlich ablehnen. Ökonomie kann durchaus sehr nützlich sein, kann aber auch sehr schädlich sein, wenn sie zu eng gefasst wird – was leider häufig der Fall ist.

  7. “Empirisch” ist damit geklärt , den Vorwurf “hinterhältig ” ziehe ich zurück.

    “der Ökonomie als “Wissenschaft” und als Grundlage für tatsächliche Politikberatung skeptisch gegenüber stehe, in der Form, in der sie meistens vorkommt. ”

    In der Tat , Ihr Artikel (den ich , offen gesagt , erst jetzt gelesen habe) zeigt eine differenzierte Sicht , das Mißverständnis geht denn auch auf meine Kappe.
    Den Umfang des neoliberalen Einflusses werden wir vermutlich an dieser Stelle nicht mehr diskutieren können , gerne jedoch ein anderes Mal.

    • Den Umfang des neoliberalen Einflusses werden wir vermutlich an dieser Stelle nicht mehr diskutieren können , gerne jedoch ein anderes Mal.

      Es ist auch letztendlich eine empirische Frage. Ich habe meine Eindrücke, Sie haben Ihre, die offensichtlich nicht übereinstimmen – daher wäre es nicht schlecht, das irgendwie empirisch/statistisch zu klären, in wie weit “neoliberale” Meinungen die deutsche Politik prägen. Was leider wahrscheinlich nicht gerade einfach sein dürfte…

      • Wir überfordern uns an dieser Stelle , wenn wir den Anspruch der Empirie stellen , zurecht wird das für bezahlte und zeitaufwendige Tätigkeiten wie Autorenschaft oder Journalismus verlangt , an dieser Stelle genügt es , daß es beide Seiten mit ihren “Eindrücken” – passendes Wort – ehrlich meinen , die Inhalte derselben können dann ja kontrovers diskutiert werden.

        Zum Beispiel halte ich die deutsche Sparpolitik für ein wenig oberflächlich und auch ein Stück weit verlogen , als tiefergehendes Argument könnte eingewandt werden , daß sie von den Deutschen nur teilweise und auf eine versteckte Art betrieben wird.

        • Ein Beispiel für den Versuch ökonomische Instrumente zur Begrenzung ökologischer Probleme einzusetzen, wäre der Emissionshandel. Wie es aussieht scheint das aber nur sehr schlecht bis gar nicht zu funktionieren.
          Wie könnte man es besser machen?
          Ein theoretischer Ansatz sieht auf den ersten Blick einfach aus:
          Der Preis eines jeden Produktes muss auch die “Kosten” des bei seiner Produktion und logistischen Verteilung anfallenden ökologischen Belastung enthalten und an den Verbraucher weitergereicht werden. Aber wie soll man den Preis ermitteln? Selbst wenn das gelänge, wie könnte die Politik so etwas implementieren? Sind kleine Schritte in diese Richtung auf nationaler oder europäischer Ebene überhaupt sinnvoll? Wären internationale Freihandelsabkommen eine Chance globalere Regeln diesbezüglich zu implementieren? Letzteres mag ziemlich utopisch klingen, aber gibt es Alternativen?

          • @Bartowski. Sorry. Mein letzter Kommentar sollte eigentlich auf die oberste Hierarchieebene.

          • Das schöne am Emissionshandel ist, dass dieses Instrument keiner vorhergehenden Preisermittlung bedarf (daher wird es ja auch als ein Mengeninstrument bezeichnet): man setze das cap so, wie es sich “ökologisch gehört”, der entsprechende Preis stellt sich dann sozusagen automatisch ein. In der Praxis ist das Problem, dass das cap, der Deckel, viel zu hoch gesetzt wird. Auch ist der Mechanismus, der zur Verteilung der Zertifikate führt, nicht unwichtig. Dazu siehe auch die Diskussion unter einem früheren Post auf diesem Blog.

          • @Bartosz Bartkowski
            Der Emissionshandel ist theoretisch zwar schön, in der Praxis gibt es aber fast unüberwindbare Hindernisse gegenüber der damit verbundenen Verteuerung der Energie. Zudem fördert der Emissionshandel die Innovation auf dem Energiesektor nur wenig. Bei den Defizit- und Schuldenproblemen vieler Staaten würden die Einnahmen durch eine CO2-Steuer oder den Emissionshandel wohl auch für die Defizit- und Schuldenreduktion verwendet.

