Die „Welt“ der UN-Klimakonferenz in Katowice

BLOG: Umweltforsch

Grenzgänger zwischen den Disziplinen
Umweltforsch

Ambitionierte Verhandlungen und geschäftiges Treiben drinnen, vorweihnachtliche Normalität draußen und über allem ein grauer Kohlehimmel!

Ein Gastbeitrag von Hannes Raßmann, Sozial-Anthropologe, und im Rahmen seiner Promotion am UFZ bis 9.12. 2018 als Beobachter auf der COP24

Wenn sich die Türen des Regionalzuges zwischen Gliwice und Katowice morgens an den verschiedenen kleineren Bahnhöfen dazwischen öffnen, steigt mir jedes Mal ein beißender Geruch in die Nase. Es riecht ein bisschen so, als würde man am Lagerfeuer sitzen und Holz verbrennen, das noch nicht ganz trocken und dazu in seinem früheren Leben lackiert wurde. Der Grund für die schlechte Luft rührt zum einen von den zahlreichen Kohlekraftwerken in der polnischen Region Schlesien und zum anderen daher, dass immer noch viele Menschen mit Kohle ihre Öfen zuhause heizen. Ich bin auf meinem allmorgendlichen Weg aus meinem Hotel in Zabrze zum Konferenzort in Katowice, wo seit einer Woche die vierundzwanzigste UN-Klimakonferenz COP24 stattfindet. Wie viele andere Konferenzteilnehmerinnen und Konferenzteilnehmer bin auch ich nicht direkt in Katowice untergebracht, sondern in einer anderen Stadt. Einige erzählten mir, dass sie sogar in Krakau untergebracht wären und jeden Tag eine Stunde mit dem Shuttlebus bis nach Katowice fahren müssten und zudem häufig im Berufsverkehr stecken blieben. Die schlesische Hauptstadt scheint schlicht und einfach nicht die nötigen Kapazitäten für die Unterbringung der mehr als 20.000 Teilnehmer aus zweihundert Nationen  zu haben.

Ich schaue aus dem Zugfenster und denke, dass weder die Modernisierung der Heiztechnologie, noch die Restaurierung der gründerzeitlichen Bausubstanz, die man im Zentrum von Katowice sehen kann, in den Randbezirken,  Dörfern  und in den Kleinstädten angekommen zu sein scheint. Ein Witz, der mir auf einem meiner Spaziergänge durch die Stadt von jemandem erzählt wurde, besagt, dass sich ein richtiger Katowicer nur dann zuhause fühlt, wenn er die Luft auch sehen kann. Richtet man den Blick gen Himmel, ist es schwer zu sagen, ob es sich bei dem diesigen Grau über der Stadt um genuinen Smog oder lediglich eine Decke aus Regenwolken handelt. An den Fassaden außerhalb des Zentrums hingegen hat der Kohleruß sehr deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Ganz so, wie ich das aus den Erzählungen meiner Eltern über meine Wahlheimat Leipzig kenne, in der sie während der späten DDR-Jahre studierten. Dass aber die durch Verstromung und Heizen mit Kohle verpestete Luft nicht nur mir als Zugereisten im Halse stecken bleibt, ist durch meine Gespräche mit Passantinnen und Passanten mehr als deutlich geworden. Fast jeder spricht über die schlechte Luft, manche klagen über häufige Kopfschmerzen und Müdigkeit während der Heizperiode. Einige Menschen betonten aber auch, dass es schon viel besser  geworden und  der Schnee nicht mehr so schwarz sei, wie früher. Die New York Times berichtete im Frühjahr diesen Jahres darüber, dass die Luftverschmutzung in Polen jedes Jahr etwa 48.000 Menschen das Leben kostet und dass 62 Prozent aller Kindergärten von belasteter Luft betroffen sind. Katowice scheint auf den ersten Blick ein denkbar unglücklich gewählter Ort für eine UN-Klimakonferenz zu sein. Ob sich dieser Eindruck nach fast einer Woche in der Stadt und auf der Konferenz verflüchtigt hat, steht am Ende des Artikels.

