wozu zitieren – wikipedia und die Wissenschaft

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Eine Gebrauchsanleitung für neue Medien 

wo ist eigentlich Wissenschaftsgeschichte auf der "ladder of sexiness"? Es ist jedenfalls keineswegs "eine Wissenschaft für die Pensionäre" wie mir dereinst jemand mal in der Jugendarbeit sagte, als ich einen Kurs anbieten wollte. Ich finde vielmehr, es ist ein wirklich spannendes Fach – und mit mir finden das zahlreiche Berliner Studierende und ein ganzes MPI zum Thema. Um das mal mit einem Zitat zu belegen:

Wer die Enge seiner Heimat ermessen will, reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte. (Kurt Tucholsky) 

Jedenfalls lernt man in diesem Fach, wenn man es professionell betreibt, das korrekte Zitieren – und das ist kein Zeitvertreib für Leute, die "zu doof sind für Physik" (wie manche Leute meinen; [bin ich nicht, hab ich bewiesen]), sondern eine hohe Tugend. 

Das wichtigste bei allem Tun ist aber nicht nur, dass wir es tun, sondern auch, dass wir wissen, WARUM wir es tun. Mag sein, dass die Frage nach dem Warum eine philosophische ist (wie viele Leute leider-verächtlich meinen). Ich finde, sie ist elementar! Wenn man nämlich, weiß, warum man etwas tut, dann kann man auch beurteilen, ob es zweckmäßig ist oder nicht bzw wann es zweckmäßig ist.

Warum erzähle ich Ihnen das?

  • 1. Weil mir jemand kürzlich unterstellte, ich würde zu wenig zitieren. Genaueres Nachfragen brachte, dass er meinte, ich würde nicht seinen Lieblingsphilosophen zitieren. Nunja, das ist kein Argument für ein "Vergehen": Stattdessen habe ich andere Leute zitiert. Zitieren ist nämlich nicht sinnvoll, um seiner selbst Willen, sondern um anzuzeigen, dass man a) Gedanken nicht selbst hatte, sondern von anderen übernahm. So hat man doppelten Gewinn: Der Zitierte freut sich, zitiert worden zu sein und man selbst kann nicht des Plagiats beschuldigt werden. b) Man zitiert aber auch, wenn man einem Gedanken eines anderen widersprechen will (man muss ja nennen, wogegen man ist). 

[Anm.: Es gibt allerdings zweifellos immer wieder Fälle, dass zwei Menschen den gleichen Gedanken haben und zwar völlig unabhängig voneinander. Würden sich alle an die obige Zitierregel halten, dann käme man dem sehr schnell auf die Schliche. Es gehört also zum wissenschaftlichen Anstand, dass man ehrlich und korrekt zitiert.]

  • 2. Allerdings ist nicht alles gleichermaßen gut als Quelle geeignet. Den Dorftratsch meiner Nachbarn z.B. werde ich sicher nicht in einem wissenschaftlichen Text schriftlich fixieren.

Soweit ist das wohl allen klar. Darum frage ich nun mal ganz offen in die Runde: Warum um alles in der Welt reißt neuerdings die Mode ein, wikipedia zu zitieren??? Brauchen wir vielleicht Nachhilfeunterricht in Geisteswissenschaften? 

wikipedia – nach meiner Analyse

Wie man auch in Jürgen vom Scheidts Labyrinth-Blog nachlesen kann: wikipedia ist wichtig und schön zu haben – und ich bin überzeugt, dass es langfristig ein sehr gutes Nachschlagewerk wird. Es ist toll, dass wir es befragen können, sozusagen als Ruf in die große weite Welt "hello, out there – weiß irgendwer …?" Irgendwer antwortet dann auch, aber es ist, als wenn Sie auf dem Berliner Fernsehturm stünden, mit dem Megaphone runterbrüllen und irgendwer aus der Menschenmenge auf dem Alexanderplatz antwortet. Problem: Weil Sie so weit weg sind, wissen Sie nie wer antwortet und weil Berlin eine große Stadt ist und man nicht jeden persönlich kennt, können Sie die Antwort auch nicht werten. Wenn Sie morgen den Versuch wiederholen, dann wird wahrscheinlich jemand anders antworten. – Ok, Sie haben eine Antwort – aber wenn Sie eine verbindliche, wissenschaftlich korrekte haben wollen, die Sie morgen immernoch nachschlagen können (was der Zweck vom Zitieren ist), dann fragen Sie doch besser ein ordentliches Buch!

Fazit 

Also: Das Internet hat den Vorteil, dass es schnell ist und rasch aktualisiert werden kann. Das ist eine gewaltige Chance! Datenbanken jeglicher Art z.B. – sei es als Bildarchiv, Telefonbuch oder als Liste der Jupitermonde – waren nie leichter aktuell zu halten. Kein Medium ist dafür besser geeignet als das Internet. Auch Tageszeitungen und Diskussionen kann man da sicher schnell führen. (so auch Brainloggerin Katja Schwab in einer Rezension)

Entdeckung der Langsamkeit in einer beschleunigten Gesellschaft

Allerdings ist es auch, was es ist: mitunter sind die elektronischen Datenwege und Rechner einfach schneller als wir Menschen. – Sind sie zu schnell für uns? (Ich meine, vielleicht manchmal schon. Vielleicht mutieren wir ja aber von Generation X zur Generation KI und die Kinder meiner Generation werden’s ganz sicher im Griff haben.) Wink

Übrigens ist das der Grund, weshalb wir für wissenschaftliche Arbeiten im Internet sehr wohl die Printmedien, nicht aber in den Printmedien das Internet zitieren sollten!

(bzw. man muss genau wissen, was man zitieren darf – wie auch bei den Printmedien)


 

PS: Der unmittelbare Anlass zu diesem Post ist zwar, dass ich gerade als Jurorin für den Soemmering-Preis der Amateurastronomie zahlreiche Arbeiten gelesen habe. (Ich habe auch einen Favouriten, aber ich sag noch nichts. Wink)

Ich bitte aber auch die beiden freundlichen Autoren von SuW-Leserbriefen an mich und alle Redaktionen von papiernen Zeitschriften und Büchern, sich dies zu Herzen zu nehmen. Ein kleines Essay von mir gibt’s auch hier. 

 

PPS: Auf die SuW-Leserbriefe werde ich demnächst anworten. 

 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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