            Der Artikel Real-World Barriers to Carbon Pricing geht darauf ein, weshalb eine Preiserhöhung für Kohle, Erdöl und Erdgas der Öffentlichkeit sehr schlecht zu vermitteln ist: Es gibt dort einen starken Wunsch nach billigerer Energie. Wenn vom einfachen Bürger erwartet wird, dass er aufgrund eines künstlich erhöheten Öl- oder Ergaspreises beispielsweise seine Heizung durch eine effizientere ersetzt, dann verlangt man sehr viel – so viel dass eine Politik, die so etwas erzwingt, an der Urne abgeschmettert wird. Meinungsumfragen kommen auf 2 bis 8 Dolllar als politisch akzeptablen Preis von CO2, viel zuwenig um effektiv zu sein. Das Beispiel mit der obsolet gewordenen Ölheizung infolge eines CO2-Preises gilt auch für die Industrie, wo teure Investments (gerade erst gebaute Kohlekraftwerke etc) massiv an Wert verlieren. Das erklärt den Widerstand der Industrie gegen effektive und damit höhere Emissionshandelspreise beispielsweise in Europa.

            Der Artikel http://thebreakthrough.org/index.php/programs/energy-and-climate/the-carbon-tax-fantasyThe Carbon Tax Fantasy stellt den Glauben in Frage, eine CO2-Steuer oder der Emissionshandel seien das Einzige, was die Ökonomie und Gesellschaft brauche um die Emissionen substantiell zu reduzieren so wie das Paul Krugman folgendermassen formuliert:

            “If you seriously believe in markets, you should believe that given the right incentives — namely, putting a price on emissions, through either a tax or a tradable permit scheme — the economy will find lots of ways to emit less.”

            Fazit: Was in der Theorie gut klingt kann an der Marktpyschologie scheitern. So erzeugen die massiven Wertberichtigungen von heutigen fossilen Anlagen durch einen spürbaren CO2-Preis fast automatisch einen starken Widerstand in der Industrie und bei Privaten. Wegen diesem Widerstand gelang es bisher nur in wenigen Staaten/Bundesstaaten einen CO2-Preis überhaupt einzuführen.
            Sicher werden durch einen Preis auf CO2 die Emissionen reduziert, dort wo sich das finanziell lohnt, doch das ist vor allem ein Anpassungs- und kein Innovationsprozess und führt nicht unbedingt dazu, dass radikal bessere Technologien entwickelt werden, die noch in diesem Jahrhundert die Emissionen um 90% senken wie es nötig wäre. Diese radikal besseren Technologien können nicht durch Anpassung allein sondern nur durch eine massive Investitionen sowohl staatlicher als auch privater Forschung&Entwicklung in den Energiebereich entstehen. Ein weiterer wichtiger Grund für die beschränkte Wirkung eines CO2-Preises ist die nötige Höhe eines wirksamen CO2-Preises. Er müsste schon initial mindestens 30 Dollar pro Tonne CO2 betragen, das 5-fache des heutigen EU-Preises. Später müsste er auf über 100 Dollar pro Tonne CO2 ansteigen. Zudem ist es unter den heutigen Verhältnissen unwahrscheinlich, dass die so erhobenen Gelder vollumfänglich an die Bürger zurückerstattet werden. Vielmehr werden sie wohl auch für die Defizitreduktion und den Schuldenabbau verwendet, wären dann also eine zusätzliche Steuer.

          • Das nicht Schöne am Emissionshandel ist, dass ein abstrakter Wert gehandelt wird, der des Vertrauens der Abnehmer, der Käufer und Verkäufer bedarf, denen der Staat oder Staaten auf der Pelle sitzen müssen, um rechtlich, zivil- und strafrechtlich zu konditionieren.
            Der Vergleich mit dem Ablasshandel bietet sich an.