Vorweihnachtszeit bei herbstlichen Temperaturen
Nachdem ich nach zehnstündiger Busfahrt über Nacht aus Leipzig am Montag gegen Mittag in Katowice angekommen war, wurde ich von Nieselregen empfangen. Es war überraschend mild für einen Tag Anfang Dezember, eher herbstlich als winterlich. Ein paar Meter entfernt vom Busbahnhof standen junge Leute in neongelben Westen. Sie stellten sich als Freiwillige heraus, die anreisenden Konfernzteilnehmerinnen und -Teilnehmern wie mir halfen, sich in der Stadt zu orientieren. Eine der Freiwilligen begleitete mich freundlicherweise ein Stück Richtung Konferenzgebäude, ich konnte ein paar Fragen auf dem Weg stellen. Die Freiwilligen, meist junge Menschen aus Katowice oder Region, mussten alle, erzählte sie, persönliche Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen und mindestens achtzehn Jahre alt sein. Sie hatte sich freiwillig gemeldet, da sie sich für das Thema persönlich interessiert und etwas Praktisches für das Klima tun wollte. In diesem Moment hätte ich nicht gedacht, dass ich bei anderen jungen Menschen in der Stadt nicht auf das gleiche Interesse stoßen würde. Während ich mich zu Fuß, Rucksack auf den Schultern und Rollkoffer hinter mir herziehend durch die Innenstadt Richtung Konferenzgebäude zubewegte, fiel mir bereits nach kurzer Zeit auf, dass im Stadtbild kaum etwas auf die Klimakonferenz hindeutete. Menschen spazierten in einer vorweihnachtlich dekorierten Innenstadt zwischen den Geschäften umher, kauften ein, aßen in den vielen kleinen Cafés und Imbissen und unterhielten auf dem Weihnachtsmarkt bei Glühwein und Bratwurst miteinander. Wussten die Passanten, dass in wenigen hundert Metern Luftlinie über nicht viel weniger als die Zukunft der menschlichen und vieler anderer Spezies auf diesem Planeten verhandelt wird? Wäre ich zufällig in der Stadt gewesen, ich hätte es wohl eher nicht bemerkt. Die kleinen Grüppchen von Freiwilligen mit ihren Neowesten waren noch das Auffälligste in dieser Hinsicht. Viele, vor allem junge Menschen, mit denen ich in den nächsten Tagen auf den Straßen von Katowice sprechen sollte, wussten nichts oder nur sehr wenig über die Konferenz. Viele interessierten sich trotz näherer Nachfragen nicht für dieses Großereignis. Vielmehr lautete die Antwort häufig: „Das hat doch aber nichts mit mir zu tun.“ Vielleicht hätte die Stadtverwaltung oder die polnische Regierung mehr tun können, um vor allem auch bei jungen Menschen mehr Interesse ein einem so wichtigen Prozess zu wecken.

Spaceship Earth? Spaceship COP!
Als ich mich dem Konferenzgebäude, die Hauptstraße entlang gehend, näherte, überkam mich das Gefühl, gleich einen sehr wichtigen Ort zu betreten. Die Spodek-Halle, die  sonst eher für Sport- und Großevents wie Eiskunstlauf oder Konzerte genutzt wird, stach aus dem Hintergrund des grauen Himmels deutlich hervor. Das lag nicht nur daran, dass sie genau in der Fluchtlinie der Hauptstraße und hinter einem großen Denkmal für die Aufständischen der schlesischen Unabhängigkeitsbewegung kurz nach dem ersten Weltkrieg lag. Das Gebäude hob sich durch die weiß beplanten Absperrzäune, aber vor allem durch die zweihundert verschiedenen Nationalflaggen ab, die die teilnehmenden Länder repräsentieren. Das allgegenwärtige Motto der Konferenz, das auf vielen Fähnchen und offiziellen Bannern prangt, lautetet: „COP24 – Changing together“.  Während ich mich also diesem raumschiffartigen Gebäude näherte, fiel mir noch etwas anderes auf, vor allem deswegen vermutlich, weil es sich nicht mit meinen Erwartungen deckte. Ich konnte weit und breit keinen sichtbaren Protest erkennen. Keine Menschen mit Bannern, Plakaten, keine Kundgebungen. Zwar wusste ich bereits lange vor meiner Anreise, dass die polnische Regierung bereits im Januar ein Gesetz verabschiedet hatte, das spontane beziehungsweise nicht angemeldete Proteste während der Konferenz untersagt und die systematische Überwachung und Überprüfung aller Konferenzteilnehmer durch die polnische Polizei – auch ohne jeweiligen  richterlichen Beschluss – ermöglichte. Ich hatte dennoch angenommen, dass sich Menschen in Anbetracht der Dringlichkeit der Lage dagegen zur Wehr setzen und trotz persönlichen Risikos ihren Protest und ihre Meinung auf die Straße tragen würden. Ich erwartete zumindest so etwas wie eine angemeldete Dauerkundgebung. Schließlich hatte der IPCC, das Intergovernmental Panel on Climate Change, erst wenige Wochen vor der Konferenz einen besorgniserregenden Bericht vorgelegt. Danach müsse die Erderwärmung unbedingt auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden, wenn die Menschheit die katastrophalsten Effekte des Klimawandels eindämmen und somit den drohenden Zusammenbruch menschlicher Zivilisation verhindern wolle. Das Zeitfenster, um die erste Etappe der dafür notwendigen Emissionsreduzierungen von  etwa 45 Prozent (bis 2030) und 100 Prozent (bis 2050) zu bewerkstelligen, beziffert der Bericht mit zwölf Jahren. Zwölf Jahre sind genau noch einmal die Hälfte der Zeit, die seit der ersten UN-Klimakonferenz vergangen ist. Nicht viel Zeit also, um „die größte Gefahr in tausenden von Jahren“ zu verhindern, wie der durch die BBC-Reihe „Planet Earth“ bekannt gewordene Tierfilmer und Naturforscher David Attenborough zu Beginn der Konferenz vor den versammelten Delegierten anmahnte.

Weiße Zeltgänge, Hochglanzbilder und alte Bekannte – Eindrücke aus dem Konferenzgebäude
„Jede COP-Konferenz ist anders“ – 2016 in Marakesch, beispielsweise, so berichtete mir Christian Mihatsch, Journalist für „Klimareporter.de“ und langjährige Beobachter der Konferenzen, gab es eine Green Zone am Konferenzort für alle Besucher und Proteste konnten, trotz der autoritären Regierung stattfinden. Hier kam ich an maskierten Polizisten vorbei, sah wie Passanten ohne Akkreditierungskärtchen bereits ein  ganzes Stück vor dem eigentlichen Konferenzort weggeschickt wurden. Die Betonblöcke, die auf dem Gehweg zu sehen sind, verweisen auf die Angst vor terroristischen Anschlägen. Drinnen müssen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch eine Sicherheitskontrolle, die denen an Flughäfen nicht unähnlich ist. Allein durch diese Sicherheitsarchitektur ist die Konferenz gewissermaßen physisch vom Rest der Stadt abgetrennt.

Dahinter erstreckt sich das Konferenzareal, bestehend aus weißen, miteinander verbundenen Zelten für die Verhandlungen, die Presse, die nationalen Pavillons, NGO-Stände und andere Bereiche. Dieser Ort hätte überall auf der Welt sein können. Vom Außen nahm man in den fensterlosen Gängen nichts wahr. Vermutlich auch um diesem Eindruck entgegen zu wirken, konnte man auf wohl platzierten Hochglanzplakaten Ansichten von Katowice und der natürlichen Vielfalt Polens betrachten. Im nicht temporären Teil der Konferenz-Infrastruktur, der Spodek-Halle, empfand  ich  es im Vergleich zu den Zelten wesentlich gemütlicher. Hiergönnten sich  die Teilnehmer eine Pause, es kamen Menschen informell miteinander ins Gespräch. Ich konnte immer wieder kleinere Grüppchen von angeregt miteinander diskutierenden Menschen beobachten. Mir scheint, man kennt sich nach fast einem Viertel Jahrhundert Klimaverhandlungen. Einmal, zum Beispiel, ich stand gerade vor dem japanischen Pavillon und ließ mir von einem kleinen Roboter über den, ich zitiere hier lose, „Paradigmenwechsel in der Entwicklung  grüner Technologien in Japan“ erzählen, da umarmten sich zwei Menschen neben mir sehr freudig. „Great to see you! How are the kids?“ In solchen Momenten wirkte die Klimakonferenz sehr menschlich auf mich und irgendwie ganz unverkrampft.