            Dies nur abstrakt zum Vorgang angemerkt, ohne zu werten, gewertet darf aber vielleicht im Moment, dass es mau aussieht zurzeit bei diesem (ungewöhnlichen) Vorhaben.

            MFG
            Dr. W

          • @Bartosz Bartkowski
            Der Emissionshandel ist theoretisch zwar schön, in der Praxis gibt es aber fast unüberwindbare Widerstände gegenüber der damit verbundenen Verteuerung der Energie. Zudem fördert der Emissionshandel die Innovation auf dem Energiesektor nur wenig. Bei den Defizit- und Schuldenproblemen vieler Staaten würden die Einnahmen durch eine CO2-Steuer oder den Emissionshandel wohl auch für die Defizit- und Schuldenreduktion verwendet.

            Der Artikel
            Real-World Barriers to Carbon Pricing
            geht darauf ein, weshalb eine Preiserhöhung für Kohle, Erdöl und Erdgas der Öffentlichkeit sehr schlecht zu vermitteln ist: Es gibt dort einen starken Wunsch nach billigerer Energie. Wenn vom einfachen Bürger erwartet wird, dass er aufgrund eines künstlich erhöheten Öl- oder Ergaspreises beispielsweise seine Heizung durch eine effizientere ersetzt, dann verlangt man sehr viel – so viel dass eine Politik, die so etwas erzwingt, an der Urne abgeschmettert wird. Meinungsumfragen kommen auf 2 bis 8 Dolllar als politisch akzeptablen Preis von CO2, viel zuwenig um effektiv zu sein. Das Beispiel mit der obsolet gewordenen Ölheizung infolge eines CO2-Preises gilt auch für die Industrie, wo teure Investments (gerade erst gebaute Kohlekraftwerke etc) massiv an Wert verlieren. Das erklärt den Widerstand der Industrie gegen effektive und damit höhere Emissionshandelspreise beispielsweise in Europa.

            Der Artikel
            The Carbon Tax Fantasy
            stellt den Glauben in Frage, eine CO2-Steuer oder der Emissionshandel seien das Einzige, was die Ökonomie und Gesellschaft brauche um die Emissionen substantiell zu reduzieren so wie das Paul Krugman folgendermassen formuliert:

            “If you seriously believe in markets, you should believe that given the right incentives — namely, putting a price on emissions, through either a tax or a tradable permit scheme — the economy will find lots of ways to emit less.”

            Sicher werden durch einen Preis auf CO2 die Emissionen reduziert, dort wo sich das finanziell lohnt, doch das ist vor allem ein Anpassungs- und kein Innovationsprozess und führt nicht unbedingt dazu, dass radikal bessere Technologien entwickelt werden, die noch in diesem Jahrhundert die Emissionen um 90% senken wie es nötig wäre. Diese radikal besseren Technologien können nicht durch Anpassung allein sondern nur durch eine massive Investitionen sowohl staatlicher als auch privater Forschung&Entwicklung in den Energiebereich entstehen. Ein weiterer wichtiger Grund für die beschränkte Wirkung eines CO2-Preises ist die nötige Höhe eines wirksamen CO2-Preises. Er müsste schon initial mindestens 30 Dollar pro Tonne CO2 betragen, das 5-fache des heutigen EU-Preises. Später müsste er auf über 100 Dollar pro Tonne CO2 ansteigen. Zudem ist es unter den heutigen Verhältnissen unwahrscheinlich, dass die so erhobenen Gelder vollumfänglich an die Bürger zurückerstattet werden. Vielmehr werden sie wohl auch für die Defizitreduktion und den Schuldenabbau verwendet, wären dann also eine zusätzliche Steuer.

            Warum ein Emissionshandelssystem oft in der Einführungsphase scheitert

            Australien hat sein Emissionshandelssytem kurz nach dessen Einführung wieder aufgegeben. Die EU hat nicht auf den Preiszerfall ihres Emissionshandelssystems reagiert. In beiden Fällen scheiterte das Emissionssystem an den unwilligen Marktakteuren.
            Was in der Theorie gut klingt kann nämlich an der Marktpyschologie scheitern. So erzeugen die massiven Wertberichtigungen von heutigen fossilen Anlagen durch einen spürbaren CO2-Preis fast automatisch einen starken Widerstand in der Industrie und bei Privaten. Wegen diesem Widerstand gelang es bisher nur in wenigen Staaten/Bundesstaaten einen CO2-Preis überhaupt einzuführen.

          • @Martin Holzherr:
            Ich stimme Ihnen an allen Stellen zu. Bloß sind das keine Argumente gegen den Emissionshandel. Dass es nicht das einzige Instrument sein sollte, ist klar und wurde von Kollegen aus dem Hause sehr gut dargestellt (siehe z.B. hier). Dass Menschen keine höheren Energiepreise wollen, ist ebenfalls klar – aber daran scheitert jede halbwegs ambitionierte Klimapolitik, unabhängig davon, welches spezifische Instrument verwendet wird.

          • @ Herr Holzherr :

            Diese radikal besseren Technologien können nicht durch Anpassung allein sondern nur durch eine massive Investitionen sowohl staatlicher [Hervorhebung: Dr. W] als auch privater Forschung&Entwicklung in den Energiebereich entstehen. Ein weiterer wichtiger Grund für die beschränkte Wirkung eines CO2-Preises ist die nötige Höhe eines wirksamen CO2-Preises. Er müsste schon initial mindestens 30 Dollar pro Tonne CO2 betragen, das 5-fache des heutigen EU-Preises [dito]. Später müsste er auf über 100 Dollar pro Tonne CO2 ansteigen.

            Das mit dem “Müsste & Sollte” kennt man ja historisch aus bestimmten kollektivistischen Erfahrungen, X-Jahrespläne betreffend und so.

            Das Umsetzungs-Problem besteht konkret heutzutage darin, dass die Leutz ahnen oder wissen, dass regionale oder nationalstaatliche Umsetzung es im intonierten Sinne nicht bringen wird, wenn ein globales Kooperationszenario vorliegt, das dilemmatisch ist (vs. : ‘zu sein scheint’).

            Insofern sind derartige Gut- oder Schlechtachten:
            -> http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/jg2011/wbgu_jg2011.pdf

            …eher als Rückzugsgefechte zu verstehen, sie werden von der Politik, der bundesdeutschen, denn auch wenig beachtet bis weggehüstelt, wenn Sie der Medienlage gefolgt sind, hat Frau Schavan hier gedankt und zugestimmt, ansonsten hieß es: Schweigen im Walde.

            Zumindest solange es nicht in dem Umfang wärmer wird, wie von einigen prognostiziert, also ca. + 0,25 K / Dekade.

            HTH
            Dr. W

          • @Dr. Webbaer 13. Oktober 2014 17:22
            Der CO2-Tonnenpreis muss eine gewisse Höhe haben, damit er wirkt und Energieforschung muss sowohl vom Staat als auch von Privaten gemacht werden damit etwas Bahnbrechendes herauskommt.
            Das hat mit Kollektivismus gar nichts zu tun. Es gilt vielmehr:
            – Ein zu tiefer CO2-Tonnenpreis ist Placebo- und Scheinpolitik.
            – Forschung ohne Engagement des Staates fehlt der nötige lange Atem.
            Beispiel: Das Fracking, mit dem heute in den USA gearbeitet wird geht auf ein Regierungsprogramm zurück, welches in den späten 1970er Jahren startete. Kein Privater hätte das Kapital und den langen Atem gehabt solch ein Programm durchzuziehen.

            Das sind also Selbstverständlichkeiten, die im Grund jeder versteht. Wer dagegen etwas einwendet, der will eben im Endeffekt gar nichts unternehmen. Er hofft – wie sie im letzten Satz ja schreiben -, dass der Klimawandel schon nicht so schlimm werde, wie von den Klimaforschern angenommen.

          • @ Herr Holzherr und nur hierzu:

            Das sind also Selbstverständlichkeiten, die im Grund jeder versteht. Wer dagegen etwas einwendet, der will eben im Endeffekt gar nichts unternehmen.