Verdichtete kulturelle Vielfalt – Marketing und gegenseitiges Lernen
So zum Beispiel auch während einer Kava-Zeremonie im „Pacific and Koronivia Pavilion“, dem der Gastgeber der vorherigen COP-Konferenz auf Fiji im letzten Jahr. Während manche nationale Pavillons eher wie bessere Broschürenständer und wenig belebt wirkten, gab es auch solche, denen man ansieht, dass sehr viel Arbeit, Liebe zum Detail und der Wille, einen guten Eindruck zu hinterlassen, eingeflossen sind. An diesem Abend saßen im pazifischen Pavillon Menschen auf dem Boden auf einer großen Bastmatte. Eine willkommene Abwechslung in einer doch recht formellen Atmosphäre, die bei mir während der ersten Tage doch eine gewisse Anspannung zur Folge hatte. Kava, ein milchiges aus den getrockneten Wurzeln des Rauschpfeffers hergestelltes Getränk aus dem westpazifischen Raum, wurde aus einer großen Holzschüssel geschöpft und machte, in kleineren Schälchen die Runde. Kava, das zufällig identisch mit dem polnischen Wort für Kaffee (das Hauptgetränk auf der Konferenz) ist, soll beruhigend wirken und wird bei allerlei offiziellen Anlässen wie Hochzeiten oder Verhandlungen auf pazifischen Inseln zu sich genommen. Es sei so populär, dass selbst Jugendliche es dem Alkoholkonsum vorziehen sollen. Wer ein Schälchen gereicht bekam, musste als Zeichen der Annahme einmal in die Hände klatschen. Nach getanem Trunk wurde dann durch alle drei Mal geklatscht. Man teilte somit nicht nur ein Getränk miteinander sondern auch die gegenseitige Aufmerksamkeit füreinander. Die Entspannung setzte auch bei mir nach dem zweiten Schälchen ein. Hier, für mich als Sozial-Anthropologen besonders spannend, konnte man für einen kurzen Moment eine kulturelle Kontaktzone entstehen sehen, die eine ganz andere Art und Weise des Miteinanders erzeugte als in den offiziellen Verhandlungen oder den vielen Orten, wo Menschen hier etwas präsentieren oder besonders gut darstellen müssen. Leicht könnte dieser Moment, auch aus meiner eigenen wissenschaftlichen Disziplin, schlichtweg als unreflektiertes „Exotisieren“ abgetan  werden. Vielleicht wäre ich auch bei dieser Erkenntnis geblieben, hätte ich nicht vom Talanoa-Dialog erfahren, einem transparenten, dialogischen und auf die Herausbildung von  Empathie und  gegenseitigem Verständnis abzielenden Praxis aus Fiji, die mittlerweile auch offiziell Teil des größeren COP-Prozesses ist. Bei diesem Dialog steht das Erzählen von Geschichten im Vordergrund und soll wohl auf breites Interesse und positive Resonanz gestoßen sein. Ein anderes Beispiel, erzählte mir ebenfalls Christian Mihatsch, sei eine Praxis aus Südafrika gewesen, die zum Ziel hatte, hochrangige Verhandler in einem Zelt zusammenzubringen und allen gemeinsam die Möglichkeit zu  geben, informell  miteinander ins Gespräch zu kommen. Diese Beispiele zeigen, dass es durchaus Versuche gibt, die sehr technischen Verhandlungen mit anderen Formaten und Praktiken zu ergänzen. Inwieweit diese dann aber tatsächlich einen tiefgreifenden Einfluss auf die Verhandlungen haben oder ob vielmehr andere Einflüsse viel wichtiger sind, wäre herauszufinden. Für  mich überwog doch deutlich eine auf Hochglanz polierte  Marketingästhetik bei vielen Pavillons und Ständen, die vor allem zeigen wollte, dass das jeweilige Land oder der jeweilige Konzern besonders viel für  den Klimaschutz tut und sich damit  gleichzeitig noch wunderbar Geld verdienen lässt. Dass ein solcher Marketing-Ansatz nicht nur auf möglicherweise zukunftstaugliche „grüne Technologien“ beschränkt bleibt, sondern auch die Kohle und andere fossile Brennstoffe weiterhin ihren Platz in einem sich immer schneller erwärmenden Planeten haben sollen oder sogar eine Renaissance erleben, steht bei dieser vierundzwanzigsten COP traurigerweise durch die Gastgeberschaft und das Sponsoring der Konferenz im Vordergrund. Es war nicht  nur für mich befremdlich, im polnischen Pavillon über perfekt ausgeleuchtete Kohle in in den Boden eingelassenen Glaskästen zu laufen und dabei, trotz glatten Bodens, darüber zu stolpern.

Leave it in the Ground? Vonwegen! – Kohle als nationales Recht und größtes Problem der Menschen in Katowice
Bei seiner Eröffnungsrede am vergangenen Sonntag verkündete der polnische Präsident Andrzej Duda, dass die Abhängigkeit Polens von der Kohle nicht im Widerspruch zum Erzielen von Fortschritten in der Klimapolitik stehen würde. Somit verwundert es auch nicht, dass die Konferenz von Schwergewichten des polnischen Kohleenergiesektors gesponsert wird. Dass diese Entscheidung und Haltung der polnischen Regierung vielen Menschen in Katowice ganz und gar nicht schmeckt, konnte ich ebenfalls während zahlreicher Gespräche mit Menschen in der Innenstadt in Erfahrung bringen. Fast jeder teilte mir prompt auf die Frage danach, was sie oder er über die Klimakonferenz denke, mit, dass das größte Problem in der Stadt und Region die schlechte Luft sei. Einige Menschen gingen sogar soweit zu sagen, dass sie, würde sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern, erwägen, wegzuziehen. Das teilte mir nicht nur eine junge Greenpeace-Promoterin mit, sondern auch eine Polizistin, die während der COP im Dienst ist. Ihr Sohn habe Asthma und da die Regierung sowieso nichts gegen den Kohleabbau unternehmen werde, überlege sie, mit ihrer Familie in eine andere Region in Polen zu ziehen, möglicherweise ans Meer. Von dem Gesetz, das Protest auch genau gegen diese Politik einschränkt und Aktivisten unter Generalverdacht stellt, wollte sie nichts wissen. Natürlich könne man hier protestieren, es sei einfach zu kalt und wäre die COP im  Sommer, sähe das ganz anders aus.

Der March for Climate und ein Zwischenfazit nach einer Woche  Klimakonferenz
Am Samstag fand der „March for Climate“ statt, die vermutlich einzig wahrnehmbare größere Protestveranstaltung während der Konferenz. Es nahmen etwa anderthalb Tausend Menschen teil, die in einem bunten Protestzug durch das Zentrum von Katowice und bis in Sicht- und Hörweite des Konferenzgebäudes zogen. Ich traf während der Demonstration auf ganz unterschiedliche Menschen. Manche waren extra für die Demonstration nach Katowice angereist, andere waren ebenfalls Konferenzteilnehmer. Manche waren sogar zu Fuß aus Bonn bis hierher gepilgert. Einer der Pilger berichtete mir, dass er mit seiner Gruppe auch durch einige polnische Dörfer gezogen sei und sich dort die Menschen sehr wohl Sorgen über den Klimawandel machen würden.  Er  ließ seinem Ärger über einige Mediendarstellungen freien Lauf,  die die gesamte Region als mehr oder minder ignorant gegenüber diesem Problem und als kritiklose Kohlefreunde porträtierten und empfand dies als sehr ungerecht. Ein anderer Teilnehmer berichtete davon, wie er noch vor einigen Jahren als Verhandler für die Philippinen Teil der COP war und jetzt dagegen protestiert. Die Ineffektivität der Verhandlungen und das Ausmaß der Katastrophe, das er zuhause erlebt habe, stünden in keinem Verhältnis, weswegen die Menschen die Klimarettung jetzt selbst in die Hand nehmen müssten. Menschen sprechen zu hören, die ihnen nahestehende Menschen bei durch den Klimawandel häufiger auftretenden und stärker ausfallenden Naturkatastrophen verloren haben, hat mich sehr berührt. Neben der immer wiederkehrenden Aufforderung „Leave it in the Ground!“, drückten viele Sprechchöre auch die Ablehnung gegenüber Trump und Bolsonaro bzw. deren Umweltpolitik aus. Auch die Rechte von Frauen und indigenen Communities wurden immer wieder im Zusammenhang mit Klimawandel und Umweltzerstörung gebracht.

Die Polizei vor Ort begleitete den Protestzug, einen zwar geduldeten, aber ganz klar nicht willkommenen Ausdruck zivilgesellschaftlichen Aufbegehrens mit sehr starker, fast schon martialischer Präsenz. Als am Ende des Protestzuges mehrere Menschen verhaftet wurden, solidarisierte sich ein großer Teil der Demonstration spontan und wartete über anderthalb Stunden auf der Straße direkt vor dem Konferenzgebäude, bis der hintere Teil der Demonstration ebenfalls durchgelassen wurde. Es war ein gutes Gefühl, zu sehen, wie  völlig fremde Menschen aus aller Herren Länder füreinander einstehen und sich auch nicht von einem autoritär auftretenden Sicherheitsapparat einschüchtern lassen.