            Merken Sie eigentlich, wie Sie hier anklägerisch werden und auf Individuen bezogen psychologisieren:
            A) ‘Selbstverständlichkeiten’ -> Rhetorik
            B) ‘jeder versteht’ -> Rhetorik
            C) ‘Wer dagegen etwas einwendet, der will eben im Endeffekt gar nichts unternehmen.’ -> Bull, um es freundlich und unvollständig zu formulieren


            BTW und um mal klar zu stellen, warum sich Ihr Kommentatorenfreund noch um Sie bemüht:
            Sie haben eine eigenartige Mischung sinnhaft vorzutragen und dann wieder anhaltend nicht. Sie sind auch keiner “Klasse” oder Bewegung zuzuordnen, Sie mischen aber Sinnhaftes und, nunja, “Bull”, durcheinander. Wie schaffen Sie dies bloß derart anhaltend?

            MFG
            Dr. W (der sich natürlich darin bewusst ist beizeiten streng zu sein, dem hier verantwortlichen Inhaltegeber auch vorab dankt, sollte diese Nachricht erhalten werden können, der aber nagt, und zwar zunehmend)

  8. Die Ökonomische Betrachtung der Natur als Ausgeburt der neoliberalen Agenda und damit als Symptom der Monetarisierung aller Lebensbereiche zu brandmarken, ist recht ahistorisch, denn in der Rechtsgeschichte findet man einige Jahrhunderte lang verfolgte Praktiken einer Monetarisierung von Gütern, die nicht rein materiell betrachtet werden sollten. So wurden selbst schwere Vergehen mit Geld abgegolten bis hin zur finanziellen Kompensation für Mord, was letztlich bedeutet, dass man einem menschlichen Leben einen Geldwert zugeordnet hat. So las ich, dass im mittelalterlichen Südnorwegen die Kompensation mit Geldbeträgen auch bei schweren Vergehen üblich war und von den Opfern (Angehörigen) oft der Todesstrafe vorgezogen wurde, wenn sie darüber mitentscheiden konnten.
    Ökosystem- und Naturdienstleistungen einen Geldwert zuzuordnen ist also nicht ohne geschichtliches Vorbild.
    Doch Dingen, die nicht zur Domäne des Tauschhandelbereich gehören, einen monetären Wert zuzuordnen war und ist problematisch, wenn man sich nicht bewusst ist, dass etwas eben mehr und einen anderen Wert haben kann als sich durch einen Geldbetrag ausdrücken lässt.
    Eine rein ökonomische Betrachtung könnte beispielsweise zum Schluss kommen, dass die Naturerscheinungen im Südtirol genau so viel Wert sind wie sie an Tourismusgeldern generieren, zur Not könnte man noch den positiven Einfluss auf die Gesundheit der dort lebenden Bevölkerung hinzunehmen, doch dann hätte es sich. Eine völlige Umgestaltung des Südtirols, beispielweise die völlig Zubetonierung würde aber auch den Charakter dieses Landesteils so weit ändern, dass viele Einheimische vielleicht wegziehen würden. Wie will man diesen Effekt mit einem Geldbetrag versehen? Auch wenn Tourismus und vielleicht die Gesundheit durch die Zubetonierung des Südtirols leiden würde, könnte in der ökonomischen Bilanz ein Positivum herauskommen – womit dann die Zubetonierung gerechtfertigt wäre?

    Viel schwieriger wird es noch bei globalen Betrachtungen, in denen es nicht nur um einen Landstrich sondern um die ganze Erde geht und damit auch um die heutige und zukünftige Conditio humana, also die grundsätzlichen Bedingungen unter denen Menschen leben. Eine rein ökonomische Betrachtung könnte zum Schluss kommen, dass es sich ökonomisch nicht lohnt dem Klimawandel entgegenzutreten, weil die Massnahmen mehr kosten als sie der heutigen Generation bringen. Viele Effekte des Klimawandels wie ein Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern werden erst unsere Nachkommen erleben. Das ist also nicht unser Problem und damit nicht unser Geld, das da bedroht wird, sondern das Geld einer Nachfolgergeneration, von der nur wenig wissen können. Wie soll man das monetarisieren?