Gestern Nacht bin ich aus Katowice abgereist und habe an zwei andere Kollegen aus dem UFZ übergeben, die in der zweiten Woche der Konferenz hier über die konkreten Verhandlungsergebnisse und zu Fragen der Klima- bzw. Klimawandelanpassungsfinanzierung berichten werden. Ich fahre mit gemischten Gefühlen nach Hause. Einerseits habe ich sehr viel in dieser Woche gelernt und bin einigen interessanten Menschen begegnet.  Dadurch konnte  einen hautnahen Einblick in die doch recht eigene sowie gleichzeitig spannende Welt einer UN-Klimakonferenz bekommen. Ich habe verstanden, dass eine COP-Konferenz sehr komplex ist und man in einer Woche nur an der Oberfläche dessen kratzen kann, was auf solch einer  Klimakonferenz stattfindet. Andererseits hat sich durch meine Zeit hier die Angst vor der bereits bestehenden und sich weiter verschärfenden Klimakatastrophe nicht wirklich gelöst. Die schlechten Vorzeichen des Austragungsortes, das Festhalten der polnischen  Regierung an der Kohle und andere aktuelle weltpolitische Ereignisse, beispielsweise in Brasilien, die Konferenz überschatteten, hatten ihren Anteil daran.

2 Kommentare

  1. Katowice und Polen sind gute Beispiele für 1) die Folgen des Klimawandels, 2) die Trägheit des Energiesektors und für 3) die Klimapolitik.
    Zu 2) wenn Katowicer davon sprechen, die Luftqualität sei schlecht, aber besser als vor 5 oder 10 Jahren, so kann das bedeuten, dass heute in Katowice immer noch gleich viel CO2 emittiert wird, aber einige Antirussfilter eingebaut wurden. Aus Klimasicht hat sich also womöglich wenig geändert. Energiesysteme sind generell fast so träge wie das Klima selbst, wo man ebenfalls in 30-Jahre Zeiträumen denken muss.
    Zu 1) und 3) Katowice und Polen tragen durch ihre Kohlelastigkeit überdurchschnittlich zum Klimawandel bei, sind aber selbst wohl nur schwach betroffen – und das sowohl direkt wie indirekt. Direkt ist Polen wenig betroffen, weil das zu ewartende wärmere Klima Polen wohl nur wenig negative Folgen bringt. Indirekt ist Polen wenig betroffen, weil es allfällige Klimaflüchtlinge gar nicht erst ins Land lässt, gehört doch Polen wie Ungarn zu den Ländern, die Immigration verhindern wollen.

    Typisch ist Polen insoweit, als es gut sichtbar macht, dass Klimasünder wie Polen zwar die ganze Welt schädigen, aber sich selbst eventuell am Wenigsten. Polen welches stur an seinen Kohlekraftwerken festhält könnte auch eine mögliche, durch den Klimawandel und seine Folgen vorgespurte Zukunft vorwegnehmen: eine Zukunft in der sich jeder vor allem um sich selbst kümmert und wo die von Klimawandelfolgen am stärksten Betroffenen allein gelassen werden. Das würde auch zur momentanen Welle der Antiglobalisierung passen.

    Wenn man oben liest, es bestehe durch den Klimawandel die Gefahr des Zusammenbruchs der Zivilisation, dann steckt dahinter immer noch der Gedanke, dass die ganze Menschheit gleichermassen betroffen ist. Doch das ist nicht der Fall. Eher sollte man den Klimawandel mit einem Krieg vergleichen wo auch nicht alle Regionen gleich getroffen werden. Das Äquivalent zur völligen Zerbombung Dresdens wäre beim Klimawandel das Versinken ganzer Städte im Meer. Für die betroffenen Städte katastrophal, für nicht betroffene Städte aber schlicht nicht ihr Problem. Weil es stark betroffene und wenig betroffene Regionen gibt, muss man auch damit rechnen, dass der Klimawandel viele Klimaflüchtlinge schafft. Die Klimaflüchtlinge wollen wie andere Flüchtlinge auch, an einen besseren Ort auf der Erde. Und solche besseren Orte wird es geben. Nur ist nicht sicher ob die besseren Orte dann bereit sind Klimamigranten aufzunehmen.

Schreibe einen Kommentar