    Überhaupt sind globale Risiken sehr schwierig monetär einzuschätzen. Beispielweise bin ich dafür einen substanziellen Teil der Erde dem menschlichen Einfluss zu entziehen und das neue Zeitalter des Anthropozäns sehe ich als potenziell zu grosse Verantwortung für den Menschen. Der Mensch kennt ja das Erdsystem viel zu wenig. Was wenn grossflächig Eingriffe in das Erdsystem, wie sie sich heute abzeichnen, die Bedingungen auf der Erde nachhaltig verschlechtern? Wie muss man ein solches Risiko ökonomisch einschätzen?
    Oder nehmen wir das Risiko, dass ein Biohacker/Bioterrorist ein Virus basteln könnte, das einen grossen Teil der Menschheit auslöscht. Sollten wir hier überhaupt Geld investieren um so etwas unwahrscheinlicher zu machen? Oder wäre etwa eine völlige Auslöschung der Menschheit durch einen Bioterroristen ein ökonomisches Nicht-Ereignis, weil ja niemand mehr etwas dafür zahlen muss. Und weil es ein ökonomisches Nicht-Ereignis ist kann es nicht ökonomisch bewertet werden. Und was nicht ökonomisch bewertet werden, darum sollte man sich nicht kümmern?

    • Ich fange mit dem letzten Punkt an: natürlich ist die ökonomische Betrachtung nicht der Stein der Weisen und auch nicht die ultimative Antwort auf Probleme der Menschheit. Die meisten involvierten Ökonomen sind sich durchaus im Klaren, dass ökonomische Bewertung nur einen Teil des jeweils betrachteten Problems abdeckt – man lese nur den state-of-the-art-Report der TEEB-Initiative zu Ecological and Economic Foundations.

      Zu den historischen Ursprüngen der ökonomischen Bewertung würde ich sagen, dass man diese Parallelen mit Vorsicht genießen sollte. Wie in dem äußerst interessanten Buch von Jared Diamond, The World Until Yesterday, zu lesen, waren und sind “Kompensationszahlungen” bei Verletzungen und Tod in “primitiven” Gesellschaften eher symbolischer Natur und Teil eines komplizierten Prozesses, dessen Ziel es ist, die i.d.R. kleinen Gesellschaften stabil zu halten. Das ist nicht ohne Weiteres auf moderne Staatsgesellschaften übertragbar, die mit derartigen Ereignissen ganz anders umgehen (müssen).

      Zu Südtirol möchte ich wieder auf die Kategorien des Vermächtnis- , des altruistischen und des Existenzwertes verweisen, die es vermögen, viel mehr Aspekte zu erfassen, als nur Tourismus und Gesundheit. Des Weiteren wird empfohlen, ökonomische Bewertung a) unter Einbeziehung von allen relevanten Stakeholdern (gewissermaßen logisch bei einem explizit präferenzbasierten Ansatz) und b) nicht in Isolation als alleinige Entscheidungsgrundlage anzuwenden.

      Zu Klimawandel und künftigen Generationen: die ökonomische Bewertung schränkt die Betrachtung nicht auf die heute lebenden Generationen ein. Der Umgang mit künftigen Generationen ist, zugegebenermaßen, nicht sehr einfach (was im Kontext des Stern-Reports eine immer noch nicht abgeschlossene Debatte übers Diskontieren ausgelöst hat). Aber diese Schwierigkeit betrifft nicht nur den ökonomischen Ansatz. Die nachkommenden Generationen sind nun mal nicht da und können uns nicht sagen, wie ihre Wünsche sind. Das müssen wir uns selbst überlegen, und da hat die Umweltökonomik einige interessante Ansätze zu bieten.

    • @ Herr Holzherr :

      Überhaupt sind globale Risiken sehr schwierig monetär einzuschätzen. Beispielweise bin ich dafür einen substanziellen Teil der Erde dem menschlichen Einfluss zu entziehen und das neue Zeitalter des Anthropozäns sehe ich als potenziell zu grosse Verantwortung für den Menschen.

      Beten. Nennen Sie doch einfach das Fachwort, egal, ob Sie es theozentrisch oder physiozentrisch wollen, aber Sie wollen im Kern beten. [1]

      MFG
      Dr. W

      [1] auch ‘bitten’, man wäre hier etymologisch zusammen

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